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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 140 - Dezember 2016


Besprechungen von und Anmerkungen zu dem Buch "Die Geschichte der Perikopenrevision"

von Thomas Waubke, Pfarrer in Badenhausen
(Download als pdf hier)

Ich gebe zu: Hätte ich Dietrich Kuessners: „Die Geschichte der Revision der biblischen Lesungen - Perikopen – im Gottesdienst der Braunschweigischen Landeskirche in den Jahren 1852 – 1890“ (ein doch recht sperriger Titel) nur so als Ankündigung vorgefunden, ich hätte es mit Verdacht auf kirchenhistorisches Nischenwissen gedanklich bei Seite gelegt. Nun aber ist dieses Opus im Nachgang einer Diskussion entstanden, die wir mit Dietrich Kuessner im Pfarrkonvent Gandersheim – Seesen hatten. Man erlebte dort einen Menschen, dem das Herz brennt für die Präsenz und Kontinuität biblischer Verkündigung, die in Jahresperikopen geordnet, einen ganz anderen poetischen und elementaren Rhythmus vorgibt und anbietet, als ihn auch das Arbeitsjahr von uns Pfarrersleuten bietet. Ich gebe zu, dass nicht nur der Tag der Beschneidung Christi in unseren Gemeinden untergegangen ist und mutmaßlich auch nicht wieder hervorkommt. Wenn Kuessner über Perikopen spricht und schreibt, bleibt es spannend, weil man gezwungen ist, den eigenen Umgang mit biblischen Texten im Gottesdienst zu hinterfragen. Wie viele Sondergottesdienste gibt es, bei denen die perikopenmässig gesetzte Lesung bei Seite geschoben wird (und haben wir nicht oft gute Gründe, es zu tun)? Was nützt die Regelmäßigkeit der Lesung, wenn der Gottesdienstbesuch oft so schlapp ist? Die Entscheidung über die Lesungen und Predigttexte findet – so möchte ich unterstellen – doch oft im einsamen pastoralen Nachdenken statt – und da leistet Kuessners Buch ausgezeichnete Gesellschaft, um die Parameter des eigenen Nachdenkens neu zu justieren.

Schon während der Aufklärung war die Perikopenordnung schon einmal sehr locker geworden. Kuessner berichtet, dass es 1832 aus der Braunschweiger Pfarrerschaft massive Klagen über „Schlaffheit“ der Gemeinden und die in den „höheren Ständen sehr weit verbreiteten unkirchlichen Zeitgeist“ (wie tröstlich, diese Aussage im Zeitspiegel wirkt) gibt, die auf Reformen auch des veralteten Gottesdienstes drängen. Als 1848 eine große Revision anstand, gab es einerseits den Widerstand derer, die Angst hatten, dass Kerntexte in Vergessenheit geraten. Andererseits den seit 50 Jahren tätigen Kollegen, der gesteht, dass er nach 50 Jahren Tätigkeit müde geworden ist, den alten Perikopen neue Seiten abzugewinnen und froh ist über den neuen Wind. Erstaunlich, dass man sich damals 26 Jahre Zeit nahm, um in Ruhe eine gute Ordnung zu finden und schockierend, dass 1949 Christhard Mahrenholz im Handstreich dafür sorgte, dass übereinige Jahrzehnte die alttestamentliche Lesereihe aus den lutherischen Perikopen verschwand.

Ich wusste auch nicht, dass es schon im 19. Jahrhundert in vielen Gemeinden gute Sitten war, die Predigttexte im Gesangbuch mit lesen zu können.

Also: Kuessner bietet anhand der Perikopengeschichte einen tiefen Einblick in die Frömmigkeitsgeschichte des Braunschweiger Landes, mit der sich auseinanderzusetzen für mich in meinem liturgischen Dienst hilfreich, bereichernd und entlastend ist (es gibt unsere Kirche und die Gottesdienste bis heute, das Wort Gottes setzt sich durch bei und trotz allem). Dass es historisch mit Lebensumständen der Pfarrerschaft, biographischen Skizzen und ausführlicher Auflistung der Pfarrer der damaligen Zeit, ein echter Kuessner ist – akribisch genau und doch gut zu lesen.




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