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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 133 - Februar 2011


Zur Funktion des Uhren- und Glockenturms

von Helmut Kramer
(Download als pdf hier)

Nachdenkliche Besucher der Wolfenbüttler Gedenkstätte zur NS-Justiz fragen danach, warum ausgerechnet eine Hinrichtungsstätte mit einem Uhren- und Glockenturm ausgestattet ist. In der Ausstellung und dem Katalog finden sie keine Antwort. Natürlich ist die kirchenähnliche Gestaltung dieses bundesweit einzigartigen Solitärbaus einer Hinrichtungsstätte sehr bewußt gewählt. Offensichtlich wollte man damit dem Vollzug der Todesstrafe eine sakrale, die Unmenschlichkeit des Geschehens überhöhende Bedeutung verleihen. Solche religiösen Gedankenverbindungen klingen u. a. in einem an das Reichsjustizministerium gerichteten Schreiben des Generalstaatsanwalts in Naumburg an: „Der Vollstreckung der Todesstrafe als einem staatlichen Hoheitsakt wohnt eine ernste Würde und Feierlichkeit inne, die mich, sooft ich einer Hinrichtung anwohnte, tief beeindruckt hat. Die gleiche Wirkung erfährt dieser Akt in der breiten Öffentlichkeit um so mehr, als dank der strengen Geheimhaltungsvorschriften die Einzelheiten der Vollstreckung von einem gewissen mysteriösen Dunkel umhüllt sind. Darauf beruht die abschreckende Wirkung der Todesstrafe“ (Bericht des GStA in Naumburg an das RJM vom 20.11.1944, Bundesarchiv R 3001/3118 Bl. 240). Diese Verweisung auf die später nicht hinterfragbaren Werte und des Heiligen lässt einen Transzendenzbezug durchschimmern und das Tötungstabu zurückdrängen. Die theologische Suggestion ähnelte der Legalitätsfassade, mit der die Juristen mittels ihres Rechtsanwendungsinstrumentariums Unrecht als recht erscheinen liessen.

Entsprechende Fragen könnte man auch an die bis 1942 übliche Anwesenheit eines Pfarrers auch beim Hinrichtungsvorgang selbst stellen. Die Begleitung des Delinquenten auf seinem letzten Gang war seit dem Mittelalter Tradition. Gewiss konnte der Pfarrer dem Unglücklichen etwas Trost spenden. War aber seiner Anwesenheit selbst eine zusätzliche Bedeutung zugedacht, gewissermaßen eine legitimatorische Funktion? Solche Fragen stellen sich bei der Lektüre der Briefe ein, mit denen der katholische Anstaltspfarrer Unverhau nach dem Krieg Anfragen der Angehörigen der „Nacht- und Nebel“-Gefangenen beantwortete. Darin ist zwar in verschwommener Sprache von einem „Schreckensregiment“ die Rede, man findet aber kein Wort zu der persönlichen Verantwortung der Richter, die die Todesurteile gefällt hatten. Die Verantwortung schreibt er eher dem „furchtbarsten aller Kriege“ zu. In Sprache und Denkungsart standen auch manche der evangelischen Anstaltspfarrer den Tätern näher als den Opfern. Der evangelische Anstaltspfarrer Hünecke versagte „verstockten Sündern“ sogar die Erteilung des Heiligen Abendmahls.




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