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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 139 - März/April 2016


Brasilienrundbrief März 2016

von Hans Goswin Clemen
(Download als pdf hier)

Sehr geehrte Damen und Herren,
liebe Freundinnen und Freunde,


Die Krisen in der Welt werden jeden Tag größer. Wir können die Bilder an den Zäunen Europas kaum ertragen. Wir waren zu lange Nutznießer des Elends der anderen. Darum ist es ermutigend, dass sich hier immer mehr Menschen zur Hilfe bereit finden. Auch in Brasilien haben die Reichen Zäune um ihren Besitz gezogen. Und sie tun es immer noch. Aber die Armen stehen auf, zerschneiden den Zaun und nehmen Anteil am Reichtum für ein Leben in Würde.

Animados pela fé, e bem certo da vitoria, vamos fincar a nosso pé e fazer da nossa historia, animados pela fé. Das ist ein wichtiges Lied in der Organisation der vom Lande vertriebenen Familien in Brasilien. Dieses Lied drückt ihre Überzeugung aus, die sie ermutigt hat, aufzustehen gegen das Elend und das Unrecht. „Ermutigt durch unseren Glauben sind wir unseres Sieges sicher. So werden wir gemeinsam aufstehen und unsere Geschichte selbst in die Hand nehmen.“

Und so gehen sie auch heute aus den Favelas zusammen mit Leuten aus der Landlosenbewegung MST wie Baldomar und Clovis Schregele und besetzen die brachliegenden Ländereien der Regierung oder von Großgrundbesitzern oder ausländischen Konzernen, die das Land als Spekulationsobjekt benut-zen. Sie glauben, dass sie das gleiche Recht auf ein Leben in Würde und Anteil am Reichtum des Lan-des und der Erde haben. Die bestehende Gesellschaft aber verwehrt den Armen den Zugang. Darum können und müssen sie ihre Geschichte selbst in die Hand nehmen.

Baldomar, einst auch landloser Bauer, hat schon mit vielen tausend Familien Landbesetzungen organi-siert und lebt jetzt noch auf der Besetzung Saltinho bei Lebon Régis/SC ebenso wie sein Sohn Clovis mit seiner Familie. Clovis ist in den Gemeinerat gewählt und koordiniert die von Baldomar gegründete und ökologisch arbeitende Gemüse-Cooperative, die jetzt schon über 200 Familien als Mitglieder hat.

Über das noch von Präsident LULA initiierte Programm CONAB bringen sie regelmäßig ihre Produk-te in die Schulen, zu den Armen und in die Favelas der umliegenden Städte. Und CONAB zahlt. Es ist eines von LULAs Programmen zur Hungerbekämpfung – FOME ZERO.
In den Favelas organisieren sie die Familien für die Landbesetzungen, die dann zuerst in den selbstor-ganisierten Lagern auf die Legalisierung der Besetzungen warten. Auch dann begleitet sie MST für den Anbau auf dem Land, das sie gemeinsam organisieren.

Nach unserer letzten Überweisung von 3.000 US$ schrieb Clovis:
„Eure letzte Überweisung ergab 10.875,81 R$. Einen Teil haben wir für eine Landbesetzung in der Nähe vom Munizip Frei Rogério ausgegeben: Es wurden Planen für die Hütten und Lebensmittel ge-kauft und die Transportkosten für die Fahrten der Familien zu der Besetzung bezahlt. Eine große An-zahl der Familien hatte kein Geld für diese Kosten. Wir haben Saatgut gekauft, damit die Familien in dem Lager gleich Gemüse anbauen. Und wir zeigen ihnen, wie der ökologische Anbau geht. Wir brin-gen jetzt noch mehr Familien dahin. Jetzt haben wir schon mehr als 80 Familien. Wir organisieren jetzt, dass 150 Familien ankommen. Das ist unsere Planung.

