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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 134 - Dezember 2011


Armenien – ein schwer geprüftes christliches Land im Orient

von Herbert Erchinger
(Download als pdf hier)

Unsere Reise nach Armenien im September hatte einen sehr langen Vorlauf: Schon während meines Vikariats in der Schneller-Schule des Syrischen Waisenhauses im Libanon 1966-67 war ich auf das schwere Schicksal und die Tragik des armenischen Volkes gestoßen. Nicht weit von unserer Schule gab es bei Anjar eine armenische Flüchtlings- Siedlung, die auf den Genozid an den Armeniern durch das Osmanische Reich 1915 zurückging. Immer noch gab es dort Schweizer Diakonissen, die die Nachkommen der Überlebenden betreuten. Diese Schwestern kamen einmal monatlich zum Abendmahlsgottesdienst in unsere Schule und erzählten bewegend von dem schweren Los der Armenier. Ganz in der Nähe war ein Tal, wo 1915 ein schlimmes Massaker stattgefunden hatte. Während dieses Vikariats war ich auch mehrmals in Jerusalem und besuchte dort armenische Kirchen. Die fremdartige orientalische Liturgie und die Kapuzen der liturgischen Gewänder ihrer Priester, in denen sie wie Schatten durch die leeren Kirchen des dortigen Patriarchats huschten, hinterließen einen bleibenden Eindruck. Und in der großen Stadt Beirut gab es viele armenische Händler, gepflegte Geschäfte und auch armenische Kirchen. Schon damals stieß ich auf Franz Werfels „Die letzten Tage des Musa Dagh“. Das Thema ließ mich nicht mehr los.
Nun, nach der Pensionierung wurde es Zeit, mit einer kleinen Gruppe Interessierter endlich nach Armenien zu fahren.
Es gibt aber noch einen Grund. Da wir hier in Deutschland in sehr privilegierten kirchlichen Verhältnissen leben, allem Gejammer auf hohem Niveau zum Trotz, ist es gut, ein Land und eine Kirche zu besuchen, die sich Jahrhunderte, ja sogar Jahrtausende in Verfolgung, Unterdrückung, Fremdherrschaft, Zerstörung und Völkermord hat behaupten und bewähren müssen. Seit Medern und Persern, Römern und Parthern, Sassaniden und Seldschucken und den Osmanen, die es1915 bis zum Genozid auf die Spitze trieben, wo 1,5 Millionen Armenier in Todesmärschen umkamen. Und auch danach haben die Bolschewisten den noch vorhandenen Rest Armeniens überfallen, schlossen oder zerstörten die Kirchen und Klöster. Nur vier Klöster und zwei Predigerseminare durften bleiben.
Erst nach dem Ende der Sowjetunion konnte dieses Land und diese Kirche wieder aufblühen und die neue Freiheit gestalten. Die Armenier sind stolz und dankbar für ihre lange christliche Tradition. Sie sind die älteste Volkskirche der Welt. Auch dazu gibt es eine schöne Geschichte: Als der spätere Nationalheilige Gregor der Erleuchter begann, in Armenien den Christlichen Glauben zu verkünden, warf de r König Tiridat III ihn dafür in den Kerker. Nach 13 Jahren erkrankte der König schwer.(Auf alten Bildern wird er als Kranker mit einem Schweinskopf dargestellt.)Da besann sich sein Gefolge auf den Gefangenen, dem Heilungskräfte nachgesagt wurden. Als dieser bereit war, den König zu heilen und dies glückte, führte der armenische König voller Dankbarkeit schon im Jahre 301 n Chr das Christentum als Staatsreligion ein. Kaiser Konstantin schaffte das im Römischen Reich erst 324. Das griechisch orthodoxe Christentum in Anatolien ging mit dem Untergang des oströmischen Reiches weitgehend verloren.
Schaut man sich im Atlas an, wie weit östlich Armenien jetzt liegt, so wird klar, welch wichtige Brückenkopffunktion es als christliches Land im nun weitgehend muslimischen Orient bis heute wahrnimmt. Viel Blut ist da geflossen. Und mit dem Nachbarstaat Aserbeidschan ist immer noch kein Friede in Sicht.

Nach langer Vorbereitung landeten wir nun endlich auf dem Flughafen der Hauptstadt Erivan. Dort wurden wir abgeholt von Louisa, unserer charmanten Reiseleiterin. Wir alle waren entzückt von ihrem freundlichen Wesen, ihrer unaufdringlichen Herzlichkeit und Aufmerksamkeit für unsere Wünsche. In akzentfreiem Deutsch beantwortete sie geduldig unsere vielen Fragen mit großer Sachkenntnis. Ihre Liebe zu Armenien sprang auf uns über.

