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[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Hitler in der Kirche

1. Teil: Hitler hat sich in der Kirche geirrt.
2. Teil: Die Kirche hat sich in Hitler geirrt.

Vortrag vom 17.07.2005 im Braunschweiger Dom

von Dietrich Kuessner


Werte Anwesende, liebe Schwestern und Brüdern,
was wollte Hitler überhaupt in der Kirche? Hat er ein Gesangbuch mitgebracht? Wollte er beten? Oder hat er sich in der Adresse geirrt? Hitler war doch katholisch. Nie aus der katholischen Kirche ausgetreten. Sein Standardwerk „Mein Kampf“ stand nicht auf dem Index der katholischen Kirche. Als Hitlers Tod durch den Volksempfänger vermeldet wurde, er wäre im Kampf um Berlin heldenhaft gefallen, setzte sich Kardinal Bertram, der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz, hin und ordnete eigenhändig die Abhaltung eines Requiems an. Das galt nur für einen im Stande eines gläubigen Katholiken Verstorbenen. Hitler in der Kirche, ja, in der katholischen.
Auch in der evangelischen? Doch, Hitler war schon gelegentlich in einer evangelischen Kirche. Als sich Hermann Göring 1935 kirchlich trauen ließ, war Hitler mit im Berliner Dom. Als die Görings ihre Tochter im Dom taufen ließen, wurde Hitler Pate. Paar Leute in der Parteizentrale regten sich auf. Aber die Bilder von Hitler, dem Patenonkel, gingen 1938 durch den deutschen Pressewald. Als in der Saar eine evangelische Kirche eingeweiht wurde, stiftete Hitler eine Bibel und schrieb etwas Frommes hinein. Das sagt über den persönlichen Glauben Hitlers nichts, aber etwas über seine Kirchenpolitik.

Vor 70 Jahren also, am 17. Juli vormittags, Hitler im Braunschweiger Dom. Wie ist er überhaupt reingekommen? Hatte der Landesbischof aufgeschlossen? Bischof Johnsen wußte von gar nichts. Oder der langjährige Domprediger Karl v. Schwartz? Der hatte seinen Posten am Dom bereits verloren und war Pfarrer an der benachbarten Brüdernkirche geworden. Auch der Organist Walrad Guericke nicht. Der Ministerpräsident Klagges hatte sich schon früher einen Schlüssel besorgt, widerrechtlich kopieren lassen und aufgeschlossen.
Hitler sieht auf dem Foto, das in der Braunschweiger Lokalpresse erschien, wie er hier am Grab Heinrich d. Löwen steht, nicht gerade glücklich aus.
Er war am Vorabend von Berlin heimlich zu einer Spritztour in den Harz aufgebrochen, neben sich den früheren Kreisleiter von Peine Hanns Kerrl, den er von seinen vier Braunschweig - Besuchen vor 1933 kannte, und den er gerade zum Reichsminister für die Koordinierung von Kirchenfragen eingesetzt hatte.
Klagges hatte keine Ahnung von der Spritztour, sollte er auch nicht, - Göring hatte sich zu seinem Besuch im Mai 1935 vorher angemeldet - aber als Klagges in Bad Harzburg Hitlers mitternächtliche Anwesenheit in Braunschweig spitz kriegte, sah er eine günstige Gelegenheit, dem „Führer“ zu dessen Überraschung sein Prestigeobjekt, den Umbau des Braunschweiger Domes, vorzuführen und vor allem, ihn finanziell einzuspannen. Das wurde im Laufe der Jahre eine unvorhergesehen teure Angelegenheit für Hitler. Der „Kostenüberschlag“ von 1935 betrug 403.000 RM, die Abschlußrechnung von 1940 650.000—RM, das lag nicht nur an der Ausweitung der Arbeiten, sondern zu einem erheblichen Teil an zusätzlichen Preßbetonarbeiten, denn, so wurde 1936 dem Finanzminister mitgeteilt, die Seitenschiffe würden „unverkennbar dem Druck der Gewölbe nachgeben“. Ahnte Hitler als Architekturfan mit seinem Gespür für gefährliche Situationen vielleicht so was? Das Angebot von Klagges, Hitler möge als Bauherr auftreten, lehnte Hitler dankend ab. Als ihm später die Architekten Krüger die Sgrafitti -Entwürfe des jungen Berliners Willi Dohme für das Mittelschiff nach Berchtesgaden schickte, ließ Hitler den Inhalt der Kiste mit den Entwürfen monatelang liegen.

