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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 133 - Februar 2011


Weibliche Lebenswege in der Kirche:
Eine Annäherung an eine weitgehend unbearbeitete Thematik

von Kristina Kühnbaum-Schmidt
(Download mit Fußnoten als pdf hier)

I. Einleitende Bemerkungen zu Vorarbeiten und zur Forschungslage

Mit der Anfrage nach einem „Kastenbeitrag“ zur Frauenordination fing alles an. Und als daraus dann im Frühjahr 2008 die Überlegung zu einem Beitrag über Frauen in der Braunschweigischen Kirchengeschichte wurde (mit damals angepeilten Abgabetermin Herbst 2008 und der Manuskriptobergrenze von 10 Seiten) - da war mein erster Gedanke: Das ist eine eigentlich unmögliche Aufgabe.

Eigentlich unmöglich - weil es mittlerweile zwar einige Untersuchungen zur Frauen- resp. Gendergeschichte in der niedersächsischen Kirchengeschichte auch durch die Jahrhunderte hindurch gab, spezifische Beiträge für den Bereich der Braunschweigischen Landeskirche aber doch rar gesät waren und sind. Wie also einen Überblicksbeitrag auf 10 Seiten in ca. einem halben Jahr schreiben, wenn die dafür notwendige Quellen- und Grundlagenarbeit über weite Strecken noch immer darauf wartet, getan zu werden. Man frage sich in diesem Zusammenhang nur einmal, wie viele und welche Arbeiten zu Themen der Frauen- oder Geschlechter-forschung beispielsweise vom Arbeitskreis für Braunschweigische Kirchen-geschichte in den, sagen wir mal, letzten 10 - 15 Jahren angeregt, gefördert oder selbst unternommen wurden.

Deshalb galt es, mit einer Art Mut zur Lücke und zum Nicht-Wissen, oder besser: noch-nicht-genug-Wissen an die Arbeit zu gehen und sich davon nicht zu sehr verunsichern zu lassen. Sehr zugespitzt könnte ich heute vielleicht sagen: Der vorliegende Beitrag zur Frauengeschichte ist nicht die Zusammenfassung einer breiten Forschungslage, kein Extrakt, sondern ist im Gegenteil fast mit jedem Satz ein Auftrag oder eine Anregung zu Quellenlektüre, historischer Forschung und neuen Fragen. Dazu im Lauf meines Beitrages einige erste Bemerkungen.

Eine eigentlich unmögliche Aufgabe - das hieß dann aber auch: Und uneigentlich? Uneigentlich bedeutete es, unter den Bedingungen, wie sie bei bisher weitgehend unbearbeiteten Themen und Arbeitsfeldern nun einmal sind, zu arbeiten und möglichst Gutes daraus werden zu lassen. Für mich hieß das, für die Thematik „Frauen in der Braunschweigischen Kirchengeschichte“ eine Darstellung zu finden, die sich nicht in der Aufzählung von bekannten und unbekannten Frauengestalten aus dem Braunschweiger Land verliert, sondern statt dessen einen möglichen „roten Faden“ für dieses Thema durch die Jahrhunderte hindurch findet, aufzeigt und verfolgt. Womit ja zugleich auch die spannendste Aufgabe jeder Geschichtsschreibung verbunden ist: Nicht die Sammlung und aneinandergereihte chronische Aufzählung einzelner Ereignisse und Biographien macht Geschichts-schreibung interessant und immer wieder neu, sondern deren Verständnis, die Interpretation der Fakten und die Einordnung in Gesamtzusammenhänge.

Für den vorliegenden Beitrag zur Frauengeschichte habe ich deshalb die Frage nach den spezifisch weiblichen Rollen, Aufgaben, Rechten und von Frauen wahrgenommen öffentlichen Positionen sowie den von Frauen gelebten Formen der Frömmigkeit und Religiosität zum Ausgangspunkt genommen. Denn, um mit Arnold Angenendt einmal einen katholischen männlichen Kirchenhistoriker zu zitieren: „Insgesamt erweist sich „Geschlecht“ als grundlegendes Ordnungssystem des sozialen, ökonomischen wie auch religiösen Lebens. Für die Religions-geschichte ergeben sich insofern besondere Perspektiven, als das Christentum eigentlich keinen Unterschied von Mann und Frau machen wollte, was dann zu der Frage führt, welche Geschlechterrollen tatsächlich ausgebildet wurden und inwiefern die Frau doch wieder die nachgeordnete war.“

