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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

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Die Geschichte der Blankenburger und Calvörder Gemeinden und ihre Zugehörigkeit zum Braunschweiger Land und zur Landeskirche und ihre Trennung nach dem 2. Weltkrieg und Wiedereingliederung nach dem Ende der DDR

Kurzvortrag beim Emerititreffen am 2. 11. 2009 im Hessenkopf
von Dietrich Kuessner



Zur Erinnerung und ersten Orientierung ein Blick auf die Landkarte:

Landkarte

auf das Gebiet, das bis 1963 in unserem Amtskalender als sowjetisch besetzte Zone bezeichnet wurde, dann mit Deutsche Demokratische Republik und ab 1969 erzwungener maßen aus dem Amtskalender verschwand.

Die Propstei vor 1933
In der Kreisstadt Blankenburg dominiert auch heute noch das hoch gelegene Schloss, darunter die Bartholomäuskirche und weiter unten Markt und Rathaus, Georgenhof und Katharinengemeindesaal; Freunden der Literatur bekannt durch August Winnig, dem Blankenburger. Man ging nicht von Blankenburg nach Wolfenbüttel, sondern umgekehrt, von Wolfenbüttel nach Blankenburg, aus der feuchten Okerniederung in den Luftkurort. Hier verbrachten Offiziere und Regierungsbeamte ihre Pensionszeit, so auch der erste Bischof unserer Landeskirche Alexander Bernewitz, der dort begraben liegt. Blankenburg hatte 18.000 Einwohner und einen bürgerlichen/konservativen Stadtrat. Der Herzog verfügte über beträchtlichen Landbesitz: das Gut in Börnecke über 624 ha, in Heimburg verwaltete Adolf Dieckmann 440 ha, in Walkenried 512 ha, in Cattenstedt Amtsrat Barnstorf 229 ha. Die baulichen Spuren sind heute noch trotz Kollektivierung im Dorfbild gegenwärtig und die ganz Alten erinnern sich. Wieweit der Kloster- und Studienfonds nach der Wende wieder auf diese Flächen zurückgreifen konnte, weiß ich nicht. Das wäre für die Bauunterhaltung interessant.
Rings um Blankenburg liegen die als "rot" verschrieenen Dörfer. "Vom roten Harz", vom "roten Hasselfelde", vom ärgsten roten Sumpf" in Allrode, vom "vollständig rotverseuchten Zorge" ist die Rede. Die Kirche bekam es an den Kirchenaustritten zu spüren:
Der Kirchenaustritt von 130 Hüttenrödern wird von der Presse als "glänzender Sieg über die Finsternis" gefeiert In Heimburg ließen sich nach dem Hüttenröder Beispiel 50 Gemeindemitglieder zum Kirchenaustritt in eine Liste eintragen. In Wieda traten nach Agitation des Dorflehrers agitierte 50 Personen aus 20 Familien aus. Aus Neuwerk, Tanne und Timmenrode wurden ähnliche Aktionen gemeldet.
Was heute an Unkirchlichkeit in der früheren DDR beklagt wird, hat hier eine ihre Wurzeln.

Dieser "rote Harz" hatte auch seine Verdienste und zeigte sich 1933 widerständig gegen die braune Flut. Bei den Reichstagswahlen 1933 war die SPD in vier Gemeinden ( Cattenstedt, Timmenrode, Wieda und Zorge) mit großem Abstand stärker als die NSDAP. In Hüttenrode und Neuwerk war sogar die schwer unter Druck gesetzte die KPD stärker als die SPD und NSDAP. Ob sich die Harzer Linke im Sommer 1945 am Ziel ihrer politischen Träume wähnte, nachdem am 1. Juni die amerikanischen Truppen von den englischen, und diese am 1. Juli von den sowjetischen Truppen abgelöst worden waren?

Nach 1945 - Demarkationslinie - Heinrich Lachmund
Für die Kirchengemeinden war die Lage schwierig; zumal während des Krieges die kirchliche Ordnung auf die Abhaltung von sonntäglichen Gottesdiensten und Beerdigungen zusammengeschrumpft war. Sie wurde von den alten, nicht kriegsverwendungstauglichen Pfarrern und den Pfarrfrauen, deren Männer eingezogen waren, aufrecht erhalten: von Heinrich Lachmund und Adolf Kellner in Blankenburg, Julius Seebaß in Börnecke, Martin Hering in Hüttenrode, Adolf Lindemann in Benzingerode, Friedrich Nümann in Wieda, Otto Heidecke in Tanne, Gertrud Deppe in Cattenstedt, Charlotte Müller in Timmenrode, Gertrud Minkner in Blankenburg, Margarete Radkau in Hasselfelde, Hildegard Müller in Wienrode, Gertrud Hobom in Rübeland.

