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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 140 - Dezember 2016


Eckhart Neander (1934-2016)

von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

Zu den Kirchenmitgliedern, die sich neben Arbeit und Familie unermüdlich zeit ihres Lebens für die Kirchengemeinde am Ort eingesetzt haben, gehört Eckhart Neander. Neander war Anfang der 70er Jahre Vorsitzender des Kirchenvorstandes der Wicherngemeinde, nach seinem Umzug in die Innenstadt Mitglied des Kirchenvorstandes Magni, nach dem Umzug in die Pauligemeinde berichtete er regelmäßig dem Kirchenvorstand Pauli über die Vorgänge in der Landessynode, der er angehörte.

Man hörte es an seinem leicht kantigen Dialekt, dass er kein gebürtiger Braunschweiger war. Neander stammte aus Lettland, den baltischen Ländern zugehörig, die Traueranzeige nannte die Stadt Jelgava als Geburtsort, manchem eher noch bekannt unter dem Namen Mitau, der von den Villen des deutschen baltischen Adels geprägten ehemaligen Hauptstadt Kurlands. Hier war sein Vater Pfarrer, in einem bis in die Jahrhunderte zurückreichenden Pastorengeschlecht. Im Braunschweigischen war der Vorfahre Christoph Friedrich Neander (1724-1802) bekannt durch seine 35 Gesangbuchlieder, die im „Neuen Braunschweigischen Gesangbuch“ standen, seinerzeit moderne Lieder der Aufklärung, die der Reform 1902 zum Opfer fielen. In diesem traditionsbewussten baltischen Pfarrhaus wuchs Eckhart mit fünf weiteren Geschwistern auf. Sie mussten ihre Heimat in Folge des verbrecherischen Hitler-Stalin Paktes 1939 verlassen und wurden in den sog. Warthegau zwangsumgesiedelt, richtiger: nach Polen, die ihrerseits nun vertrieben wurde. Es war ein elendes Flüchtlingsdrama, dessen Geschichte sich Neander als langjähriges Mitglied der Deutsch-baltschen Gesellschaft annahm und den Dokumentarband der Tagung der Ostmitteleuropaforschung „Deutschland – Polen 1939-1945 im Warthegau“ zusammen mit Andrzej Sakson herausbrachte und ein Grußwort verfasste.

Nach 1945 flüchtete die Familie erneut und zwar von Gnesen nach Altenbruch bei Cuxhaven. Eckhart Neander beendete die jahrhundertealte Theologengeneration, studierte in Berlin und Göttingen Landwirtschaft, promovierte am Institut für landwirtschaftliche Betriebslehre und veröffentlichte einen Teil seiner Dissertation unter dem Titel „Produktionsverfahren der Rindfleischerzeugung und ihre betriebswirtschaftliche Beurteilung“. Nach seiner Habilitation kam die vierköpfige Familie 1967 nach Braunschweig, und er erhielt 1972 mit einem eigenen Institut für Strukturforschung eine Professur innerhalb der Forschungsanstalt für Landwirtschaft (FAL), dessen Direktor er zeitweilig war. Bei der Beerdigung sagte der vor mir stehende jüngere Herr, bei Prof. Neander sei ihm die Übereinstimmung von Lehre und Leben so eindrücklich gewesen.

Großen Anteil nahm die Wicherngemeinde am frühen Tod seiner Ehefrau 1979. 1981 heiratete Neander Hildegurd Großmann. Neander wirkte durch die zurückhaltende Art seiner Frömmigkeit anziehend, und er wurde daher immer wieder um Mitarbeit gebeten in den Kirchenvorständen, in der Propsteisynode, deren Vorsitzender er war, in der Landessynode. Jugendlichen Spaß am Lesen zu machen, alte Menschen noch Bewegungsmöglichkeit zu schaffen – so kannte ihn seine unmittelbare Umgebung im Ruhestand und immer wieder den Blick in die Heimat, auf die Straßenkinder in Riga, für die er Kleidung sammelte und transportierte, mehrfach im Jahr. Ohne den so oft verderblichen Drang in die Öffentlichkeit. Gut biblisch wusste seine Linke nicht, was die Rechte tut. Die Kollekte war für den Girgensohn-Aderkas-Fonds (Lettlandhilfe) bestimmt.

Im Januar war Eckhart Neander 82 Jahre geworden und ist am 23. November verstorben. Die Predigt hielt Pfr. Michael Gerloff, der die Familie Neander aus seiner Wichern- und Paulizeit her kannte. In der Trauerannonce schloss sich die Familie mit dem verstorbenen Vater zusammen in der Zusage des aronitischen Segens. „Mit der Zusage „Der Herr segne Dich und behüte Dich. Er lasse ein Angesicht leuchten über dir und sei Dir gnädig“, viele Male vom irdischen Vater zugesprochen, vertrauen wir Eckhart Neander und uns dem himmlischen Vater an..“ Auf eine berührende Weise erlebte die Gemeinde die Wiederkehr dieses Segens am Ende des Dankgottesdienstes – so hatte es Neander, wie auch die Danklieder, selber bestimmt - durch das Kinderlied „Segne und behüte uns durch deine Güte“, das in keinem Braunschweiger Gesangbuch steht, aber das alle von dem Liederzettel mit seiner schlichten Melodie mitsingen konnten. Es stand im lettischen und deutschsprachigen Gesangbuch unter Geistliche Volkslieder und beschloss in der Regel den dortigen Kindergottesdienst. Da lebte baltische, östliche Frömmigkeit in dieser doch so anderen Landeskirche auf.




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