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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 136 - März 2015


Ärgerliche Unruhe in der Landeskirche

von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

Die kirchliche Lage
Unsere Landeskirche schrumpft weiter. Wir haben in KvU immer wieder darauf hingewiesen.
Die Tabelle unten nennt den neusten Stand für die letzte überschaubare Zeit:
1987: 538.948 Mitglieder/ 2000: 449.760/ 2015: 377.651. In den letzten rund 30 Jahren verliert die Landeskirche durch Abwanderung, Austritte. Todesfälle und fallende Geburtenrate 161.297 Gemeindemitglieder.
Diese Zahl verschärft sich durch die Aufteilung nach erstem und zweitem Wohnsitz. Am 31.12.2013 hatte die Landeskirche 336.346 gemeldete Mitglieder mit einem Hauptwohnsitz. Einen Nebenwohnsitz haben 21.978 Kirchenmitglieder gemeldet. Wo aktivieren diese ihre kirchlichen Bindungen? Es sind zusammen: 358.324 Mitglieder. Die harte Mitgliederzahl lautet: 336.346 Mitglieder.
Die Zahlen der Tabelle sind dem Pfarramtskalender entnommen und geben den Stand von ca zwei zurückliegenden Jahren vorher an, also aus dem Jahr 1985/ 1998/ 2013.

Die Verminderung der Mitgliederzahlen ist in den Propsteien unterschiedlich verlaufen. Sie ist fortlaufend fallend in den Propsteien Gandersheim, Königslutter, Salzgitter-Bad und Lebenstedt, Seesen und Wolfenbüttel. Vergleichsweise auffällig stark abfallend ist sie in der Propstei Helmstedt, die von der Abwanderung stärker betroffen ist, und die Zuzüge aus den östlichen Nachbarländern meist der Kirche nicht angehören. Auffällig gleichbleibend sind vergleichsweise die Mitgliederziffern in den Propsteien Vechelde und Vorsfelde. Die zahlenmäßig größeren Verringerungen in den Propsteien Braunschweig, Goslar und Lebenstedt sind wohl den städtischen Verhältnisse geschuldet.
Bei den Ziffern für die Propstei Harzburg ist zu berücksichtigen, dass nach 1989 die frühere DDR-Propstei Blankenburg mit der Propstei Harzburg vereinigt wurde. Der schwächelnden Propstei Schöppenstedt wurden seinerzeit eine Reihe von Gemeinden zugelegt, daher die schwankenden Zahlen. Den Gesamteindruck stört das jedoch nicht.

Wie wirkt sich die fallende Mitgliederzahl auf die Anzahl der Pfarrstellen aus? Zur Beantwortung sind den fallenden Mitgliederzahlen aus derselben Quelle die Anzahl der Pfarrstellen gegenübergestellt. Diese Quelle differenziert jedoch nicht zwischen ganzen, halben und dreiviertel Stellen. Die Zahlen hinter dem + sind die übergemeindlichen Stellen in der Propstei, (Schulpfarramt, Krankenhausseelsorge, besondere Dienste).
Es lässt sich der Tabelle entnehmen, dass in der Vergangenheit Stellen eingespart wurden (von 282 Pfarrstellen auf 251) und dass die übergemeindlichen Stellen sich vermehrt haben (von 24 auf 30). Es gibt einen Trend, aus dem traditionellen, ortskirchlich gebundenen Pfarramt in übergemeindliche Stellen.

Stand der Mitglieder und der Pfarrstellen in der Braunschweiger Landeskirche

 

1987

 

2000

 

2015

 

2017

Propstei

Mitglieder

Pfarrstelle

Mitglieder

Pfarrstelle

Mitglieder

Pfarrstelle

Pfarrstelle

Gandersheim

23.318

14

19.871

14+1

16.580

14+1

10

Harzburg

47.052

24+2

34.433

31

27.661

18+3

16

Braunschweig

115.432

50+12

89.975

51+18

77.890

46+13

25,5

Goslar

46.554

28+1

37.659

27+2

31.108

22+4

14

Helmstedt

40.299

22+2

31.441

22+1

22.740

16+2

11

Königslutter

44.821

24+1

38.693

25+1

32.804

23+1

15,5

SalzgBad

26.108

14+1

21.705

14+1

17.069

12+1

8

Salz Lebenst

48.156

26+3

37.477

26

30.118

21+1

12

Schöppenst.