II Grundzüge weiblicher Möglichkeiten und Rollen
Grob vereinfachend lässt sich folgende Linie ziehen: Vor der Reformation eine relative Vielzahl weiblicher Rollen und Möglichkeiten in der religiösen Öffentlichkeit, eine Beschränkung dieser Vielzahl im Zuge der Reformation mit einer Idealisierung der Rolle der verheirateten Frau und Mutter, die aber verbunden war mit der Entstehung einer neuen, bis dahin unbekannten Rolle - der Rolle der Pfarrfrau. Diese neue, eigentlich aus einer Beschränkung heraus entstandene Rolle trug ihrerseits dazu bei, dass sich wiederum spezifisch weibliche Berufe und Rollen für Frauen in der Kirche entwickelten und im 20. Jahrhundert schließlich zu Auseinandersetzungen um die Gleichberechtigung von Frauen und Männern auch in der Kirche führte. Diese Entwicklung kann natürlich nur im Zusammenhang anderer gesellschaftlicher, ökonomischer, politischer und kultureller Entwicklungen verstanden werden und müsste auch entsprechend eingebettet werden - eine Aufgabe, die für den vorliegenden Beitrag in Bezug auf die Region nicht bzw. nur sehr eingeschränkt geleistet werden konnte.
Um den vorliegenden Buchbeitrag nicht zu wiederholen, aber dennoch an einigen Stellen Akzente und mögliche Fragestellungen zu markieren, möchte ich an zwei Abschnitten die eben genannte Grundthese verdeutlichen und dann noch - quasi als Zugabe - die Biographie einer zumeist wenig bekannten Frau aus der Reihe der ersten ordinierten Pfarrerinnen im Braunschweiger Land vorstellen:

II.1. In vorreformatorischer Zeit
Im Rahmen der vorreformatorischen religiösen Öffentlichkeit begegnete man Frauen in unterschiedlichen Rollen. Sie lebten als Nonne oder gar Äbtissin in einem der Frauenklöster der Region, was neben der lebenslangen Absicherung ihrer Versorgung auch den Zugang zu Bildung und gesellschaftlichem Ansehen zur Folge hatte , als Begine in einem der in den Städten angesiedelten Beginen-konvente, waren Mitglied in geschlechtergemischten Kalanden (geistliche Laienbruderschaften) oder versuchten, als einfaches Glied der christlichen Kirche für sich und ihre Familien den zahlreichen religiösen Vorschriften und Lebensregeln nachzukommen.

Beginenhäuser und Beginenkonvente sind für Gandersheim, Goslar, Helmstedt, Schöningen und Braunschweig nachgewiesen. Als älteste Beginenhäuser dürfen dabei wohl die beiden im Jahr 1274 in Goslar an die Beginen des Hospitals des heiligen Ludwig verkauften Häuser neben der Küsterei des Domes gelten; ein von Beginen betreutes Hospital mit Kapelle ist in Gandersheim bereits für das Jahr 1210 belegt. Das älteste der sechs Beginenhäuser in der Stadt Braunschweig war das im Jahr 1290 durch den Schmied Johann von Monstede gestiftete Beginenhaus bei St. Petri.
Eine mögliche Fragestellung für die Zukunft könnte die nach der Einordnung, den Ursprüngen, und der Verbreitung der Beginenbewegung im Braunschweiger Land sein. Spezifisch für Braunschweig legt sich die Frage nahe, wie der enge räumliche Zusammenhang einiger Beginenhäuser mit dem Franziskanerkloster St. Ulrici/ Brüdern zu sehen und zu verstehen ist, ist doch aus der Beginenforschung bekannt, dass diese oft die Nähe der Franziskaner und Dominikaner suchten und bevorzugt diese zu ihren Beichtvätern wählten. Welche Beziehungen und welcher Austausch verbanden die Braunschweiger Beginen und die Braunschweiger Franziskaner?