Auch in der Nachkriegszeit blieb die sonntägliche Normalsituation bedrückend. Propst Seebaß beklagte später den insgesamt schwachen Gottesdienstbesuch jener Jahre. "Nur ganz allmählich sammelte sich wieder ein treuer Kreis der Gemeinde, und nahm an den Bibelstunden, der Frauenhilfe und den Gottesdiensten teil", schrieb Pfr. Minkner in die Kirchenchronik von Bartholomäus.

Im Frühsommer 1945 ergriff der 70jährige Heinrich Lachmund die Initiative und gründete ein Kirchenrentamt als Gegenüber für die sowjetische Besatzungsverwaltung, weil der bisherige Kreispfarrer Adolf Kellner als Verhandlungspartner wegen seiner deutsch-christlichen Einstellung abgelehnt wurde, ein Jahr später wurde dieses Rentamt von der Wolfenbüttler Behörde gesetzlich verankert.

Die Sowjets teilten durch die sog. Demarkationslinie, später Zonengrenze die Propstei Blankenburg in einen kleineren Westteil und einen größeren Ostteil, unterbanden einen normalen Reiseverkehr und nur unter gefährlichen und abenteuerlichen Bedingungen konnte Pfarrer Walter Deppe die Verbindung zwischen beiden Regionen aufrecht erhalten. "Er wurde ein erfahrener Grenzgänger" erinnerte sich Frau Deppe, "er kannte die Grenze von Börßum bis zum Südharz, er wurde mehrere Male vom Russen in den Keller gesteckt. Als er einmal versuchte, bei Hessen über die Grenze zu gehen, kam er total erschöpft und durchnässt mit schmutzigem Anzug und Mantel und ohne Hut in der Synode an. Hessen ist ein Dorf nördlich von Wenigerode, das etwa zwei Kilometer von der Grenze entfernt liegt. Er wartetet die Dunkelheit ab, denn er musste eine Straße überqueren, die die Russen unter Kontrolle hielten."

Julius Seebaß und die missliche Lage der Propstei - Christenlehre - Jugendweihe
Nachfolger von Lachmund in der Blankenburger Lutherkirche 1946 und von Adolf Kellner im Propstamt 1947 wurde Julius Seebaß, seit 1925 in Allrode und 1932 in Börnecke, der also die Propstei genau kannte. Seebaß war wie Lachmund im Pfarrernotbund aktiv gewesen, sie kannten und schätzten sich, und so zog der bereits 57 jährige Seebaß mit seinen sieben Kindern in das nahe Blankenburg. Ins neue Pfarramt wurde er von Propst Kellner eingeführt, ins Propstamt von Bischof Erdmann.
Die Situation in der Propstei war kritisch, denn die Personaldecke wurde immer dünner, da die deutsch-christlich belasteten Pfarrer entweder ganz aus dem Pfarramt ausschieden wie Friedrich Nümann, oder wie Kellner und Müller in den Westen auswichen oder wie Hobom aus dem Krieg nicht mehr in ihre Gemeinde zurückgekehrt waren.
Die personelle Lage wurde so unerfreulich, dass der Propsteisynodalausschuß 1949 folgende Eingabe an die Kirchenregierung in Wolfenbüttel richtete. Darin hieß es:
"Leider gibt es viele Pfarrer, die ihre Aufgabe nicht erkannt haben oder nicht erfüllen können oder gar nicht erfüllen wollen. Sie glauben, mit der sonn- und festtäglichen Predigt und der Abhaltung der Amtshandlungen ihre Amtspflichten zu erfüllen. Seelsorgerliche Tätigkeit, Religionsunterricht der Kinder, Bibelstunden u.s.w. spielen bei ihnen nur eine untergeordnete, oft gar keine Rolle. Wir haben in unserm Bezirk drei Pfarrer (also ein Fünftel), die völlig versagen, sei es aus mangelndem Pflichtbewusstsein und Trägheit, sei es aus Mangel an erforderlichen religiösen und charakterlichen Eigenschaften, sei es aus geistigem Unvermögen. Das an sich schon schwache kirchliche Leben in ihren Gemeinden ist am Erlöschen. Von einem Vertrauensverhältnis zwischen Gemeinde und Pfarrer ist schon seit Jahren nicht mehr die Rede, wenn es überhaupt jemals bestanden haben sollte. Das Verhältnis ist infolge der Tatenlosigkeit vielfach durch Taktlosigkeit der Pfarrer, auch infolge der Unzulänglichkeit der Predigten für die Dauer zerrüttet. Die kirchlich gesinnten Leute lehnen die Vornahme von Amtshandlungen durch den zuständigen Pfarrer ab und holen auswärtige Geistliche herbei. Auch zu Gottesdiensten werden häufig auswärtige Pfarrer gebeten. Im Gegensatz zu ihren Amtsobliegenheiten zeigen diese Herren aber ein sehr wachsames Interesse für ihre persönlichen finanziellen und sonstigen wirtschaftlichen Belange.
Diese Zustände sind untragbar...."
Der Synodalausschuß schlug vor, Pfarrer nach zehn Jahren abberufen zu können.
Das war ein von der Mitverantwortung für die Gemeinde geprägtes, kräftiges Wort, das in dieser Klarheit nur selten in der Landeskirche anzutreffen ist.

