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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 140 - Dezember 2016


Hans Jürgen Kalberlah (1924-2016)

von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

Hans Jürgen Kalberlah gehörte zu den Außenseitern in der Landeskirche, obwohl seine Familie fest in der Geschichte unserer Landeskirche verwurzelt war. Sein Großvater Gustav (1863-1937) war Pfarrer zuerst in Boffzen, dann in Alvesse. Im großen Pfarrgarten von Boffzen steht eine Bank, auf der Wilhelm Raabe gesessen und meditiert hat. In Alvesse, von 1901-1936, erlebte Gustav Kalberlah Kaiserzeit, Weimarer Republik und erste Hälfte Nazizeit. In seinem Aufsatz über die religiösen Wurzeln der völkischen Bewegung, auf deutsche des Nationalsozialismus, sprach sich der 68jährigr Kalberlah gegen eine Zusammenarbeit mit den Nazis aus, wie es viele seiner Amtsbrüder vorgeschlagen hatten.

Sein Sohn Gerhard Kalberlah (1892 - 1977), in Boffzen geboren, war Dorfpfarrer in Sauingen und die längste Zeit (1929-1958) an der Braunschweiger Jakobikirche. Zusammen mit dem Johannispfarrer und späteren Propst Otto Jürgens bildeten beide ein stabiles Gespann zur Wahrung lutherischer, braunschweiger Kircheninteressen, zunächst im braunen Fahrwasser, sehr rasch dann auch im Gegenwind. Immerhin war Gerhard Kalberlah unter Propst Leistikow stellvertretender Propst geworden und blieb es über 1945 hinaus. Genervt kam G. Kalberlah nach Hause, wenn der beurlaubte OLKR Breust als verlängerter Arm der Nazis im LKA im Stadtkirchenamt auftauchte und von dort seine Rückkehr in die Behörde betrieb. Klaus Jürgens hat über G. Kalberlah im Braunschweiger Biografischen Lexikon (S. 312) ein Lebensbild verfasst.

Der Vater hätte zu gerne, dass sein Sohn Hans Jürgen (geb. 1924 in Sauingen) auch Pfarrer in der Stadt Braunschweig, vielleicht sogar an St. Jakobi geworden wäre. Aber Hans Jürgen Kalberlah wurde nach dem Theologiestudium und den beiden Examina nach Lunsen/Thedinghausen beordert. Von dort ging das Ehepaar in die Aufbaugemeinde Neue Vahr in der Bremer Kirche. Dort wurde H.J. Kalberlah stellvertretender Schriftführer, d.i. so was wie in lutherischen Landeskirchen stellvertretender Bischof.
In Bremen kam es zu einer ziemlich einmaligen schöpferischen Zusammenarbeit mit Uwe Gronostay, auch einem Braunschweiger, als jungen Organisten sogar an Jakobi, der einen weit bekannten Figuralchor gründete, und dort in der Aufbaugemeinde große Werke bis zur h-moll Messe aufführte. Bei der Beerdigung von Kalberlah wurde die Motette „Unser Leben ist ein Schatten“, in jener Bremer Zeit aufgenommen, gespielt. Von Bremen ging dann das Ehepaar Gronostay nach Berlin, wo U. Gronostay zunächst den RIAS Kammerchor leitete, dann den Philharmonischen Chor und Hochschulprofessor wurde.

1973 erreichte Kalberlah der Ruf, sich um das Propstamt in Goslar zu bewerben. Bischof Heintze kam persönlich nach Bremen und zählte dem Kandidaten sämtliche Gemeinden zusamt ihren Pfarrstellenbewerbern auf. Kalberlah wurde am 14.1.1973 von der Propsteisynode als Nachfolger von Karl Adolf v. Schwartz gewählt.

Wer aus Bremen kam, galt in unserer kleinbürgerlichen Landeskirche als „links“. Das traf auf das Ehepaar Kalberlah nun wirklich nicht zu. In der ersten Sitzung der Marktkirchengemeinde hielt man ihm jedoch entgegen: „Wir haben Sie nicht gewählt“. Das traf formal zwar zu, denn der Propste wurde von der Propsteisynode gewählt, aber es signalisierte die Vorurteile gegenüber allem, was aus Bremen, der „roten Kaderschmiede“, kam. Als linkslastig galt vielen auch der Kirchentag. Kalberlah war ein begeisterter Teilnehmer der Kirchentage, aber zu seiner Zeit wurde der Kirchentag als „verdächtige“ Organisation vom Verfassungsschutz „beobachtet“. Ihn begeisterten vor allem die neuen Kirchenlieder und die neuen gottesdienstlichen Entwürfe. Er wurde von der Liturgischen Konferenz Niedersachsens zum Vorsitzenden gewählt.

