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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 138 - Dezember 2015


Helmut Schmidts doppelter letzte Wille

von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

In der Evangelischen Zeitung vom 8.4.2012 norddeutsche Ausgabe war zu lesen: „Helmut Schmidt glaubt nicht an ein Leben nach dem Tod, auch an keinen Gott im Jenseits. Bei seiner Beerdigung soll kein Pastor reden und seine Trauerfeier soll nicht im Michel sondern im Hamburger Rathaus stattfinden, als Staatsakt.“ Das fand ich mal ein ehrliches Wort, ohne Taktik aus dem Munde Schmidts in Kirchensachen. Schmidt war zwar Mitglied der ev. Kirche, in Hamburg getauft und konfirmiert und hätte Anspruch auf eine kirchliche Beerdigung. Aber er verzichtete in einer öffentlichen Erklärung, die durch die Presse ging. Hatte er gerade schlechte Laune?

Mir war schon die Meldung über seine kirchliche Trauung verdächtig. Er hatte als Kirchenmitglied auch Anspruch auf eine kirchliche Trauung. Aber seine Frau, aufgewachsen im waschechten Hamburger Arbeitsmilieu, war nicht in der Kirche. Der kirchlichen Trauung zu liebe, trat sie husch husch in die Hamborger Kirche ein. Das war kein Glaubensübertritt, sondern ein taktischer. Ihre Eltern waren von der Kirchlichkeit der Trauung am 1. Juli 1942 überrascht. Warum denn in aller Welt nur kirchlich? wurde er nach dem Kriege gefragt und gab eine taktische Antwort. Sie hätten damals, 1942, nur den Kirchen zugetraut, Deutschland wieder aufzubauen. Sie glaubten also an die Niederlage Deutschlands und an die Chance für die Kirchen. Mitten im Kriege, 1942. Das ich nicht lache!! Die Hamburger Kirche war ausgesprochen systemtreu und siegesgewiss. Warum also dann die Trauung? Der Bräutigam hatte nach den Nazigesetzen einen Fleck in seinem Stammbaum. Großvater galt nach den Nazigesetzen als jüdisch. Helmut Schmidt also „Vierteljude“. Diese Tatsache konnte er mit einer christlichen Trauung in Uniform und Ordenslametta prima verwischen.
Schmidt hat diese Version häufig wiederholt, zuletzt in seinem Aufsatzband „Religion in der Verantwortung.“ In der Einleitung zu diesem Aufsatzband bekennt er denn auch ehrlich: „Meine Religiösität war nie sehr ausgeprägt – für meine Frau Loki und für mich war die Kirchenmusik immer wichtiger als die Kirche.“ (S.9) Aber er fährt so fort: „Aber schon während der Nazizeit, besonders während des Zweiten Weltkrieges, waren die beiden großen christlichen Kirchen für meine Frau und mich diejenigen Institutionen, von denen wir entscheidende Impulse für den moralischen Neuaufbau unseres deutschen Gemeinwesens nach dem Krieg erhofften. Diese Hoffnungen sind enttäuscht worden.“
Wie gehabt, auch noch 2010.

Als Minister und Kanzler setzte Schmidt auf ein gutes Verhältnis zur ev. Kirche. Der christliche Siebensternverlag brachte 1976 ein Bändchen über Schmidt heraus, Titel: „Als Christ in der politischen Entscheidung“. Es war für die Bundestagswählerinnen und –wähler bestimmt. Schmidt sei für kirchliche Leute wählbar, war die Botschaft. Selbst in den 70er Jahren offenbar nicht selbstverständlich. Schmidt als Christ in der politischen Entscheidung, oho. Außerdem spielte er gerne Bach auf dem Klavier und auf der Orgel, das hatte ja auch was Frommes.

Dann gab es den großen Knacks, auf dem Hamburger Kirchentag 1981. Sehr viele Teilnehmer demonstrierten unübersehbar gegen die Schmidtsche Regierungspolitik in Sachen Raketenaufstellung. Ein Freund Schmidts, der Verteidigungsminister Hans Apel, den paar faule Äpfel trafen, verließ schwer verärgert, die Kirche. Schmidt blieb, aber in wachsender Reserve. Kirchentagspräsident war damals Erhart Eppler, der das Schmidtsche Kabinett verlassen hatte und mit dem sich Schmidt seitdem nicht mehr getroffen hat. Ein Zeichen der Versöhnung sei von Schmidt nicht mehr gekommen, bemerkte Eppler in seinem Nachruf im Extraheft des STERN S. 83.
Schmidt zitierte nun lieber Marc Aurel, einen römischen Philosophen, als die Bibel, und stänkerte fortgesetzt gegen „Einmischungen“ der Kirche in die Politik. Grundtenor: mit der Bergpredigt könne man keine Politik machen.
Was dabei tagespolitisch an Kriegsverbrechern deutscherseits herauskommt, erleben wir zur Zeit.

