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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 138 - Dezember 2015


Predigt
in der Trauerfeier für
Kirchenmusikdirektor Prof. Uwe Karsten Groß

von Pfarrer Werner Busch
(Download als pdf hier)

Liebe Trauergemeinde! Liebe Frau Groß! Liebe Kinder und Enkel von Uwe Karsten Groß! Liebe Verwandte und Freunde der Familie!

Mit der selbst getroffenen Auswahl der Texte und Choräle für seine eigene Trauerfeier hinterlässt uns Uwe Karsten Groß einen Ruf, eine Ermutigung. Er vermacht uns einen Trost, der nicht von ihm selbst kommt. Obschon seine Art zu leben und zu sterben auch eine Ermutigung und ein Trost waren und sind.

Wir haben ihn vor Augen, einen Mann, der für etwas brannte und zugleich sich selbst zurücknehmen konnte. Der uns intensiv zugewandt war. Sein Interesse an Menschen und ihren Themen haben viele von uns gespürt. Seine direkten Fragen waren stets res-pektvoll, seine Antworten einfühlsam und echt.

Wir haben ihn vor Augen. Den zärtlichen Ehepartner. Den mitsorgenden Vater. Den aufmerksamen Opapa. Den treuen Freund und den dynamischen Chorleiter. Den be-geisterten und hart an der Sache orientierten Lehrer, der nicht nur den Stoff, sondern auch das Leben mit seinen Studenten teilte.

Wir haben heute Uwe Karsten Groß vor Augen, und wir bedenken, welchen Segen wir aus der Verbundenheit mit ihm empfangen haben. Den Predigttext, auf den er in dieser Stunde unsere Aufmerksamkeit gelenkt wissen wollte, hören wir aus Psalm 105.

„Danket dem HERRN und rufet an seinen Namen; verkündigt sein Tun unter den Völ-kern! Singet und spielet ihm, redet von allen seinen Wundern! Rühmet seinen heiligen Namen; es freue sich das Herz derer, die den HERRN suchen!“

CHORLIED: Wer nur den lieben Gott lässt walten

„Danket dem Herrn!“ Für Uwe Karsten Groß war der Grundton der Dankbarkeit eine Kraft im Leben und Kraft auch im Sterben. Manches Mal war dieser Ton ein den Widrigkeiten zum Trotz bewusst angeschlagener Ton, ein Kontrapunkt zu dem, was ist. Den Reichtum seiner Lebenserfahrungen hielt Uwe Groß in sich lebendig. Woher er kam und was ihn prägte, das verblasste ihm nicht. Er pflegte die Wurzeln, aus denen ihm so manches zukam, wovon er bis zuletzt zehren konnte. Auch wenn er als junger Organist zu manchem aus dem überlieferten Glauben eine Zeitlang etwas auf Abstand ging, so verlor er den Kontakt doch nicht und knüpft wieder an.

Uwe Karsten Groß kam am 30. August 1930 zur Welt. Kaum jemand von uns kann von sich sagen, dass er im Garten Eden geboren wurde, Uwe Groß und seine Ge-schwister schon. Die Edener Ostbaukolonie in Oranienburg war Heimat für Familie Groß und ist es bis heute. Hier erlebte Uwe Karsten als jüngster Bruder von sechs Ge-schwistern eine behütete Zeit, obwohl der politische Horizont sich schon bald verdun-kelte und seine finsteren Schatten auch über das schönste Paradies warf. Das besonde-re Lebenskonzept der ersten vegetarischen Siedlung, die Kreativität, Offenheit und Religiosität im Elternhaus blieben dennoch prägend. Es war eine von Liebe umgebene Kindheit und Jugend. Aus ihr schöpfte Uwe Groß sein tragendes Grundgefühl, das zum Charakter wurde und das er in vielen Begegnungen verströmte.

In den 30er Jahren bekam Familie Groß wegen ihrer jüdischen Wurzeln das Unrecht und den Schrecken jener Zeit direkt zu spüren. Auch Uwe Karsten blieb als Schuljun-ge der Ersten Gemeindeschule am Oranienburger Schlossplatz von der Gehässigkeit nicht verschont und musste die Häme seiner Mitschüler ertragen.

Durch seine Schwester Christine fand die Familie in der Bekennenden Kirche eine Zuflucht und Anschluss und Heimat. Die Vernetzung in diesen Teil unserer evangeli-schen Kirche hat Herrn Groß auch in seinen späteren Jahrzehnten immer wieder inspi-riert und geprägt.