Hitler fühlte sich an diesem Julivormittag von Klagges gedrängelt und hielt sich nicht lange in Braunschweig auf. Er besuchte nicht mal das Braunschweiger Schloß, in dem für zehn Jahre die Zentrale des SS Oberabschnittes einquartiert war und aus dem, so besinnen sich noch Braunschweiger, schnittige, drahtige SS Leute herauseilten und dessen Offiziere auch im gesellschaftlichen Leben Braunschweigs eine Rolle spielten. Die letzten Erinnerungen an das historische Braunschweiger Schloß sind mit den Erinnerungen an die SS verbunden. Domprediger v. Schwartz schrieb im November 1937: „Freitag abend muß ich um halb acht hier sein, eingeladen bei Vermeils, (einem leitenden Arzt im Marienstift) zusammen mit einem höheren Offizier der SS-Führerschule, was ich nicht gerne versäume.“
Hitler ignorierte das Schloß, fuhr ab und kehrte nie wieder nach Braunschweig zurück.

Zwischen Hitler und Klagges stimmte nämlich die ganze Richtung nicht. Klagges war evangelisch und hatte 1925 das Buch „Das Urevangelium Jesu, der deutsche Glaube“ geschrieben, 1933 in dritter Auflage erschienen. Darin wollte Klagges das Markusevangelium entjudaisieren, die Jünger arisieren und aus Jesus eine germanische Heldengestalt herausfiltern. Klagges folgte mit dieser Darstellung den Ideen der sog. Deutschkirche. Hitler dagegen war das Gemisch von Germanischem und Religiösen höchst verdächtig. Seine Kirchenpolitik zielte darauf ab, die christlichen Kirchen in ihrem gegenwärtigen Zustand durch Vertragswerke auf seine Linie zu trimmen. Das war mit dem Konkordat 1933 halbwegs gelungen, in der evangelischen Kirche hingegen fehlte ein zentraler Vertragspartner. Eine Germanisierung von Bibel und Kirche war mit der katholischen Weltkirche begreiflicherweise nicht zu machen. Hitler und Klagges gingen, was ihr kirchenpolitisches Verständnis betraf, völlig unterschiedliche Wege. Aber auch persönlich: Klagges lernte nach 1945 im Gefängnis noch hebräisch. Auf diese Idee wäre Hitler sohl nie gekommen.
Wer sich näherhin über Hitlers Besuch an diesem Tag in Braunschweig informieren will und über die ns. Kunst im Dom, greife zu einer der zahlreichen, inhaltlich sehr unterschiedlichen Darstellungen, die in den letzten zehn Jahren erschienen sind: von Karl Arndt im Ausstellungskatalog anläßlich des Heinrich Jubiläums, von Jochen v. Grumbkow im Braunschweiger Jahrbuch, von Ernst August Roloff zuletzt „Wie braun war Braunschweig“ als BZ spezial, zu van Dyke und Christian Fuhrmeister im Katalog „Kunst im Nationalsozialismus“ und Gunnhild Ruben „Hitler und Braunschweig 1932-1935“. Ich kann im Rahmen dieses Vortrags meine abweichenden Positionen nur andeuten.

