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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 138 - Dezember 2015


Buchbesprechung zu:
Paul Collier, Exodus-Warum wir Einwanderung neu regeln müssen

von Werner Heinemann
(Download als pdf hier)

Boris Palmer hat beklagt, dass die gegenwärtige Diskussion über die Massenmigration nach Deutschland nur noch „ zwischen Willkommens-Teddybär und Pegida-Galgen“ geführt werden kann. Und die Frage, ob man angesichts von monatlichen Zuwandererzahlen von 180 000 nun von „Lawine“, Strom“ oder „Welle“ reden darf, ruft regelmäßig mediale Berufsempörer auf den Plan. Auch der neue Ratspräsident der EKD trägt durch einseitige theologische Überlegitimierung einer „Ethik des Mitfühlens“ mit dazu bei, dass offensichtliches Staatsversagen eine gesinnungsethische Weihe erhält.
Da ist es gut, dass es einen Buchautor gibt, der mit typisch angelsächsischer Pragmatik sich des Migrationsthemas angenommen hat. Die Rede ist von Paul Collier und seinem 2014 erschienen Buch „Exodus – Warum wir Einwanderung neu regeln müssen“.
Collier ist Professor für Ökonomie und Direktor des Zentrums für afrikanische Ökonomie an der Universität Oxford. Davor war er Leiter der Forschungsabteilung der Weltbank.
Nachdem er die Gründe für die Zunahme von Migration darlegt, untersucht er im Hauptteil des Buches zum einen die Auswirkungen von Migration auf die Aufnahmegesellschaften, und zum anderen ihre Folgen für die Auswanderergesellschaften. Zum Schluss entwirft er Vorschläge für eine neue Einwanderungspolitik.
Der provokanteste Teil seines Buches sind sicherlich die Kapitel über die wirtschaftlichen und sozialen Folgen von Massenmigration. Während er in einer moderaten Zuwanderung für die jeweiligen Gesellschaften Vorteile sieht, verwandelt sich dies bei massenhafter Einwanderung in sein Gegenteil.
Anhand zahlreicher Studien und Untersuchungen führt er aus, dass eine immer weitere Steigerung von ethnisch-kulturell basierter Diversität und Heterogenität, ab einem gewissen Punkt den sozialen Zusammenhalt einer Gesellschaft schwächt und fragmentiert. Dabei legt er Arbeiten des amerikanischen Soziologen und Politikwissenschaftler Robert Putnam zugrunde, der in Harvard über „soziales Vertrauen“ und „ soziales Kapital“ im Rahmen spieltheoretischer Modelle forscht.
Danach hängen moderne Gesellschaften von einer Myriade an Kooperationsbeziehungen ab, von denen aus der Verhaltensökonomie und Verhaltenspsychologie bekannt ist, dass sie an einem Punkt zusammenbrechen und kein kooperatives Ergebnis mehr zustande kommt, weil nicht mehr genügend Vertrauen in die anderen Spieler besteht. Die Gefahr, dass dies passiert, ist typischerweise um so größer, je größer der kulturelle und religiöse Abstand zwischen den Gesellschaftsmitgliedern ist.
Ein Schlüssel dafür ist auch, mit welcher Einstellung die Einwanderer kommen und welche Einstellung die Aufnahmegesellschaft gegenüber Einwanderern besitzt. Kommen Einwanderergruppen, die ihre Identität auch im Aufnahmeland beibehalten und sich nicht anpassen wollen und trifft dies auf Gesellschaften, die dem mit Multikulturalismus begegnen, so hat dies negative Folgen auf den sozialen Zusammenhalt und die Herausbildung einer gemeinsamen Identität. Letztere ist aber ein entscheidender Faktor, um die Bereitschaft der Mehrheitsgesellschaft auch zur finanziellen Unterstützung von Einwanderern zu erhalten.
Es würde zu weit führen, um die Vielzahl der von Collier entlang dieser Grundaussagen ausgeführten Aspekte hier darlegen zu wollen, aber sie lohnen einer vertieften Lektüre.
Ebenso interessant sind seine Ausführungen über die Folgen von Massenmigration in den Auswandererländern, wobei hier der Schwerpunkt auf den afrikanischen Ländern liegt, was beim Forschungsschwerpunkt von Collier nicht verwundern kann.
Eher schwach allerdings sind seine Vorschläge für eine neue Einwanderungspolitik, zumindest in dem Teil, der sich mit den erforderlichen Maßnahmen in den Auswanderländern beschäftigt.
Insgesamt ein lesenswertes Buch, welches auch für den gesinnungsethisch überfrachteten innerkirchlichen Diskurs nützlich ist.




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