Schon als junger Mann stand ihm das Berufsziel Kirchenmusiker klar vor Augen. Von 1949 bis 53 studierte er an der Berliner Hochschule für Musik bei Professor Fritz Heitmann im Hauptfach Orgel. Eine sowohl musikalisch als auch menschlich so reiche Berufslaufbahn nahm dort ihren Anfang. Das Studium bei Professor Germani war ein weiterer starker und nachhaltiger Impuls für sein musikalisches Wirken.

Schon während seiner ersten Kirchenmusikerstelle in Berlin-Britz entwickelte Herr Groß sein Talent über das normale Maß eines Gemeindekantors hinaus und erarbeitete sich ein breites Repertoir für Gottesdienste und Konzerte. „Danket dem HERRN und rufet an seinen Namen … Singt und spielt ihm, redet von allen seinen Wundern!“ Aus einem bedrängten ist ein sich wieder entfaltendes Leben geworden. Dass das nicht selbstverständlich ist, wusste Uwe Groß, hat er doch seinen ältesten und geliebten Bruder Christoph im Krieg auf schreckliche Weise verloren.

Die Dankbarkeit, selber nicht nur davon gekommen, sondern auch behütet gewesen zu sein, birgt die Erinnerung und den Schmerz in sich – als ein Wissen, dass wir unser Geschick nicht selbst bestimmen können. Wir verdanken uns und unser Leben und unsere Wege dem, der verborgen Unbegreifliches tut. Der uns im Leben und im Ster-ben nicht verlässt. „Singet und spielet ihm, redet von allen seinen Wundern!“

1954 lernte Herr Groß seine künftige Frau Irmela kennen. Rasante Autofahrten auf kurvigen Strecken sorgten für die gewünschte Annäherung. Sie beide fackelten nicht lange und entschieden sich füreinander, zur Überraschung Ihrer Eltern. Am 31. Mai 1955 heirateten Sie in der bekannten Dahlemer Dorfkirche, und im Frühling dieses Jahres 2015 konnten wir hier gemeinsam mit Ihnen beiden, mit ihren Kindern Hans-Christopher, Friederike und Katharina, mit Enkeln und Gästen einen Dank- und Fest-gottesdienst anlässlich ihrer Diamantenen Hochzeit feiern. Eine glückliche Zeit, die als reicher Erinnerungsschatz ein Segen ist.

Die Trausprüche, die Ihnen 1955 und 2015 zugedacht wurden, ermutigen zum Gebet und stärken das Vertrauen in Gott. Im Schmerz des Abschieds und in der Trauer darf das Beten und Glauben in eine andere Tonart wechseln. Denn Trauern heißt sicher auch, dass wir unsere Beziehungen transponieren müssen. Dass wir auch unsere Be-ziehung zu Gott neu durchspielen. Nun bedenken wir, was wir aneinander hatten und heute haben, welchen Segen wir aus der Verbindung mit Uwe Groß mitnehmen. Wir bedenken an diesem Tag und denk kommenden, wer wir mit ihm geworden sind und wie wir nun ohne ihn weitergehen. Der Predigtpsalm spricht auch davon, den HERRN zu suchen. Sich vorzutasten zu ihm und in die unbekannte Zukunft. Für unsere Dank-barkeit und für das Trauern sind wir an sein Gegenüber gewiesen. Im Miteinander tei-len und auch in Stunden der Einsamkeit suchen wir Gott und werfen uns ihm betend, dankend und klagend in die Arme.

Nach fünf Jahren Kantorat in Berlin wechselte Herr Groß im Jahr 1958 hierher an die Katharinenkirche. Eher durch Zufall kam er noch als Überraschungskandidat in das Bewerbungsverfahren. Auf einer Reise von Köln nach Berlin machte er hier Halt. In einem heutzutage undenkbar kurzen und beherzten Verfahren fiel die Entscheidung schnell auf ihn. Aber hier würde Herr Groß wohl widersprechen. Er würde das leicht dahin gesagte Wort „Zufall“ in Frage stellen und verschmitzt lächelnd nach oben zei-gen. „Danket dem Herrn.“ Die nach den Kriegsschäden gerade eben wiederhergestellte Katharinenkirche bekam nun mit Uwe Groß einen jungen, talentierten und engagierten Musiker. Anfangs nannte man ihn braunschweigisch liebevoll spöttelnd „Kantörchen“, seines jungen Alters wegen. Als er im Ruhestand dann von Herford wiederkehrte, hieß es nur „uns Uwe ist wieder da“.

