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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 139 - März/April 2016


Der Gott der Verunsicherung

Warum die Öffentlichkeit die Religion braucht – und die Religion die Öffentlichkeit

Festvortrag zum „Abend der Begegnung“ der Landeskirche Braunschweig am 9. Februar 2016 im Braunschweiger Dom

von Matthias Drobinski, Süddeutsche Zeitung, München
(Download als pdf hier)

Im Jahr 1782 veröffentlichte Johann Heinrich Gottlob von Justi seine „Grundsätze zur Policeywissenschaft“. Justi war ein typischer Vertreter des aufgeklärten Absolutismus. Der Rechtswissenschaftler hatte schon eine ganze Reihe von Posten bekleidet, ehe er 1755 Kammeral- und Polizeidirektor von Göttingen wurde - er war also ein Mann der Praxis. Die Polizeiwissenschaft, über die er schrieb, war viel mehr als das, was heute die Kriminalistik ist. Justi war eine Art früher Politikwissenschaftler, und sein Buch beschäftigte sich mit dem gesamten öffentlichen Leben. Im dritten Buch schreibt er darüber, wie wichtig eine gute Religion für das Funktionieren des Staates ist: „Die Religion hat großen Einfluss auf die Wohlfahrt des Staates. Die oberste Gewalt muss also auch Ihre Aufmerksamkeit und Vorsorge auf die Religion der Untertanen erstrecken.“ Allerdings, ohne den Gewissen der Untertanen Zwang anzutun. Der Staat müsse ein Interesse an frommen Bürgern haben. Eine „Religionspolicey“ solle dafür sorgen, dass „Ehrfurcht gegen die Gottheit, Gehorsam gegen die Gesetze, Treue gegen den Staat und sittlich gute Gesinnungen gegen ihre Mitbürger“ gepredigt würden.

Man kann das etwas salopp so zusammenfassen: Eine ordentliche Religion spart jede Menge Polizisten. Der kluge Landesherr sorgt dafür, dass die Kirchen in seinem Land voll sind, dass ordentlich gebetet wird und dass es keine Konflikte um den Glauben gibt. Er achtet darauf, dass die Pastoren anständig leben und keinen Anlass zur Klage geben. Denn je gottesfürchtiger seine Untertanen sind, desto weniger stehlen, betrügen, huren oder saufen sie, desto fleißiger arbeiten sie, desto besser kümmern sie sich um Alte, Kranke und Kinder. So ähnlich hatten 250 Jahre zuvor die Fürsten gedacht, die damals die Reformation unterstützten: Der neue Glaube passte bestens zur neuen Form der Landesherrschaft. Er legitimierte die Regentschaft der Regierenden. Er sorgte dafür, dass sich die Untertanen ganz ohne staatlichen Zwang als gute Bürger benahmen, dass sie arbeiteten, friedlich miteinander umgingen und gar nicht erst auf staatsgefährdende Gedanken kamen.

Letztlich wird meistens noch heute so die öffentliche Funktion von Religion begründet - natürlich in einer modernisierten Form: Die Religion hält die Menschen zusammen. Sie ist die dickste Säule, auf der die Zivilgesellschaft steht. Sie bringt die Menschen dazu, sozial zu denken und sozial zu handeln. Sie mildert und verhindert sozialer und kultureller Konflikte, sie bewahrt die Kultur und die Geschichte eines Landes. Sie schafft - neben anderen Kräften der Zivilgesellschaft -, die Grundvoraussetzungen für das Funktionieren einer Gesellschaft, die der Staat alleine mit Gesetzen, Justiz und Polizei nicht schaffen kann.

Und daran ist ja auch viel Wahres. Selbst wenn die Zahl der Kirchenmitglieder in den kommenden Jahren durch Austritte und den demographischen Wandel sinken wird: Die beiden großen Kirchen werden auf absehbare Zeit die größten gesellschaftlichen Gruppen dieses Landes bleiben. In ihren Kirchengemeinden werden sich so viele Menschen engagieren wie in sonst keiner anderen Institution, keinem Verein. In ihre Sonntagsgottesdienste werden Millionen Menschen kommen - derzeit sind es mehr als in die Stadien der Bundesliga. Die Kirchen werden ein wichtiger Arbeitgeber bleiben. Caritas und Diakonie werden weiterhin zahlreiche Krankenhäuser, Sozialstationen, Kindergärten betreiben. Und trotz aller Säkularisierung, trotz des häufig beklagten Wissensverlusts, was den christlichen Glauben und die christlich geprägte Kultur angeht: Der Vorrat an Deutungen und Zeichen in dieser Gesellschaft wird christlich bleiben. Ebenso der Boden, auf dem Kultur und Sinndeutung wachsen, bis hin zu der bei allem Gruseln erheiternden Blüte, dass die weitgehend säkularen und in Teilen dezidiert religionsfeindlichen Anhänger von Pegida in Dresden ausgerechnet das Abendland, und zwar das christliche, vor dem Islam retten wollen.