Propst Seebaß richtete ab November 1948 und dann jährliche Propsteitage ein und schuf damit ein eigenständiges Organ. Weion erster Schritt zur Selbständigkeit.

Auf der Tagesordnung standen vor allem aber die Christenlehre, die Angriffe der FDJ auf die Junge Gemeinde, das Verhältnis von Jugendweihe und Konfirmation und die selbständige Erhebung der Landeskirchensteuer.
Die Christenlehre war kein Ersatz für den früheren Religionsunterricht an der Schule, sondern band in ganz neuer Weise den Unterricht mit den Kindern an die Kirchengemeinde.
Die Katechetin Lotte Huhn berichtete auf dem ersten Propsteitag, die Christenlehre böte eine missionarische Gelegenheit und sei Aufgabe nicht weniger katechetischer Kräfte, sondern der ganzen dienenden Gemeinde. Durch sie sollte der junge Mensch in die Gemeinden hineinwachsen. Deshalb gehörten Hausbesuche bei den Eltern zur Christenlehre dazu, die auch an der Christenlehre selber teilnehmen könnten. Für die Abhaltung der Christenlehre sollte ein Elternopfer von 10 - 50 Pfennig pro Monat erhoben werden. Dieser Bericht von Lotte Huhn war wohl der für die künftige Entwicklung der Blankenburger Gemeinden weitsichtigste Beitrag auf diesem Propsteitag. Die Christenlehre hatte sich in den folgenden Jahrzehnten durchgesetzt und war eine der größten dauerhaften Neuerungen in den sich bildenden DDR Landeskirchen. Christine Demke sprach im Sommer 1990 an der TU Braunschweig besorgt über die Ablösung der Christenlehre durch den staatlichen Religionsunterricht.

Seit Sommer 1952 begann der Kampf der FDJ gegen die Junge Gemeinde besonders in den Schulen. Die Kirche wurde als Tarnorganisation des CIA gefährlich verdächtigt. Dieser Kampf gegen die Kirche machte sich auch an den Blankenburger Schulen bemerkbar. "Angriffe auf die Junge Gemeinde", notierte Pfr. Kurt Salzwedel in der Kirchenchronik von Katharinen, Blankenburg, für die erste Hälfte des Jahres 1953.
Eine Neuauflage erlebte diese Auseinandersetzung durch die Einführung der Jugendweihe ab 1955, die die 14- jährigen Jungen und Mädchen nach einigen Stunden Schulung in Marxismus-Leninismus in feierlichem Rahmen auf die atheistischen Grundlagen des Staates verpflichtete. Die Kirchen in der DDR verwiesen auf die Unvereinbarkeit mit den Zielen der Konfirmation. Der Druck auf die Jugendlichen in den Schulen war so stark, dass sie sich in der Regel der Jugendweihe unterwarfen. Die Enttäuschung in den Kirchen war allgemein, besonders dort, wo auch Kinder von Kirchenältesten zur Jugendweihe gingen. Die Landeskirchen gingen in der Folgezeit unterschiedliche Wege.
Im Pfarrkonvent Blankenburg war die Stellung gegenüber den Jugendlichen, die sich zur Jugendweihe entschlossen hatten, aber auf die Konfirmation auch nicht verzichten wollten, uneinheitlich.
1958 Spannungen in der Pfarrerschaft wg Jugendweihe, notierte Pfr. Minkner in seiner Kirchenchronik.