Hitler im Braunschweiger Dom - Hitler in der evangelischen Kirche. Das ist eine Geschichte grausamer Irrtümer. Wenigstens vier Mal hatte sich Hitler in der ev. Kirche schwer geirrt. Im Jahre 1933 hatte Hitler auf die Deutschen Christen gesetzt, auf eine Kirchenpartei, mit deren Hilfe er die Synoden und Kirchenvorstände von innen im Sturm erobern und gleichschalten wollte. Als in der ev. Kirche im Juli 1933 neu gewählt wurde und die Gemeinden zwischen Deutschen Christen und der Gruppe „Kirche und Evangelium“ wählen konnten, die in Braunschweig vom Domprediger v. Schwartz angeführt wurde, hatte sich Hitler in einer Rundfunkrede unverblümt für die Deutschen Christen ausgesprochen. Führender Vertreter der Deutschen Christen in Braunschweig war der populäre Johannes Schlott von der Katharinenkirche. Den Braunschweiger Deutschen Christen unter Schlott war es ab Frühjahr 1933 gelungen, den Braunschweiger Dom mit Fahnen, Naziliedern und Huldigungspredigten zu nazifizieren. Nur eine Kostprobe aus der Dompredigt Schlotts vom 19. Dezember 1933: “Wir Deutschen sind das glücklichste Volk auf der Erde. Aber gerade hier an dieser Stelle müssen wir sagen: wir haben es gar nicht verdient, denn wir sind weit weit weg gegangen von Gott. Darum haben wir unverdient diesen Führer durch Gott empfangen, der nun das positive Christentum hineinbringt in das ganze Deutsche Volk Wir wollen von uns aus alles tun, daß in diesem neuen Dom des Dritten Reiches Christentum lebendig werde in uns allen.“ Nicht Klagges hatte mit der Nazifizierung des Domes angefangen, sondern die Deutschen Christen.

Aber schon im November 1933 traten die Leute massenweise aus dieser Kirchenpartei wieder aus, als ihr Spitzenmann Dr. Krause im Berliner Sportpalast erklärte, eine deutsche Volkskirche müsse sich frei machen „von allem Undeutschen in Gottesdienst und Bekenntnis, insbesondere vom Alten Testament und seiner jüdischen Lohnmoral“, es müsse ernst gemacht werden mit der Verkündigung „einer heldischen Jesus-Gestalt als Grundlage eines artgemäßen Christentums“.
Hitler konnte mit den Deutschen Christen seither keine wirkungsvolle Kirchenpolitik mehr machen. Er hatte sich in den Deutschen Christen als Mithelfer seiner Kirchenpolitik geiirt.

Hitler stützte sich bei seiner Kirchenpolitik zweitens auf den Militärpfarrer Ludwig Müller, und machte ihn 1933 zum evangelischen Reichsbischof. Die beiden kannten sich seit 1927, mochten sich wohl auch. Ludwig Müller war in dieser Funktion auch im Braunschweiger Dom, als er im Januar 1934 den jüngsten Landesbischof der Welt, den 29 jährigen Wilhelm Beye in sein Amt als Braunschweigischen Bischof einführte. Aber Reichsbischof Müller wollte die evangelischen Landeskirchen par tout zu einer Reichskirche zentralisieren. Zentralisieren ist in der Kirche bis heute eine problematische Sache. Als Müller dazu in Braunschweig war, bereitete ihm der Landeskirchentag dabei keine Schwierigkeiten. Als sich aber die Landesbischöfe in Hannover, Stuttgart und München gegen diese Zentralisierung sträubten, ließ Müller den Münchner und Stuttgarter im September/Oktober 1934 kurzerhand unter Hausarrest stellen. Da nahmen die fränkischen Bauern ihre Mistgabeln in die Hand und marschierten nach München und in Stuttgart sangen sie zu Hunderten vor dem Bischofssitz fromme Lieder, eine beispiellose Protestbewegung mitten im bereits tiefbrauen Deutschland und Hitler - mußte nachgeben und empfing am 30. Oktober 1934 nicht wie vorgesehen den Reichsbischof Müller, sondern diese drei kurz zuvor noch arrestierten evangelischen Bischöfe, die ungerührt den Rücktritt von Reichsbischof Müller forderten. Hitler hatte auf die falsche Kirchenpartei gesetzt, Hitler hatte auf den falschen Mann gesetzt.