In den Jahren dazwischen lag ein bewegter und in vielerlei Hinsicht reich beschenkter, gesegneter Weg. Hinter den Stationen und Namen stehen Erlebnisse und Erinnerun-gen. Es war eine Zeit für musikalische Entfaltung mit vielen Begegnungen. Gemein-sames Essen und Feiern in der Familie und mit Kollegen, mit Studenten. Manche Freundschaft wurde geknüpft, manches musikalische Werk miteinander erarbeitet, manches Glas miteinander geleert. Wie schon damals zu POastor Siegried Stanges Zeiten, der ihn einmal seinen „Kontextor“ nannte. Sie hatten ein offenes Haus, Gast-freundschaft lag Herrn Groß immer sehr am Herzen, viele von uns haben das erlebt. Auch wenn es anfangs in den dürftigen Wohnverhältnissen hier in Braunschweig si-cher etwas schwierig war.

Herrn Groß‘ Wechsel nach Herford an die Landeskirchliche Kirchenmusikschule zu-nächst als Dozent und schließlich als Gründungsmitglied der Hochschule war ein Ein-schnitt und eine gravierende Veränderung für die Familie, das wusste er. Von dort aus entfaltete Herr Groß eine vielfältige Lehr- und Konzerttätigkeit, die ihn in verschiede-ne Länder führte und mit Menschen zusammenbrachte. Rom und Siena, eine USA-Reise und viele Kontakte nach Ostereuropa. „Verkündigt sein Tun unter den Völkern.“ Musik als Verkündigung, ja! Uwe Groß war auf musikalische Qualität genauso kon-zentriert wie auf den Inhalt, die Aussage. In seinen Proben ging es eindringlich und inhaltlich anspielungsreich zu. Den Text zum Leuchten bringen, mit dem Herzen sin-gen und begreifen, was man singt, daran lag ihm. Seine Musikalität hatte etwas Seel-sorgerliches und Missionarisches im besten Sinn des Wortes. Dieser künstlerische An-satz lag ganz auf der Linie seines Vaters, des Bildhauers Wilhelm Groß, der mit seiner ars crucis auch verkündigte und der Christusbotschaft plastischen Ausdruck verlieh. Dem Lebenswerk seines Vaters fühlte sich Uwe Groß in den letzten Jahrzehnten be-sonders verpflichtet und engagierte sich für Ausstellungen und Publikationen. Mit Feingefühl und kenntnisreich konnte er davon schwärmen. Uwe Groß war ein begeis-terungsfähiger Mann, der sich innerlich bewegen ließ. Er war offen für Gedanken und Eindrücke, die das Herz weiten und vertiefen und den Glauben bereichern. Das machte die Gespräche mit ihm intensiv und interessant.

Das Haus in Herford war dank Ihnen, liebe Frau Groß, ein sehr gastfreundliches Haus. Sie ahnten immer schon, dass ihr Mann gerne Studenten und andere Gäste mitbrachte. Es war ein menschlicher Reichtum, dem sie ihre Türen und Herzen öffneten. „Es war alles besonders“, lautet Ihr Resumée über die mehr als 60 gemeinsamen Jahre.

Die letzte Wegstrecke war ein Lastentragen und ein Gestärktwerden. Die Monate wa-ren kräftezehrend und doch mit Begegnungen gefüllt, durch die Uwe Groß innerlich getragen und aufgerichtet wurde. An allem nahmen Sie Anteil, liebe Frau Groß, und wichen nicht von seiner Seite. Voller Dankbarkeit schaute Ihr Mann auf die gemein-same Zeit und auf sein ganzes Leben zurück. „Die Auferstehung kommt gleich, liebe Sänger, macht euch bereit“, soll der dynamische Chorleiter bei einer Probe seinen Sängern einmal laut zugerufen haben. Nun vertrauen wir ihn Gott an. Und wir schau-en auf den Gekreuzigten, der in unsere menschliche Verletzlichkeit hineingetreten ist. Seit Karfreitag ist der Tod, ist auch unser Tod kein gottloser Ort mehr. Wir sind hinfäl-lig, aber wir entgleiten Ihm nicht. Es hat ein Ende mit uns, aber Er hält an uns fest und hört in Ewigkeit nicht auf, mit uns reden. Er erschafft uns neu, jenseits der Todesgren-ze, jenseits unserer Weltzeit.

Ihm vertrauen wir Uwe Karsten Groß an. Und uns selbst für die Wege, die vor uns liegen. Es werden andere Wege sein als bisher. Uwe Groß wird vielen fehlen. Aber Christus, der selber Leben und Tod durchschritten hat, hält Lebende und Tote in sei-nen guten Händen. In ihm bleiben wir verbunden.

Zu ihm ruft uns der Psalm: „Danket dem HERRN und rufet an seinen Namen; verkün-digt sein Tun unter den Völkern! Singet und spielet ihm, redet von allen seinen Wun-dern! Rühmet seinen heiligen Namen; es freue sich das Herz derer, die den HERRN suchen!“ Amen.




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