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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 136 - März 2015


Veränderte Herausforderungen für Pfarrerinnen und Mitarbeiter im Verkündigungsdienst

(Download als pdf hier)

Der Vortrag wurde vom Vorsitzenden des Thüringer Pfarrvereins Pfarrer Martin Michaelis auf Einladung des Generalbischofs der Evangelischen Kirche Augsburgischen Bekenntnisses in der Slowakei Miloš Klátik während der jährlich stattfindenden Studientagung der Dreikirchenpartnerschaft am 10. Oktober 2014 in Belušské Slatiny, Slowakei gehalten. Die Studientagung stand unter dem Thema: „Veränderte Herausforderungen für Pfarrerinnen und Mitarbeiter im Verkündigungsdienst“.

1. Erscheinungsbilder unserer Zeit
Was ist das: unsere Zeit? Die Zeit in der ich bisher gelebt habe. Die Zukunft kenne ich noch nicht. Aufgewachsen und ausgebildet in der DDR mit anschließender Dienstzeit im Pfarramt in den 25 Jahren nach der Wende, versuche ich mir zu erklären, was da geschehen ist und geschieht.
Die Zeit im Sozialismus haben wir zu überdauern, manche auch zu überstehen gesucht, eben angepasst oder standhaft. Es war ein Weg zwischen Protest und Anpassung, sich in die Gegebenheiten fügen oder doch etwas anderes wenigstens versuchen, oder beides, eigentlich immer in dem Gefühl, dass ein solches System nicht von Dauer sein kann, wenngleich den Ideologen ein Nach-dem-Sozialismus/Kommunismus undenkbar war. Den langen Atem der Kirchengeschichte empfand ich damals als das Durchtragende, Verlässliche, auch Hoffnung Gebende.
Die Kirchen gehörten mehr und mehr in gesellschaftliche Nischen. Manche wollten dort nicht sein, andere zog es genau dahin. Es gab einen dem politischen Druck geschuldeten nie dagewesenen Mitgliederschwund in den Gemeinden. Geradezu trotzig haben wir an Glauben und Kirche festgehalten. Kirchen nutzbar und Pfarrhäuser bewohnbar gehalten, soweit das irgend ging. Kaum eine Pfarrstelle wurde aufgegeben, allenfalls gab es sogenannte Dauervakanzen. Wir wollten alles für die Zeit danach erhalten, irgendwie. Sich in geringe Entlohnung fügend gab es fast genug Nachwuchs, darunter so manchen etwas ausgefallenen Pfarrer.
Dann kam die Wende mit ihren ungeahnten und überwältigenden Möglichkeiten, mit Kirchensteuern und endlich höheren Gehältern, der Konzentration auf die Sanierung der Gebäude. Zwischen Größenwahn und Zukunftsangst wurden Projekte begonnen.
Bald darauf machte der Begriff von der Spaßgesellschaft die Runde. Nur wer witzig ist, sollte andere animieren können und damit ein Recht zum Überleben haben. Die FDP schrieb sich als Wahlziel die 18% auf die Schuhsohlen, verzehrte sich in zahllosen Gags, um zuletzt mit dem Wahlslogan „Wir sind dann mal weg, wie die Zensuren.“ auch dem letzten Wähler klar zu machen, wo man kein Kreuz mehr zu machen braucht. Sich selbst erfüllende Prophezeiungen nennt man das wohl.
Nun macht die Rede vom „demographischen Wandel“ die Runde. Kein Politiker und keine Kirchenleitung kommen um diese Worte herum.

Alles wird in Geld umgerechnet. Die im Umlauf befindliche Geldmenge übertrifft bei weitem das Bruttosozialprodukt, also das, was tatsächlich geleistet werden kann. Das Geld- und Anlagesystem, auf das wir uns bisher verlassen haben, steht kurz vor dem Kollaps, vielleicht. Genau weiß man das immer erst hinterher.