15.777

13

22.293

18+1

18.732

16

12

Seesen

37.728

20+1

31.082

20

26.245

16

13

Vechelde

24.704

14

22.527

14

22.200

14+1

9

Vorsfelde

25.635

13

27.582

17+1

24.586

16

13

Wolfenbüttel

41.364

20+1

35.005

20

30.918

17+3

12

insgesamt

538.948

282+24

449.760

299+26

377.651

251+30

170


Wie begegnet die Kirchenbehörde diesem Abschwung? Denkbar wäre eine intensivere Investition in schwächelnde Kirchengemeinden, in vom sog. burn out ausgepowerte Pfarrerinnen und Pfarrer, in die Lektorenarbeit. Also mehr Anreize zu mehr Freude und Lust am Dienst und Amt. Oder: Intensivierung von Schwerpunkten in der landeskirchlichen Arbeit: z.B. die Konfi-arbeit und teamer-arbeit im KFS, in die Kirchenmusik, die sehr viele Menschen über den gemeindlichen Bereich hinaus erreicht.

Kürzung der Pfarrstellen und Erhöhung der Richtzahl für eine Kirchengemeinde
Die Bürokratie macht das Gegenteil: sie kürzt auf der ganzen Linie. Rasenmäher statt Schwerpunkte. Zur Veranschaulichung dient die letzte Spalte „Pfarrstelle 2017“. Danach soll die Anzahl der Pfarrstellen auf 170 heruntergekürzt werden. Als Kriterium nimmt die Kirchenbehörde schematisch die Anzahl der Mitglieder und die Fläche der Propstei. Das ist unzureichend. Die Lebendigkeit einer Gemeinde, die Beteiligung an den Kirchenvorstandswahlen, die Vielfalt des gottesdienstlichen Angebotes, die Kompetenz in der Seelsorge u.a. spielen keine Rolle. Das gehört zur Beurteilung einer Kirchengemeinde unbedingt dazu.
Diese 170 Pfarrstellen werden auf die Propsteien verteilt und prompt kommt es zum Gerangel unter den Pröpsten. Helmstedt pocht auf eine Pfarrstelle mehr, statt 11 auf 12, weil ihr 12 Pfarrstellen ursprünglich zugesagt waren. Die Propstei Salzgitter-Lebenstedt mit 48.156 Mitgliedern soll ebenso viele Pfarrstellen erhalten wie die Propstei Schöppenstedt mit 15.000 Gemeindemitgliedern. Mit Recht hat Propst Kuklik in der Antwort des Propsteivorstandes auf dieses Ungleichgewicht hingewiesen. Das wirft ein kümmerliches Bild auf die Geschlossenheit des Pröpstekonventes in dieser Angelegenheit.
Die Kirchenvorstände von Denstorf und Gr. und Kl. Gleidingen schlagen daher vor, die Reduzierung auf 170 Pfarrstellen zu überdenken. Sie beanstanden, dass die Propstei Vechelde von ihren 14 Pfarrstellen fünf einsparen soll. (Schreiben vom 18.2.d.J.) Auch die Propstei Wolfenbüttel ist von 17 auf fünf gekürzt.
Damit wird die Grundziffer für eine Kirchengemeinde von bisher 1.800 Mitgliedern auf ca 2.500 Mitglieder erhöht. In anderen Landeskirchen liegt sie bereits bei 3.000 Gemeindemitgliedern. Das sind Zielvorstellungen, die nicht in kurzer Zeit umgesetzt werden können.

Das Kirchengesetz zur Struktur-und Gemeindeplanung
Das Landeskirchenamt kürzt nicht nur schematisch, sondern verändert grundlegend die Struktur der Kirchengemeinden, was von Teilen der Pfarrerschaft als die umstürzende Veränderung seit der Reformation empfunden wird. Was steckt dahinter?
Das Landeskirchenamt legt der Landessynode das „Kirchengesetz zur Struktur-und Gemeindplanung“ in unserer Landeskirche“ vor. Stand: 1.10.2014. „Dieses Kirchengesetz regelt die Errichtung, Veränderung und Aufhebung von Pfarrstellen (Gemeindepfarrstellen und Stellen mit allgemeinkirchlicher Aufgabe) und deren Besetzung.“
§ 2 enthält bereits eine Weichenstellung und ist eine Generalvollmacht für eine Kirchenregierung, deren 1. und 2. Vorsitzender ja das Landeskirchenamt stellt. Der Paragraf lautet:
„Gemeindepfarrstellen werden von der Kirchenregierung... errichtet, in ihrem Umfang verändert, verlegt oder aufgehoben“
Hier müsste es wenigstens heißen „werden von der Kirchenregierung auf Antrag eines Kirchenvorstandes mit Zustimmung der Landessynode verlegt oder aufgehoben.“

Das Gesetz sieht drei neue Gemeindestrukturen vor. Die traditionelle, selbständige Kirchengemeinde soll auf die Dauer verschwinden. Die von der Behörde weit favorisierte Form ist die Gemeindefusion (a). Ein Schritt auf die Fusion hin ist der sog. Pfarrverband neuen Typs (b) und der Pfarrverband alten Typs ( mit fusionierten Gemeinden) (c).

