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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 134 - Dezember 2011


Die Propstwahlen

von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

Eigentlich sollte es ja eine große Propsteireform geben. Die 13 aktuellen sollten auf sechs/ sieben, acht zusammengeschmolzen werden. Zentralisierung um jeden Preis. Wie man am Ende des Jahres sieht, war die Zeit nicht reif dafür. Stattdessen wurden im Herbst 2011 drei neue Pröpste gewählt. Das kommt in unserer kleinen Landeskirche auch nicht alle Tage vor.

Die Pröpste von Goslar
In Goslar gab es im September/Oktober einen Propstwechsel, von Helmut Liersch zu Thomas Gunkel. Gehen wir mal die Reihe der Pröpste durch:
1.) der erste war Wilhelm Rauls. Mit ihm sollte Goslar braunschweigisch werden. Es gehörte Jahrhunderte lang zur Hannoverschen Landeskirche. Der Schwenk war nicht kirchlich gewollt, sondern 1942 politisch durchgezogen. Goslar war eine Gegengabe für das Holzminder Gebiet, das Hannover erbte. Rauls führte an der Marktkirche das regelmäßige sonntägliche Abendmahl ím Hauptgottesdienst ein. Rauls war der große Gottesdienstkenner der Landeskirche und veröffentlichte auch Aufsätze zur Geschichte des Hauptgottesdienstes und zu Taufe, Konfirmation, Trauung und Beerdigungspraxis. Völlig vergessen war im Gedächtnis der Landeskirche, dass Rauls seit 1935 Mitglied der Kirchenregierung war und alle schauderhaften Gesetze der damaligen Zeit der Anpassung mitgetragen hatte.
Nachfolger von Rauls wurde 1963 Karl Adolf v. Schwartz.

2.) v. Schwartz wäre 1945 Bischof der Landeskirche geworden, wenn er nicht als Wehrmachtspfarrer an der Ostfront in Gefangenschaft geraten und zu 25 Jahren Gefängnis verurteilt worden wäre. Er wurde indes vorzeitig entlassen und kehrte 1953 46jährig aus der Gefangenschaft zurück. Er war der führende Kopf des Braunschweiger Pfarrrenotbundes gewesen, was man in der Geschichte der Bekennenden Kirche nachlesen kann, die ich vor einiger Zeit veröffentlichte. Er wurde 1954 Pfarrer an der Goslarer Stephanikirche und 1963 Propst von Goslar. Theologisch gehörte er zu den Erlanger Lutheranern linker Coleur, er war Mitglied der Landessynode. Er verhinderte als Mitglied des Nominierungsausschusses den theologisch zu Brüdern tendierenden OLKR Max Wedemeyer als Bischof und führte die ersten Gespräche mit Gerhard Heintze als Bischofskandidaten. Da hatten sich zwei Männer der Bekennenden Kirche gefunden, die dann 1968 zusammen mit OLKR Kammerer das Pastorinnengesetz durchzogen. Wie die meisten Männer seiner Kriegsgeneration schwieg er sich über die Kriegszeit völlig aus. Er galt manchen Zeitgenossen als „Schweiger“. 66jährig ging er 1973 in den Ruhestand und wurde von Hans-Jürgen Kalberlah im Propstamt abgelöst.

3.) Kalberlah verwaltete damals die Pfarre weitab von der Heimat, nämlich in Lunsen. Er bekam Besuch von Bischof Heintze, der ihn zur Kandidatur aufforderte und ihm aus dem Gedächtnis alle Pfarrer seiner künftigen Propstei aufzählen und profilieren konnte. Kalberlah stammte, wie schon v. Schwartz, aus einer alten Braunschweiger Pfarrersfamilie, Großvater Gustav war Pfarrer in Alvesse, Vater Gerhard jahrzehnte lang Pfarrer an der Jakobikirche gewesen. Hans Jürgen Kalberlah, Mitglied der Liturgischen Konferenz Niedersachsens und später in der VELKD, nahm die liturgische Tradition von Rauls wieder auf. Kalberlah blieb 15 Jahre lang Propst von Goslar. Er pflegte besonders, wie er selber erzählt, die Zusammengehörigkeit der Pfarrer und der Pfarrfamilien untereinander und unternahm mit der Amtskonferenz eine Fahrt nach Holland, um dort die kirchlichen Verhältnisse zu studieren, die möglicherweise in der Landeskirche bald eintreten würden.
In der Landessynode galt er trotz seiner konservativen Grundstruktur bereits als Querdenker. Er war sich nicht schade, die Verteidigung in meinem ersten Disziplinarverfahren gegen die gesamte Riege der Oberlandeskirchenräte erfolgreich zu übernehmen und als Schlusswort zu erklären, er schäme sich hinsichtlich dieses Verfahrens für die Landeskirche. 1988 war er 64 Jahre und wurde von Otmar Hesse abgelöst.