Alles das sind gute Gründe, in der Religion dezidiert keine Privatangelegenheit zu sehen, sondern ihre öffentliche Funktion zu bejahen. Es ist auch ein gewichtiges Argument, im Grundsatz das in der Bundesrepublik gewachsene Verhältnis von Staat und Religionen zu bewahren – auch wenn sich dort vieles neu begründen und auch einiges ändern muss, wenn die Zahl der Kirchenmitglieder sinkt, wenn der Einfluss der Institutionen zurück geht und eine neue Religion ihren Platz beansprucht: der Islam. Das spannungsvolle Miteinander von Staat und Religion hilft, fundamentalistische Einstellungen zu bekämpfen und den religiösen wie gesellschaftlichen Frieden im Land zu bewahren. In diesem Sinne geht tatsächlich ein roter Faden von Johann Heinrich Gottlob von Justis „Grundsätzen zur Policeywissenschaft“ hin zur Islamkonferenz der deutschen Bundesinnenminister Schäuble, Friedrich und de Maizière.

Ich möchte aber heute den Blick auf einen anderen Aspekt lenken. Ich denke, dass dieser Aspekt zunehmend bedeutsam und zukunftsweisend Für das Verhältnis von Kirchen und Staat, Religion und Öffentlichkeit, Glaube und Gesellschaft Sein wird. Verzeihen Sie bitte, wenn ich dabei theologisch vielleicht nicht immer exakt bin - aber sie haben sich ja auch einen Journalisten eingeladen, dessen Qualitätsmerkmal das gediegene Halbwissen ist, Wie es einmal mein journalistischer Lehrer Wolf Schneider gesagt hat. Sehen Sie, was ich sage, als Denkanstoß, der sie dazu bringt, weiter zu denken – und gerne auch zu widersprechen.

Ich möchte also ihren Blick auf die verunsichernde, die irritierende Seite Gottes lenken. Ich möchte Ihnen erklären, warum dieser verunsichernde Gott mindestens genauso wichtig ist für die öffentliche Funktionen von Religion, für das Spannungsverhältnis von Säkularität und Glaube, für Staat und Kirche ist wie das, was ich, ein bisschen despektierlich, einen Versicherungslauben nennen möchte – wobei ich besser gleich jetzt gestehe, dass ich persönlich durchaus Versicherungen abgeschlossen habe und dem Assekuranzgedanken nicht gänzlich abgeneigt bin. Ich denke aber trotzdem, dass es angebracht wäre, den Schwerpunkt stärker vom Versicherungs- zum Verunsicherungsglauben zu verlagern - gerade in einer Zeit, in der wir die Kehrseite der Globalisierung spüren wie vielleicht noch nie. Er ist Frage und Antwortversuch in eine Zeit hinein, in der vieles unsicher, schwankend, und nicht mehr vorhersehbar geworden ist.

Wenn man Menschen fragt, warum sie glauben, sprechen sie meistens über die versichernde Seite des Glaubens. Der Glaube hält Regeln für das Leben bereit, Im Christentum die zehn Gebote, Im Islam die Scharia, im Judentum die 613 Gebote, der fromme Orthodoxe befolgen soll. Selbst wenn man sich vielleicht nicht alle halten möchte, so sind diese Regeln doch Leitplanken für den Alltag. Sie sind es vor allem deshalb, weil der Grund dieser Versicherung für de Gläubigen tiefer reicht als jede Regel, die irgendjemand aufstellt, damit die Gesellschaft besser funktioniert: Es ist das unfassbare und voraussetzungslose Ja Gottes zum Menschen, ausgesprochen noch vor der Erschaffung jeglichen Lebens. Werde ich glauben kann, der fühlt sich gehalten von einer höheren Macht jenseits aller irdischen Mächte, geborgen in einer Welt jenseits dieser Welt. Der weiß: Ich kann nie tiefer fallen als in Gottes Hand.

Das alles ist gut so. Jeder, der schon einmal eine Lebensbruch erfahren hat, weiß, wie tröstlich und und hilfreich es ist, sich auch dann geborgen zu wissen, wenn die ganze Welt sich gegen einen zu verschwören scheint. Ich weiß, Wie wichtig diese sichernde Seite des Glaubens ist für Menschen, die das Schicksal geschlagen hat. Es gibt aber auch die andere Seite. Es gibt die existenzielle Unsicherheit, auf die sich jeder Mensch einlassen muss, der glaubt. Diese Seite wird aus meiner Sicht zu schnell zu Seite geschoben. Die Christen in Europa und auch in Deutschland hängen zu sehr der versichernden Seite des Glaubens an - vor allem, und das ist das Problem, ohne sich vorher der Verunsicherung ausgesetzt zu haben. Das hat auch Folgen für das Verhältnis von Kirchen und Staat, Religionen und Öffentlichkeit. Ich glaube, dass damit eine Chance vergeben wird: Das Potenzial einer Religion, zu einer menschlichen, friedliche und toleranten Gesellschaft beizutragen, wird verringert.