(a) Die Fusion
Die Kirchengemeinden lösen sich auf und fusionieren zu einer Einheitsgemeinde bis ca die Normzahl (2.500 Gemeindemitglieder) erreicht ist. Fusion bedeutet: die traditionelle Kirchengemeinde gibt ihr Siegel und ihre Bankvollmacht und die Rechtsform einer Körperschaft öffentlichen Rechtes ab und überträgt dieses alles auf die neue Einheitsgemeinde. Bis zur neuen Kirchenvorstandswahl bilden die alten Kirchenvorstandsmitglieder gemeinsam einen nunmehr großen Kirchenvorstand. Gemeindefusionen könnten für manche Pfarrerinnen und Pfarrer ein verlockendes Angebot sein: nämlich weniger Kirchenvorstandssitzungen, weniger Aufstellung von Haushaltsplänen, weniger Gottesdienste, und das bei gleichem Gehalt. Jene, die sich sagen: was kann ich für mich aus einem Pfarramt herausholen, sympathisieren mit dieser Version (a). Sie werden auch mit der Zusage einer ganzen Pfarrerstelle gelockt, Das Amtsblatt berichtet von einer Fusionswelle in der Stadt Helmstedt, nämlich der alten Patronatsstadtkirche St. Stephani (2.161 Mitglieder) mit der jahrhundertealten Klosterkirche St. Marienberg (1.517 Mitglieder) mit St. Thomas, einer neuen Betonkirche der 60er Jahre (1.526 Mitglieder) und St. Michaelis, einer Kirche aus den 50er Jahren (941 Mitglieder). Sie bilden eine einzige neue Einheitsgemeinde mit Namen Calixt mit insgesamt 6.092 Mitgliedern. Dieser Mammutgemeinde sind 2 1/2 Pfarrer zugewiesen, die sich den Dienst teilen. Diese Einheitsgemeinde überschreitet die Richtzahl von 2.500 Gemeindemitgliedern bei weitem. Die Seelsorge in der Stadt ist damit futsch. Die Erkenntnisse der Gemeindereform von Sulze Ende des 19. Jahrhunderts sind aufgegeben, und Kirche funktioniert nur noch als hässlicher Dienstbetrieb, als sog. „Vollbachkolchose“. Gab es in Helmstedt keine Vorschläge, wenigstens Marienberg als Hauptkirche mit Michaelis und auch noch mit St. Thomas als Filialkirchen bestehen zu lassen? Und was wird aus den Kirchengebäuden? Ist diese Gesetzesvorlage denn mit den Bauabteilung abgesprochen worden? Es gibt den Vorschlag, aus St. Thomas ein Columbarium, eine Art Urnenbegräbnisstätte, zu machen, wie es z. B. die St. Elisabethkirche in Mönchengladbach ist.(siehe Publik Forum, Nr. 22 21.11.2014 S. 36) Aber wird das nicht zu teuer? Also doch abreißen? Und ebenso Michaelis, das keine besonders schöne Kirche ist, bei der der Gemeindesaal stehen bleiben könnte?
Fusionseifer gibt es auch in der Propstei Braunschweig, in den Nordgemeinden. Ihre Siegel und Selbständigkeit haben abgegeben die Dankeskirche (1.930 M), St. Georg (3.666 M), Christuskirche (1.794 M) und Trinitatis (Rühme 1.688 m) und sich zu einer Einheitsgemeinde „Die Brücke“ fusioniert, 9.078 Kolchosenmitglieder. Verständlich wäre, wenn Christuskirche und Rühme zusammenarbeiten, was sie auch schon längst tun, und Dankeskirche und St. Georg. Sie erreichen spielend die Richtzahl. Es geht offenbar um etwas anderes. Dazu weiter unten. Der Pfarrer einer ähnlich geplagten katholischen Kirchengemeinde nannte sein zusammengelegtes Seelsorgegebiet eine Kolchose.

