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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 140 - Dezember 2016


Bericht über die Entstehung und Anfangsphase des Refugiums/ Flüchtlingshilfe
bei der 30 Jahrfeier des Refugiums am 28.10.2016

von Herbert Erchinger
(Download als pdf hier)

Liebes Refugium
Ich erinnere mich noch genau, wie es losging. Als damaliger Gemeindepfarrer ging ich am Sonntag morgen frühzeitig zur Paulikirche und war total überrascht. Schon lange vor dem Gottesdienst saßen 20-30 dunkelhäutige Menschen andächtig in der Kirche auf den Bänken. In aller Stille, oft mit geschlossenen Augen. Ich sprach sie vorsichtig an. Auf Englisch konnte ich mit ihnen reden. Es waren Tamilen aus Sri Lanka (Ceylon), die vor dem dortigen Bürgerkrieg zwischen Tamilen und Singhalesen geflohen waren. Irgendwie konnten sie nach Ostberlin in die damalige DDR fliegen. Dort wurden sie gleich per S-Bahn nach West-Berlin abgeschoben und fuhren dann vom Bahnhof Zoo aus in den Westen. So landeten viele in Braunschweig und wurden in der Husarenkaserne am Altewiekring untergebracht. Da die Tamilen oft sehr religiöse Hindus sind, suchten sie Zuflucht in der nahen Paulikirche. Hindus sind ja religiös sehr flexibel, kennen viele Götter und können auch eine christliche Kirche akzeptieren. Hauptsache Stille, Gebet und Meditation.
Für mich und viele in der Pauligemeinde war das ein großes Erlebnis jeden Sonntag wieder: Globalisierung in der Paulikirche, wer hätte das gedacht! „Machet die Tore weit und die Türen in der Welt hoch!“Ich begann den Gottesdienst nun immer mit einer englischen Begrüßung. Spontan wurden die Tamilen nach dem Gottesdienst zum Kaffee eingeladen. Wir ließen sie auch ihre Fluchtgeschichte erzählen und sie baten um Hilfe.

So entstand die Flüchtlingshilfe Refugium. Denn manche Gemeindeglieder begleiteten die Flüchtlinge bei Behördengängen, Arztbesuchen und Einkäufen. Ich erinnere mich auch an einen bald folgenden Adventsgottesdienst über die Flüchtlingshilfe. Wir bauten vor dem Altar einen großen Grenz-Schlagbaum auf. Im Gottesdienst sangen wir dann begeistert das Lied „Macht hoch die Tür“ , öffneten den Schlagbaum und leiteten so zum Thema der Willkommens-Bereitschaft über. Heute muss ich darüber schmunzeln, aber es zeigt unsere damalige Begeisterung, für Flüchtlinge einzutreten. Auch damals war das Thema ja durchaus umstritten.

Wir merkten dann aber sehr schnell, dass wir als Kirchengemeinde mit dieser Arbeit an unsere Grenzen stießen und schnell überfordert waren. Wir brauchten professionelle rechtliche Beratung, Da war es ein großes Geschenk, dass sehr schnell Leute von Amnesty International zu uns fanden und uns unterstützten. Diese Verbindung von Kirche und Sozialinitiativen fand ich toll. Sehr schnell entstand nun ein professioneller Arbeitskreis. Große Unterstützer waren Prof Kähler, Sigrid Propst, Jürgen Rother und Reinhild Voltin, um nur einige Namen zu nennen.

Ursprünglich hatte ich den Gedanken, das Refugium in die Diakonie der Landeskirche zu integrieren. Dazu kam es aber nicht. Die unabhängige Vereinsgründung erfolgte am 20.10.86 . Diese Unabhängigkeit hat sich aber bewährt, weil wir so von allen Seiten unterstützt wurden, von Parteien, Behörden, Schulen, Vereinen und sozialen Einrichtungen.
Und das bis heute.

Wichtig war aber, dass wir nicht bei der Ehrenamtlichkeit stehen blieben. Seriöse Flüchtlingsarbeit braucht eine professionelle Kompetenz, rechtliche Beratung, Kenntnis der Vorschriften und Behörden sowie der sozialen Hilfsmöglichkeiten.
So hatten wir bald auch hauptamtliche Sozialarbeiter. Sie haben sehr zum guten Ruf des Refugiums beigetragen.

Aber die Landeskirche hat uns auch in Krisensituationen sehr geholfen, mE sogar gerettet. Eine ehrenamtlicher Helfer, dem wir die Finanzverwaltung anvertrauten, hat eine große Geldsumme verschwinden lassen, was wir nicht sofort bemerkt haben. Als wir es feststellten, waren wir eigentlich pleite. Wir hätten aufgeben müssen, wenn uns nicht Oberlandeskirchenrat Becker unverzüglich und großzügig geholfen hätte. Dafür sind wir heute noch dankbar.
Eine weitere Krisensituation entstand, als Herr Hoffmann Oberbürgermeister wurde und uns auf einen Schlag die städtischen Zuschüsse gestrichen wurden. Auch da waren wir praktisch am Ende. Aber auch jetzt machten wir eine beglückende Erfahrung: Schulen, Parteien, Sozialverbände, Kirchengemeinden sammelten Geld für uns und retteten unsere Arbeit. Das werde ich nie vergessen. Und so konnten wir unsere Arbeit bis heute fortsetzen und ausweiten über Braunschweig hinaus in den Kreis Wolfenbüttel und bis nach Helmstedt.

Persönlich besonders bewegt haben mich zwei Schicksale:
In den Kellerräumen des Pauli-Gemeindehauses hatten wir ein Notquartier eingerichtet. Eines Tages wurde ein 13jähriger eritreischer Junge zu uns gebracht. Er konnte in der Husarenkaserne wegen seiner Jugend nicht untergebracht werden. Er wohnte längere Zeit bei uns und hat sich mit unseren Söhnen sehr gut verstanden. Es gelang uns, ihm bald einen Internatsplatz in der Christophorus- Schule bei Nordstemmen zu besorgen , wo er dann auch die Mittlere Reife erwarb.
Im Notquartier landete auch eine jesidische Familie mit mehreren Kindern. Die Frau war hoch schwanger. Sie waren akut von Abschiebung bedroht. Mit Unterstützung der Gemeinde ergab sich ein Kirchenasyl. Es gelang, die Versorgung sicherzustellen und eine Abschiebung zu vermeiden. Eines Tages rief mich ein Staatsanwalt an und bot die Anerkennung des Asyls an unter der Bedingung, „dass Sie so etwas nie wieder tun.“ Ich versprach es und die Familie lebt bis heute in Braunschweig. Die Kinder haben es in der Schule weit gebracht.
Soweit mein Beitrag zu den Anfängen des Refugiums. Möge es auch den heutigen Anforderungen standhalten.




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