Es gab in Blankenburg erste Konturen einer anders geprägten Kirchlichkeit und dazu gehörten die kirchlichen Finanzen. Mit der Währungsumstellung wurden die kirchlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Ostmark bezahlt, das Landeskirchenamt überwies dazu einen Betrag über den sog. Ostkirchenausschuss, eine informelle Gruppierung der DDR-Kirchen innerhalb der EKD. Auch innerhalb die VELKD funktionierten solche Kanäle. Wesentlich jedoch war, dass die Landeskirchensteuer nicht mehr vom Staat sondern vor Ort von den Kirchengemeinden erhoben werden musste.
Ulrich Haertel, der Verwaltungschef im Kirchenrentamt nahm 1957 172.000 M ein, fällig waren 236.000 beträchtliche 79 % . 1958 waren 224.000 M Kirchensteuern fällig, von denen immerhin 75% nämlich 163.000 M gesammelt wurden. Diese Ziffern waren ein sehr viel festeres und glaubwürdigeres Indiz für die Stärke einer Kirchengemeinde als die Zählungen von Gemeindemitgliedern im Westteil. Vor allem aber bekam der von den Gemeindemitgliedern erbrachte Betrag ein Gesicht.
Später wurde darüber diskutiert, ob auch von Gemeindemitgliedern, die sich nicht mehr hatten konfirmieren lassen, die Kirchensteuer erhoben werden sollte und ob ein Nachlass erlaubt wäre, wenn sie nachzahlten.
Christenlehre, von der Ortsgemeinde gesammelte Kirchensteuern, Erfahrungen mit einem bewusst atheistischen Staat - das hatte es bisher in der Landeskirche nicht gegeben , und gaben der Propstei Blankenburg ein besonderes Profil.

Rennig Radkau - Abwanderung - Republikflucht der Pfarrer - Gründe zu bleiben
Ende der 50er Jahre ging Julius Seebaß mit 70 Jahren in den Ruhestand und der 52 Jährige Rennig Radkau wurde zum Propst berufen. Radkau war der letzte der alten Braunschweiger, hatte sein Vikariat in der Propstei Seesen, in Herrhausen absolviert und war seit 1938 Pfarrer in Hasselfelde.
Er galt als "alter Haudegen", der keinem Konflikt aus dem Weg ging, und so stellte er sich gleich zu Beginn seiner Tätigkeit einem heiklen Problem, das ihm Seebaß hinterlassen hatte: der Abwanderung von Pfarrern in den Westen.

In den 50er Jahren hatten sieben Pfarrer teils legal, teils illegal die Propstei verlassen. Drei von ihnen hatten Pfarrstellen im Westteil der Landeskirche erhalten, andere in anderen Landeskirchen.
Bischof Erdmann hatte Radkau zu einer offenen Aussprache ermuntert, und im Pfarrkonvent am 13. Juli 1959 einigten sich die Teilnehmer, dass eine Anstellung "im Mutterschoss der Braunschweigischen Landeskirche" in Zukunft erst nach einem zehnjährigen Dienst im Blankenburger Bereich möglich sein sollte.
"Wir sehen in dieser Zeit und unter diesen Umständen kein anderes Mittel, aus dem gegenseitigen Misstrauen herauszukommen, wonach einer den anderen beargwöhnt, hinter seinem Rücken möglicherweise Beziehungen angeknüpft zu haben, die ihm unter diesem oder jenen Vorwande den Übergang verschaffen sollen."
Selbstverständlich müsse die Frage des Nachfolgers geklärt sein und vor allem das Landeskirchenamt seine grundsätzliche Zustimmung gegeben haben. Ausnahmen sollten nur möglich sein, wenn sie der Konvent genehmigt habe.

Es war besonders schmerzlich, dass die Aussprache im Pfarrkonvent das Misstrauen offenbar nicht beseitigte. Am 13. August 1961 wurde durch den Mauerbau in Berlin auch der letzte Fluchtweg über Berlin, das bis dahin eine relativ offene Stadt gewesen war, endgültig versperrt.
Vier Pfarrer verliessen in diesem einen Jahr die Blankenburger Propstei, zwei von ihnen wurden im Westen der Landeskirche eingestellt.
Es war für die Propst Radkau und den Pfarrkonvent ein bitteres Jahr, aber wieder rückten einige neue, frische Gesichter in die Arbeit des Konventes:

Wesentlicher erscheinen mir die Gründe des Bleibens.
Es waren nicht nur die langen persönlichen Bindungen zur Arbeit in den Gemeinden, die andere Pfarrer zum Bleiben veranlassten. Mancher ließ auch eine theologische Begründung durchblicken. Das "Gericht am Hause Gottes" soll uns ja zum Heil ausschlagen", schrieb Ernst Braun in die Kirchenchronik von Katharinen. Aus seiner Sicht bedeutete das Bleiben ein Fortlaufen aus dem Gottesgericht und - schwerwiegender - ein Verlassen des Heils.
Aus diesem Anlass wurde in der DDR über das Gewicht der Ordination für die Führung des Amtes diskutiert.

Andere Pfarrer suchten ein geordnetes Nebeneinander von Staat und Kirche, wie es ihnen von Römer 13 her geboten erschien. Pfarrer Minkner thematisierte diese Frage auf dem Propsteitag im Oktober 1956 bei seinem Vortrag über die Toleranz. Toleranz dürfte nicht nur untereinander, sondern auch gegenüber dem Staat gesucht werden, referierte er (Kirchenchronik Bartholomäus) Er dankte für das Entgegenkommen des Staates, der den Versand von 1000 Gesangbücher aus dem Westen genehmigt hatte. Dem westdeutschen Bischof und seinen Mitarbeitern wäre die Möglichkeit gegeben, "jederzeit das Gebiet der DDR zu bereisen, um ihre kirchlichen Obliegenheiten zu erledigen". Diese Behauptung wirkte etwas angestrengt.