Protest gegen den Fusionsvorschlag
Trotz dieser vereinzelten Fusionen bevor überhaupt die Synode über das Gesetz beraten hat, stoßen gerade die Fusionen auf prominenten Widerwillen. Der Vorsitzende des synodalen Gemeindeausschusses, Harald Welge, warnt allerseits: „Bloß´nicht fusionieren!!“ Solange die Kirchengemeinde einen soliden Finanzhaushalt, eine wenigstens 14 tägige Gottesdienstgemeinde und einen funktionierenden Kirchenvorstand vorweisen kann, besteht überhaupt kein Anlass, seine Selbständigkeit aufzugeben und zu fusionieren. In einer Propsteiversammlung der Propstei Salzgitter-Lebenstedt sprachen sich sämtliche Anwesende gegen eine Fusion aus. Die anwesenden Oberlandeskirchenräte Hofer und Vollbach konnten keinen überzeugen und verließen die schweigende Versammlung. Keine Hand rührte sich zum Dank, wenigstens für ihr Kommen. Pfarrer Bischoff, Westerlinde, hatte in einem ausführlichen Referat die gravierenden Mängel der Vorschläge des Landeskirchenamtes aufgezählt, vor allem die irrwitzigre Anhäufung an Bürokratie für die Kirchengemeinden. Auch die Propstei Goslar hielt eine Propsteiversammlung ab. Im Journal der ev.-luth. Gemeinden Goslar März-Mai 2015 S. 47 und 48 ist ein Bericht von Holger Zietz mit der Überschrift: „Die Diskussion geht in die nächste Runde – Fusionen will keiner.“

Der Pfarrverband neuen Typs
(b) Im Pfarrverband neuen Typs schließen sich die Kirchengemeinden zusammen und bilden einen Pfarrverbandsvorstand und eine Pfarrverbandsversammlung. Der Pfarrverband neuen Typs wird nun Körperschaft öffentlichen Rechts. Das Gesetz lässt ungeklärt, ob es nun zwei Träger einer Körperschaft öffentlichen Rechts gibt, nämlich die Kirchegemeinde und der Pfarrverband. Eine der vielen Ungereimtheiten dieser Gesetzesvorlage. Der Pfarrverband wird anstatt des Kirchenvorstandes Anstellungsträger für alle kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die bisherigen Kirchenvorstandsmitglieder sollen also in ihrem örtlichen Kirchenvorstand tätig sein und zusätzlich in den neu geschaffenen Gremien. Der Pfarrverbandsvorstand delegiert nunmehr die Arbeiten in die Kirchenvorstände. Dieser Typ ist seit Monaten bereits von der Behörde gewaltsam im Pfarrverband Königslutter durchgesetzt worden, also Stadtkirche Königslutter dazu Gr. Steinum, Rottotf, Glentorf, Boismtorf, Rotenkamp und Scheppau, sieben Kirchengemeinden mit 3.664 Mitgliedern. Die EZ berichtete seinerzeit vom Unwillen der Kirchenvorsteher gegen den Druck aus Wolfenbüttel.

Protest gegen den Pfarrverband neuen Typs
Zu diesem Teil des Gesetzes schrieb der Propsteivorstand der Propstei Lebenstedt an OLKR Vollbach am 16.1.2015: Das Verhältnis vom Pfarrverband zur Kirchengemeinde stehe „nicht im Einklang mit der Kirchengemeindeordnung, der Kirchenverfassung und dem Pfarrdienstrecht“. Die geistliche Verantwortung der Kirchengemeinde für die rechte Verkündigung des Evangeliums werde aufgegeben. Da der Pfarrverband neuen Typs „alleiniger Anstellungsträger der im Pfarrverband tätigen Mitarbeiter sein soll, muss er, wenn noch ein oder mehrer Kindergärten dazugehören, die Fach- und Dienstaufsicht für über 100 Mitarbeiter/innen ausüben. Das sei völlig undurchführbar.
Einen scharfen Protest schrieb auch der Vorsitzende des Kirchenvorstandes Riddagshausen, Georg Renz, bereits am 4.12.2014 an das Büro der Landessynode. Die Strukturreform gehe am Ehrenamt völlig vorbei, es gehe nicht um Gestaltung sondern um Verwaltung, und „diese grundlegende Reform erfolgt ohne echte und wirksame Beteiligung der Basis.“ Renz beanstandet das „rasante Tempo“, in dem die Reform durchgezogen werde, eine „Reform von oben“ sei zum Scheitern verurteilt. „Die Frage wird sein, wie viele der bisherigen oder auch zukünftigen Kirchenvorsteherinnen und Kirchenvorsteher sich in der Lage sehen oder bereit sind, diese Mehrbelastung zu schultern. Ich sehe die große Gefahr, dass diese Strukturreform auf Dauer dem Ehrenamt erheblich schaden wird.“ Das werde sich bei der nächsten KV-Wahl schon zeigen.
Renz steht nicht allein. Die Kirchenvorsteherin in der Weststadtgemeinde Christiane Müller unterstützt in einem Brief vom 26.1.2015 ausdrücklich das Schreiben von Renz und fordert mehr Zeit für eine basisorientierte Diskussion des Strukturreformgesetzes. Die Kirchenvorstandsvorsitzende von Kaierde, Hans Hermann Schwarze, und von Varrigsen, Karl- Heinz Meier, bitten mit Schreiben vom 5. März 2015 „eindringlich darum, die Verabschiedung der Gesetzesvorlage auf 2016 zu verschieben,“, und zwar „um die geplanten Veränderungen mit Leben zu füllen und die Gemeindemitglieder, für die wir alle Verantwortung tragen, mit auf den Weg zu nehmen“. Das sind ernsthafte Einwendungen, die eine gründliche Antwort finden müssten.

