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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 132 - Dezember 2010


Religionspädagogischer Kongress in Goslar zur
„Zukunftsfähigen Schule“

von Dr. Hans-Georg Babke
(Download als pdf hier)

Knapp 100 Lehrkräfte besuchten den dreitägigen Religionspädagogischen Kongress unter dem Titel „Zukunftsfähige Schule“, der vom 3.-5. November 2010 vom Arbeitsbereich Religionspädagogik und Medienpädagogik (ARPM) der braunschweigischen Landeskirche in Kooperation mit dem anr auf dem Hessenkopf in Goslar veranstaltet wurde. Sowohl die Tagungsteilnehmer als auch die Referenten lobten am Ende die Veranstalter für das Niveau des Kongresses, die freundliche und doch konzentrierte Arbeitsatmosphäre sowie für die professionelle Organisation.

An den ersten beiden Tagen ging es vor allem um allgemeine pädagogische und strukturelle Anforderungen, denen eine Schule, die auf nachhaltiges und anwendungsorientiertes Lernen Wert legt, entsprechen muss. Zur Vermeidung von Bildungsbenachteiligungen von Schülern aus bildungsfernen Elternhäusern muss die Schule zu einer inklusiven Schule fortentwickelt werden, in denen alle Schüler gemeinsam lernen. Rolf Werning (Hannover) erläuterte die Bedingungen, unter denen eine inklusive Schule gewinnbringend für leistungsschwache und leistungsstarke Schüler ist. Der Medienstar Peter Struck (Hamburg) und Andreas Helmke (Landau), einer der führenden empirischen bundesdeutschen Bildungsforscher, machten deutlich, dass die Ergebnisse der Lern- und Unterrichtsforschung umgesetzt werden müssten. Nachhaltiges Lernen sei u.a. von der selbsttätigen Aneignung von Wissensinhalten durch die Schüler, von der transparenten Strukturiertheit des Unterrichts, von der fachlichen und diagnostischen Kompetenz der Lehrkräfte sowie der effizienten Klassenführung abhängig. Ebenso wichtig sei aber auch deren Bereitschaft, sich der Unterrichtsbeobachtung von außen und der kritischen Selbstreflexion auszusetzen. In Workshops wurden praktische Modelle der Unterrichtshospitation, des inklusiven Unterrichtens und der individuellen Förderung aufgezeigt. Von Vertretern der Unterrichtsforschung wurde deutlich gemacht, welche Bedeutung die Bildungs- und Lesesozialisation in den Elternhäusern habe. Es wurde vor der Illusion gewarnt, dass die Schule diese gesellschaftlichen Sozialisationsdefizite allein kompensieren könne. Welchen Einfluss die Schularchitektur und die Rhythmisierung des Schulalltags auf das Lernen von Schülern haben, wurde am Beispiel der Evangelischen Gesamtschule Gelsenkirchen durch den Beitrag ihres Leiters, Harald Lehmann, deutlich.

Der letzte Tag war dem Religionsunterricht der Zukunft in der fortzuentwickelnden Schule gewidmet. Folkert Doedens, ehemaliger Leiter des PTI Hamburg, erläuterte das Hamburger Modell eines „Religionsunterrichts für alle in evangelischer Trägerschaft“. Dabei wurde deutlich, dass diese Konzeption kein Organisationsmodell darstellt, wie es gern als Argument für einen überkonfessionellen und interreligiösen Einheitsunterricht von interessierter Seite verwendet wird, dass sich dahinter vielmehr unterschiedliche Organisationsformen verbergen. Außerdem ist es den besonderen staatskirchenrechtlichen und multireligiösen Verhältnissen in Hamburg geschuldet, so dass es sich nicht einfach auf andere Bundesländer übertragen lässt. Zukunftsfähig in dem Sinne, dass es der zunehmenden Pluralisierung und Diversifizierung der weltanschaulich-religiösen Orientierung und den menschlichen Verstehensbedingungen entspricht, scheint dagegen das Modell einer pluralen Fortentwicklung des Religionsunterrichts nach Art 7 (3) GG zu sein. Andere Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften müssten einen – freilich von den Bildungszielen der Schule her begründeten – Unterricht anbieten können. Diese Angebote sollten gemäß dem Vorschlag der EKD-Denkschrift „Identität und Verständigung“ von 1994 in einer Fächergruppe zusammengeschlossen werden. Der Unterricht erfolgt abwechselnd in Differenzierungsphasen, in denen sich die Angehörigen einer Perspektive über die eigene Position verständigen, und Integrationsphasen, in denen die unterschiedlichen Perspektiven miteinander ins Gespräch gebracht werden. Gelingensbedingungen dafür sind zum einen, dass es verbindliche Themenabsprachen in der gemeinsamen Fachkonferenz gibt, und zum andern dass alle Lehrkräfte gleichberechtigte Mitglieder des Lehrerkollegiums sind. Der Unterricht in den Integrationsphasen müsste dabei – wenn möglich – doppelt besetzt werden, damit andere Perspektiven als die der Lehrkraft nicht zur Karikatur geraten, sondern in ihrem Selbstverständnis zur Sprache kommen. Differenzierungs- und Integrationsphasen könnten entweder viertel- oder halbjährlich abwechseln, so dass dieses Modell auch schulorganisatorisch praktikabel ist. Mein Vorschlag wurde auch von Karl Ernst Nipkow (Tübingen), dem bedeutenden bundesdeutschen Religionspädagogen der letzten Jahrzehnte, unterstützt. Die Pluralisierung der weltanschaulich-religiösen Unterrichtsangebote fördert die wissensbasierte interreligiöse Dialogkompetenz der Schülerinnen und Schüler eher als ein Einheitsunterricht auf einer angeblich neutralen religionswissenschaftlichen Basis. Denn ein Einheitsunterricht steht in der Gefahr, die unhintergehbare Perspektivität der Wirklichkeitserfassung zu unterschlagen.

Großen Beifall erhielten die Künstler für das von ihnen gestaltete kulturelle Abendprogramm. Abgerundet wurde die Tagung durch Lehrerandachten, die von Mitgliedern des anr gestaltet wurden.

Ein weiteres Mal hat sich die Zusammenarbeit zwischen ARPM dem und dem anr von der Planung bis zur Durchführung des Kongresses als fruchtbar und erfolgreich erwiesen.




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