Auch die Frage der weibliche Heiligenverehrung in Braunschweig könnte ein Kapitel zu sein, dass sich intensiver zu bearbeiten lohnt - und zwar in zweierlei Perspektiven: Welche Heiligen fanden besonders bei Frauen Anklang, welche weiblichen Heiligen erfuhren besondere Verehrung? Für Braunschweig könnte man der besonderen Verehrung der heiligen Anna nachgehen am Beispiel der Annenfrömmigkeit in BS im 15. Jahrhundert - mit den Annenkapelllen zuerst schlicht und klein an St. Petri, später dann groß und ausgeschmückt an St. Martini.
Und eine weitere Erforschung der Geschichte des einzigen Frauenklosters in Braunschweig, dem Heilig-Kreuz-Kloster auf dem Rennelberg - über die grundlegende Arbeit von Eva Schlottheuber hinaus - ist sicher lohnend.

II.2. Veränderungen durch die Reformation
Die unterschiedlichen weiblichen Lebensentwürfe, die in religiöser Hinsicht noch vor der Reformation möglich waren, wurden in Folge der Reformation deutlich eingeschränkt. Frauen blieben trotz der Vorstellung des Priestertums aller Gläubigen vom Amt der Verkündigung und Sakramentsverwaltung ausgeschlossen. Allerdings hatten die Hebammen eine Sonderstellung inne. Zwar war ihr Beruf kein kirchliches Amt, ihm kam jedoch in den Kirchenordnungen der Reformation, auch in der Kirchenordnung Bugenhagens für Braunschweig aus dem Jahr 1528, an prominenter Stelle erhöhte Aufmerksamkeit zu. Die Hebammen sollten durch den Superintendenten oder einen anderen Prediger regelmäßig darin geschult werden, Gottes Wort im Blick auf die Taufe zu verstehen, tröstlich zu sein für Schwangere und Gebärende und sie zum Beten anzuhalten und anzuleiten. Schwerpunkt ihres Unterrichts aber sollte das rechte Verstehen und Praktizieren der Nottaufe sein, was dafür spricht, dass es die Hebammen waren, die in sehr vielen Fällen das Sakrament der Taufe spendeten. Vielleicht liegt hierin auch ein möglicher Grund für die im Vergleich ungewöhnlich lange Taufeinleitung in der Kirchenordnung Bugenhagens, die ja in ihrer Ausführlichkeit spezifisch für Braunschweig ist.

Mit Einführung der Reformation wurde Frauen weitgehend die Möglichkeit genommen, eine anerkannte Lebensform jenseits der Ehe zu wählen, wie sie die monastischen Gemeinschaften oder die Beginenkonvente noch geboten hatten. Mit der Einführung der Pfarrerehe und dem neu propagierten Ideal der evangelischen Frau als Ehefrau, Hausfrau und Mutter wurde ihr gesellschaftlicher Spielraum nun weitgehend auf Haus und Familie eingeengt. Was für die evangelischen Pfarrer eine Erweiterung ihrer Lebensmöglichkeiten gegenüber dem vorherigen Zwang zum Zölibat bedeutete, nämlich heiraten zu dürfen und Kinder haben zu können, hatte für Frauen eine deutliche Verengung ihrer Möglichkeiten zur Folge: In den bürgerlichen Schichten löste das neu entstehende Ideal der Ehefrau und Mutter das frühere Vorbild der Klosterfrau ab, und der mit dem Klostereintritt verbundene Zugang zu Bildung, einer gesellschaftlich anerkannten Position und einem von einem männlichen Versorger unabhängigen Leben war für evangelische Frauen vorerst in weite Ferne gerückt. Dass den Frauen das durchaus bewusst war, lässt sich schließen aus den Protest nicht weniger Frauenklöster gegen die Einführung der Reformation und ihre damit verbundene Auflösung bzw. ihre wohl als Kompromiss zu verstehende Umwandlung in evangelische Damenstifte. Auch das Heilig-Kreuz Kloster in Braunschweig weigerte sich 1530 zunächst, deutsche Messen durch lutherische Geistliche lesen zu lassen; 1532 wurde die Äbtissin abgesetzt und die Nonnen des Klosters, die lutherisch werden wollten, bekamen Geld ausgezahlt (8); über die verbleibenden 11 wird strengste Klausur verhängt ohne die Möglichkeit zu gemeinsamen Gottesdiensten oder Chorgesängen; 1545 das Kloster schließlich zerstört und der Konvent aufgehoben; die verbleibenden 7 Klosterfrauen und 14 weiblichen Konversen nahmen Zuflucht in St. Aegidien, behielten aber Gewand und Schleier der Zisterzienserinnen bei. Das man hier durchaus von einem weiblichen Leiden an der Reformation sprechen könnte, ist sicher nachvollziehbar.