Hitler hatte kein Gespür für evangelische Frömmigkeit und protestantische Kargheit und Widerborstigkeit. Nun sollte es der Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten Hanns Kerrl richten, mit dem er 1935 hier im Dom war. Kerrl berief zur Leitung der ev. Kirche einen sog. Reichskirchenausschuß ein. Evangelische Kirche und Nationalsozialismus sollten miteinander verkoppelt und vor einen Wagen gespannt werden, der die nazistische Innen- und Kulturpolitik absegnen sollte. Aber nach gut 16 Monaten trat der Reichskirchenausschuß 1937 zurück. Kirche und Reichskirchenausschuß spurten nicht so, wie Hitler sich das dachte.

Hitler wurde aus diesen bereits drei gravierenden Fehlern innerhalb von gut drei Jahren nicht klug und machte nunmehr seinen schlimmsten Fehler. Er ordnete – man höre und staune – „freie Wahlen“ in der ev. Kirche an zur Bildung einer frei gewählten reichsweiten Synode. Das war im Februar 1937. Was Hitler unter freien Wahlen verstand, hatte er im März 1933 bereits unmißverständlich demonstriert: die Opposition wurde eingeschüchtert, verhaftet, einige umgebracht. Aber in der ev. Kirche begann eine riesige, von Tausenden besuchte Versammlungstätigkeit. In allen großen Städten gab es in den Kirchen Massenkundgebungen für die ev. Kirche. Die Deutschen Christen kamen aus der Versenkung und es gab richtig Wahlkampf im 4. Jahr des Bestehens des Dritten Reiches. Das hatte sich Hitler ganz anders vorgestellt und die Sache wurde nach drei Monaten abgeblasen. Der Reichsminister Hanns Kerrl, auf den Hitler gesetzt hatte, wurde krank und starb 1941, isoliert innerhalb der Reichsministerien. Sein Posten wurde nicht wieder besetzt.

Hitler hatte gedacht, es würde so gehen wie in Italien, wo Mussolini 1929 mit der katholischen Kirche die lukrativen Lateranverträge geschlossen hatte. Daß der gegenwärtige Papst bei seiner Inthronisierung nicht die Oberhäupter der christlichen Kirchen, sondern die Staatsoberhäupter empfängt, hängt eben mit diesem Mussolini zusammen, der dem Vatikan wieder den anerkannten Status eines Staates, eines Kirchenstaates, zugebilligt hatte; eine m.E. etwas makabre staatsrechtliche Grundierung für den Kirchenstaat Benedikt XVI. In Italien war es damals glatt gegangen zwischen Faschismus und katholischer Kirche; daß es in Deutschland nicht so glatt lief zwischen Hitler und der Kirche, lag an der konfessionellen Mischung der deutschen Bevölkerung.

Seit Sommer 1937 gestand sich Hitler sein Scheitern ein, er ließ die Spitze der oppositionellen Bekennenden Kirche, Martin Niemöller, und die Leitung des Bruderrates verhaften, und setzte Staatskommissare in die Landeskirchenämter zu deren Kontrollierung ein.
Es war Hitler nicht gelungen, die ev. Kirche in sein braunes System, so wie er es sich dachte, einzugliedern. Hitler war an der ev. Kirche kirchenpolitisch gescheitert.