Zu glauben bedeutet ja grundsätzlich, sich auf eine existenzielle Unsicherheit einzulassen. Ich nehme hier am Beispiel des Christentums - es würde aber vergleichbar gut mit dem Judentum oder dem Islam funktionieren. Es soll also vor 2000 Jahren der Zenith der Zeiten gewesen sein, nach vier Milliarden Jahren Erd- und 200.000 Jahren Menschheitsgeschichte? Dies ist eine durchaus mutige Annahme. Von diesem Jesus, der da vor 2000 Jahren lebte, weiß man für eine antike Persönlichkeit verhältnismäßig viel, dieser Jesus scheint die Menschen fasziniert und beschäftigt zu haben. Trotzdem: wen er kannte, hat nicht über ihn geschrieben. Und wer über ihn geschrieben hat, der hat ihn nicht gekannt. Jeder Theologiestudent im ersten Semester kennt die Situation, wenn der Professor im bibelwissenschaftlichen Seminar ihm, manchmal mit einer gewissen Lust, alle lieb gewordenen Bibelstellen verleidet: Dies ist später hinzugefügt, dies hat wohl der Evangelist sich ausgedacht, na gut, dieser Halbsatz könnte tatsächlich von Jesus stammen. Der Glaube der Christen steht, was diese Form der Beweisbarkeit angeht, auf tönernen Füßen.

Religionen sind zu einer bestimmten Zeit aus einer bestimmten historischen Situation heraus entstanden. Sie waren nicht auf einmal einfach da, sie haben sich in all ihren Großartigkeiten, Abgründen und Widersprüchen entwickelt. Sie müssen über Wahrheit reden, das ist ihr Kern, aber sie müssen auch wissen, dass diese Wahrheit letztlich außerhalb der historischen Wirklichkeit liegt. Dies sollte ein bisschen misstrauisch machen gegen alle allzu selbstbewusst vorgetragenen Gewissheiten, gegen alle Versuche, den Glauben einer Religion gewissermaßen als vor allen Seite fest geschnürtes Paket zu sehen, das möglichst ungeöffnet von Generation zu Generation weitergegeben werden muss, weil sonst der Relativismus den Glauben schal werden lässt. Für die Christen kommt noch etwas anders hinzu: Dieser Jesus, nach christlichem Glaube Gottes Sohn, ist ein furchtbar Gescheiterter. Seine Botschaft vom liebenden Gott, erregte das Misstrauen der Obrigkeit, sein Zorn, der Satz, er sei der Sohn Gottes, galt als Blasphemie. Er wurde auf die grausamste in der Antike bekannte Art hingerichtet : Der Kreuzestod vernichtete nicht nur das Leben, er tötete auch die Würde des Hingerichteten. Dass dieser so furchtbar Gestorbene im Triumph aus dem Grab erstanden ist, dafür gibt es bis heute keinen Beleg. Mehr noch: Diese Auferstehung wäre gegen jede Wahrscheinlichkeit. Es gab nur diesen unerschütterlichen Glauben seiner Anhänger, und es gibt, gegen jede Wahrscheinlichkeit, die mehr als erstaunliche Tatsache, dass sich diese Glaubensgewissheit über 2000 Jahre hinweg gehalten hat.

Kann man, wenn das so ist, überhaupt noch glauben? Man kann, denke ich. Man kann, wenn man bereit ist, sich dem schwankenden Boden anzuvertrauen, der sich da einem anbietet. Ich gehe sogar einen Schritt weiter: Man kann nicht nur so glauben - es ist letztlich die reifere Form zu glauben. Denn es bedeutet, die Verunsicherung zu akzeptieren die sich da vor einem ausbreitet. Es bedeutet zu wissen, dass man da gerade mit bestenfalls zweitbesten Erkenntnismöglichkeiten über die letzten Dinge nachdenkt. Und dann erscheint einem Gott nicht als die himmlische Supernanny, die einem an der Hand durchs Leben führt, sondern, bei aller Solidarität mit seinen Geschöpfen, auch als fremder Gott, der einem unbegreiflich und auch unheimlich, gar abgründig bleiben muss. Der Glaube an einen fremden, gescheiterten Gott beschreibt die Paradoxie des christlichen Glaubens: Ohne Scheitern keine Erlösung, ohne Tod kein Leben, ohne Zweifel und Verzweiflung kein Glauben.

Das ist anstrengend, und die Versuchung ist natürlich groß, sich die Unsicherheiten und Irritationen ersparen zu wollen, gewissermaßen zu sagen: Mein Glaube ist fest, da wackelt nix. Aber den Glauben auf diese Weise vor allem als Versicherungsglauben zu sehen, der einem die Unwägbarkeiten des Lebens erspart oder zumindest abfedert, hat seine engen Grenzen. Und auch klare Gefahren: Ein reiner Versicherungsglaube funktionalisiert die Religion, wie es einst, in bester Absicht, der Policeywissenschaftler Johann Heinrich Gottlob von Justin tat. Er beruhigt bestenfalls oberflächlich. Häufiger aber lässt er einen ängstlich auf den Punkt starren, an dem er vielleicht nicht mehr funktionieren könnte. Er lässt einen unbeweglich werden und ans Angesparte denken, ob ans angesparte Heil des Einzelnen oder die Rücklagen der Landeskirche. Einem solchen Versicherungsglauben jagte zum Bespiel der junge Augustinermönch Martin Luther nach: Er betete, fastete, kasteite sich, immer in der Angst, dass alle seine Gebete und guten Werke nicht reichen könnten, dass Gott ihn deshalb beim Jüngsten Gericht gnadenlos zur ewigen Verdammnis verurteilen würde. Es gehört zu seinen wirklich großen Erkenntnissen, dass dies so nicht sein kann, weil Gott den Sünder, das Unvollkommene den Menschen in seiner Menschlichkeit zuerst angenommen hat.

