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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 132 - Dezember 2010


KDV in der Propstei Braunschweig
und Erfahrungen als Beistand

von Hans Goswin Clemen
(Download als pdf hier)

Im April 1971 habe ich im Staju bei Eberhard Fincke als Mitarbeiter angefangen mit einem Sonderauftrag für St. Georg. Im Oktober wechselte Eberhard zur Stadt, um das FBZ aufzubauen. Das Thema Krieg und KDV war mir in der Jugendarbeit sehr wichtig. Bodo Sander war von der LK Beauftragter für KDV. Mein Versuch „Ersatzdienststellen“ in den Gemeinden in gang zu bringen stieß auf ziemlichen Gegenwind. „Wir wollen keine Drückeberger.“ War die Meinung in den KVs und weitgehend in der Gesellschaft.
Da hatte Propst Stange einen Jungen aus einer befreundeten Familie, der KDV gemacht hatte und eine Stelle brauchte. So kam die erste ZDL-Stelle in das Staju. Eine zweite Stelle habe ich in St. Georg eingerichtet. Bisher hatte nur Kurt Dockhorn in Wichern eine ZDL-Stelle. Schließlich hatte ich 4 Stellen im Staju, von denen 1 Zivi im Geistigbehinderten Pfarramt, 1 bei Modo X und 1 in der Kreuzgemeinde eingesetzt war. Als nächstes waren die Gemeinden bereit eine Stelle einzurichten, bei denen ich Jugendzentren und Aktivspielplätze mit in gang bringen konnte: Melverode, Heidberg, Magni. Allerdings hatte ich allen als Bonbon angeboten, sämtliche Abrechnungen dafür zu machen.

Im Staju trafen sich die Zivis zum wöchentlichen Freitagstreff. OLKR Wandersleb beäugte das alles sehr skeptisch: „Passen Sie auf, dass die sich nicht zusammen rotten!“ Mit dem Freitagstreff habe ich viele öffentliche Veranstaltungen in der Innenstadt von BS durchgeführt: Filme im VW-Bus gezeigt, Infotische und Diskussionen und Straßentheater gemacht.

Als Jahre später die Gemeinden und auch die LK merkten, dass Zivis billige Arbeitskräfte sind, wollten plötzlich alle einen haben. Das LKA hatte anfangs die Zahl der Zivi-Stellen in der LK auf 13 begrenzt.

Mit Bodo Sander und danach mit Alex Knackstedt habe ich mich auch mit den Leuten aus unserem Zivitreff an der Beratung für KDV intensiv beteiligt. Ich bin dann auch als Berater mit kirchlicher Genehmigung in die KDV-Verhandlungen mitgegangen. OLKR Becker hat mir die Genehmigungen ausgestellt. KDVer konnten einen Juristen oder kirchlichen Berater mitnehmen. Jeder der KDV machen wollte, musste eine ausführliche Begründung schreiben. Dann wurde eine erste Verhandlung vor dem Kreiswehrersatzamt anberaumt. Ein Vorsitzender von der Bundeswehr mit Ausbildung zum Richter und 4 Beisitzer aus dem Schöffenbereich – sehr selten war eine Frau dabei -saßen dem KDVer gegenüber. Die meisten waren noch Weltkrieg II Teilnehmer und hatten überlebt. Und die meisten waren stramme Antikommunisten, entsprechend waren ihre Fragen und Vorhaltungen an den KDVer. Es war oftmals entwürdigend. Im Schnitt dauerten diese Verhandlungen über 2 Stunden. „Stellen Sie sich vor, die Russen sind einmarschiert. Frauen und Kinder fliehen über die Okerbrücke. Ein russischer Panzer überrollt die Kinderwagen. Sie stehen dabei, eine Panzerfaust in der Hand. Schießen Sie oder lassen Sie die unschuldigen Kinder und Frauen umkommen!?“ Das habe ich oft gehört. Eine besonders für kirchliche Ohren interessante Argumentation habe ich bei einer Verhandlung in Goslar erlebt. Nach etwa 2 Stunden fragte der Richter meinen immer noch nicht eingeknickten Mandanten in vertraulichem Tonfall: „Sie sagen doch, dass Sie aus Gründen ihres christlichen Glaubens verweigern.“ „Ja, das habe ich ja auch ausführlich begründet. Mein christliches Gewissen verbietet mir das Töten und die Beteiligung daran.“ „Ja, aber Sie wissen doch, was das Wichtigste am christlichen Glauben ist. Sagen Sie es uns! – Dann will ich es Ihnen sagen: Die Vergebung. Jesus Christus ist doch für unsere Sünden, für unsere Schuld gestorben. Wenn Sie nun Gewissensbisse haben, sich schuldig fühlen, ja dann können Sie doch sicher sein, dass Ihre Schuld getilgt ist. Sehen Sie, deswegen können Christen Soldat sein. Und die Bundeswehr ist eine Verteidigungsarmee.“
Wir haben geantwortet. Übrigens ist er anerkannt worden.

Wer in der 1. Verhandlung nicht anerkannt wurde, musste in die 2. Verhandlung auf gleicher Ebene. Wer auch da nicht durchkam und nicht aufgab, musste gegen die BRD klagen. Die Verhandlung fand dann vor dem Verwaltungsgericht statt. Dort sind die meisten anerkannt worden.