In der Propstei Goslar war ihm der familiäre Zusammenhalt der Pfarrerschaft wichtig. Und er sah über die konfessionellen Grenzen hinweg und inszenierte eine brüderliche Zusammenarbeit mit den römisch-katholischen Kollegen. Der katholische Pfarrer Herbst predigte am Reformationsfest in der Marktkirche, Kalberlah am Bußtag in der kath. Jakobikirche.

Kalberlah unterrichtete im Predigerseminar und prüfte auch in den theologischen Prüfungen die Vikare. Das entschied über die Einstellung in die Landeskirche. Als ein langmähniger Vikar linkes odeur verströmte, erklärte der Systematische Theologie prüfende Armin Kraft, auch CDU Mitglied, er werde ihm ein Prüfungsnote sechs geben. Damit wäre ein Weiterkommen in der Landeskirche verhindert gewesen. Darauf erklärte der Liturgik prüfende Propst Kalberlah, dann werde er ihm in Praktischer Theologie die Prüfungsnote eins geben. Der dergestalt zu Prüfende ist heute Professor in Hamburg. Das sind zwar nur „Geschichtchen“ aus dem mündlich tradierten Nähkästchen unserer Landeskirche, für den Einzelnen jedoch einschneidende Begebenheiten. Als ein anderer amtierender Dorfpfarrer wegen angeblichem Linksdrall aus seiner Gemeinde gehievt werden sollte, übernahm Propst Kalberlah unerschrocken die Verteidigung und donnerte am Ende seines Plädoyers die Richter an: „Ich schäme mich für die Landeskirche“. Der Dorfpfarrer blieb.
Kalberlah vertrat solche Positionen auch in der Landessynode, in der er auch als „links“ verschrieen war.

Einen beträchtlichen Einfluss übte Kalberlah in der Agendenkommission aus, die zusammen mit Eberhard Borrmann erhebliche Vorschläge für das neue Evangelische Gesangbuch machte. Als die Agendenkommission Vorschläge für Segnungsgottesdienste u.a. aus Anlass eines Schulanfängergottesdienstes, einer Verabschiedung in den Ruhestand, aus Anlass einer Ehescheidung erarbeitete und veröffentlichte, löste das Landeskirchenamt die Agendenkommission kurzer Hand auf und erklärte, diese habe dem zuständigen Oberlandeskirchenrat Kollmar zuzuarbeiten.
Es war ein weit verzweigtes kirchenreformerisches Engagement, mit dem Kalberlah in unserer Landeskirche wirkte.

Seine Frau Gertrud Knoop teilte auf eine geradezu diakonische und heute unvorstellbar selbstlose Weise ganz selbstverständlich seine pfarramtliche Arbeit. Sie hatten sich schon in der Jakobigemeinde kennengelernt und in ihren Eheringen war das Oktoberdatum 1944 eingraviert, als beide in der Braunschweiger Feuersturmnacht das brennende Pfarrhaus Jakobi retteten. Dann wurden sie durch den Kriegseinsatz von Hans Jürgen Kalberlah getrennt. Er war bei der Marine, zuletzt als Funker tätig. Über diese Zeit wurde nicht gesprochen. Sie heirateten 1949. Der große gemeinsame Schmerz war 1964 der Tod ihres 13 jährigen Sohnes. Nach seiner Emeritierung Anfang 1988 verlebten sie einen von vielen Bekannten und Freunden begleiteten Ruhestand in Braunschweig.

Gertrud Kalberlah starb überraschend 2005.

Er zog noch einmal um und überlebte sie elf Jahre, seine runden Geburtstage für Bekannte und Freunde festlich selbst gestaltend. Er blieb interessiert bis ins letzte Lebensjahr, bis sein Leben sichtlich erlosch. Er verstarb am 13. September 2016 im Augustinum.
Beim Trauergottesdienst für Hans Jürgen Kalberlah wurde „Lobe den Herrn“, „Befiehl du deine Wege“ und „Morgenglanz der Ewigkeit“ gesungen. Die Predigt hielt die Pastorin des Augustinums Frau Pastorin Inka Baumann.




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