Das Scheitern Hitlers war kein Triumph für die ev. Kirche. Denn wie Hitler sich in der ev. Kirche geirrt hatte, so hatte sich auch die ev. Kirche in Hitler geirrt. Sie hat seine Person und Politik völlig falsch eingeschätzt und ihre Gemeindemitglieder in die Irre geführt. Wie kam es dazu?
Es ist nach 1945 vergessen worden, daß die NSDAP die einzige der Weimarer Parteien war, die sich programmatisch zum Christentum bekannte. Die Partei als solche vertrete den Standpunkt eines positiven Christentums, hieß es im § 24. Das war zwar mit Einschränkungen und Vorbehalten versehen, aber von vielen in der ev. Kirche wurde diese programmatische Äußerung positiv aufgenommen und die NSDAP als kirchenfreundliche Partei verstanden.
Das war ein schon damals erkennbarer, verhängnisvoller Irrtum, denn in den vorhergehenden Paragraphen hatte Hitler den Zusammenschluß aller Deutschen zu einem „Großdeutschland“ gefordert. Deutsche wohnten in Österreich, in der Tschecheslowakei, im Elsaß, in Polen, im Baltikum, an der Wolga. Die Bildung dieses Großdeutschland war nur militärisch zu haben. Wem das nicht klar war, wurde im § 3 aufgeklärt: „Wir fordern Land und Boden (Kolonien) zur Ernährung unseres Volkes und Ansiedlung unseres Bevölkerungsüberschusses.“ Diese nazistische „Ostkolonisation“ wurde später hier im Mittelschiff des Domes abgebildet. In diesem Großdeutschland aller Deutschen hatten Juden natürlich keinen Platz. § 5: „Wer nicht Staatsbürger ist, soll nur als Gast in Deutschland leben können und muß unter Fremdengesetzgebung stehen.“. Die seit dem 2. August 1914 in Deutschland eingewanderten Juden, sollten „sofort zum Verlassen des Reiches gezwungen werden“ (§ 8) Dieser programmatische Militarismus und Antisemitismus war mit der Ordination eines ev. Pfarrers unvereinbar. Aber das Zauberwort vom „positiven Christentum“ wischte alle Zweifel beiseite und ermöglichte bei vielen den schweren Irrtum.

Als die NSDAP seit den Septemberwahlen 1930 im Reichstag und braunschweiger Landtag eine beachtliche Fraktionsstärke erreichten, öffnete die ev. Kirche ihre Türen für die Nationalsozialisten weit. Man müsse dieser jungen Bewegung die Hände entgegenstrecken, um sie zu veredeln, zu reinigen, zu erlösen, um an ihre vielen guten Seiten anzuknüpfen, an die Begeisterung, ihr politisches Engagement, an ihren „Opfersinn“. Zu dieser Zeit diskutierte die gesamte Braunschweiger Pfarrerschaft, mit Ausnahme der in der Stadt Braunschweig, schriftlich und mündlich ihr Verhältnis zum Nationalsozialismus. Von 80 Pfarrern wissen wir, daß sie sich in Hitlers „Mein Kampf“ vertieft haben. Wenige sind angewidert, einige hellauf begeistert, die große Mehrheit streckt helfend Hitler die Hände entgegen.
Es erfüllt sich für sie ein alter Traum, den die meisten von ihnen in ihrer Jugend und während des Studiums im wilhelminischen Kaiserreich geträumt haben. Die meisten Bestandteile der Hitlerschen nationalistischen Politik sind - darüber sind sich die Historiker heute ziemlich einig - zwischen 1880 und 1914 bereits außerordentlich lebendig: die Forderung nach mehr Lebensraum im Osten, die Befreiung der deutschen Bevölkerung von jüdischem Einfluß, der Anspruch auf die Nummer eins nicht nur in Europa, sondern in der Welt, schon damals das Lieblingslied „Deutschland, Deutschland über alles,“ schließlich die rassistische Ausrottung afrikanischer Stämme und Kulturen. Ein unheilvoller Nationalprotestantismus förderte und segnete diese Politik ab unter der Melodie „Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten“, einem der späteren Lieblingslieder von Joseph Goebbels. Das alles mündet in den totalen Weltkrieg 1914 –18. In dieser Atmosphäre aufgewachsen, fühlte sich der ev. Pfarrer in der nationalsozialistischen Gedankenwelt keineswegs völlig fremd.