Allerdings gab es innerhalb des Protestantismus für Frauen von nun an eine neue, wenn auch die für lange Zeit einzig mögliche öffentliche Rolle zu besetzen, eine Rolle, die ohne Vorbild in der Geschichte der Kirche war: die Rolle der Pfarrfrau. Die Pfarrfrauenexistenz bildete im Protestantismus einen spezifisch weiblichen Erfahrungsraum und beinhaltete ein spezifisch weibliches Tätigkeitsfeld – zu haben war sie allerdings nur in Abhängigkeit vom Pfarrer und vom Pfarramt.
Eheschließungen mit evangelischen Geistlichen stellten vor allem in der Anfangszeit der Reformation für die zukünftigen Pfarrfrauen gleichermaßen einen Bekenntnisakt wie ein Risiko dar, denn die Versorgung der Ehefrauen und Kinder einer Pfarrerehe war zunächst höchst schwierig, die Versorgung von Pfarrwitwen und –waisen blieb lange Zeit völlig ungeklärt. Und die Heirat mit einem Pfarrer bedeutete vielleicht einen besonders beäugten, aber keinen in der gesell-schaftlichen Hierarchie besonders herausgehobenen Platz. Die eingehendere Forschung nach den Ehefrauen der evangelischen Pfarrherren im Braunschweiger Land besonders in den ersten Jahrzehnten der Reformation dürfte spannend sein, um besser zu verstehen, wie sich die Heirat von Pastoren durchsetzte und wie sich der Alltag in den Pfarrhäusern gestaltete. Visitationsberichte u.ä. könnten hier Aufschluss geben.

II.3. Dorothea Sophie Hamann
Wir machen einen gewaltigen Sprung ins 20. Jahrhundert. Um heute nicht noch einmal die Geschichte der Frauenordination unserer Landeskirche zu rekapitulieren, möchte ich Ihnen statt dessen den Lebensweg einer Theologin nachzeichnen, die in der Braunschweiger Landeskirche nicht sehr bekannt ist. Dennoch ist sie die erste der in unserer Landeskirche tätigen Theologinnen, die ordiniert wurde - und das bereits im Jahr 1936. Ihr Name ist Maude Dorothea-Sophie Hamann und sie wurde am 23.11.1903 als Tochter des Studienrates Hermann Hamann und seiner Frau Katharina in Wilhelmshaven geboren. Die Familie zog ein Jahr später nach Berlin; 1920 feierte Dorothea Sophie Hamann ihre Konfirmation in der Kirche zum Guten Hirten in Berlin-Friedenau.
Ab 1923 studierte sie zunächst 2 Semester Medizin, dann ab 1924 Theologie in Berlin und Tübingen. 1931 legte sie die 1.theologische Prüfung vor dem Ev. Konsistorium der Mark Brandenburg ab. Sie absolvierte ihr Lehrvikariat an der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtnisgemeinde, in der Diakonissenanstalt Königsberg und der Ostpreußischen Frauenhilfe. Ihr Vikariatsleiter Pfarrer Gerhard Jacobi beschrieb sie 1932 als einen „ernsten Menschen, der die Anforderungen, welche Seelsorge und Wortverkündigung stellen, schwer nimmt. ... Ihre besondere Begabung liegt auf seelsorgerlichem Gebiet. ... Sie sieht die Probleme, die die praktische kirchliche Arbeit stellt, und versucht, sie vom zentralen Wesen der Kirche aus zu durchdringen.“ Und der Direktor der Diakonissenanstalt Königsberg schrieb über sie: „Fräulein Hamann ist eine besonders ernst veranlagte Natur, die die ihr übertragenen Pflichten sehr gewissenhaft zu erfüllen sucht. ... Sie leidet sehr unter dem Gefühl, dass ihrer Tätigkeit im Kirchendienst Schranken gesetzt sind, die den männlichen Theologen nicht gezogen sind. Trotz dieser inneren Bedrückung ist sie aber freudig in der Wortverkündigung und hat im Kindergottesdienst besonders die Herzen der Kinder gewonnen.“

