Kirche von unten: Home - Archiv - Geschichte - Vorträge, Beiträge - Cyty - Glaube

[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 133 - Februar 2011


S Ü D A F R I K A   H E U T E

von Hans Ludwig Althaus

Buchpesprechung zu:
Renate Wilke-Launer (Hrsg.)
Südafrika: Katerstimmung am Kap
(Download als pdf hier)


Renate Wilke-Launer (Hrsg.), Südafrika: Katerstimmung am Kap, Frankfurt a. M., 2010, 249 S.
Durchblättern und Lektüre: Allen dringend zu empfehlen, die an der Überwindung der bösen A p a r t h e i d s z e i t innerlich und äußerlich Anteil hatten/haben;
-unter die übliche Decke der Reiseberichte schauen, um Genaueres zu erfahren aus analysierenden, klärenden Berichten zu den Wirklichkeiten von Gestern und Heute in Südafrika;
-von Einzelheiten und allgemeinen Schicksalen, Überlebenskämpfen, politischen Maßnahmen und Wegsuche derer informiert sein möchten, die sich mit der Unterdrückung abzufinden hatten oder jetzt prüfen, wie die „Zeit danach“ unter anderen Voraussetzungen zu bewältigen ist.
Südafrikaner fühlen s i c h a u s g e s e t z t: dem Meinungsdruck div. Regierungen und Verwaltungen; den schleichenden Gegensätzen zwischen einheimischen und ausländischen Schwarzen und Weißen; den schlampigen, oft sträflich-schlauen oder zu nachsichtigen Maßnahmen von Polizei (und Justiz?). Gehen diese mit kriminellen Tätern sorgfältig um und wenden sie die nötige Mühe auf, Banden, Brutale, Hemmungslose, Herzlose aufzuspüren und sie gerechter Bestrafung zuzuführen? Große Teile der Bevölkerung haben Ängste um Leib, Leben, Besitz, Tag und Nacht, Jung und Alt. Wie und warum greift die AIDS-Pandemie so um sich? Was steckt hinter den Arznei-Engpässen? Aus welchen Gründen hat der damalige Präsident Thabo Mbeki sie verharmlost?
Die Textsammlung ist wie ein S p i e g e l, der das Fertigwerden mit zerbrochener Vergangenheit wiedergibt und Kräfte zeigt, die mit aufbrechenden Hoffnungen offene Zukunft gestalten müssen. Umsichtig lernende, entschlossen-aufgeschlossene Demokraten wollen helfen, das unruhige Land auf Ebenen zu bringen von Sicherheit, Erfolg, Gerechtigkeit, Menschenwürde und gesellschaftlichen Frieden. Dieses Buch macht mit tausend Namen vertraut. Es ist interessiert an Themenbehandlungen und Prozentwerten von Mankos: Korruption, Wegschauen, Armut, Arbeitslosigkeit und Süchten. Nicht nur am glänzenden internationalen Fußballfest. Zahllose Abkürzungen schrecken ab, sind aber wohl nötig.
Jährlich machen sich einige Tausend A u s w a n d e r e r auf, vornehmlich nach England, Australien und Amerika. Gründe dafür sind grassierende Kriminalität, Bevorzugung Schwarzer bei Jobvergabe und Beförderungen, bessere Verdienstmöglichkeiten. Etwa 1 Million Weißer soll seit 1995 dem Land den Rücken gekehrt haben. Auch Menschen anderer Hautfarbe möchten emigrieren. Weiße aber besitzen bessere finanzielle Voraussetzungen für einen Wechsel. 2008 verließ täglich ein Ingenieur das Land. Etwa 1400 Mediziner bildet der Staat jährlich aus, aber nahezu 650 suchen im Ausland eine Stellung. Auch Schwesternpersonal tauscht gern mit London oder Dubai. Dieser Fachkräfteverlust dient nicht der Stärkung von Wirtschaft und Infrastruktur.
Zum A N C. Vier Wahlen gewann er seit 1994 (je mit mehr als 60% Zustimmung). Aber vergleichbar ist er mit anderen afrikanischen Befreiungsbewegungen, die zu selbstgerechten Autokraten oder zu Raubtieren geworden seien (S.10). „Als erstes muss die Partei reformiert werden, vom Ortsverein über die Provinzgremien bis zur nationalen Führungsebene. Sie muss die Mitglieder besser einbeziehen, Mitarbeit und Mitbestimmung ermöglichen (S.38)“, für Entscheidungen, Führungsposten und Arbeit der praktischen Politik. „ANC-Präsident Jacob Zuma sagte einst voraus, dass die Herrschaft des ANC bis zur Wiederkehr Jesu Christi andauern würde. Wenn sich der Konflikt weiter...verschärft, wird Jesus bei seiner Wiederkehr Südafrika als ausgebranntes Gerippe vorfinden (S.57).“