4.) Hesse kam aus der Jugendarbeit der Kirche, war Landesjugendpfarrer gewesen und hatte die Leitung der Landjugendakademie in Altenkirchen übernommen. Hesse, Jahrgang 1940 gehörte der Nachkriegsgeneration an, war mit 48 Jahren ein relativer junger Propst. Er liebte das Volkstümliche und wollte der Bevölkerung nahe sein und erforschte gerne der Kirchengeschichte. Entgegen seinen eigentlichen theologischen Absichten war er immer wieder mit Organisationsfragen beschäftigt. Im Jahr 2000 wurde er 60, und das war die Altersgrenze für eine Kandidatur als Goslarer Oberbürgermeister auf der Liste der SPD. Ein Schocker für das kirchliche Establishment. Er wurde gewählt, ließ sich beurlauben und gab das Propstamt dafür auf. Das hatte es in der Landeskirche noch nicht gegeben.

5) Helmut Liersch wurde im Sommer 2000 Nachfolger von Hesse. Liersch war vorher 16 Jahre lang Pfarrer in der Propstei Goslar in Gr. Elbe gewesen war und dann sechs Jahre Direktor des Predigerseminars wurde. OLKR Kollmar jedoch verweigerte schäbigerweise eine Verlängerung des Dienstauftrags im Predigerseminar und so wurde Liersch frei für eine neue Aufgabe. Tja die Wege des Herrn. Liersch kannte die meisten Pfarrer der Propstei aus dieser Zeit im Predigerseminar, drängte in der Landessynode als Vorsitzender der Reformkommission die Landeskirche zu fälligen Reformschritten, war bekennender KFSler (Konfirmandenferienseminar), und sah zu, dass in seiner Propstei keine langen Vakanzen auftraten. Als Liebhaber der Schriften des Alten Testamentes unternahm er mit Kollegen und privat immer wieder Studienreisen nach Israel, wo er während des Studiums ein Semester verbracht hatte, und nach Ägypten. In der Goslarer Propstei herrschte ein ehrliches kommunikatives Verhältnis zur katholischen Kirchengemeinde. Gemeinsam wurde eine gemeindeübergreifende kirchliche Wanderkarte und Führer für die Harzregion herausgegeben. Als Ästhet unter den Pröpsten hat er eine einfühlsame Beschreibung der Marktkirchenkanzel verfasst und allerhand entdeckt.
Als Direktor des Predigerseminars war er für ordentliches Predigen in der Landeskirche zuständig. Er veröffentlichte zum 60. Geburtstag einen Predigtband und der Propsteivorstand veröffentlichte zum Abschied einen weiteres Band mit Andachten und Predigten unter dem Titel „Das Wort lebt“. Eine Kostprobe vom 3. August 2008
„Da lacht das Herz eines 68ers, liebe Gemeinde! Das ist ein Thema, so richtig nach dem Geschmack von Leuten, die vor 40 Jahren erwachsen wurden – ich zähle dazu.. Kürzlich gab es ja eine Serie in der Goslarschen Zeitung über „die 68er“. Ziemlich missglückt, wie ich finde. Da wurden die falschen Leute gefragt; den Journalisten ging es um Sensationen... gibt es in Goslar, die damals gehascht haben, der freien Liebe huldigten, mit Terroristen in der WG lebten? Ziemlich daneben! Es ging um etwas ganz anderes damals! Um was? Ich empfehle den Predigttext für heute (Nathan und David 2. Sam 12). Eine Enthüllungsstory a la: „Unter den Talaren Muff von 1000 Jahren!“
Damit waren vor 40 Jahren z.B. Professoren gemeint, würdige ältere Herren um die fünfzig/sechzig . Die waren stolz bis hochmütig in ihren Positionen: Professor, Rektor der Universität, Staatssekretär, Minister wie auch immer. Ihre hohe Position schien sie unangreifbar zu machen. Was sie vergessen hatten – jedenfalls viele von ihnen, dass sie 25 Jahre davor ein mörderisches System geduldet, unterstützt hatten, ja teilweise sogar führende Nationalsozialisten gewesen waren - und das verschwiegen, verdrängt hatten, kleine redeten..“ (S. 87)
Er hat seine vollständige (!) KvU Sammlung in die Marktkirchenbibliothek gegeben. Die Redaktion wünscht ihm und seiner Frau einen entspannenden wie anregenden Ruhestand. Beide sind uns auch als unterhaltende wie kritische Schreiber in KvU herzlich willkommen.
Am Tag der Einführung von Thomas Gunkel waren die Vorgängerpröpste Kalberlah, Hesse, und Liersch mit am Altar und erfrischten den Neuen mit verbalen Segenduschen. Ein gelungener Einstieg.
Gunkel war zuvor Gemeindepfarrer in der Thomaskirche in Wolfenbüttel und Schulpfarrer in Braunschweig. Wir wünschen ein gutes Gelingen.