Deshalb hat im Christentum das Unvollkommene seinen Platz, das Gebrochene, Leidende, Abgründige und Zweifelnde. Das Christentum kennt die dunkle Seite des Lebens. Es lässt sich auf diese Seite ein, weil es glaubt: Das Dunkle behält nicht das letzte Wort. Der schwankende Boden trägt. Dieses Verständnis von Glaube und Religion hat auch Folgen für das Verhältnis von Religion und Öffentlichkeit, für das institutionelle Selbstverständnis einer Kirche und für die Frage, wie Christen in Staat und Gesellschaft wirken, politisch wirken sollen.

Der Glaube an den irritierenden Gott bedeutet erstens, ich habe es bereits mehrmals angedeutet, Wahrheit als nie zu erreichtes Ziel einer immer doch notwendigen Suche zu begreifen. Man kann sie nicht besitzen, die Wahrheit, und eigentlich steckt diese Erkenntnis paradoxerweise in dem verärgerten Ausruf, dass da wohl jemand die Wahrheit gepachtet habe: Natürlich kann man die Wahrheit auch nicht in diesem Sinne pachten, dass man einen Preis bezahlt, und dann kann man einen Zaun ums Grundstück ziehen und alle anderen aussperren. Mir gefällt das Bild in einem anderen Sinn: Man kann das Feld beackern, das einem da auf Zeit überlassen wurde. Aber irgendwann muss man Rechenschaft geben, was man gesät und geerntet hat. Die Erkenntnis daraus müsste also lauten: Die Wahrheit gehört jemandem anders, nämlich Gott. Woran der Christ sich halten kann, ist die Zusage Gottes, dass die ehrliche und ernsthafte Suche nach der Wahrheit trotz aller menschlichen Grenzen nicht vergebens sein wird. Immer wenn die Christen dies missachSeitetet haben, waren die Folgen nicht schön für alle, die anders glaubten, als die jeweils obersten Interpreten und Hüter des Glaubens es taten. Oder, andersherum gesagt, war der Abgrund nicht fern, in den der Glaube führen kann. Andersherum hat diese Erkenntnis auch Christen immer wieder die Kraft gegeben, gegen innenweltliche Totalitäts- und Wahrheitsansprüche Widerstand zu leisten, die des Nationalsozialismus, die des Kommunismus, auch gegen jene, die die Herrschaft des Geldes religiös zu überhöhen sucht. Das ist ein wichtiges Wächteramt, das den Christen aufgetragen ist: Sie müssen immer dann widersprechen, wenn einer beansprucht, die Welt erklären und in ihrer Ganzheit deuten zu können, wenn einer mit einem Menschheitserlösungskonzept kommt.

Dieses Amt wird in den kommenden Jahren in ganz neuer Weise wichtig werden. Die alten und neuen totalitären und fundamentalistischen Versuchungen haben mit dem Internet ein ubiquitäres Medium gefunden. Man kann dort nicht nur sich seriös informieren und seriös informieren - wie wir Journalisten, in all unseren Grenzen, das zu tun versuchen. Man kann auch im Gegenteil Wahrheitskonstruktionen weltweit verfügbar machen, wie schräg oder auch menschenverachtend sie sein mögen - oder andersherum sich nur über das informieren, was ins eigene Wahrheitskonstrukt passt. Die Algorithmen der Suchmaschinen fördern diese Haltung: Wer einmal etwas über Chemtrails gegoogelt hat oder über kriminelle Flüchtlinge, der bekommt mehr und mehr Seiten über Chemtrails oder kriminelle Flüchtlinge präsentiert. Die Mathematik der Suchmaschinen ist auf die Fokussierung des Kunden auf seine Interessen angelegt und damit auf die Verengung seines Horizonts. Wem aber das Andere, das zum Zweifel und zur Irritation führen könnte, herausgefiltert wird, der setzt sich, seine Meinung, seine Glaubensgrundsätze absolut, und sieht sich in der weiten Welt des Netzes immer auch bestätigt. Viele der aggressiven, hasserfüllten Kommentare, die zur Zeit durchs die Foren und die Facebook-Debatten geistern, haben dieses Glaubenskonstrukt zur Grundlage.

