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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 136 - März 2015


Trauerrede

von Dr. Kurt Dockhorn
auf Rechtsanwältin Barbara Kramer, geb. Kriege
(* Bielefeld 1. Aug. 1949 † Wolfenbüttel 22. Okt. 2014)
Ruheforst Heiningen, 21. November 2014

Bilder und Texte zu Barbara unter TINYURL.COM/N6JLEW3
(Download dieses Textes als pdf hier)

Wir müssen Abschied nehmen von Barbara Kramer.
In einem alten Lied heißt es, mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen. Und noch viele Jahrhunderte davor schrieb Augustinus auf: Aus dem Leben ist sie geschieden, aber nicht aus unserem Leben, denn wie vermöchten wir sie tot zu wähnen, die so lebendig unseren Herzen innewohnt.

Lieber Helmut, lieber Christian, liebe Familien Kramer, Kriege, liebe Freundinnen und Freunde von Barbara und Helmut, liebe Trauergemeinde!
In der Tat, gewiss ist es nicht nur mir, sondern vielen unter uns so ergangen, als uns die Nachricht von Barbaras Tod erreichte. Ungläubig: das kann doch nicht sein! Barbara gehört doch zu unserem Leben dazu, und zwar als Quicklebendige! Drei Tage vorher noch spielt sie, kaum aus der letzten OP nach Hause zurückgekehrt, in ihrer geliebten Doppelkopfrunde. Sechzehn Jahre einer immer bedrohlicher werdenden Erkrankung vermochten nichts dagegen, dass Barbara dem Leben zugewandt blieb. Für Sie gab es weder die Möglichkeit des Rückzuges noch die Option auf ein Leben jenseits des einzigen, das uns geschenkt ist, zu spekulieren. Sie war und blieb mit ihrer ganzen Existenz dem Diesseits zugewandt, nicht nur als kluge und informierte Beobachterin des Zeitgeschehens, sondern ebenso und mehr als vielfältig engagierte Kämpferin und als jemand, die das Leben – sei es in der Familie mit den Enkelkindern, bei gutem Essen, im Freundeskreis – zu genießen wusste. All das gilt es festzuhalten auf dem Hintergrund, dass sie als junge Frau mit einer langen christlichen Familientradition brach. Christian, Du hast ja zur Erklärung gesagt: „Ich denke, Barbara war reif für diesen Schritt.“ Ihre Einstellung war so als ob sie bei den antiken Epikureern in die Schule gegangen wäre. Götter mag es ja geben, aber die kümmern sich nicht um uns. Nicht, als ob uns nicht der Tod bevorstünde, aber er geht uns nichts an. Dem Tod entrinnen wir nicht, vielleicht auch nicht furchtbarem Leiden. Aber wir ertragen es besser, wenn wir keinen Sinn dahinter suchen. Aus jeder der schier endlosen Reihen ihrer OPs kam sie mit neuem Lebensmut zurück in ihren Wolfenbütteler und Braunschweiger Alltag. Jeweils mit der Aussicht auf schöne Tage zwischendurch auf Korsika. In dem Haus, das sie nie verstanden hat als exklusiv nur für die Kramers gedacht, sondern als Privileg, das sie am liebsten mit anderen teilte.

Überhaupt: mit anderen teilen. Das offene gastfreie Haus in der Herrenbreite, das Haus auf Korsika, ihr juristisches Wissen, ihre Zeit im gesellschaftlichen Engagement, Feiern im großen Kreise, zählen wir auf ohne Anspruch auf Vollständigkeit. Im Friedenszentrum Braunschweig gehörte sie zehn Jahre lang dem Vorstand an. Und in der Anzeige lesen wir: Ihre Arbeit war von warmherziger Empathie und sachbezogener Zielgerichtetheit durchdrungen. Ein Beispiel für Lebenskraft, Mut, Gerechtigkeitssinn. Barbara war Mitbegründerin des Frauenschutzhauses in Wolfenbüttel. Und in dessen Anzeige lesen wir: Sie war uns mit ihrem Mut und ihrem Engagement ein Vorbild und hat sich nie durch Rückschläge entmutigen lassen. Die Sache unterdrückter und von Gewalt bedrohter Frauen war ihr immer eine Herzensangelegenheit. Wir haben eine große Kämpferin verloren. Der Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer stellte sie sich seit 1986 in der Vorstandsarbeit zur Verfügung. Hier wird Barbara charakterisiert als Herz des Vorstandes. Es war ihr wichtig, die Arbeit dort durch Kontakte untereinander zu befördern, um die Arbeit im Vorstand voranzubringen, und das geschah am besten in geselliger Runde privat in der Herrenbreite. Man kam zusammen, um in einem solchen Rahmen der Freundschaft die gemeinsame Sache voranzubringen. Barbaras KanzleikollegInnen in der Kastanienallee in Braunschweig sprechen von ihr als einer außergewöhnlichen Anwaltspersönlichkeit, die sich mit großer Leidenschaft erfolgreich für ihre Mandantinnen und Mandanten einsetzte. Vergessen wir in diesem Zusammenhang nicht die wunderbaren großen Abende mit Ausstellungseröffnungen in regelmäßiger Folge. Und gern würde ich meinerseits noch hinzufügen, dass zu jeder Zeit in Barbaras Büro ein köstlicher Tee bereitstand auf dem Stövchen. Ein anonymer Freundeskreis schließlich sagt in seiner Anzeige: „Danke, du gabst uns Kraft und Freude zur Gestaltung von Leben und Freiheit und von Recht.“