Andere Pfarrer gaben ihrem kooperativen Verhältnis zum Staat der DDR dadurch Ausdruck, dass sie der CDU beitraten. Damit war insbesondere in den Anfängen die Mitgliedschaft als Gegengewicht zur SED gedacht. Pfarrer Walter Deppe gründete einen CDU Verband in Blankenburg, aber auch in Heimburg.
Auch Pfr. Stiller trat in die CDU ein und wurde für diese Partei Mitglied im kommunalen Ortsrat in Heimburg. Aber auch dieses Bemühen um ein geregeltes Miteinander von Staat und Kirche blieb im Blankenburger Pfarrkonvent nicht unumstritten. Es war begleitet von dem Misstrauen einer zu großen Nachgiebigkeit gegenüber einem atheistischen Staat.

Mit Düsterdick, Strehlau, Hilse, Stiller und Minkner begannen junge Pfarrer in den von ihren Vorgängern verlassenen Kirchengemeinden ihren Dienst.

Für Radkau gab es zwei Erzfeinde, die mit B anfingen, so ein Zeitgenosse: nämlich den Bolschewismus und Bultmann.
Daher bestärkte Radkau seine Kollegen in der Auseinandersetzung mit Schikanen seitens des atheistischen Staates.

Pfarrdiakon Braun vermerkt für das Jahr 1965: "Die Gegenarbeit von Seiten der Gottlosigkeit wird in der Schule und im ganzen öffentlichen Leben kräftig betrieben."

Es kam auch zu vereinzelten Vorladungen von Pfarrern vor die Behörde.
Während der Kommunalwahl im September 1961 erhielt Pfarrer Johannes Seebaß noch vor Schließung der Wahllokale einen Besuch von Vertretern des Rates Hasselfelde, die ihn darauf aufmerksam machten, dass er noch nicht gewählt habe. Auch die Pfarrer Stiller und Minkner hätten noch nicht gewählt.

Im Sommer 1966 wurde Pfarrer Hilse zu einer "Aussprache" vor den Rat des Kreises Haldensleben aufgefordert. Ihm wurden dabei Vorhaltungen gemacht, dass er gegen den Staat eingestellt wäre, sich nicht an den Wahlen beteiligte, kein Mitglied der Nationalen Front wäre und deren Einladungen ignorierte, aber Bücher aus Westdeutschland und eine Läutemaschine einführen wolle. Dies und die Aufstellung einer Kirchenbaracke würden abgelehnt. Hilse wehrte sich gegen die Vorwürfe energisch und machte aus seiner kritischen Haltung zum atheistischen Staat keinen Hehl. Hilse ließ sich nicht beeindrucken und blieb in der Kirchengemeinde bis 1975.

Als Propst Radkau zu einer Aussprache mit Seigewasser, dem Staatssekretär für Kirchenfragen, im Februar 1961 aufs Blankenburger Rathaus eingeladen wurde, sagte er ohne Angaben von Gründen ab. Auch einer Einladung zu einem "Gedankenaustausch" über Fragen des Friedens im Juli 1961 folgte Radkau nicht. Er befürchtete wohl nicht zu Unrecht in beiden Fällen, dass seine Anwesenheit von der Staatspresse als Zustimmung für die Politik der DDR hingestellt werden könnte. Der Standpunkt der Kirche wäre völlig eindeutig. Es läge ein einstimmiger Beschluss des Pfarrkonventes zu diesem Thema vor, der alle friedensfördernden Maßnahmen unterstütze. Außerdem war die Absage auch darin begründet, dass in diesem Sommer 1961 eine Teilnahme von Gemeindemitgliedern am Kirchentag in Berlin abgelehnt worden war.

Für das Jahr 1967 vermerkte der Chronist der Blankenburger Katharinengemeinde: "Die große Scheidung in der Kirche vollzog sich auch in diesem Jahr. Viele frühere Gemeindeglieder nehmen den Dienst der Kirche nicht mehr in Anspruch und zahlen auch keine Kirchensteuern mehr".
Aber die Eindrücke waren unterschiedlich, persönlich geprägt und von Ort zu Ort auch verschieden. Pfarrverweser Werner Bemm berichtete für das Jahr 1968 aus seiner Gemeinde Cattenstedt: "Eine spürbare antikirchliche Propaganda gibt es hier nicht. In der Schule geschieht sie verhalten und auch nicht von allen Lehrern und Lehrerinnen."
Meinem Eindruck nach blieben die volkskirchlichen Strukturen anhand von Tabelle II (Taufen,. Trauungen, Konfirmationen und Beerdigungen) wie auch im Westen relativ stabil. Der Einbruch kam dann in den 70er Jahren.