Alten- und Pflegeheime schießen wie Pilze aus dem Boden. Krankenhäuser werden zu Konzernen. Alles muss sich rechnen. Wir teilen die Gesellschaft in Gesunde, Kranke, Behinderte und Sterbende. Hier hat jeder seinen Platz, da lassen wir uns nichts nachsagen. Der Gesunde am Arbeitsplatz, der Kranke im Krankenhaus, der Behinderte in der Einrichtung, die Alten im Altersheim und die Sterbenden im Hospiz. Jeder hat seinen Platz. Da gehört er dann auch hin. Woanders möchten wir sie nicht sehen.

2. Die Reaktionen der evangelischen Kirche
Der Freude über die Grenzöffnung und dem Aufbruch folgte bald der Finanzdruck, der damit verbundene Zwang, den vermeintlich versäumten Pfarrstellenabbau nachzuholen, das Berechnen von Pfarrstellen, von Arbeitszeiten und Gemeindegliederzahlen, Dinge, die uns zuvor kaum interessiert hatten. Dem Bevölkerungsschwund und der veränderten Altersstruktur muss Rechnung getragen werden. Wir berechnen die Zukunft mit ihren finanziellen Möglichkeiten und noch wichtiger, dem, was nicht mehr möglich sein wird. Das wichtigste Hilfsmittel ist das Lineal, das nicht etwa an die tatsächlichen Einnahmen, sondern an die vorausberechnete Tendenz für die letzten Jahre angelegt und in die nächsten Jahrzehnte verlängert wird. Wer mit dem Geld und der Zukunft argumentiert, hat die Definitionshoheit. In nie dagewesenem Ausmaß werden Pfarrstellen gestrichen und Pfarrhäuser verkauft. Es scheint dazu keine Alternative zu geben. Wir begeben uns in eine Kürzungs- und Fusionshysterie, die weder vor Landeskirchen, noch vor Gemeinden und kirchlichen Werken halt macht. Zukunftsfähigkeit ist die Vokabel, gegen die kein Kraut gewachsen zu sein scheint und keines wachsen darf. Nur wer einspart, den wird es in der Zukunft noch geben, denkt und sagt man, wohlgemerkt bei immer noch steigenden Kirchensteuereinnahmen. Am besten scheint es zu sein, wenn man die Einsparziele schon vorfristig erreicht, viele Pfarrer in den vorgezogenen Ruhestand schickt, um die dann entstehenden Lücken mit Kirchenkreispfarrstellen ohne Gemeindeanbindung zu schließen. Hoffentlich ergeht es uns damit nicht wie der FDP mit ihrem letzten suizidalen Wahlslogan „Wir sind dann mal weg.“, denn wer nur spart, spart sich irgendwann selbst ein.
Aufgefallen ist mir in den letzten Jahren, wenn jemand, sei es ein Pfarrer oder eine kirchenleitende Person, in irgendwelchen Vorstellungsrunden oder Begegnungen seinen Arbeitsbereich oder die Landeskirche vorstellen sollte, so begann das mit den jüngsten Zahlen und den daraus resultierenden Strukturdebatten, um sich in der Regel dann darin auch zu erschöpfen. Weder das Herkommen, kirchengeschichtliche Ereignisse und Traditionen, noch prägende Frömmigkeit oder theologische Fragen spielten eine nennenswerte Rolle. Die Kirche droht zu einem Konzern in der Konsolidierungsphase zu verkommen, ums wirtschaftliche Überleben ringend, sich darin selbst verzehrend.
Die nicht enden wollenden Strukturveränderungen, die man ehrlicherweise als Einsparungen deklarieren sollte, verschlingen zuerst einmal selbst Geld und Kraft, Zeit und Motivation. Die erhofften Effekte einer Erneuerung blieben aus.
Darüber geraten alle unter Dauerstress. Es entsteht Streit, der nicht diskutiert, sondern z.T. mit autoritären Mitteln ausgetragen wird. Pfarrer sollen immer besser werden und größere Bereiche bedienen können. Ihre Arbeitszeiten werden berechnet. Laien sollen Löcher stopfen, werden dabei verschlissen und beginnen sich zurückzuziehen.
Die Eventkultur zwingt zum Wettlauf um die Aufmerksamkeit. Wem das nicht gegeben ist, der ist ungeeignet. Immer mehr Mitarbeiter werden krank. Der theologische Nachwuchs droht auszubleiben. Vor diesen Folgeerscheinungen hat unsere Kirchenleitung mindestens zum Teil lange die Augen verschlossen.