An Louisa
Nein nein Louisa
Wir haben uns nicht in Dich verliebt
verliebt sind wir in Dein Land
seine einsamen Kirchen
voller Kummer und Tränen
die hohen Berge
den weiten Blick durch das Tal
die Melancholie weiter Steppen
mit einsam ziehenden Herden
Doch ja, bei der Rast
am rauschenden Bach
fanden wir alle Dich nett

Ja, das ist es: Wir haben uns nicht in Louisa, aber in Armenien verliebt- in seine Kultur, seine Kirchen, seine Berge und Landschaften, seine leidvolle Geschichte.
Gleich vom ersten Quartier in Eriwan aus erblickten wir den Berg Ararat, den schon bei Noah in der Bibel (Gen 8,4)verankerten Sehnsuchts-Berg aller Armenier. Gerade seine Unerreichbarkeit hinter der unüberschreitbaren Grenze zur Türkei verstärkt die Sehnsucht, die Identifikation und vor allem den Schmerz. Denn was heißt hier „Grenze zur Türkei“? Früher waren auch in Anatolien armenische Siedlungsgebiete, seit Jahrtausenden bis 1915 . Dieser Schmerz sitzt tief und ist uns täglich begegnet.
Zum Ararat hörten wir mehrfach folgende Anekdote: Beschwert sich der türkische Diplomat beim Armenier. „Was fällt Euch ein, den Berg Ararat auf Wappen, Plakaten und Dokumenten als Symbol Armeniens zu benutzen?!. Der Berg liegt doch gar nicht in Armenien, sondern in der Türkei.“
Antwortet der Armenier: „Und wie ist das bei Euch? Ihr führt den Mond in Eurer Nationalflagge Dabei ist der Mond doch auch nicht in der Türkei.“
Einige Tage später kamen wir dem Ararat ganz nahe. Das Kloster Chor Virap liegt direkt an der heutigen Grenze zur Türkei und ermöglicht einen überwältigenden Blick auf den heiligen Berg..

Blick vom Kloster Chor Virap
Ach Ararat
Berg unsrer Sehnsucht
so nah bist du, doch so fern
Deine verschneiten Gipfel
unerreichbar für uns
abgeschnitten
durch Hass Gewalt
und Verdrängung
Warum verdrängt Ihr
mich von meinem Berg
Warum verdrängt Ihr
Eure Taten
Warum verdrängt Ihr
Euch selbst
Auch diese Mauer muss weg

Wir haben während unserer Reise viele Kirchen besucht und rückblickend bringe ich sie schon durcheinander. Auffallend ist der spitze Turmhut auf einem runden Tambour. Darunter befindet sich die kreuzförmige Kirche mit unterschiedlich ausgeformten Apsiden. Es gibt monokonchische bis tetrakonchische Kirchen. Manchmal sind Teile der Kirche mit ganzen Räumen aus dem Felsen geschlagen. Häufig gibt es eine Vorhalle Aber viele Kirchen sind recht klein..Wie Kleinode sind sie in der Landschaft versteckt.......

Blickpunkte
Tief versteckt in zerklüfteten Bergen
am Ende steiniger Wege
und enger Kurven
plötzlich stehen sie da
Armeniens Kirchen
verwittert in uralten Steinen
Mitten in eisiger Kälte
strahlen sie Wärme aus
Hier strömt Liebe, Geborgenheit
trotz leidvoller Geschichte
Musik bebt in altem Gemäuer
selbst in der Stille
Ein Ort zum Bleiben.
Ach gib mir die Kerze
Ich zünde sie an
Und die Steine werden lebendig

Die lange Zeit des Kommunismus und militanten Atheismus hat die armenische Kirche sehr geschwächt Kirche und Religion sollten ja aus dem öffentlichen Leben und Bewusstsein verschwinden .Aber das ist nur teilweise gelungen. Denn die armenische Identität ist untrennbar mit der armenischen Kirche verwoben. Ein Armenier ist von Hause aus schon immer armenisch apostolischer Konfession. Das ist ein unveräußerlicher Teil der Nationalkultur. Man kann als Armenier einfach nicht Muslim sein. Dann ist man kein Armenier mehr. Und es gibt auch nur ganz kleine Gruppen katholischer, orthodoxer, protestantischer Christen. Eigentlich geht auch das gar nicht.
Der 80jährige Druck des kirchenfeindlichen Atheismus hat aber dazu geführt, dass die Armenier nur noch punktuell und flüchtig Kontakt zur Kirche hielten. Um nicht – ähnlich wie in der DDR- berufliche oder politische Nachteile durch zu engen Kontakt zur Kirche in Kauf zu nehmen, ging man nur dann und wann kurz und schnell klammheimlich in eine Kirche, bekreuzigte sich, küsste das Kreuz, zündete eine Kerze an und ging schnell wieder, um ja nicht beim Politruk dumm aufzufallen. Ansatzweise ist dieses Verhalten geblieben, auch nach dem Ableben des Kommunismus. Es entstand eine Art „Touch and Go Kirche“. Man kommt und geht wie im Taubenschlag. Kaum jemand setzt sich hin, um einem Gottesdienst in voller Länge beizuwohnen. Selbst die Taufen werden im Stehen wie am Fließband abgearbeitet. Aber es wird viel getauft, die Geldscheine sammeln sich auf dem Altar, die festlichen Taufkörbe sind mit Leckereien und Wein prall gefüllt wie bei Rotkäppchen. Man setzt sich nicht hin, aber man steht zur Kirche. Die Armenier sind sogar stolz auf ihre Kirche. Wie die Polen vergessen sie nicht, dass ihre Kirche in Jahrhunderten der Verfolgung und Fremdherrschaft der einzige identitätsstiftende Halt war, der ihnen immer blieb.