Die jungen nachrückenden Pfarrer, Pfarrvikare und Pfarrdiakone kamen mit Propst Radkau nicht mehr zu recht. Der Generations- und Erfahrungsunterschied war zu groß. Mit 60 Jahren gab daher Radkau das Propstamt an den jungen Heimburger Pfarrer Martin Düsterdieck ab.

Martin Düsterdick und die kurze Reformphase
Hermann Martin Düsterdick, gebürtiger Berliner, war 1957 mit 25 Jahren in Magdeburg ordiniert worden und trat seine erste Pfarrstelle 1959 in Heimburg an. Düsterdieck war kein Braunschweiger.
Bei einer Visitation der Gemeinde Heimburg im September 1961 hatte Propst Radkau erfreut festgestellt, dass sich der Gottesdienstbesuch unter dem jungen Pfarrer Düsterdick bei gleichbleibender Gemeindemitgliederzahl von durchschnittlich 20-30 im Jahr 1949 auf durchschnittlich 49 im Jahre 1960 verdoppelt hatte. An Festtagen besuchten 97 Mitglieder den Gottesdienst. Die Zahl der Abendmahlsteilnehmer hatte sich von 171 im Jahre 1948 auf 668 im Jahre 1960 erhöht. Das waren Zahlen, die viele Pfarrer im goldenen Westen des sog. "Braunschweiger Mutterlandes" nicht aufzuweisen hatte.

Am 14. Januar 1968 wurde Düsterdick in Heimburg als Propst eingeführt. Zum erstem Mal war nicht Blankenburg Propstsitz sondern eine Dorfgemeinde, denn Düsterdick blieb Pfarrer in Heimburg. Diese Propstwahl war vom Alter und von der Herkunft Düsterdicks ein Signal zum Aufbruch und Abschied von Braunschweig.

Bei der Propsteisynode im November 1968 setzte Propst Düsterdick deutliche eigene, reformerische Akzente. Zur Synodalsitzung wurden auch die Stellvertreter eingeladen. Die Synodalen erhielten alle den Wortlaut der Botschaft der IV. Vollversammlung von Uppsala. Düsterdick wollte seinen eigenen Reformkurs in einen größeren ökumenischen Zusammenhang stellen. In seinem Bericht machte der Propst die verwegene Bemerkung, dass die Propstei Blankenburg Teil der Kirchen in der DDR und nicht der Braunschweigischen Landeskirche sei und gab einen optimistischen Gesamteindruck von der kirchlichen Lage. Es gebe eine erfreuliche Mitarbeit von Lektoren bei den Gottesdiensten, die Dialogpredigt mit Laien öffne den traditionellen Gottesdienststil, in nur wenigen Gemeinden gebe es keine regelmäßige Bibelstunde, die Mitarbeit der Kirchenvorstände sei überwiegend erfreulich, die antikirchliche Propaganda beschränke sich auf die Schulen, der Staat vermeide die offene Auseinandersetzung, es gebe keinen Kirchenkampf. Kollekten und Sonderopfeer seien im Steigen begriffen. Düsterdick vermied die Beschreibung einer leidenden Opferrolle der DDR-Kirche, sondern setzte ermutigende Akzente, die auch von den Berichterstattern aufgegriffen werden. Kirchenamtsleiter Haertel mahnte die Frage der Kirchensteuer als nach wie vor "primäre Aufgabe" an. Die Kirchenvorstände hätten sich noch nicht auf eine einheitliche Bemessungsgrundlage geeinigt, in mehreren Gemeinde wären "erfreuliche Erfolge" zu verzeichnen.
Hauptthema der Synode war das "Konfirmierende Handeln der Gemeinde", ein völliger Abschied vom Pauk- und Frontalunterricht, wie er in der westlichen Landeskirche bei den riesigen Konfirmandenzahlen noch üblich war.
Kreiskatechet Uecker berichtete vom Konfirmierenden Handeln an den Kindern im Vorschulalter. Er griff damit das in West und Ost gleichermaßen bedrängende Problem der Mitverantwortung einer Kirchengemeinde an den getauften Kindern auf. Eine Kindertaufe würde sinnlos, wenn die Gemeinde nicht schon unmittelbar nach der Taufe ihre Verantwortung für die Getauften wahrnehme. Die Taufe habe nur dann einen Sinn, wenn mit der Taufe das Hineinnehmen der Kinder und Eltern in die christliche Gemeinde beginne. Die beim Taufgespräch geknüpften persönlichen Kontakte könnten durch dafür zugerüstete Gemeindemitglieder weiter fortgeführt werden. Uecker verwies auf eine Aktion der Katecheten, die in vier Tagen in Blankenburg 100 Familien besucht hatten, um deren Vorschulkinder zu einer Vorschulkinderstunde ins Gemeindehaus einzuladen. Der Erfolg war enorm. Es kamen 40 Kinder samt den begleitenden Müttern und Großmüttern. Daraus entwickelte sich im vierzehntägigen Rhythmus eine Stunde am Sonnabend Vormittag. Diese Stunde böte dann viele weitere Einstiegsmöglichkeit zu Hausbesuchen und Mitwirkung der Jungen Gemeinde an der Gestaltung der Vorschulkinderstunde. Uecker berührt den volkskirchlichen Schaden an der Taufe. "Ich habe den Eindruck, als tauften wir unsere Kinder nur noch deshalb, um später für die Einladung zur christlichen Unterweisung einen Ansatzpunkt zu haben, nicht aber um die getauften Kinder mit ihren Eltern in die christliche Gemeinde hineinzunehmen."

