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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 136 - März 2015


Klein – aber oho

von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

Wolfgang Meißner, emeritus in Mahlum, hat einen Kirchenführer zur Kirche in Jerze verfasst, 74 Seiten, mit sehr gelungenen Fotos von Johannes Hirschler, erhältlich bei der Pfarrerin Christina Sindermann im Pfarrverband Bornum - Ortshausen – Jerze. Meißner geht dem Namen der Kirche „St. Gertrud in Jerze“ nach; der romanische Westturm verweist auf einen Kirchbau vor 1000 Jahren, gibt geschichtliche Hinweise auf die kirchliche Versorgung der Dörfer im Mittelalter. Jerze ist der Namen einer Familie, der das Dorf und die wenigen Einwohner gehörte, später übernahm das Kloster Frankenberg in Goslar Kirche, sowie Dorf und Leute. Einen eigenen Pfarrer hat Jerze nicht gehabt, es wurde seit der Reformation von Ortshausen mit versorgt. Meißner hat alte Rechnungsbücher durchgeackert und die Anschaffungen und Reparaturen zurückverfolgt. Schwerpunkt der Arbeit und der Fotos ist die Neugestaltung der Kirche im 19. Jahrhundert und die Ausmalung durch Hofmaler Quensen. Es ist ganz erstaunlich, wie sich die historistische Gestaltung des Chorraums, der Kanzel, der Taufe, des Altars, der Decken erhalten hat. Ich fragte vorsichtshalber beim Baurat Schuseil nach, ob nicht inzwischen gewaltig nachgepinselt worden sei. Nein, alles absolut original, höchstens am etwas in den 50er Jahren, so Herr Bothe. Da hat die Landeskirche in einem kleinen Dorf mit gut 100 Gemeindemitgliedern ein sehenswertes Denkmal im geschlossenen historistischen Stil. „Ein Kleinod unter den Kirchen im Amber-Gau“, nennt es Meißner im Untertitel. Ein lohnendes Ziel für Frauenhilfsfahrten, zum Verweilen, Staunen und Andachten. Meißner hat für den Druck bei den Handwerkern und Unternehmern in der Gegend gesammelt. Ich zähle 20 und so bekommt man diesen Wegweiser im Pfarramt für billige 3 Euro. Auch geeignet zum Verschenken.

Anlässlich der 150jährigen Wiederkehr der Totalrenovierung der Apelnstedter Kirche im Oktober vorigen Jahres haben Ratsherr Arndt, Heimatpfleger Schaper und Vikar Timmermann, (jetzt Othfresen) eine kleine Baugeschichte der Friedenskirche in Apelnstedt veröffentlicht, 27 Seiten, für 3 Euro im Gemeindebüro Salzdahlum erhältlich. Sie berichten über die Reste der 1864 abgerissenen Dorfkirche – ein Taufuntersatz befindet sich im ehemaligen Schulgarten, ein Gewölbeschlussstein an der Turmostseite, das Portal stammt aus dem alten Kirchbau -, von der immer wieder durch die Kriegshandlungen vor der Festung Wolfenbüttel zerstörten Kirche und von der vor 150 Jahren neu errichteten Dorfkirche samt ihrer historistischen Ausgestaltung. Sie prägt den Altarraum die Kanzel und die Altarprieche. Als der gebürtige Ostpreuße Kurt Bodschwinna, jedoch seit 1939 in Vorwohle, mit 38 Jahren 1946 die Pfarrer von Apelnstedt übertragen bekam, fand er eine völlig ramponierte Kirche vor. Diese Nachkriegsphase wird in der Abhandlung eindruckvoll dokumentiert. Bodschwinna ließ sich nicht entmutigen, blieb bis 1967 in Apelnstedt und ging dann nach Salzdahlum und verwaltete von dort bis zu seiner Pensionierung 1971 die Apelnstedter Gemeindemitglieder.( Er starb 1995). Bei der Kirchenrenovierung 1961 war vom Restaurator Herzig die historistische Schablonenmalerei grau übergestrichen und 2002 wieder freigelegt worden. Die Kirche befindet sich heute in einem beneidenswert guten Zustand. Die Abhandlung ist das Zeugnis einer engagierten Gemeindearbeit.