Sie selbst litt nach eigenem Bekunden sehr darunter, dass viele Kirchenmitglieder Kirche als einen Verein erlebten, „dem man beitreten oder fernbleiben kann, je nach den Leistungen, die der Verein bietet; oder dass die Kirche eine Sache ist, von der man fast geheimnisvolle Dinge erwartet hatte und sich nun enttäuscht abwendet, da diese Wünsche irgendwie nicht erfüllt werden. Für die Kirchentreuen ist die Kirche oft eine Gemeinschaft derer, die ,an ein höheres Wesen‘ glauben. - ... - Mein Versuch, hier und da einmal zu reden ´von dem heiligen Geist, der uns in seine heilige Gemeinde und in der Kirchen Schoß legt, dadurch er uns zu Christo führet` konnte nur selten Verständnis finden, da ein großer Teil auch der Kirchentreuen zu einem wirklichen echten Christentum, einem getrosten und fröhlichem Stehen auf Rechtfertigung und Gnade noch nicht vorgedrungen ist. Man kennt meist nur einen Gott der Vorsehung, der Schutz, Hilfe und Trost gibt.“

Mit einer Arbeit über „Johann Hinrich Wicherns Kirchenbegriff, gemessen am neuen Testament und den lutherischen Bekenntnissen - kritisch beurteilt“, einer Bibelstunde (statt Predigt) über Römer 12 und einer Katechese über die zweite Bitte des Vaterunsers bestand sie 1933 in Berlin die zweite theologische Prüfung, die in ihrem Falle, dem Falle einer Frau, allerdings praktische Prüfung genannt wurde und, abgesehen vom Halten einer Predigt, nach denselben Ansprüchen und Kriterien vor sich ging wie die zweite theologische Prüfung ihrer männlichen Kollegen. Sie arbeitete zunächst ehrenamtlich in der Gemeinde der Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche und der Bekenntnisgemeinde in Lichterfelde. Hamann wurde 1934 vom Konsistorium Berlin-Brandenburg als Vikarin in der Siedlungs-gemeinde Zehlendorf mit der Betreuung der von Arbeitslosen bewohnten Laubenkolonien beauftragt, dazu kam die Mitarbeit in der dortigen Frauenhilfe und die seelsorgerliche Tätigkeit in den Altenheimen von Zehlendorf und Lichterfelde.

Von Beginn ihrer Tätigkeit in der Berliner Landeskirche an stand Dorothea-Sophie Hamann der Bekennenden Kirche nahe und so wurde sie am 2. Juli 1936 in der Jesus-Christus-Kirche Berlin Dahlem durch den damaligen Präses Gerhard Jacobi für die BK ordiniert. Ab 1940 wurde sie von der Bekennenden Kirche zur Unterstützung von Propst Grüber in Berlin-Kaulsdorf eingesetzt und bekleidete dort, wenn auch mit der offiziellen Amtsbezeichnung „Vikarin“, die 2. Pfarrstelle. Im Rahmen dieser Beauftragung war sie mit Wortverkündigung und ab 1943 auch mit der Verwaltung der Sakramente beauftragt. Bis 1946 war sie Angestellte der Bekennenden Kirche in Berlin-Brandenburg angestellt und wurde von ihr vergütet; 1946 wurde sie vom Konsistorium Berlin-Brandenburg angestellt und besoldet - auf Antrag ihrer Kirchengemeinde wurden ihr die Anfangsbezüge eines festangestellten männlichen Pfarrers bezahlt. Die Kirchengemeinde Berlin-Kaulsdorf, in der Hamann neben einem Gemeindepfarrer beschäftigt war, umfasste 9.100 Gemeindeglieder; für die mal Vikarin, mal Pastorin genannte Dorothea-Sophie Hamann zählte neben der Arbeit in dieser großen und arbeitsreichen Gemeinde noch die Seelsorge am Krankenhaus Berlin-Kaulsdorf mit ca. 600 Betten zu ihren Aufgaben. Man kann sich unschwer vorstellen, welche hohe tägliche Arbeits-belastung auf der immer wieder große Ansprüche an sich selbst stellenden Frau in der ohnehin schweren Kriegs- und Nachkriegszeit lastete.