Katechetin Rosemann bedauert in ihrem Bericht, daß die Christenlehre leider immer noch nicht Sache der Gemeinde wäre, sondern neben der Gemeindearbeit nebenherliefe.

Die Jungen bestimmten diesen Blankenburger Propsteitag. Es ist auffällig, wie sehr die Auseinandersetzung mit Formen einer als überholt empfundenen Volkskirche die Referate auf der Blankenburger Propsteisynode bestimmten, die in gleicher Weise auch in der westlichen Braunschweiger Landeskirche drängend waren. "Die Not ist nicht die atheistische Umwelt, sondern die Not ist, dass wir uns zu wenig leiten lassen vom Heiligen Geist", fasst Pfarrer Stiller seinen Eindruck zusammen.
Der Leiter des Katechetischen Amts in Braunschweig, Hartmut Padel, wird über diese Unterrichtsform bei den zahlreichen Treffen mit den Katecheten in Berlin Weissensee diskutiert haben. Blankenburg war auf dem Weg zu einer profilierten, eigenständigen Propstei.
Unerwartet musste Düsterdick sein Amt aufgeben, weil der Behörde aus dem Amtsbruderkreis mitgeteilt wurde, er habe eine Kollegin abgeknutscht. Damit hatte nach zwei Jahren diese Reformphase jedoch kein Ende, und Nachfolger im Amt wurde der 41jährige Friedrich Kölbel, seit 1965 Pfarrer an der Friedenskirche in Leipzig.

Friedrich Kölbel und der Versuch einer Eingliederung in die Kirche der DDR
Inzwischen war die Trennung zwischen den Kirchen in der BRD und der DDR so groß geworden und die Abgrenzungsbedürfnisse der DDR Regierung so massiv, dass Blankenburg 1973 aus der Braunschweigschen Landeskirche ausgegliedert und nach langen Überlegungen an die sächsische Landeskirche angegliedert wurde. Die Bezirkssynode wählte einhellig Friedrich Kölbel zum neuen Propst.
Kölbel kam in einen Pfarrkonvent, der sich über die historische Frage und das Schriftverständnis nicht nur theologisch sondern auch menschlich auseinandergelebt hatte. Auch über die Problematik von Konfirmation und Jugendweihe kam es nicht zu einem ruhigen Gespräch.
Kölbel wollte seine Propstei auf den Weg von der Volkskirche in die Diasporakirche vorbereiten, bedauert aber die geistige Unbeweglichkeit. Es gäbe keinen Einbruch und keinen Aufbruch.
Die Mitgliederzahl der Propstei war von 17.970 (1972) auf 11.810 (1981) zurückgegangen, wobei der Schwund in der Stadt Blankenburg am größten war, während die Mitgliederzahl in Hüttenrode und Börnecke sogar leicht gestiegen und in anderen Dörfern stabil geblieben war. Wechselnd hingegen war die Anzahl der Täuflinge: 1972: 97; 1976: 46, 1981:82 Täuflinge. In der Christenlehre sinkt die Teilnehmerzahl von 788 Kindern (1972), auf 514 (1976) und 418 (1981).
Vor allem aber beherrschte die Blankenburger Mitarbeiter die Angst um den Verlust ihrer erheblichen Vergünstigungen. Es wäre verhängnisvoll, "auf die mit Westwind dahersegelnden gebratenen Tauben zu warten", referierte Kölbel und "unser Lebensstandard ist doch wahrhaftig nicht so niedrig". Das waren im Hinblick auf die Verlustängste von Westbindungen gewagte Äußerungen des Propstes.