Dagegen müssen nun, eine Ironie der Geschichte, die Christen und die Vertreter der organisierten Christenheit das Lob des Zweifels singen, gegen das Überhandnehmen der millionenfachen Unfehlbarkeitserklärungen und Verdammungen der Andersgläubigen und Skeptiker. Sie müssen Anwälte von Sätzen werden wie: „Könnte es sein, dass es auch anders ist?“ Und: „Ich weiß es nicht“. Und: Ich muss darüber nachdenken. Und auch: Es könnte sein, dass du recht hast. Sie müssen Anwälte des strittigen, aber auch fairen Diskurses werden. Ihre Aufgabe ist es, der Empörungsblase, die da gerade an Volumen gewinnt und gewinnt, die Luft rauszulassen. Sie müssen dem gegenwärtigen Bürgerkriegsgerede, das derzeit selbst respektable Philosophen wie Peter Sloterdijk und Botho Strauß ergriffen hat, ein paar Abrüstungssätze entgegensetzen: Es lohnt sich, um die Wahrheit zu streiten. Es schadet, in den intellektuellen Schützengraben zu springen. Und vielleicht wäre das Mal ein Thema für die schöne Fastenaktion „Sieben Wochen ohne“: Sieben Wochen ohne Besserwisserei und Welterklärertum“. Ein wahrhaft edler Verzicht.

Der Glaube an den Gott des Zweifels bedeutet zweitens, leidempfindlich zu werden. Der leidende, schwache, schutzbedürftige Mensch, die verletzliche Würde des Menschen ist der Maßstab der Suche, die ich gerade beschrieben habe. Von daher ist diese Suche, trotz aller Zweifel, nicht wahrheitslos - und vor allem ist sie dadurch nicht ziellos. Die Orientierung am Bedürftigen, Schwachen, Unvollkommenen ist ein Wesensmerkmal des Christlichen - gegen den Kult um die Vollkommenheit und den Erfolg der antiken Religion. Die evangelische wie die katholische Kirche haben diesen Gedanken in der Option für die Armen und dem Begriff der Beteiligungsgerechtigkeit zu zentralen Inhalten ihrer Sozialethiken und -lehren gemacht. Dies gehört zu den bedeutenden theologischen Erkenntnissen, die sich in den vergangenen dreißig, vierzig Jahren durchgesetzt haben. Dies hat auch Folgen für die Starken, Erfolgreichen und Wohlhabenden: Stärke, Erfolg und Wohlstand existieren nie um ihrer selbst willen. Sie sind nicht aus sich heraus Beweis der Zuneigung Gottes, sie sind im Gegenteil erst durch die Verpflichtung gerechtfertigt, Stärke, Erfolg und Wohlstand auch zugunsten der Schwachen einzusetzen. Diese Leidempfindlichkeit ist zudem ein wichtiges Merkmal des Christentums als Erinnerungsgemeinschaft, die das Vergangene und die Gegenwart verbindet. In Jesu Einsetzungswort „tut dies zu meinem Gedächtnis“ wird die Erinnerung an den leidenden, gefolterten Gott Gegenwart und mit ihm die Erinnerung an alle leidenden, gefolterten, ermordeten Menschen. Daran immer wieder öffentlich zu erinnern - auch das ist eine zentrale öffentliche Aufgabe der Christen. Sie wird es umso mehr, als auch im reichen Deutschland die Verteilungskonflikte zunehmen werden: zwischen Flüchtlingen und Obdachlosen, zwischen Millionen-Erben und prekär Beschäftigten. Auch zwischen gut ausgebildeten und fleißigen Menschen, die voller Empörung das Gefühl haben, sie bezahlten den Staat, und Menschen, die voller Zorn sind, weil sie nie eine richtige Chance auf eine Ausbildung, einen Job, ein einigermaßen bürgerliches Leben hatten. Und zwischen Alten, die jede Menge Rente und Gesundheitsversorgung kosten - und Jungen, die das nicht mehr unbedingt bezahlen wollen. Sie wird auch im weltweiten Maßstab umso wichtiger werden, je mehr die Menschheit tatsächlich eine globale Gemeinschaft mit globalen Chancen, aber auch globalen Problemen wird - was das heißt, spüren wir gerade.