Und dann wurden die Kampagnen losgetreten, sogar unter dieser Vokabel: Klimakampagne zur Reduzierung des CO2-Ausstoßes in den Gemeinden, Wiedereintrittskampagne mit einer dunkelgrauen Gummikirche. Es gab dafür extra Planstellen, gar eine Kampaignerin im Landeskirchenamt, die man im Internet sogar noch aufstöbern kann. Jedes Jahr sollte ein aktuelles Thema gefunden und aufgegriffen werden. Das Kirchenvolk sieht es anders: Da wird jedes Jahr eine neue Sau durchs Dorf getrieben. Die Kampagnen verliefen sich im Sand ohne nennenswerten Effekt, wenn man einmal vom Medieninteresse für den Schadstoffausstoß des bischöflichen Dienstwagens und der peinlichen Begründung für dessen Notwendigkeit absieht. Eines hatte man bei der Planung nicht bedacht. Wir als gelernte DDR-Bürger kannten und verachteten diese Vokabel. Wir verbanden damit nichts anderes als leere Propaganda.
Und dann sind da noch die Medien mit dem Zwang zur Präsenz. Das Impulspapier der EKD prägte dazu den Satz: Kirchliches Wirken muss nicht überall vorhanden sein, wohl aber überall sichtbar. („Kirche der Freiheit“ 2006 S. 7 unter b. Schwerpunktsetzung statt Vollständigkeit.)

Inzwischen wird offen eingestanden, dass die Fusionsanstrengungen in der EKM nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben, die gefürchtete Negativ-Spirale nicht aufhalten konnten. (Ilse Junkermann in „Gemeinde neu finden – Vom Rückbau zum Umbau“ VELKD Informationen 145)

3. Auffassungen, die diese Reaktionen befördern
Meines Erachtens müssen wir prüfen, warum dies so verlaufen ist. Wer das nicht tut, läuft Gefahr, mit einem neuen Konzept wieder über die Köpfe der Gemeinden hinweg zu entscheiden. Das würde den Verlust an Bindung zur Kirche und an Motivation in ihr zu arbeiten weiter vorantreiben.
Noch wird davon ausgegangen, die Probleme seien von außen über uns hereingebrochen. Das mag zum Teil zutreffend sein. Doch für die Reaktionen sind wir selbst verantwortlich. Die Rezepte zur Problemlösung wurden autoritär durchgesetzt. Es gab erhebliche Zweifel an der Kirchenfusion. Erst mit einer demokratisch äußerst fragwürdigen, zweiten Abstimmung konnte eine Mehrheit erreicht werden. Alle Zweifel und Warnungen bezüglich der Identität und des Bekenntnisses, auch des tatsächlichen wirtschaftlichen Nutzens wurden in den Wind geschlagen. Ein kompliziertes Finanzsystem, das den Gemeinden oft die Eigenständigkeit nahm, zwingt sie in zentrale und teurere Kasse- und Verwaltungssysteme. Die Verantwortung und die Macht wanderten zunehmend in die Kirchenkreise. Gemeinden fühlen sich kontrolliert, bevormundet und stellen eigene Aktivitäten ein.
Eines der krassesten Beispiele ist sicher der misslungene Versuch, in der EKM die beiden Gustav-Adolf-Werke zwangsweise zu fusionieren, den ich hier nicht unerwähnt lassen möchte, aber auch nicht weiter auszuführen gedenke.
Aus vielen Einzelteilen setzt sich ein Puzzle zusammen, dessen unschönes Bild wir wohl erst mit einem gewissen Abstand erkennen werden.




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