Es wäre also vom 17. Juli 1935 ein Bogen zurück zu schlagen zum 9. Mai 1914, als Kaiser Wilhelm im Braunschweiger Dom war. Der junge Domprediger v. Schwartz taufte nämlich das kaiserliche Enkelkind Ernst August Georg Wilhelm. Natürlich sind beide Ereignisse unmöglich zu vergleichen. Die kaiserliche Familie brachte Gesangbuch und Kollekte mit und ehrten den Kirchenraum mit Gebet und Schriftverlesung. Aber dieser unmögliche Vergleich provoziert eine Antwort auf die Frage: Wann hat das angefangen mit dem nationalistischen Größenwahn und der Kirche? Es hat teilweise um 1893 angefangen, als z.B. Braunschweiger Geschäftsleute zu Weihnachten einen „Wegweiser durch Braunschweigs deutsch christliche Geschäfte“ in einer Auflage von 6.000 Stück mit 85 Geschäftsanzeigen herausbrachten, in denen man einkaufen sollte, eine der ersten antisemitischen Großaktionen in dieser Stadt. In der Märzausgabe der Ev.-luth. Wochenblätter von 1898 beschuldigt Pastor Hausdörffer die Juden, „ihr ätzendes Gift in Presse, Theater und Litteratur“ zu verbreiten, „eifrige Handlangerdienste“ für die Sozialdemokratie zu leisten und „alle christlichen Bildungsanstalten“ „ungeniert“ zu benutzen. Diese Vorwürfe tauchen in den Aufsätzen von 1931 vermehrt wieder auf und die Mehrzahl der Braunschweiger Pfarrer folgen einem „Antisemitismus gesunder Art“, wie Pfarrer Ehlers es nannte.

Als sich Hitler seit Januar 1933 stufenweise bis zum Sommer 1934 brutal den Weg zur ungefährdeten Macht geebnet hatte, sich jedoch als legale und fromme Obrigkeit präsentierte, traten scharenweise die Parteigenossen in die Kirche ein und ließen sich taufen und trauen. Die Volkskirche blüht auf, dachten die Kirchenleute, und hatten sich gründlich geirrt. Es war ein Strohfeuer.
Die lutherische Kirche legte den Terrorstaat Hitlers als von Gott verordnete Regierung aus. Daher schwieg die lutherische Kirche in ihrer breiten Mehrheit zur allmählichen Beseitigung der jüdischen Mitbürger aus der deutschen Öffentlichkeit, öffnete dazu und zum eigenen Ariernachweis ihre Kirchenbücher, auf die Hitler plötzlich angewiesen war.

Ein besonderer Ausdruck dieser wachsenden einseitigen Bindung der Kirche an Hitler war die freiwillige Vereidigung von 90 Prozent der ev. Pfarrerschaft auf die Person Adolf Hitlers und dessen Gesetze im April/Mai 1938. In Mecklenburg und Preußen fand die Vereidigung formlos in den kirchlichen Dienstgebäuden statt, in Braunschweig feierlich in der Martinikirche verbunden mit einem vorausgegangenen Gottesdienst. Obwohl die Braunschweiger Pfarrer als Staatsbeamte pflichtgemäß bei Dienstantritt ihren Beamteneid bereits geleistet hatten, sollte noch mal eine Art Huldigungeid geleistet werden speziell auf die Person des „Führers“. Hitler, der mit der Kirche fertig war, legte auf diesen Eid gar keinen Wert.

Diese Bindung wurde weiter vertieft, als die ev. Kirche mit Gebeten, Glockengeläut und Dankchorälen den Vormarsch der Hitlerarmee zur Bildung Großdeutschlands 1939/40 begleitete und auf dem Höhepunkt im Juni 1940 nach der Siegesmeldung von der Kapitulation Frankreichs und der Hitlerrede der Choral „Nun danket alle Gott“ durch die Volksempfänger ertönte.
An dieser Bindung war besonders dem Braunschweiger Domprediger Hans Schomerus gelegen, von 1937-39 am Dom, der mit geistreichen Betrachtungen Gottesreich und Drittes Reich aufeinander zuordnete. 1939 unterschrieb Schomerus die Godesberger Erklärung, in der es u. a. hieß, indem der Nationalsozialismus die dem deutschen Volke artgemäße ns. Weltanschauung für alle verbindlich mache, „führt er das Werk Martin Luthers fort und verhilft uns dadurch in religiöser Hinsicht wieder zu einem wahren Verständnis des christlichen Glaubens.“
Das ist inhaltlich nicht weit weg von der Neugestaltung des Braunschweiger Domes, der ja keineswegs, wie die meisten Abhandlungen suggerieren, zu einem antichristlichen Bauwerk umgestaltet wurde. Wer 1941 den Staatsdom betrat, wie wir heute, und nach links sah, erblickte am Ende der Säulen des Seitenschiffes das Imervard Kruzifix, geschmackvoll als stiller Ruheort konzipiert. Wer im Mittelschiff nicht nach oben zu den Dohmschen Zeichnungen sah, erblickte auf Augenhöhe restaurierte mittelalterliche Malereien. Im Hohen Chor sollte der Betrachter, so war es geplant, auf das Glasfenster mit dem Ritter Georg schauen, wie wir heute nachmittag. Und wer zu jener Zeit eine der Musiken des Domorganisten Wolfgang Auler, einem Kenner des Frühbarock, anhörte, der wurde nicht mit nazistischer Marschmusik konfrontiert, sondern konnte in gewohnter Barockmusik schwelgen. Es war also das Nebeneinander von nationalsozialistischer und christlicher Symbolik, die den Staatsdom auszeichnete. Das entsprach genau der geistigen Welt von Klagges, es widersprach fundamental den mega-architektonischen Vorstellungen Hitlers für ein zukünftiges Großdeutschland.