Das gute Leben genießen und die harte gesellschaftlich durchaus links positionierte Arbeit, das war für Barbara kein Widerspruch, sondern das war eine existentielle Einheit bei ihr. Die Widersprüche brachen vielmehr auf in der Arbeitshälfte ihres Lebens. Darüber gab sie Auskunft in einem Interview, das sie 2010 in der Zeitschrift „Betrifft Justiz“ gegeben hatte. Sie führte darin aus: „Bei der Verschärfung der Asylgesetze habe ich das Handtuch geworfen, das habe ich einfach nicht mehr ausgehalten. Das war eine der großen beruflichen Krisen in meinem Leben.“ Und weiter: „Ich habe mehrere Mandanten gehabt, die sich das Leben genommen haben. Damit bin ich nur ganz schwer fertig geworden. [...] Erfahrungen, wo ich auch mit mir selbst und meiner eigenen Beratungstätigkeit in eine Krise geraten bin.“ Sätze, die Zeugnis davon ablegen, wie verletzlich Barbara auch gewesen ist. Bei aller Unerschrockenheit, mit der sie in ihre beruflichen Auseinandersetzungen immer hineingegangen ist.

Und dann, ja dann kommt der Herbst 1998 und der bringt den Ausbruch der Krankheit. Und ab nun sollte diese Krankheit beide Seiten, die zusammengehören in Barbaras Leben, unzertrennlich, die Lust am Leben und die Lust an der Arbeit, bedrohen. Die Erkrankung erzwingt kurz vor Weihnachten die erste einer langen, langen Reihe von Operationen durch den Göttinger Professor Heinz Becker. Dessen Credo war: Der Patient hat immer Recht. Was im Falle Barbara Kramers bedeutete: prioritär ist ihr unabdingbares Interesse, die Stimme zu halten. Und das hat bis zuletzt der Chirurg mitgetragen. Es entwickelte sich zwischen beiden ein vertrauensvolles Verhältnis der Begleitung. Was sich in Barbaras Praxis mit vielen Mandanten ergab an Vertrauen, das erlebte sie nun mit ihrem Operateur Prof. Becker nicht minder intensiv. Entscheidend dabei war, dass dieser Mann es vermocht hat, Barbara weitgehend die Angst zu nehmen vor jedem weiteren Eingriff. Eine Begleitung über 16 Jahre, bis Prof. Becker wenige Wochen vor Barbaras Tod starb. Auch so eine Ironie der Geschichte?

Liebe Trauergemeinde, ich vermag es nicht, dieses außerordentlich vielfältige und reiche Leben von Barbara Kramer auf den Punkt zu bringen. Aber vielleicht verhilft uns eine Anekdote zu einem gewissen Resümee, die mir Barbaras langjährige Freundin Maria Gorius aus Köln am Telefon erzählt hat. Sie wollten zu dritt einen Ausflug machen an Korsikas Westküste, Neues entdecken, obwohl Barbara selber im Laufe der Jahre die Insel kreuz und quer erkundet hatte. Und man wollte zum Abschluss des Ausflugs am Abend gut essen. Jedoch das Trio landete in einem Drei-Bett-Zimmer an einer Landstraße gelegen, über die auch des Nachts die Laster donnerten. Und niemand hinterfragte: Wie sind wir bloß in diese scheußliche Situation gekommen. Am nächsten Morgen hat dann Barbara darüber ihre Enttäuschung zum Ausdruck gebracht. Freundschaft muss Unbehagen aushalten. Es war ihr wichtig, zu sagen, was ist. Nach Rosa Luxemburg bleibt zu sagen, was ist, ja die revolutionärste Tat immerzu. Vielleicht ist es das, was Barbara in allen Konflikten nach vorne getrieben hat. Staunend und dankbar stehen wir vor einem großen Leben, das nun abgeschlossen ist. Und das uns alle, die wir heute Nachmittag hier versammelt sind, bereichert hat. Ich bin gewiss für alle Zeit, die uns noch beschieden sein mag.

Auf der Trauerfeier spielte Hanns-Wilhelm Goetzke auf dem Saxophon und der Klarinette.
Barbara Kramer liegt unter der Buche neben dem Eingang zum Ruheforst Heiningen begraben.




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