In einem Schreiben an die Berliner Kirchenleitung berichtete am 5.2.1951 ihre Schwester Elisabeth Bauer von der starken Arbeitsbelastung ihrer Schwester und ihrer zusätzlich schwierigen Lage im Ostteil Berlins. Sie beobachte mit großer Sorge, wie Dorothea-Sophie „ - ihr zunächst selbst noch unbewusst - gegen diese östliche Aushöhlung anzukämpfen hatte“ und schlug einen Wechsel Hamanns nach Westberlin vor. Hamann selbst allerdings lehnte dieses Ansinnen ihrer Schwester schroff ab mit der Begründung, „dass sie das in dieser politischen Lage der Gemeinde auf keinen Fall zumuten dürfe.“

Ihr Gesundheitszustand und die Arbeitsbelastung gaben allerdings immer mehr Anlass zur Sorge, und schließlich bemühte Hamann sich selbst um Veränderung. Durch Kontakte befreundeter Pfarrer aus der Bekennenden Kirche wurde ihr im Jahr 1951 bei einem Harzaufenthalt ein Gespräch mit Propst Seebaß in Blankenburg vermittelt, der nach dem Weggang von Pfarrer Lachmund eine „sehr spürbare Lücke“ in der pfarramtlichen Versorgung in Blankenburg empfand. Seebaß zeigte das bevorstehende Gespräch mit Hamann im Wolfenbütteler Landeskirchanmt mit folgenden Sätzen an: „Demnächst stellt sich hier eine ordinierte Theologin aus Berlin-Kaulsdorf vor, die bereits längere Jahre in der Gemeinde von Propst Grüber gut gearbeitet hat. Ich bitte dringend, sie, vielleicht zunächst nur probeweise, mit demselben Gehalt als Vikarin für den Stadtkirchen-verband anstellen zu dürfen, das sie bisher bezogen hat. Es wäre dann zu überlegen, ob man, falls sie selbst einverstanden ist, sie hier in die vierte Pfarrstelle oder in die Kollaboratur beruft, mit dem Recht und der Pflicht auch zu einer Anzahl von Hauptgottesdiensten; ob auch mit dem Recht der Sakramentsverwaltung, ist eine grundsätzliche Frage, die noch zu klären wäre. Jedenfalls aber bitte ich, ganz ohne Rücksicht auf eine etwaige spätere grundsätzliche Stellungnahme der VELKD zu dem ganzen Fragenkomplex, der mit der Anstellung von ordinierten Vikarinnen aufgeworfen ist, mir die Genehmigung zu einer probeweisen oder vorläufigen Anstellung einer Vikarin zu erteilen.“ Die Not der Gemeinde in Blankenburg war groß, immer mehr Pfarrer verließen den Osten und Seebaß sah weit und breit niemanden, der bereit sein könnte, in Blankenburg Dienst zu tun oder gar aus dem Westen in den Osten zu wechseln. Die Lösung mit einer Vikarin schien ihm angesichts dieser Lage gut und praktikabel. Die Antwort aus Wolfenbüttel kam postwendend und schroff: „Das Landeskirchenamt sieht sich nicht veranlasst, die von Ihnen vorgeschlagene Vikarin - auch nicht probeweise - mit der Verwaltung der 4. Pfarrstelle, zu beauftragen. Wir sind bereit, dem Stadtkirchenverband eine Gemeindehelferin zu bewilligen. Falls die von Ihnen erwähnte Vikarin als Gemeindehelferin übernommen werden sollte, kann die Übernahme lediglich im Angestelltenverhältnis erfolgen. Die Sakramentsverwaltung gestatten wir der Vikarin nicht ; auch gewähren wir nicht das Recht, Hauptgottesdienst zu halten.“

Die Not im Blankenburger Pfarrdienst aber war groß, Propst Seebaß wusste geschickt zu verhandeln, und im März 1952 beschloss die VELKD, die Stellung der Theologin im kirchlichen Dienst rechtlich zu sichern, ihnen allerdings nicht das volle Pfarramt zu übertragen und in der Frage der Ordination keine Beschlüsse zu fassen. Für Hamann bedeutete dies, dass die Braunschweigische Landeskirche sie zum 1. April 1952 unter der Bedingung, dass sie niemals in einem leitenden Pfarramt beschäftigt werde, als Pfarrvikarin fest anstellte; ihr wurde zugleich mitgeteilt, dass damit „nicht das Recht der Ausübung der Sakramentsverwaltung im öffentlichen Gottesdienst verbunden“ und ihr lediglich „die Haltung einer Privatkommunion“ gestattet sei.