Und so gehört drittens auch zum Wissen um die Grenzen der Glaubensgewissheit das Wissen um die Grenzen unseres eigenen Lebensweise und Lebensstils. Den nach den Anschlägen von Paris häufig gesprochenen und geschriebenen Satz, dass es nun gelte, unsere Werte und unsere Lebensweise zu verteidigen, habe ich mit innerem Zwiespalt gehört. Natürlich müssen die westlichen Länder ihre Bürger und ihren inneren Frieden schützen gegen Bombenleger und Selbstmordattentäter. Ja, sie müssen die Freiheit verteidigen, dass man unbesorgt in Konzerte und Cafés gehen kann und in Fußballstadien. Sie dürfen sich nicht von dem Schrecken beherrschen lassen, den Terroristen verbreiten wollen. Aber unsere westliche Lebensweise, auf die wir in vielem zu recht stolz sind, hat ihre Abgründe. Zu diesen Abgründen gehört, dass Näherinnen in Bangladesh in den Trümmern ihrer gegen alle Vorschriften erbauten Fabrik sterben, weil wir billige T-Shirts kaufen wollen, dass Menschen sterben in den Konflikten um den Abbau der so genannten Seltenen Erden, ohne die unsere Smartphones nicht funktionieren. Dazu gehört, dass wir zur Hebung unseres Wohlstands über Jahrzehnte bedenkenlos Öl und Kohle verfeuert und die Ressourcen dieser Erde verbraucht haben, sodass nun Millionen Menschen im buchstäblichen Sinn das Wasser bis zum Hals steht. Und dazu gehört, dass im Namen des Westens und der Freiheit Kriege geführt wurden, die den Menschen nicht Freiheit, Frieden und Demokratie brachten, sondern nur neues Leid und neuen Krieg. Auch in dieser Hinsicht haben die vielen Millionen Flüchtlinge, die derzeit durch die Welt irren, mit unserer Lebensweise zu tun, mit dem Widerspruch aus unseren guten Werten und den nicht immer guten Resultaten. Was rechtfertigt Eure Lebensweise, Euren Lebensstil? Diese Frage werden sich die so selbstgewissen Industrienationen in den kommenden Jahrzehnten sehr drängend fragen lassen müssen. Und wir werden die Frage uns bis in den persönlichen Bereich kritisch selber stellen müssen und, wenn wir ehrlich zu uns sind, zu dem unangenehmen Ergebnis kommen: In vielen Bereichen können wir nicht weiter so leben wie bisher.

Sich auf den rätselhaften und fremden Gott einzulassen heißt viertens, sich auf das Fremde einzulassen - und zwar im Bewusstsein des Eigenen. Die Begegnung mit dem Fremden, dem fremden Menschen wie auch fremden Situationen, Wegen und Lebensentwürfen wird in einer sich schnell wandelnden Welt unausweichlich zu unserem Alltag werden. Das Fremde ist uns nah geworden, auf den Pelz gerückt, näher, als wir es je gedacht hätten. Wie sehr, hat uns die Flüchtlingskrise gezeigt, wird uns die Flüchtlingskrise auch weiterhin zeigen, schmerzhaft zeigen. Auch vor dem Bürgerkrieg in Syrien waren Millionen Menschen zu Heimatlosen geworden, weit weg, in Afrika. Dann, nach dem Ende des Arabischen Frühlings, dem Zusammenbruch der Ordnungen in Libyen, Syrien und Teilen des Iraks, ist ein Teil dieser Flüchtlinge zu uns gekommen. Bei allen Problemen, die nun offenbar werden, bei allen Grenzen der Kapazitäten, die selbst in einem reichen Land wie Deutschland allmählich sichtbar werden: Ich bin nach wie vor stolz auf dieses Land und die Mehrheit seiner Bürger, wie Land und Bürger die Fremden aufgenommen haben. Ich bin stolz auf die Polizei, die diese Flüchtlinge menschlich behandelt, auf die angeblich so unbeweglichen Behörden, die sich auf Situationen eingestellt haben, von denen sie vor kurzem noch gar nicht wussten, dass es se überhaupt geben könnte, auf jene 10,9 Prozent der Deutschen, die, wie das Sozialwissenschaftliche Institut der Evangelischen Kirche herausgefunden hat, konkret um die Angekommenen kümmern, ob in der Kleiderkammer oder im Sprachkurs - das sind mehr, als sich in den Sportvereinen des Landes engagieren. Wir leben in einem Land, in dem die Institutionen funktionieren, in dem auch die demokratische Kultur funktioniert, selbst in Krisenzeiten. Auch das sollte man immer wieder mal sagen.

Die Willkommensparty, die vergangenen Spätsommer in vielen deutschen Städten und ganz besonders in meiner Heimatstadt München stattfand, war gut und wichtig - man braucht solche Feste, um sich an sie zu erinnern, wenn es schwierig wird und die Mühen der Ebene kommen. Ein Verunsicherungsglaube weiß aber auch, dass dies nie die ganze Wahrheit sein kann. Die Begegnung mit dem Fremden ist immer eine Zumutung - die Begegnung mit den eigenen fremden Seiten und die Begegnung mit dem fremden Menschen. Die Zumutungen werden in den kommenden Jahren für beide Seiten groß sein, für die neu Gekommenen wie für die Einheimischen. Die Alteingesessenen werden respektieren müssen, dass Menschen mit ihrer eigenen Religion und ihren eigenen Sitten und Weltsichten kommen - die Neuen werden respektieren müssen, dass Religion, Sitten und Weltsichten ihre Grenzen in den Grundrechten und den Gesetzen des Landes haben und dass sie auf Dauer nicht in Distanz zu einer freiheitlichen und pluralen Gesellschaft werden leben können. Die Stärke einer demokratisch verfassten Gesellschaft wird sich darin zeigen, dass sie diese Zumutungen ebenso einfordert wie aushält. Sie wird das umso eher schaffen, wie sie sich der eigenen Wurzeln und Grundlagen bewusst ist. So, wie ein Ichstarker Mensch in der Begegnung mit dem Fremden eher eine Chance als ein Risiko sieht, wohingegen einer mit Identitätsproblemen dazu neigt, dem Fremden feindlich gegenüber zu stehen, so ist es auch mit der Gesellschaft, dem Start insgesamt. Und so wagt auch ein reifer Glauben, der dem schwankenden Boden traut, eher die Begegnung mit dem Unbekannten. Dem Fremden zu begegnen und selber fremd zu sein gehört schließlich zu den Grunderfahrungen der jüdischen wie christlichen Geschichte. Beiden Religionen hat Gott mit auf den Weg gegeben: „Du sollst den Fremdling nicht bedrücken, denn ihr seid auch Fremdling gewesenem Ägyptenland.“