Als ich mehr durch Zufall, um mich von der Lauferei durch Berlin Mitte zu erholen, in den grässlich pompösen Berliner Dom setzte, um durchzuatmen, vernahm ich Orgelmusik und lauschte. Am Ende Applaus der Besucher, und über die Emporenbrüstung verbeugte sich der Goslarer Organist Klaus Dieter Kern. Nanu, dachte ich, der hier? Das Rätsel löst ein 80 Seiten dickes Heft „Berliner Kindheitserinnerungen 1938 – 1948 von eben Klaus Dieter Kern. Wer ihn hört, hört noch den Brandenburger Akzent heraus. Kein Braunschweiger. Gebürtiger Balina. Die Arbeit ist 2005 entstanden und ist vor allem für die Enkel und die Familie gedacht. Aber nicht nur: ich habe die Erinnerungen mit Bewegung gelesen. Ist es die Tatsache, dass ich nur vier Jahre älter bin und mir Krieg- und Nachkriegszeit noch ziemlich gegenwärtig ist und mir Sirenengeheul, Fliegerangriffe, husch husch in die Bunker ins Gehirn graviert sind - und nun in Berlin in viel stärkerem Maße. Es ist etwas anderes, was an dieser Erzählung berührt: sie ist Seite für Seite aus der Sicht des Sieben- bis Zehnjährigen geschrieben. Eine Art altersgemäßer Erlebnisstil, nach Sprache, Beobachtung, was wichtig war, auch wie es schmerzte. Die erste Begegnung mit dem zertrümmerten Haus, eingefangen in ein Gespräch mit einem Spielkameraden, und dessen Schilderung der Zerstörung des Hauses. Die Darstellung vermittelt eine besondere Dichte, so wie die Wahrnehmung eines Jungen rasch wechselt und ein Eindruck auf den anderen folgt. Klaus Dieter Kern kam mit 27 Jahren nach Goslar als Organist und Propsteikantor an die Marktkirche und blieb dort 38 Jahre, ein kirchenmusikalisches Urgestein, im Januar dieses Jahres 77 Jahre alt geworden, bekannt in der Landeskirche durch die wiederholte Aufführung aller großen Chorwerke von J.S. Bach, noch tätig jeden Sonntag im Gottesdienst abwechselnd mit seiner Frau an der Orgel der Neuwerkkirche, aber auch zu Solokonzerten, zuletzt Ende Februar, demnächst am 17. Juni.

Die Kirchen der Propstei Braunschweig veranstalten bis Mai Vorträge und Ausstellungen zum Thema: „Braunschweig 1945 Kriegsende.“ „Kindergeschichten vom Krieg 1945“ lautet der Titel eines Buches, das Hans Goswin Clemen geschrieben hat. Clemen ist manchen Braunschweigern bekannt durch seine langjährige Arbeit im Stadtjugendamt (Staju). Er war Johannisstiftler, hat aber in Braunschweig Pädagogik studiert, war nebenbei in der Jugendarbeit in St. Georg tätig und dann Diakon ab 1971 bis 2004 im „Staju“. Für seine Kinder und Enkelkinder hat er aufgeschrieben, wie er in einer Kleinstadt östlich von Berlin 1945 das Kriegsende, ab Januar 45 die in den Westen zurückflutenden Flüchtlingstrecks, den Einmarsch der russischen Truppen erlebt hat, dann eine fühlbare Hungerszeit, die von verzweifelter, erbettelten Nahrungssuche geprägt war, schließlich die Rückkehr des Vaters aus dem Krieg und dann bloß raus in den Westen, zuerst zu Fuß, dann im Güterwaggon über die Oder nach Berlin, von dort wieder zu Fuß bis zur Elbe, und über schwankende Behelfsbrücken, die von Russen bewacht werden, nach Tangermünde, im offenen Güterzug dann durch das zerstörte Magdeburg, bei Helmstedt über die grüne Grenze, nachdem sie russischen Soldaten Geld in die Hand gedrückt hatten. Auf S. 106 eine Schilderung der Verhältnisse auf dem Braunschweiger Bahnhof und dann zu Verwandten im Rheinland, in die französische Besatzungszone, von wo sie jedoch abgeschoben werden und schließlich im Salzgittergebiet landen. Das Buch eignet sich gut zum Vorlesen und Goswin Clemen kann sie durch Geschichten aus der neueren Zeit ergänzen. Einladung lohnt sich.

Was Friedliches zum Schluss. 850 Jahre Musik zum Lobe Gottes im Kloster Michaelstein, Text von Claudia Lundbeck. Es ist eine reich bebilderte Schrift über das Zisterzienserkloster, Refektorium, barocken Innenraum, das Torhaus, etliche Notenbeispiele. Die handlliche Schrift ist dafür gedacht, den kirchenentfremdeten Blankenburgern und den touristischen Besuchern zu veranschaulichen, welche architektonischen Schätze sich in ihrer Umgebung befinden und auf welchem historischen Boden sie sich bewegen. Michaelstein war in der evangelischen Zeit eine Jungenschule in klösterlicher Zucht und Ordnung. Die Musik war ein Schwerpunkt der Ausbildung, auch der Tagesgestaltung, seit 1717 war es Predigerseminar, dann Staatsdomäne und in der DDR Produktionsgenossenschaft. Ab 1968 gründete Dr. Thom eine Telemann-Kammerorchester und rettete die Klosterräume vor dem Verfall. Wer einen Ausflug nach Blankenburg macht, sollte Kloster Michaelstein nicht verpassen.




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