In den folgenden Jahren ihres Dienstes in Blankenburg ist von ihr mal als Vikarin, mal als Pfarrvikarin, mal als Pastorin die Rede. Offensichtlich ließen sich in ihrer praktischen Tätigkeit keine Unterschiede zum Dienst eines Pfarrers erkennen und offensichtlich legte auch niemand in Blankenburg gesteigerten Wert darauf, solche erkennbar werden zu lassen. Im Gegenteil: War Hamann noch 1952 unter der Bedingung angestellt worden, niemals im Pfarramt beschäftigt zu werden, so fand sieben Jahre später, am 8. Juli 1959 eine denkwürdige Geschäftsübergabe im Amtszimmer des frisch pensionierten Propstes Seebaß statt. Der neue Propst Radtkau aus Hasselfelde ernannte Hamann zum „Spezialvikar der Luthergemeinde in Blankenburg“ und hatte vom Landeskirchenamt in Wolfenbüttel den Auftrag, ihr die pfarramtlichen Geschäfte zu übertragen. „Sie“, so hieß es in einem Brief an Hamann aus Wolfenbüttel „übernehmen den gesamten Dienst einschließlich Vorsitz im Kirchenvorstand.“ Und damit nicht genug: Ab dem 17. Juli wurde sie zudem Vikariatsleiterin des neuen Vikars Hilse. In diesem Zusammenhang wurde Hamann beschrieben als „ordinierte Vikarin, die seit mehreren Jahren in Seelsorge, Amtshandlungen und Predigttätigkeit, speziell auch in der Krankenhausarbeit,“ arbeitet. Als nach einer von ihr zu all dem auch noch mit übernommenen Vakanzvertretung der Katharinen-Gemeinde im Jahr 1962 schließlich der Pfarrdiakon Ernst Braun in das Pfarramt von Katharinen eingeführt wurde, nannte Propst Radkau in einem Brief an das Landeskirchenamt als Assistenten: „Herr Pastor Dr. Minkner, Frau Pastorin Hamann“ - all das in einer Landeskirche, die erst 1968 die ersten Theologinnen ordinierte. Die real existierende Praxis und der Pfarrermangel in Blankenburg machten vieles möglich, was im größten Teil der Landeskirche zu diesem Zeitpunkt undenkbar war.

1962 war auch das Jahr, in dem sich die Braunschweigische Landeskirche erinnerte, dass ihre Blankenburger Pfarrerin bereits am 2. Juli 1961 ihr 25jähriges Ordinationsjubiläum begangen hatte. Man ließ ihr ein Treuegeld von 250 Ostmark sowie Dank und Segenswünsche „zum Ordinationsjubiläum“ zukommen. 1965 schließlich wurde sie wie alle Pfarrvikarinnen der Landeskirche in ihren Bezügen ihren männlichen Pfarramtskollegen gleichgestellt; bis dahin hatte sie lediglich 90% dieser Bezüge erhalten.

Aus Gesundheitsgründen beantragte Dorothea-Sophie Hamann zum 1.4.1967 ihre vorzeitige Pensionierung. Sie litt an vielfachen gesundheitlichen Beein-trächtigungen und Ende Juni 1967 siedelte sie aus der DDR in die Bundesrepublik über und zog nach Tübingen. Dort ist sie am 12. Juli 1992 gestorben.

III. Schlussbemerkung

Ich möchte schließen mit einem Zitat von Frau Prof. Inge Mager, die gleich so freundlich sein und das Gespräch zu diesem Beitrag moderieren wird:
„Im Weinberg des Herrn haben zu allen Zeiten ebenso viele Frauen wie Männer gearbeitet. Diese Tatsache gilt es trotz der über weite Strecken hin verschütteten Überlieferung im Auge zu behalten.“

Wenn der Beitrag zu den Frauen in der Braunschweigischen Kirchengeschichte daran mithilft und vielleicht mit Anstöße gibt zu weiteren historischen Forschungen, hat er seine Aufgabe erfüllt.




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