Es bedarf also die alte Linie es staatlich geförderten Versicherungsglaubens, wie ihn vor 234 Jahren der Polizeidirektor Heinrich Gottlob von Justi formulierte, dringend der Ergänzung. Es braucht im Verhältnis von Staat und Kirchen, von Religionen und Öffentlichkeit eine durchaus bedeutende Akzentverschiebung. Ja, die Kirchen werden noch lange dafür sorgen, dass, salopp gesagt, der Laden läuft, Gott sei Dank. Sie werden aber zunehmend Verunsicherungs-, Irritations- und Einspruchskraft sein müssen - um ihrer selbst willen und um der Gesellschaft willen, in der und aus der heraus diese Kirchen leben. Um der Kirchen selber willen, weil eben der Einspruch und die Verunsicherung der weltlichen Maßstäbe ihrem Auftrag entspricht, von der Wirklichkeit jenseits dieser Wirklichkeit zu künden und von der Inkarnation Gottes in diese Welt, die alle menschlichen, weltlichen, staatlichen Maßstäbe vorläufig und zweitletzte sein lässt. Und dann aber auch, weil ihre Rolle als, zugespitzt gesagt, Versicherungsagentur des Staates an die institutionelle Stärke der Kirchen gebunden ist, an ihre Fähigkeit, die Gesellschaft möglichst weitgehend zu durchdringen und zu formieren. Diese Fähigkeit wird abnehmen, weil die Zahl der Kirchenmitglieder zurückgehen, die Bindungskraft von Institutionen insgesamt schwinden wird. Und entsprechend wird, wenn die Kirchen trotzdem ihre alte institutionelle Stärke halten wollen, die Versuchung stärker werden, um sich selber zu kreisen, sich narzisstisch die Frage zu stellen, wie man rüberkommt bei den Leuten, die Institution zu heiligen und nicht Gott.

Sie merken, wem ich an dieser Stelle viele Impulse verdanke: Es ist Jorge Mario Bergoglio, seit nunmehr fast drei Jahren Papst Franziskus. Eine Kirche, die narzisstisch um sich selber kreist, wird krank, hat er gesagt. Gesund kann sie nur sein, wenn sie zu den Menschen geht, bei den Verwundeten des Lebens ist, wenn immer dort Einspruch erhebt, wo der Mensch zum Objekt des Menschen wird, zur ökonomischen Größe, ohne auf die Frage Rücksicht zu nehmen, ob ihr das im augenblicklichen politischen Gefüge nutzt oder schadet. Die Kirche erfüllt ihren Auftrag nicht, wenn sie ängstlich ihren Besitzstand wahrt, sondern wenn sie sich auf den Menschen einlässt, wenn sie Barmherzigkeit lehrt und übt, die Anarchie der Liebe Gottes. Ich glaube, dass dies auch für die Kirchen in Deutschland gilt, ob katholisch oder evangelisch. Und ich merke an den Reaktionen vieler mehr und auch weniger gläubiger Menschen, denen ich begegne, dass diese Haltung des Papstes die Menschen beeindruckt, über die Grenzen der Institution hinaus. Ja, es ist ein historisches ökumenisches Ereignis, dass dieser Papst am 31. Oktober 2016, zum Beginn des großen Reformationsgedenkens, nach Lund in Schweden zum Lutherischen Weltbund fährt, der dort seinen Gründungstag vor 70 Jahren feiert. Ich halte es aber für die noch größere ökumenische Leistung, die christlichen Kirchen daran erinnert zu haben, dass sie sich lieber institutionell verbeulen und verschrammen lassen sollen, als nicht dort zu sein, wo das Leben gelebt wird. Wenn Gott alle menschlichen Maßstäbe über den Haufen wirft - dann müssen auch die Kirchen bereit sein, immer wieder dies zu tun und zu fragen: Dient das dem Leben, dient das dem Menschen?