Die Pröpste von Salzgitter- Bad
Am 4. September wurde Pfarrer Ralf Ohainski in Salzgitter Bad als Propst eingeführt. Ohainski hatte die Propstei als stellvertretender Propst seit 2007 geleitet und war der einzige Kandidat. Er ist der vierte Propst.
Eine Propstei Salzgitter Bad gibt es überhaupt erst seit 1949. Es ist die jüngste, kleinste und wie man zuletzt erlebte, eine der energischsten unter den Propsteien. Ihr erster Propst wurde Alfred Cieslar, beheimatet im Sudetengau, 1946 als „Ostpfarrer“ in die Landeskirche gekommen. Er war vor allem ein Verwaltungsfachmann. Sein Nachfolger wurde 1971 Erich Warmers. Er kam aus dem Hessischen und leitete seit 1960 das Amt für Volksmission und Sozialarbeit. Warmers vereinigte viele Gegensätze in sich. Er hatte musikalisch-liturgische Gaben und führte in der Landeskirche die Osternacht ein. (gewiß nach Brüdern). Kirchenpolitisch ein rechtsaussen erklärte er dem Bischofskandidat Heintze, er werde ihn bestimmt nicht wählen, und Heintze erwiderte ungerührt, dann müsse er dafür in der Landesynode Stimmen sammeln. Er bekam ca vier zusammen. Das zeigt seine relativ isolierte Situation damals. Ein Mann der Volksmission und des Männerwerkes ist er den Älteren noch durch seine Straßenpredigten in Braunschweig ein Begriff. In der Landessynode führte er lange die stockkonservative Bugenhagengruppe an. Er hatte sich 57jährig noch Hoffnungen auf das Bischofsamt 1982 gemacht, erlitt wenig später einen Sehsturz und gab krankheitshalber das Propstamt ab. Als Nachfolger wurde 1984 der Beauftragte für die Kindergottesdienstarbeit Pfarrer Jürgen Schinke gewählt, ein Gegenstück von Warmers in vieler Hinsicht. In der Landessynode gehörte er dem reformerischen Arbeitskreis 70 an, eher ein Stiller, aber von nachsetzender, nachbohrender Energie. Schinke litt am Ende unter der konservativen Wende in unserer Landeskirche unter Bischof Müller. 2007 65 Jahre alt geworden ging es in den Ruhestand, den er m.W. in der Heide verbringt. Die Zentralisierer in der Kirchenbehörde wollten die Propstei unter allen Umständen einschlachten, fingen dies aber so ungeschickt an, dass sie den geschlossenen Widerstand der Propstei herausforderten, der Erfolg hatte. Auch der Lebenstedter Propst Kuklik, der anfangs wohl gerne SZ Bad geschluckt hätte, gab auf. Kuklik, Jahrgang 1952, geht 2017 in Pension; dann steht die Frage einer einzigen Propstei Salzgitter Lebenstedt erneut auf dem Programm. Mal sehen, wie bis dahin die Mitgliederentwicklung ist. Bis dahin ist viel Zeit. Zur Einführung am 4. September war auch der Vorgänger Jürgen Schinke gekommen. Ruhender Pol in diesen unruhigen Zeiten war die Vorsitzende der Propsteisynode Ursula Moldenhauer, seit 1990 in diesem Amt.