Die Umgestaltung der Propsteien
Der schwierige, aber notwendige Anpassungsprozeß der fallenden Mitgliederzahlen an den Umfang einer Kirchengemeinde wird nun unseligerweise mit einer weiteren Strukturreform verknüpft, nämlich einer Propsteireform.
Die Propstei erhält eine völlig neue Rolle. Das ist auffällig. Als ich noch in der Landessynode saß, wurde heftig darüber diskutiert, ob man die Propsteien als Mittelinstanz nicht gänzlich abschaffen sollte. Dass es auch ohne Propst geht, beweist zur Zeit die Propstei Königslutter. Seit dem Weggang von Propst Weiß nach Blankenburg im Spätsommer 2013, befindet sich die Propstei in einer Dauervakanz. Nun plötzlich soll die Propstei nach dem vorliegenden Gesetzentwurf eine besonders starke Stellung erhalten. Sie soll sích in sog. „Gestaltungsräume“ gliedern, in der sich die Kirchengemeinden vereinigen müssen. Die Propstei verwaltet die Anzahl der zur Verfügung stehenden Pfarrer/Innen. Nicht nur die Anzahl, sondern auch, welche Pfarrerin und welcher Pfarrer passt auf diese oder jene Stelle. Dazu ist ein genaue kontinuierliche Kenntnis der Personalakte nötig.
Das ist meinem unmaßgeblichen Empfinden nach ein gewaltiger Eingriff in die Kompetenz des Personalreferates. Ist das abgesprochen? Gibt es da innerhalb des Kollegiums Machtkämpfe? Macht der Landesbischof Gebrauch von seinem Recht einer Dienstanweisung gegenüber den Oberlandeskirchenräten?

Gegenargumente
Der Kirchenvorstand der St. Katharinengemeinde, Braunschweig, befürchtet in einer Eingabe, „dass durch die für Gestaltungsräume angedachten Regelungen die verfassungmäßig geschützte Selbständigkeit der Kirchengemeinden und die damit verbundene gesetzlich festgeschriebene Verantwortung der Kirchenvorstände empfindlich eingeschränkt werden könnten.“ Er befürchtet „eine Verschiebung der Machtverhältnisse zwischen der Gemeinde- und Propsteiebene.“ Es sei dringend geraten, „das Bild, die Funktion und Stellung von „Propstei“ im Gesamtgefüge zu überdenken und das Ziel „Stärkung der mittleren Ebene“ kritisch zu überprüfen. Propsteien könnten sich zu gemeindeähnlichen Großkörpern auswachsen, an deren Wohlwollen die einzelnen Kirchengemeinden dann angewiesen wären.“ (Schreiben vom 26.2.2015) Der Katharinenkirchenvorstand vermisst außerdem eine theologische Begründung dieser Strukturreform.