Als Frau Schmidt 2010 starb, fand eine riesige kirchliche Trauerfeier in der Michaeliskirche statt, bei der der seinerzeitige Raketenbefürworter Bischof Lohse eine Predigt hielt, die an den ideellen Vorstellungen von Frau Schmidt völlig vorbeiging. Frau Schmidt hatte schon früher erklärt, dass ihr christliche Auferstehungsmythen fremd seien. Es ginge, so die anerkannte Naturwissenschaftlerin, im Leben nichts verloren. Energie verwandle sich aber. Das kann man glauben, aber das muss nicht auch noch kirchlich beweihräuchert werden. Kein Choral wurde gesungen, bedauerte Frau Jepsen beim Herausgehen, aber ein Orchesterstück von Bach – h moll Suite, wurde gespielt.

Muss man denn als Christ an ein Leben nach dem Tod glauben? Man kann, aber man muss nicht. Abraham, Isaak, David, die Propheten glaubten auch nicht an ein Leben nach dem Tod. Schmidt war also mit seiner Skepsis gut biblisch, was er vermutlich gar nicht wusste. Muss man an eine Auferstehung in einen Himmel, ein Jenseits wenigstens als Pastor glaube? Nein, bestimmt nicht. In meiner Bibel steht: Wer an Christus glaubt, hat das ewige Leben. Es kommt nicht später, ist vielmehr JETZT.

So war also 2012 vorgesehen: ein Staatsakt im Rathaus, keine Gemeinde, sondern eine Versammlung der internationalen Honoratioren. Gut so, das ist ehrlich und passend für Schmidt.
Die Hamburger Kirche würde es sich trotzdem nicht nehmen lassen, zu einem Gedenk- und Fürbittgottesdienst, nicht im Michel, aber in Katharinen oder Petri einzuladen.
Denn Schmidt war schließlich Kirchenmitglied, und er hat kürzlich noch was Kluges gesagt: „Die Kirchen hätten die politische Geschichte der Bundesrepublik stärker beeinflusst, als dies in der Geschichtsschreibung wahrgenommen worden sei.“ Goldrichtig, aber wenig von den Normalhistorikern beachtet und ausgeführt.

Drei Jahre später ist alles anders gekommen. Von der Nachricht eines Trauergottesdienstes im Michel war ich ziemlich überrascht. Schmidt hatte offenbar sein Testament geändert. Nun doch mit Pastor, doch in einer Kirche, der Michaeliskirche, hoffentlich nicht nur deswegen, weil da mehr Menschen hineingehen als in den Festsaal des Rathauses. Am 23. November eine Trauerfeier mit Lesung, Ansprache, Vaterunser, Segen. Wie schon bei seiner Frau kein gemeinsamer Choral, aber das Kinderlied „Der Mond ist aufgegangen“ von der Michaeliskantorei gesungen und die Bachmotette „Der Geist hilft unserer Schwachheit auf“. Ein Eingeständnis?

Danach in der Kirche ein Staatsakt. Kissinger, der frühere US Außenminister, beschrieb Schmidt als perfektionistisch, launisch, fordernd, stets auf der Suche, inspirierend, immer zuverlässig. Aha, also auch launisch, das wäre eine Erklärung für das Testament von 2012.

Die Übertreibungen bei solchen Anlässen sind ein Grund, solche Trauerfeiern und Staatsakte nicht in einer Kirche abzuhalten. Schmidt ein „Gigant“, so der Bürgermeister, Schmidt das „Weltgewissen“ (Kissinger). Anders A. Merkel, die es tatsächlich schaffte, der Trauergemeinde ein deutlich hörbares Schmunzeln abzufordern, als sie den hässlichen Satz Schmidts, wer Visionen habe, solle zum Arzt gehen, zurechtrückte. Schmidt habe später selbstkritisch gesagt, das sei eine pampige Antwort auf eine dusslige Frage gewesen. Man schmunzelte.
Erfreulich wenig Militär, nicht am Sarg, was bei einem Staatsakt wohl üblich ist, aber bei ganz Alten wie mich Erinnerungen an die 68er Zeit hervorgerufen hätte, als Helmut Thielecke Militärschutz für sein Predigt im Michel erbat. Draußen auch nicht „Ich bete an die Macht der Liebe“, wie es der offizielle Zapfenstreich für die Militärkapelle vorsieht (und leider immer noch nicht abgeschafft ist), sondern wie bei der Beerdigung von Rau: „Jesus meine Zuversicht.“ Auf dessen Grabstein auf dem Dorotheenfriedhof steht zutreffend: „Und du warst auch einer von denen, die mit Jesus waren.“




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