Aber auch, wo keine Kirchen und keine Klöster anzutreffen waren, hinterließ der christliche Glaube seine Spuren. Oft mitten in der Landschaft, manchmal am Rand der Ortschaften, manchmal auch massenhaft gesammelt wie auf Friedhöfen fanden wir die Chatchkhare genannten unverwechselbaren Kreuzsteine . Sie werden von den Armeniern hoch verehrt. Sie dienen sogar zur Not als Kirchenersatz und gaben den Armeniern Halt und Trost in schweren Zeiten. Sie sind oft sehr sehr alt und widerspiegeln eine theologisch tiefgründige Frömmigkeit.

Ausgesetzt
Draußen im Stall ausgesetzt Wind und Wetter
begegneten die Hirten dem Kind in der Krippe
und fanden dort Hoffnung auf neues Leben

Draußen im Wind
ausgesetzt an einsamen Orten
mit Spuren von roher Gewalt
verlassen und oft überwuchert
fanden wir die Kreuzsteine Armeniens
Zeugen des Glaubens
in Zeiten der Knechtschaft
Zeugen des Leidens
doch viel mehr des Lebens
aus dem Kreuz bricht es hervor
aufkeimend zu neuer Frucht
das Kreuz ein Lebensbaum
immer neu sich entfaltend
in Blumen und Blättern
Kreuzstein
Hoffnung auf neues Leben

Sehr bewegend war es, dass wir uns kurz nach der Reise mit Braunschweiger Freunden trafen, die zur gleichen Zeit, wo wir das heutige (Rest-) Armenien bereisten, eine Kulturreise durch das frühere West- Armenien in der Osttürkei unternahmen. Dort sieht man den Berg Ararat von der anderen Seite Auch dort gab es die typgleichen Kirchen und Klöster, aber meist baufällig, verwahrlost, zerstört und entvölkert. Die früher armenischen Ortschaften sind heute von Kurden besiedelt. Im Gegensatz dazu haben wir Gott sei Dank ein sehr lebendiges Armenien mit auch durchaus lebendigen Kirchen erlebt. Allerdings ist auch das heutige Armenien durchaus noch sichtbar durch 80 Jahre Kommunismus und Atheismus gezeichnet. Immerhin haben aber die Sowjets die armenische Sprache und Kultur respektiert. Und da das Christentum und die armenisch apostolische Kirche ein untrennbarer Pfeiler dieser Kultur ist, ist die Hoffnung berechtigt, dass diese Kirche neu erblüht, wie es in den bewegenden Kreuzsteinen bezeugt wird.
Im heutigen Armenien wohnen nur 3,4 Millionen Armenier. Ihr geistliches Oberhaupt, der Katholikos, hat seinen Sitz in Etschmiadzin. Es gibt aber 8 Millionen Auslands- Armenier. Auch sie bleiben meist ihrer Kultur und Kirche treu. Besonders viele gibt es im Iran, Georgien, Syrien, den Nachbarländern, die vor dem Genozid auch teilweise armenisch besiedelt waren. In Jerusalem, Beirut und sogar in Istanbul gibt es sogar armenische Patriarchate. Nach dem Genozid sind viele Überlebende nach Frankreich, in die USA und auch nach Australien verschlagen worden. Auch dort bauten sie armenische Kirchen und Gemeinden und zeigen heute eine beeindruckende Solidarität dem seit 1991 neuen selbständigen Armenien gegenüber. Oft sind sie erfolgreiche Unternehmer, Akademiker, Wissenschaftler oder Künstler Sie stiften Kirchen, unterstützen Kultureinrichtungen , Hotels und besuchen ihr Heimatland. Sie sind eine große Stütze. Leider emigrieren immer noch viele Armenier, weil die wirtschaftlichen Verhältnisse sehr schwierig sind. So sind viele Industriebetriebe aus der sowjetischen Zeit verschwunden. Aber mancher tapfere Armenier kehrt trotz alledem zurück, krempelt die Arme auf und hält auch seiner Kirche die Treue.
Die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen.




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