Diese Verunsicherungskraft der christlichen Kirchen wird auch für den Staat an Bedeutung gewinnen. Er selber kann ja nicht der oberste Verunsicherer sein, im Gegenteil. Er muss Sicherheit bieten, das ist eine seiner Kernaufgaben: Rechtssicherheit nach innen und gegenüber äußeren Vertragspartnern, Sicherheit gegenüber möglichen Feinden von außen und von innen, den Schutz vor Kriminalität, die Sicherheit der öffentlichen Plätze, der Kranken- und der Rentenversicherung. Er braucht aber Kräfte, die die Grenzen dieses Sicherheitsdenkens aufzeigen. Es braucht Kräfte, die auf andere Wirklichkeiten hinweisen - die der Versuchung des Staates entgegenwirken, sich selber absolut zu setzen. Der Staat selber kann das nicht tun. Er braucht jemanden, der das für ihn, innerhalb seines Geltungsbereich - und manchmal auch gegen die dort Handelnden tut. Das können und dürfen nicht die Kirchen allein und mit Exklusivitätsgarantie versehen sein - wie gesagt, auch Journalisten gehören, neue vielen anderen Gruppen zu der Spezies, die verunsichern, aber auch sich selbe verunsichern lassen sollen. Die Kirchen sind jedoch die größten Gruppen, die dies tun können - und sie haben einen besonderen Grund dazu, den ich gerade beschrieben habe. Der Staat braucht diese Verunsicherungskraft umso mehr, als dass ja auch die Garantien des Staates selber zunehmend vorläufig werden, die Versprechen der Politik brüchig, die Vorhersagen der Akteure, die Journalisten eingeschlossen, von begrenzter Reichweite. Wir tasten uns voran, wir irren, gehen zurück, suchen einen neuen Pfad. Es bleibt wenig anders übrig, bei all dem, was auf das Land einstürmt: Die Flüchtlinge sind da, und ein kalter Krieg mit Russland droht auch. Ob der Euro hält oder Europa - und ob unsere paar Bemühungen reichen, das Weltklima wenigstens einigermaßen im Gleichgewicht zu halten, das alles weiß niemand.

Im Grunde ist diese politische Lage im Land nicht sehr anders als die Situation des zweifelnden Gläubigen: Er weiß, dass alles schwankt, dass alle Sicherheiten begrenzt sind. Aber er vertraut darauf, dass dieser schwankende Boden hält. Vielleicht war das der Fehler jenes denkwürdigen Herbstes 2015: Bundeskanzlerin Angela Merkels Satz „Wir schaffen das“ war ein Versicherungssatz. Ihm fehlte der notwendige Zusatz: Wir schaffen das - mit einer großen gemeinsamen Anstrengung; wenn wir uns auf die Unwägbarkeiten einlassen, die da auf uns zukommen; auch wenn wir nicht alle Probleme in den Griff bekommen werden. Und wir, die wir hier stehen, werden wahrscheinlich gar nicht mehr mitbekommen, ob es geklappt hat oder nicht. Es fehlte in diesen Tagen der Zweifel, die notwendige Irritation, wohl auch bei uns Journalisten. Und viele Menschen merkten das - und ihr Misstrauen wuchs. In Wahrheit ist es nämlich eine große Stärke, die Unsicherheit zugeben zu können, in der alle Handelnden und Schreibenden in dieser Zeit stecken. Nur müssen wir da alle noch ein bisschen lernen.

Journalisten werden, wenn sie zu solchen Reden eingeladen werden oft nach Rezepten gefragt. Sie merken, dass es mir schwer fällt, ihnen jetzt welche da zu lassen. Die irritierende Seite Gottes zu betonen beantwortet ja nicht selbstredend die Frage, ob es eine Obergrenze für Flüchtlinge im Land geben soll oder nicht. Ich selber denke, dass aus dem Gesagten hervorgeht, dass es keine geben darf, weil man, denkt man dies in aller Konsequenz zu ende, man zumindest in der Nähe der Petry’schen Schießbefehldebatte landet. So viel Mut zur Wahrheit muss sein. Aber kann ich mir bis da bis ins letzte sicher sein? Nein, das kann ich nicht. So viel Irritation muss ich mir selber zumuten. Ich kann bestenfalls eine Haltung anbieten beim Pfadfinden, eine große Richtungsangabe beim Versuch, das Nadelöhr zu finden, durch das wir, die Reichen, die - heilsgeschichtlich gesehen - Kamele doch noch ins Himmelreich schlüpfen könnten. Es wäre, wenn ich mich richtig verständlich gemacht habe, eine Haltung, die versucht, sich auf den schwankenden Boden voller Vertrauen, ich sage: Gottvertrauen einzulassen, gut gelaunt einzulassen. Es wäre der Versuch, das Menschliche vom Unmenschlichen zu trennen, die Zynismen und die Doppelbödigkeiten zu enttarnen. Es wäre der Gegenentwurf zu den wachsenden Fundamentalismen im Land, gegen die millionenfache Absolutsetzung einer bestimmten Glaubensform oder der letzten Google-Suche selbstgebastelten Meinung. Es wäre ein fröhlicher Glaube, dass man die letzte Wahrheit getrost den Instanzen im Jenseits überlassen kann - gegen all die Verhärtung im Land, die da zu wachsen scheinen. In diesem Sinne: Lassen wir uns verunsichern in diesem Jahr!




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