Der Gesetzesentwurf atmet den Geist von Zwang und Erzwingung, gegen den sich die Propstei Lebenstedt scharf äußert.
„Diese Zwangsvorschriften sind einer evangelischen Kirche unwürdig.. Die „Zwangsfusion“ von Kirchengemeinden ist sowohl unnötig, wie auch schädlich, sofern für Mitglieder, Mitarbeiterinnen und Mandatsträgerinnen Identifikationsfelder für Kirche zerstört werden. Es ist durchaus möglich, dass kleine Kirchengemeinden, wenn es sinnvoll ist, selber eine Fusion anstreben. Jedoch halten wir es für theologisch, kybernetisch und kommunikativ zerstörerisch, wenn funktionierende Systeme, die den kirchlichen Auftrag tragen, ohne Not und zwangsweise beseitigt werden.“

Es gibt eine Alternative
Wie kann man ohne Aufwand der Ausdünnung der Kirchengemeinden begegnen? Gibt es eine Alternative zum Gesetzesentwurf? M.E. könnte es dabei bleiben, wie es erfolgreich auch in der Vergangenheit gehandhabt wurde. Wenn Pfarrer-Pfarrerinnen fehlen oder nicht mehr bezahlt werden können, oder wenn Kirchengemeinden zu klein oder zu schwach geworden sind, bleiben sie vakant. Zur Not entsteht eine Dauervakanz, und ein benachbartes „stärkeres“ Pfarramt übernimmt die seelsorgerliche Verantwortung zusammen mit dem örtlichen Kirchenvorstand der vakanten Gemeinde weiter. Sie kann zur filia der größeren Gemeinde werden und bilden einen Pfarrverband, wie es ihn seit vielen Jahrzehnten gibt. Wenn die Kirchenvorstände es beschließen, können sie zur höchsten Not auch für eine gewissen Zeit fusionieren. So entwickeln sich auf die Dauer ohne Krampf größere Kirchenspiele, wie es sie in anderen Landeskirchen schon längst gab.
Für diese Alternative spricht auch die Altersentwicklung in der Pfarrerschaft. Es gehen in den nächsten sechs Jahren mit Erreichung des 65. Lebensjahres wenigstens 28 Pfarrer/Innen in den Ruhestand, in den folgenden vier Jahren sind es 49 (!), also insgesamt 77. Einige PfarrerInnen werden schon vorher emeritieren. (Die überschlägigen Zahlen für den Eintritt in den Ruhestand mit 65 Jahren lauten: 2015: 3/ 2016: 1/ 2017: 4/ 2018: 5/ 2019: 6/ 2020: 9: insgesamt 28// 2021: 6/ 2022: 16/ 2023: 11/ 2014: 17. insgesamt 49.) Die Landeskirche bekommt dann in absehbarer Zeit ein dramatisches Nachwuchsproblem.
Dem ist nur durch starke, interessante, attraktive Pfarrstellen zu begegnen mit einem einsichtig und überzeugend steuernden Personalreferat und nicht durch ein Kuddelmuddel in sog. Gestaltungsräumen. Die Erfindung der Gestaltungsräume ist ein Irrweg.
Außerdem sollten in jeder Kirchengemeinde ab sofort Fördervereine zur Erschließung neuer Geldquellen besonders aus dem großen Kreis der keine Kirchensteuern zahlenden Gemeindemitglieder und weit darüber hinaus greifende an Kirchbau und kirchlichem Leben vor Ort interessierte Mitbürger und Mitbürgerinnen eingerichtet werden.. Ein vorzügliches Beispiel ist hierfür Pfarrer Brettin, Schöningen, Clus, der bereits ein Drittel seines Gemeindehaushaltes aus Fördermitteln bestreitet. Zu diesen ermunternden Beispielen gehört auch das Posaunenwerk der Landeskirche.

