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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 132 - Dezember 2010


Gedanken über Weihnachten
Kritisch betrachtet

von Peter Voß
(Download als pdf hier)

Es begab sich aber zu der Zeit, dass bundesdeutsche Politiker – angesichts schwindender Kirchenmitgliedszahlen – es riskierten, kirchliche Feiertage (zur Finanzierung der Pflegeversicherung) in Frage zu stellen. Aber da hatten sie sich geschnitten.

Denn was heißt hier „schwindende Mitgliederzahlen“? Wie ein Mann, wie eine Frau erhob sich das Volk! Mei, was man christlich geworden vielerorts..(?) .. und beschwor altgewachsene Traditionen und Glaubensinhalte. Dabei kann doch, Hand aufs Herz, kaum einer etwas anfangen mit der garstigen Geschichte, wie sie da z.B. von Bethlehem ausging und später zur Grundlage zweier arbeitsfreier Werktage geworden ist.

Erinnern wir uns:
Irgendwann zur Zeit des Kaiser Augustus, irgendwo auf den staubigen Schotterwegen Palästinas wanderte ein junger Mann. Hinter ihm, in einigen Schritten Abstand, stolperte ein Mädchen, kaum 13 Jahre alt, mir roten verheulten Augen – und hochschwanger. Nachts, bei Temperaturen um den Gefrierpunkt, lagerten sie am Rande der Straße, ein Stück Käse und ein Schluck Wasser war wohl alles, was sie an Nahrung hatten. Der Mann war nicht ihr Mann, zumindest nicht im bürgerlichen Sinn, - wenn Sie verstehen, was ich meine. Und das Kind, das sie trug, war nicht sein Kind. Er wird nicht gerade sanft umgegangen sein mit ihr. Warum er sie trotzdem nicht fortschickte? Mein Gott, was für eine Frage! Irgendwie liebte er sie eben.

Ein sonderbares Mädchen: schwanger von einem andern, und doch suchte er vergeblich nach einem Anzeichen von Scham in ihrem Gesicht. Und da war manchmal ein Trotz in ihrer Haltung, beinahe so etwas von Vorfreude, als ginge es um eine Prinzengeburt. Neulich hatte er sie singen gehört, ein ganz neues Lied, eins von ihren eigenen; und sie hatte dabei ausgesehen, als wolle sie Gott und die Welt umarmen. Da hatte er zum ersten Mal eine Ahnung bekommen von dem, was auf sie zukam:
„Meine Seele preist die Größe Gottes,
mein Herz jubelt über meinen Retter.
Die kleiner Frau auf der Straße hat er nicht übersehen.
In Zukunft werden die Menschen
mit Ehrfurcht von mir sprechen.
Denn Gott hat ein Wunder an mir vollbracht!
Er ist wirklich der Größte!
Wer ihm die Ehre gibt, hat nicht zu befürchten,
obwohl seine Macht gewaltig ist.
Doch die eingebildeten Schnösel jagt er in die Wüste,
die Machthaber der Welt kippt er vom Sockel.
Die armen Teufel sind plötzlich wer.
Den Hungernden schenkt er seine Hilfe,
aber die Reichen sollen sehen, wo sie bleiben.
Er macht seine Verheißung wahr
und löst ein, was er versprochen hat.“

Das, liebe Leute ist Weinachten!

Weihnachten hat nichts zu tun mit Gänsebraten und Lichterbaum, mit neuem Pelzmantel in stimmungsvoller Mitternachtsmesse, mit der ganzen süßlichen Sentimentalität, ohne die der bundesdeutsche Gabentisch nicht komplett wäre.

Weihnachten heißt: ein obdachloses dreizehnjähriges Mädchen bringt ein uneheliches Kind zur Welt. Und sie ist fest davon überzeugt, dass das etwas mit Gott zu tun hat, dass in ihrem Kind Gott selbst zur Welt kommt, dass das Gottes Protest ist – bis heute Gottes Protest ist! – gegen alle, die minderjährige Mädchen mit unehelichen Kindern im Regen stehen lassen oder auch nur abfällig behandeln, dass das Gottes Protest ist gegen alle „Wohlanständigkeit“, mit der Menschen sich naserümpfend zur Richtern über Menschen aufwerfen. Weihnachten ein völlig unbürgerliches Fest!

Weihnachten kann man darum eigentlich, wenn man’s richtig feiern wollte, auch nur ganz anders feiern. Die Schokoladenweihnachtsmannindustrie würde pleite machen, die Typen mit der „Stille-Nacht-Heilige-Nacht Werbung“ in dem Kaufhäusern als Deppen dastehen, die Pastoren mit ihren Kerzen- und Weihrauchgeschwängerten Christvespern könnten einpacken.

Wäre das nicht schön?! Statt dessen Weihnachten wie damals am Anfang in Palästina, als Gott Mensch wurde, als die Ausländer so handgreiflich Gottes Liebe erfahren durften, als ausländischer Hirten als erste die umwälzende Nachricht erfuhren, als ausländische Intellektuelle als erste Konsequenzen zogen, als wenig später ägyptische Behörden ganz selbstverständlich der bedrohten jüdischen Familie Asyl gewährten.

Weihnachten: ein hochschwangeres, obdachloses jüdisches Dorfmädchen hat plötzlich eine unumstößliche Gewissheit: der Gott, von dem die Theologen immer so klug reden, der Gott, den die Mächtigen zur Begründung ihrer Machtansprüche immer wieder bemühen, dieser Gott ist in Wirklichkeit ein Gott der kleinen Leute. Er ist der Gott der Armen und der Arbeitslosen, der Aussiedler und der Asylsuchenden, der Gott der Bürgerkriegsflüchtlinge und aller Heimatlosen.

Ich möchte nichts miesmachen: In Wirklichkeit liebe ich das Weihnachtsfest ja auch, mit allem, was dazugehört: Gottesdienst und Geschenke, Tannenduft und festliches Essen, Lieder und Gedichte. Aber ich muss daran erinnern, was Weihnachten bedeutet: Wir feiern den Gott der kleinen Leute, den Gott der Einsamen, den Gott der Verzweifelten, den Gott der Heimatlosen, den Gott der Kaputten. Und das kann nur, wer sich ohne Wenn und Aber an deren Seite stellt. Wer das nicht will, der mag gerne die freien Tage für sein eigenes Fest nutzen.

Er soll’s bitte nur nicht Weihnachten nennen!


Anmerkung der Redaktion:
Eine Predigt vom Synodalen Peter Voss, Lektor und Prädikant, früher in Gandersheim, jetzt in Cremlingen. Aus dem Jahre 1994.
Es wäre interessant, die Predigt auf ihre Zeitbezogenheit hin zu lesen und auf ihre textgemäße heute gültige Aussage. Sind wir weiter? Wie sieht die text- und zeitgemäße Predigt heute aus?




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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/kvu132/gedankenvoss.htm, Stand: Dezember 2010, dk