Die Katastrophe der Braunschweiger Propstwahl
Während in den beiden vorhergehenden Propstwahlen das Einverständnis mit der Pfarrerschaft in Goslar und Salzgitter Bad hergestellt war und die Wahl angenehm einmütig über die Bühne ging, gab es in Braunschweig eine mehrheitliche Ablehnung der von der Kirchenleitung vorgeschlagenen Kandidaten durch die Mehrheit der Pfarrerschaft und der Propsteisynodalen. Einen ersten Vorschlag hatte die Kirchenleitung wegen ihrer Meinung nach juristischer Formfehler zurückgezogen, im zweiten Anlauf den von der Mehrheit abgelehnten Vorschlag eingebracht. Bereits beim ersten Wahlvorgang enthielt sich die große Mehrheit der Synodalen der Stimme. Das genaue Wahlergebnis lautete. 1. Wahlgang: 35 Enthaltungen, 15 Frau Hirschler, 7 Herr Welge. 2. Wahlgang: 36 Enthaltungen, 17 Frau Hirschler, 3 Herr Welge, 1 ungültige. Frau Hirschler nahm die Wahl umgehend an. Die mehrheitliche Zahl derer, die durch Stimmenenthaltung ihre Ablehnung der gebotenen Alternative signalisierten, vergrößerte sich sogar im 2. Wahlgang durch eine weitere Stimmenenthaltung und durch die ungültige Stimme, was der mit der großen Minderheit nunmehr undemokratisch gewählten Frau Hirschler hätte nahe legen können, erst einmal eine Nacht über dieses deprimierende Wahlergebnis zu schlafen. Aber nein: sie schnappte zu. Guten Appetit und bitte nicht verschlucken.
Anstatt eine Wahl mit einer derartigen Stimmenzahl für unmöglich zu erklären, bestätigte die Landessynode wenige Tage vorher noch ausdrücklich das Wahlgesetz.
Wegen der Haltung der Kirchenleitung traten die Mitglieder der Synode Frau Block v. Schwartz und Herr Kettner zurück, ein weiterer folgte.
Es ist abzusehen, dass dies kein Dauerzustand wird. Der Schwiegervater der Gewählten trägt den Krummstab von Loccum und war Hannoverscher Landesbischof. Er wird für einen neuen Posten in der Mitte zwischen Hannover und Braunschweig sorgen. Es gibt in Braunschweig einfach zu viele, gestandene, erfahrene Gemeindepfarrerinnen und Gemeindepfarrer, denen die neue Pröpstin, wenn sie denn wirklich eingeführt wird, nicht das Wasser reichen kann. Wie die Leserbriefe in der B Z zeigten, ist der Qualitätsverlust der Landeskirche enorm. Allerdings muss man den allseits gepflegten Zynismus in der Landeskirche nicht unterschätzen. Auf so einen Verlust pfeift die Kirchenbehörde.
Der Vorgang ist historisch einmalig. So was hat es bisher nicht gegeben. Er ist auch bedauerlich, weil die stattlicher Reihe der Vorgänger nunmehr beschädigt ist. Die Pröpste Otto Jürgens, Siegfried Stange, Klaus Jürgens, Armin Kraft hatten immerhin Statur und Profil. An jene reicht die Gewählte nicht heran.




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