Die Rolle von Bischof Meyns
Welche Rolle nimmt Bischof Meyns in der Diskussion um diesen Gesetzesentwurf ein? Bischof Meyns hat wiederholt, z.B. vor dem Pfarrerverein, auch bei einer Veranstaltung der Akademie in St. Katharinen als seinen persönlichen Eindruck von der Lage der Landeskirche genannt, dass hier die Ortsgemeinden verabsolutiert werden. Die Braunschweiger Zeitung machte daraus eine Schlagzeile.
„Der Auftrag der Kirche sei es nicht, „am Ort“, sondern „bei den Menschen“ zu sein“, das heiße nicht, dass die Kirche ihre Präsenz in den Ortsgemeinden vernachlässigen sollt, aber die Kirche müsse flexibler werden.
Seine Position hat Meyns in seiner wissenschaftlichen Doktorarbeit, erschienen im Jahr 2013, unmissverständlich beschrieben. Sie hat den Titel: „Kirchenreform und betriebswirtschaftliches Denken.“ Das Deutsche Pfarrerblatt hat in seiner Ausgabe Februar 2015 S. 117 in einer Buchbesprechung dazu geschrieben: „Um er kurz zu machen: das Buch ist ein Hammer. Und mit diesem zerschlägt Meyns die Gewißheiten in der Anwendung betriebswirtschaftlicher Modelle im Raum der Kirche“. Meyns hat die Arbeit bei Prof. Isolde Karle, Uni Bochum, eingereicht. Frau Prof. Karle war im Pfarrerblatt aufgefallen mit einer deutlichen Attacke gegen Hubers „Kirche der Freiheit“ und der Einführung wirtschaftlicher Gesichtspunkte für das kirchliche Handeln. Wir sollten „gegen den Trend“ wachsen, besser predigen und uns auf einige Leuchtfeuer gesund schrumpfen. Dieser Huber-Kurs war von Anfang an schwer umstritten. Meyns setzt diese Auseinandersetzung nun fort. Er hält „betriebswirtschaftliche Bewältigungsstrategien“, die er als exemplarischen Überblick darstellt (S. 31 - 79) für „nur begrenzt wirksam“, so die Überschrift der Zusammenfassung des ersten Teils (S. 88) „Die Wirkungen und Qualitäten von Leistungen im Bereich von Verkündigung, Bildung und Seelsorge entziehen sich jedoch aus theologischen und fachlichen Gründen einer Operationalisierung in Kennzahlen, Messgrößen, Indikatoren und Zielwerten“(S. 89). Im 2. Teil beschäftigt sich Meyns mit der Frage, warum es die ev. Kirche nicht weiterbringen solle, wenn sie ihr Angebot marketingorientiert plant. Er fasst folgendermaßen zusammen: „Eine wirtschaftstheoretische Perspektive ist nur begrenzt geeignet, die gegenwärtige Situation der ev. Kirche analytisch zu erhellen. Zwar könne sie die Aufmerksamkeit auf Anreize für eine sparsame Bewirtschaftung von Haushalten lenken. „ Zugleich erweisen sich ökonomische Denkmuster ím Blick auf einen möglichen Ausgleich von Personalstellenstreichungen durch ehrenamtliche Mitarbeit jedoch als kontraproduktiv“ (S. 138.) Im dritten Teil „Zum Verhältnis religiöser und ökonomischer Rationalität“) empfiehlt Meyns „Abstand ist geboten“. Meyns fasst so zusammen: „Verwendet die Kirche Marketing und Management als Mittel der Steigerung von Beteiligungs- und Mitgliederzahlen, orientiert sie die Formen ihrer Verkündigung und damit ungewollt auch ihre Inhalte an den Nutzenerwartungen vorhandener oder potenzieller Mitglieder und richtet ihre internen Abläufe und Strukturen entsprechend aus, verabschiedet sie sich von den weniger anschlussfähigen Inhalten des christlichen Glaubens“(S. 188). Nach diesen eher abwehrenden Thesen entwirft Meyns nun seine positiven Ansichten und Vorschläge. Dabei begibt er sich auf die verschlungenen Pfade des Bielfelder Soziologieprofessors Niklas Luhmann, gestorben 1998. Posthum ist von Luhmann die Arbeit „Die Religion der Gesellschaft“ veröffentlicht worden (im Jahr 2000). Man muss nicht alle Wege mitgehen und verstehen. Auf S. 229 fasst Meyns das Ergebnis für die Kirche zusammen, z.B. „Mehrfachnutzung von Gebäuden, Selbstverwaltung vor Ort und lose Formen der Kopplung mit übergemeindlichen Ebenen stärken, Abschied von Strategien zur Steigerung von Beteiligungs- und Mitgliederzahlen, Aufbau und Pflege kooperativer Beziehungen mit anderen kirchlichen und staatlichen Körperschaften, Bildungseinrichtungen, Vereinen und Verbänden,“ insgesamt sind es neun Anregungen.

Wem die 317 Seiten lange Arbeit zu ausführlich ist, findet eine Zusammenfassung in der Evangelischen Theologie Heft 2 Jahrgang 2013 S. 91 – 100 „Aus der Praxis kirchlicher Rückbauprozesse“.