Es gab auch viele junge Männer, die sich diesem entwürdigenden Spiel dadurch entzogen, dass Sie nach Westberlin gingen. Den 10.000sten KDV hat Helmut Gollwitzer mit dem „Büro für außergewöhnliche Angelegenheiten“ auf dem Bahnhof empfangen. Spannend war es in der KDV-Beratung als beim Militär und in der Öffentlichkeit bekannt wurde, dass die Mittelstreckenraketen im Hunsrück, der Eifel und der Pfalz auf Ziele im BRD-Grenzgebiet zur DDR programmiert waren. Da kamen dann auch Offiziere zur Beratung.

Alle Zivis, die durch diese Tortur gegangen waren, waren engagierte Leute. Sie hatten ein Recht erkämpft. Mit den Postkartenverweigerungen änderte sich auch das KDV-Engagement der jungen Männer.

Zur Erinnerung
von Dietrich Kuessner
Das Grundrecht auf Verweigerung des Kriegsdienstes aus Gewissensgründen nach Artikel IV des Grundgesetzes war im Zuge der Remilitarisierung Westdeutschlands schwer beschädigt worden. 1956 beschloss die schwarz/gelbe Mehrheit des Bundestages die allgemeine Wehrpflicht, und dass der Verweigerer auf Antrag zum waffenlosen Dienst in der Bundeswehr herangezogen werden könne. Damit wurde ein Grundrecht des westdeutschen Bürgers zu einem Antragsrecht denaturiert. Man stelle sich das Gleiche für andere Grundrechte vor: das Recht auf freie Meinungsäußerung nur noch auf Antrag. Das Recht auf freie Religionsausübung nur noch auf Antrag. Das war bezeichnend für das Demokratieverständnis in der Adenauerdemokratie.

Zur problematischen Prüfung der Gewissensentscheidung vor einer Prüfungskommission wurden nach einer weiteren Novellierung des Wehrpflichtgesetzes auch Pfarrer zugelassen. Daraufhin beschloss das Landeskirchenamt in Wolfenbüttel am 5. Mai 1962, der Landesjugendpfarrer solle eine Beratungsstelle für Kriegsdienstverweigerer einrichten.
Dem Landesjugendpfarrer Berndt wurde als Beauftragter Pfr. Bodo Sander, Kaierde zugeordnet, sein Nachfolger wurde ab 1975 Pfarrer Alexander Knackstedt.
In der Prüfungskommission saßen die jungen Antragsteller der Vätergeneration gegenüber, die viele Jahre ihres Lebens in den Armeen Hitlers verbracht hatten und diesen Antragssteller in die Parade und erklärte ihm: „Ich war selber Soldat im 2. Weltkrieg. Ich habe nie davon gehört, dass es darum ging, den Feind zu töten. Es ging darum, ihn unschädlich zu machen“.
In seinen Bericht für die Landessynode schrieb Knackstedt von diesen Prüfungsverfahren, es habe „ganz und gar den Charakter einer Inquisition und eines Gesinnungstestes angenommen. Willkür, Dummheit und Boshaftigkeit sind für dieses Verfahren charakteristisch. Arm dran ist der, der nicht selten drei Instanzen zu durchlaufen hat, aber noch schlechter geht es den jungen Arbeitern und Handwerkern, die nicht so wortgewandt und beweglich sind wie Schüler und Studenten.. Für die Beistände ist es jedes Mal eine seelische, geistige und auch physische Tortur, dabei zu sein.“ Knackstedt forderte die Abschaffung des Verfahrens.

In den Verhandlungen der Prüfungskommission erlebte die transgenerationelle Weitergabe von uneingestandener Schuld oft eine dramatische Zuspitzung.
Im September 1990 hatte Knackstedt einen offenen Brief in Schulen verteilen lassen, in dem von der Angst der Soldaten vor einem Kriegseinsatz gesprochen wurde. „Solange Bundeswehrsoldaten noch in eine Vernichtungsstrategie eingebunden sind, möchte ich Sie eindringlich bitten, den Kriegsdienst zu verweigern“. Der „Nord- Report“ zitierte dies Passage, der eine gewisse Aufregung verursachte. Bischof Müller erhielt einen Protestbrief, in dem Knackstedt einseitige Seelsorge und Agitation vorgeworfen wurde. Er bat den Bischof, ihm mitzuteilen, wie er auf Knackstedt einzuwirken gedenke. Der Bischof vermerkte handschriftlich auf dem Brief, „Was soll ich dazu schreiben?“ und schickte ihn zur Beantwortung an Knackstedt. Dieser erwiderte ihm: „Lieber Bruder Müller, dass ich das noch im Amte erlebe. Zum ersten Mal schickt mir ein Bischof meiner Kirche den Brief eines Denunzianten. Ich begrüße das.. Was man schreiben soll? Natürlich in den Papierkorb damit, aber nicht ohne dem Absender vorher zu schreiben, warum...... So viel soll gelten: Lassen Sie uns mutiger bekennen, treuer beten, fröhlicher glauben, brennender lieben..Die Gemeinden warten auf ein klares, eindeutiges Wort ihrer Kirche.“ Mit diesem der Stuttgarter Erklärung entlehnten Wortlaut deutete Knackstedt an, dass die Landeskirche sich nicht erneut durch Schweigen zum Krieg schuldig machen sollte.




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