Das L a n d braucht klare, besonnene Köpfe, aus allen Bevölkerungsschichten, wenn es durch Krisen nicht nachhaltig geschwächt werden soll und die jetzt schon bedauernswerte Formulierung „Katerstimmung am Kap“ nicht mehr ausreicht. Katerstimmung, stimmt der Begriff? Ist eigentlich ein Ausdruck für müden, flauen Zustand nach versoffener Nacht! Passt er zu den geschilderten Missständen bei Unzufriedenen, Protestierenden, Gefährdeten? Oder zu den erfolgreich Verantwortung Tragenden und Lichtblicke Gebenden?
Ein Buch, geformt von 32 intellektuellen, bekannten, versierten F a c h l e u t e n. An der Spitze die bewährte, höchst verdienstvolle, klar-kritische, umsichtige Herausgeberin. Seit Jahrzehnten widmet sie sich scharfsinnig und verlässlich ihrer schwierigen, aktuellen Materie. Die Texte zu soziologischen, ökonomischen, historischen, politischen Erscheinungsformen (mit Geschichten, Erlebnissen und Erhebungen) zeigen Möglichkeiten zur Überwindung der Tiefs. Brückenbauen und Phantasie sind dafür dienlich. Auch positive Beispiele von Vorbildern. Die Leserschaft kann lernen: Die Übelstände entstammen nicht nur dem Nachlass der Apartheid, sondern auch Mentalitäten der schwarz-weißen Bevölkerungsgruppen. Diese bieten unterschiedliche Voraussetzungen von Herkommen, Bildung und finanziellen Grundlagen.