Wir danken Gott und Euch für das Geld, das ihr uns geschickt habt. Gott segne Euch und alle, die gespendet haben, für diese große Hilfe, die das Leben von so vielen Familien verbessert.“

Heute ist der Kampf um die Macht in Brasilien weiter entbrannt. Programme wie CONAB stehen auf der Kippe. Clovis organisiert dauernd Verhandlungen und Druck auf die Bundes- und Landesregie-rung.

20 Millionen Brasilianer sind aus der Armut in die Mittelschicht aufgestiegen. Die Programme zur Hungerbekämpfung von Präsident Lula und seiner Nachfolgerin Dilma Rousseff haben gewirkt. Das wurde durch das Wirtschaftswachstum begünstigt. Aber jetzt stagniert die Weltwirtschaft. Die Preise für die Rohstoffe, von denen Brasilien viele hat wie Soja, Zucker, Eisenerz und Kupfer, sind weltweit gesunken. Die Folge sind sinkende Staatseinnahmen, steigende Verbraucherpreise, höhere Steuern und mehr Arbeitslose. Und die Währung verliert an Wert. 1€ kostete im Juni 2013 nur 2,90BRL, heute kostet 1€ schon 4,36BRL. Die neue Mittelschicht hat Angst vor dem erneuten Abstieg in die Armut.

Die Finanzwelt und die alten Eliten nutzen das aus. Sie schieben mit ihren Medien die Schuld auf die Präsidentin und die Arbeiterpartei (PT).

So sieht das heute Anfang 2016 aus der Sicht von Clovis und den MST-Aktivisten aus:
„Ich konnte nicht früher antworten. Unser Leben ist ein großes Rennen. Keiner wird sich vorstellen können, wie ermüdend die Arbeit für die Verteidigung der Ärmsten ist. Wir kriegen Kritik von den Eliten aus dem ganzen Land. Die Eliten revoltieren gegen ihren Machtverlust aber sie werden die Macht nicht wieder kriegen. Jetzt sind wir von der PT die Zielscheibe der Lügen und Verleumdungen von großen Teilen der rechten Putschisten, die das zusammen mit den besten Medien in Brasilien arti-kulieren. Sie raubten die Reichtümer Brasiliens und ließen das Volk in der Misere, ohne Recht auf einen Teller Essen. Niemals dachten wir, dass die Beseitigung des Hungers so einen Aufstand unter den Reichsten des Landes verursachen würde. Aber seit der Regierung der PT änderte sich diese Rea-lität. Wir verließen die Landkarte des Hungers. Tausende Unternehmen wurden gegründet. Lula und Dilma pflanzten das größte Hausbauprogramm der Welt ein mit dem Projekt Minha Vida - Minha Casa. Heute erhalten mehr als 13Millionen Familien BOLSA Familia, ein Grundeinkommen. Wir haben die höchste Zahl von Studierenden, die es je gab an den Unis dieses Landes, ohne noch zu sa-gen, dass 40 Millionen Menschen ihr Leben verbessert haben, in die Mittelschicht aufgestiegen sind. Aber unglücklicherweise greifen heute viele von diesen Menschen, die ihr Leben verbesserten, ge-täuscht von den Medien, unsere Regierung an zusammen mit dieser Elite, die nicht anerkennt, dass Arbeiter gleiche Rechte haben wie die Besitzer, dass Schwarze auf die Universität gehen.“

Aber Clovis und Baldomar müssen auf ihrem besetzten Land auch für die eigene Familie sorgen:
„Es ist eine große Freude, dass wir zusammen mit Vater und Mutter hier auf Saltinho sind, um Euch Nachrichten zu geben. Die Arbeit für die Feldbestellung war dieses Jahr sehr schwierig: sehr viel Re-gen in den Monaten Oktober, November, Dezember. Im Durchschnitt gibt es hier 120 bis 140 ml im Monat. Aber im Oktober hatten wir 680ml. Es war schwierig zu pflanzen. Aber jetzt sind unsere Pflanzen sehr schön.“

Wir hoffen sehr, dass die Programme zur Armutsbekämpfung weiter gehen.

Ihre

Renate und Hans Goswin Clemen




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