Das ist die dort beschriebene Position von Bischof Meyns: „Selbstverwaltung vor Ort und lose Formen der Kopplung mit übergemeindlichen Ebenen stärken, Abschied von Strategien zur Steigerung von Beteiligungs- und Mitgliederzahlen.“
Der vorgelegte Gesetzesentwurf lässt diese Kriterien völlig vermissen.
Nochmal zurück zum Eindruck von der Verabsolutierung der Ortsgemeinden: seit Jahrzehnten erleben wir in der Landeskirche das unfruchtbare Gezerre zwischen gemeindlicher und übergemeindlicher Arbeit. Wie sich Bischof Heintze für die Stärkung übergemeindlicher Ämter eingesetzt hat, ist in dem Buch über die Landeskirche in den 70er Jahren nachzulesen. Die an eine Ortsgemeinde nicht gebundenen Pfarrämter sind in unserer kleinen Landeskirche gut etabliert und gefächert, nämlich die Schulpfarrämter, die Eheberatung, die Arbeit mit der Lehrerschaft durch das religionspädagogische Amt, die Krankenhausseelsorge, auch die Kirchenmusik, die Diakonie, die ja aus den Ortsgemeinden ausgegliedert wurde, die Akademie, die Arbeit in den Kindergärten, die daher auf keinen Fall aus den Ortsgemeinden herausgelöst werden dürften. Es gibt außerdem zahlreiche kleine Gruppen, die außerhalb der Ortsgemeinden kontinuierlich arbeiten, z.B. Diakon Graumann mit seinem jüdisch-christlichen Arbeitskreis, die Ev. Erwachsenenbildung hat sich längst aus der Ortsgemeinde herausgebildet, die Ev. Familienbildungsarbeit in Salzgitter und Wolfenbüttel, es gibt Bibelkurse mit weit gemeindeübergreifender Beteiligung. Man muss leider sagen, dass gerade dieser Zweig kirchlicher Arbeit zur Zeit von OLKR Fischer gekappt worden ist, wie z.B. Kirche in der Arbeitswelt.
Die Redeweise von einer Verabsolutierung der Ortsgemeinden kann so missverstanden werden, dass ein Popanz aufgebaut wird, hinter dem tatsächlich die Ortsgemeinden aus ihrer Verankerung gerissen werden. Das wäre schlimm.

Offene Fragen
Die gewaltsame Umstrukturierung wirft erhebliche Fragen auf: ist die Pfarrerschaft auf eine ersprießliche, kollegiale Zusammenarbeit innerlich eingestellt? Früher hat man gespottet: „Selig die Beene, die vorm Altar alleene.“ Die gelingende, anhaltende förderliche Nachbarschaft sollte die Voraussetzung einer Fusion sein. Die personellen Querelen scheinen mir vorprogrammiert. Das Pfarramt ist unattraktiv geworden. Woher soll der tatendurstige, phantasievolle Nachwuchs kommen, der die Gemeinde als einen Ort unterschiedlicher menschlicher Begegnung erlebt und versteht und nicht als eine anonyme Massenkolchose? Oder ist die von Einigen beobachtete Stromlinienförmigkeit und totale Anpassungsfähigkeit des Nachwuchses erwünscht? Hat der Kapitalismus die Kirche schon zerfressen, in der die nach Beteiligung lechzende Kirchengemeinde mit dem Verzehr von schlecht abgelesenen Internetpredigten abgespeist wird? Die Predigt und Evangelium verkonsumierende Gemeinde also als deren Endergebnis? Fürchtet eine materiell sehr gut ausgestattete Pfarrerschaft jede Veränderung? Schützt sie sich mit der Wiederkehr eines autoritären Amtsverständnisses vor einem Dienst auf Augenhöhe mit den kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern? Fragen über Fragen, die nicht gestellt werden und für die es leider auch kein einziges Forum in der Landeskirche gibt. Stattdessen soll im Herbst ein „Kongreß“ stattfinden, auf dem dann mit einem Riesen-Lilapinsel der Unsinn der Gestaltungsräume überkleistert werden soll. Die Alternative ist oben klar benannt.

Das Wormser Wort und die Einschätzung des Thüringer Pfarrervereins
Der massive Protest in der Braunschweiger Landeskirche gegen den Gesetzesentwurf steht nicht allein. Nach dem Pfarrertag in Worms im Herbst letzten Jahres haben sich zahlreiche Pfarrerinnen und Pfarrer aus der EKD zu einem Wormser Wort zusammengeschlossen. Darin kehren auf frappierende Weise alle aus den Braunschweiger Kirchengemeinde geäußerten Vorbehalte gegen den Gesetzesentwurf wieder: der Reformprozess sei ein „Abbauprozess“, Mitarbeitende werden demotiviert, der Mensch gerate aus dem Blick, die Kirche verliere ihr Fundament und ihre Glaubwürdigkeit. Auf den nächsten Seiten ist das Wormser Wort, das auch das Deckblatt von KvU 136 bestimmt., genauer zu lesen.
Danach ist der erste Teil eines Vortrages des Vorsitzenden der Thüringer Pfarrervereins wiedergegeben, der ganz ähnliche Befürchtungen äußert.




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