Der Band befasst sich außerdem u.a. mit brisanten T h e m e n wie Inder, Juden, Afrikaaner, Wirtschaftsfragen, Taxiindustrie, Landverteilung, ANC-Geschichte inkl. Präsidenten, Energiepreise, Polizei, Sicherheit. Alles ist einmal gut angelaufen, mit Elan und Nelson Mandela, dem Gefeierten, Geduldigen, Erfolgreichen. Er hatte viele Jahre Haft auf Festland und Robben Island hinter sich. Die weise geschmiedete Verfassung, eine ehrliche, von der internationalen Welt verfolgte Wahrheitskommission und praktische Ziele wie Häuser zu bauen, Leitungen zu verlegen und vom Reichtum des Landes mehr in die Hände der Schwarzen gelangen zu lassen, boten solide Voraussetzungen für gesunde Entwicklung. Aber die Auseinandersetzungen nehmen an Schärfe zu: Viele schwarze Südafrikaner sehen sich um ihre Hoffnungen und Ansprüche betrogen und protestieren lautstark, Kritiker werden als Apartheid-Verfechter verunglimpft oder als Abweichler niedergemacht, schreibt die Herausgeberin.
Einige Z i t a t e aus den Arbeiten der Autoren als Flankierung zum Bisherigen, ohne Kommentar (WL=Wilke-Launer):
Mandelas großes Vertrauen in Bildung geht auf seine traditionelle Erziehung und den Besuch der methodistischen Missionsschule, weiterführender Schulen und schließlich der University of the Witwatersrand zurück. Vor dem Parlament der Weltreligionen bekannte er 1999, welche Rolle religiöse Erziehung für ihn und die Mitstreiter seiner Generation spielte: “Ohne Kirche, ohne religiöse Institutionen würde ich heute nicht hier stehen“ (WL,13).
Apartheid könne bald, nach 20 Jahren Freiheit, nicht mehr dafür verantwortlich gemacht werden, wenn manche Dörfer immer noch kein Wasser, keinen Strom und keine Straße haben
(Jacob Zuma, April 2010, 24).
Südafrika gehört allen, die dort leben... Im neuen Südafrika sollten alle gleichberechtigt sein, unabhängig von ethnischer Zugehörigkeit, Hautfarbe und Geschlecht (Freedom Charter 1950, hier 13).
64 % aller Südafrikaner bekennen mit Nachdruck (Dez.2009): Alle Menschen sind meine Brüder und Schwestern---unabhängig von Rasse, Religion und politischen Überzeugungen... 9% mehr als im Jahr zuvor (WL 28).
Was die Regierung uns in den vergangenen 15 Jahren alles vom Krieg gegen die Armut erzählt hat, klingt jetzt hohl. Das Land müsse sich auf höhere Arbeitslosigkeit, mehr Zusammenbrüche kleiner Unternehmen, zunehmende Umweltschäden, geringeres Wachstum, schlechtere Arbeitsplätze, mehr Armut und mehr service delivery-Proteste gefasst machen
South African Council of Churches, hier 93)... Die privaten Haushalte geben nach Angaben der Regierung 10-25% ihres Einkommens für Energie aus (WL 93).
Heute sind wir die Wählerschaft, aber wir werden genauso behandelt, wie unter der Apartheid
(Sharpeville-Sprecher, 160).
Seit 1994 wurden 250.000 Menschen in Südafrika ermordet. Mit Morden pro Tag liegt Südafrika nur knapp hinter Kolumbien... 18148 Menschen ermordet, zwischen April `08 und März `09...Die meisten an Wochenenden. (WL 162).
Weiße Bevölkerung Mitte`09: 4,472 Mill. ,d.h. 9,1% aller Südafrikaner. 430.000 Weiße leben im slumähnlichen Siedlungen. Sie haben 70% aller höheren Managementposten inne und mehr als die Hälfte mit Akademikern besetzte Posten. 5% Arbeitslosigkeit, die übrigen Bevölkerungsgruppen 23%
(WL 145).
Nach 15 Jahren Demokratie:
Die Bevölkerung sieht sich gegenüber einer wachsenden, politischen Intoleranz, einem schwachen Staat und politischem Führungspersonal, das die Nation nicht zusammenschweißen konnte. Die Regierung habe Korruption und Inkompetenz im öffentlichen Dienst allzu oft ignoriert und damit Kernbestimmungen der Verfassung unterlaufen. Und so habe sich an den Lebensbedingungen der allermeisten Menschen nur wenig geändert. (WL 222).
Junge Menschen in den townships und den ländlichen Gebieten werden, wenn sie arbeitslos, hungrig, frustriert und wütend sind, unter diesen Umständen zum Diebstahl greifen, ja selbst zum Mord, um wie die paar wenigen anderen zu leben, die durch die Gnade der Geburt oder durch politische Patronage der neuen Elite angehören
(Neville Alexander, 216).
Wegen der besonderen historischen Dynamik in diesem Land lässt die Klassenausbeutung die rassische Ungleichheit fortleben. (Neville Alexander, 215).
Viele meiner südafrikanischen Nachbarn waren arbeitslos, die meisten von ihnen waren Zulus, und klagten, sie bekämen keine Arbeit, weil Thabo Mbeki ein Xhosa sei. Wäre Jacob Zuma (ein Zulu) erst einmal Regierungschef, würde er für sie sorgen
(Napier Mbanda, aus Malawi, in RSA, 210).
Dieses ganze Land ist leck und sickert in die Taschen der Mosambikaner...Sie haben das Land wie mit Wasser überflutet, aber lassen es uns ausgedörrt zurück... (bei Johnny Steinberg, 210).
Unser Land gehört allen Afrikanern---diesen Satz haben Regierungsvertreter und ANC-Funktionäre seit den Unruhen immer wieder und wieder beteuert
(bei Johnny Steinberg, 211).
Südafrika ist nicht nur bei der politischen Repräsentanz von Frauen Weltspitze, sondern auch bei der Zahl der Vergewaltigungen... Die Statistik sagt, 150 Frauen sind es am Tag---86 Erwachsene, 64 Minderjährige....Von April `08 bis März `09 insgesamt 70.514 Fälle von Sexualverbrechen, lt. Statistik der südafrik. Polizei. Neunmal so viele Mädchen und Frauen werden vergewaltigt, wie Fälle aktenkundig werden. Nur ein Bruchteil der Fälle gelangt vor Gericht. Mehr als ¼ aller männlichen Erwachsenen Südafrikas---weit mehr als 2 Mill. Menschen haben schon einmal eine Frau vergewaltigt (Studie 2009, Medical Research Council)...Einige der Männer sahen in ihrem Verhalten kein Problem. Sie halten es für ihr gutes Recht, sich zu nehmen, was ihnen ihrer Meinung nach zusteht... Untersuchung Science Research Council `08: Sex zwischen Frauen oder zwischen Männern sei nicht akzeptabel und „unafrikanisch“.
WL, 193ff.).

P f a r r e r in der Ev.-luth. LK in Braunschweig, die im südlichen Afrika tätig gewesen sind, seit 1970, u.a.
Hans-Joachim Berger †, 1959-70, RSA; Detlev Morfeld, 1965-70, RSA; Horst Plauschin, 1965-1971, RSA; Hans-Ludwig Althaus, 1970-71, Namibia, ausgewiesen vom Apartheid-Regime; Eberhard Richter, 1974-91, RSA; Jörg Fromm, 1982-89, RSA; Klaus Burckhardt, 1984-93, RSA; Rolf Fröhlich, 1993-05, Malawi; Detlef Kremling †, 1995-98; Harald Bartling, 1997-03, RSA; Utz Brunotte, 2004-10, Malawi; Martin Cachej, 2005-06, RSA; ---
Moshe Moselane 1986-91 in Broitzem; Andreas Johannes Wernicke, 2000-06, als Südafrikaner in Seesen.




[Zurück] [Glaube] [Helfen]
Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/kvu133/suedafrikaheute.htm, Stand: Februar 2011, dk