Die ev. Kirche, die ihre Bindungen an das Evangelium von Jesus Christus gelöst und sich im Laufe der Jahre immer enger an Person und Politik Hitlers gebunden hatte, betete in ihren nicht umgestalteten Stadt- und Dorfkirchen Sonntag für Sonntag, daß Gott den „Führer“ beschützen und erhalten möge. Jedes „Heil Hitler“ wäre ein Gebet, schrieb Oberkirchenrat Mahrenholz, der Vater des in Niedersachsen bekannten früheren Bundesverfassungsrichters, in das Gesetzblatt der damaligen Deutschen Ev. Kirche. Diese Gottesdienst, Liturgie, Gebete umfassende Selbstnazifizierung des kirchlichen Alltags mochte vergleichsweise wirkungsvoller sein, weil sie nicht so sichtbar war.
Eine Bewertung der Umwandlung des Braunschweiger Staatsdomes gerät aus der Balance, wenn der Blick auf das übliche Nebeneinander von Kirche und Nationalsozialismus schamhaft vermieden wird.

Hitler und die Kirche – war das Verhältnis 1945 beendet, nur weil Hitler sich erschossen hatte?
Juli 1935: vor 70 Jahren Hitler im Dom; Juli 1945: vor 60 Jahren: erster Gottesdienst im Dom; September 1945 vor 60 Jahren erhielt die Landeskirche eine neue, unbelastete Kirchenleitung, jedoch nur für fünf Monate, danach, seit Januar 1946 sitzen jene, die Hitler die Kirchentüren weit geöffnet hatten, wieder in ihren Ämtern. Und es werden immer mehr: der in der Berliner Kirchenkanzlei untragbar gewordene Kirchenjurist Kronenberg macht einen Schnellkurs in Theologie und wird angesehener Pfarrer und Heimatforscher in Gandersheim.
Der frühere Vorsitzende des Braunschweiger Sondergerichtes avanciert zum Oberlandeskirchenrat, sein beisitzender Richter wird leitender Justitiar der Inneren Mission. Der frühere Domprediger Schomerus wird Direktor der Ev. Akademie in Herrenalb und Altbischof Beye Flüchtlingspfarrer in Schleswig Holstein. Das Problem liegt nicht in der neuen Anstellung sondern darin, daß es ohne ein Wort des Sinneswandels, der Buße erfolgt ist. Als 1980 in Städtischen Museum die Reihe „Braunschweig unter dem Hakenkreuz“ veranstaltet wurde, meldete sich in der Diskussion das aktive Schöninger Gemeindemitglied, die fromme, frühere Gaupropagandaleiterin der Frauenschaft im Lande Braunschweig: 51 % der Hitlerschen Politik wäre schlecht gewesen, 49 % aber doch gut. „Und nicht wahr, Herr Pastor, wir wollen uns doch immer an das Gute halten“.

Hitler und die Kirche, Christentum und Nationalsozialismus – beide haben sich gründlich geirrt und sind gegeneinander gescheitert. Es geht so nicht.



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