Die Zuwendungen aus der Wolfenbüttler Kasse waren hoch. Sie betrugen 1971: 409.000 DM, 1973: 150.000,--DM 1979 bestand ein Sondervermögen von 700.000,--DM. Alle diese Gelder wurden vom Blankenburger Kirchenamt verwaltet und sie wurden sichtbar. Gäste aus der DDR zeigten sich beeindruckt von verhältnismäßíg gut hergerichteten Pfarrhäusern und Kirchen und den Autos, die einzelne Pfarrer fuhren. Jeder kirchliche Mitarbeiter führte ein Westkonto, und dies schuf in der sächsischen Landeskirche zu Belastungen.

Endgültige Eingliederung in die Kirchenprovinz Sachsen und den Kirchenkreis Wernigerode
Da die Blankenburger ihre Sonderstellung nicht aufgeben wollten, löste die sächsische Landeskirche wieder ihre mühsam angeknüpften Verbindungen, Superintendent Kölbel ging 1981 nach Grimma, der stellvertretende Superintendent Bresgott nach Greifwalde und mit der Fortführung der Geschäfte wurde Pfr. Stiller beauftragt. Ab 1985 gehört Blankenburg der provinzsächsischen Landeskirche an.
Der Aktenbestand wurde nach Magdeburg.abgegeben, im Herbst 1985 besuchten Landesbischof Müller und OLKR Becker noch einam sozusagen als Anbschiedsbeusuch den Pfarrkonvent in Heimburg. In seinem Begrüßungsschreiben vom Dez. 1985 räumte Konsistorialpräsident Kramer ein, es sei für alle nicht leicht, diesen Schritt ganz zu bejahen. "Einige von Ihnen werden sich an Umstellungen erinnern, die mit der Angliederung an die Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens verbunden waren. Freilich waren die wohl nicht so umfassend wie die jetzigen anstehenden."
In diesem Jahr hatte sich unter Leitung des Jugenddiakons Johannes Spiegel die Junge Gemeinde ials Anlaufstelle und Durchlaufstelle für suchende Jugendliche entwickelt. Spiegel verteidigte in seinem Bericht 1985 Gesprächen mit solchen Jugendlichen, die man nicht einfach mit "Opposition" abtun dürfte. Daneben gab es einen festen Stamm von 10 - 15 Jugendlichen, die einen Jugendgottesdienste gestalten, ein Zeltlager, einen ökumenischen Kreuzweg mit 40 - 50 Jugendlichen von Timmenrode nach Blankenburg.
1985 zahlten 6.200 Kirchensteuerzahler 181.400 M, eine nach wie vor beachtliche Summe bei der rückläufigen Mitgliederzahl.
In einem zweiten Schritt willigten der Pfarrkonvent auch in die Bildung eines gemeinsamen Kirchenkreises Wernigerode-Blankenburg ein, der zum 1. Januar 1988 in Kraft trat. Damit war die Eingliederung Blankenburgs perfek.
Die Pfarrkonvente tagten nun gemeinsam und griffen auch aktuelle Themen auf.
Am 7.2.1990 kam es bei Pfr. Schäfer in Wernigerode zu einem Gespräch zur Situation in unserm Land, am 6. März über "Wie könnte es weitergehen mit den Kontakten des Blankenburg/Wernigeröder und Bad Harzburger Kirchenkreis?"Am 4.April referierte Propst Brinksmeier über "Kirche im Sozialismus" und die Teilnehmer berichteten aus den Gemeinden im Blick auf die vollzogene Volkskammerwahl und die Vorbereitung der Kommunalwahlen. Am 2.Mai berichtete in Ilseburg Pfr. Tiedemann über Runde Tische und "Was bewegt unsere Gemeindeglieder im Blick auf die zu erwartende Währungs- Wirtschafts und hoffentlich auch Sozialunion? Wie weit geht das politische Engagement unserer Gemeindeglieder?"
So war auch die Wende vom November 1989 kein Grund zu einer Veränderung der gebildeten Strukturen.

Pfr Ernst Stiller und die Einfädelung des Anschlusses mit Wolfenbüttler Hilfe
Daher war es eine ziemliche Überraschung, dass Pfr. Stiller, Heimburg am 23. Mai 1990 an den zuständigen Stellen vorbei an alle Gemeinden der ehemaligern Propstei einen Brief richtete. Die sich vollziehenden Veränderungen in unserm Land hätten die Einheit Deutschlands zum Ziel. "Wenn wir als ehemalige Braunschweiger an Deutschland denken, dann wird uns bewusst, dass unsere Gemeinden seit der Reformation zur Ev.-luth. Landeskirche gehört haben. Die Trennung von unserer Mutterkirche ist von uns nie gewünscht oder beschlossen worden. Sie war lediglich ein Ergebnis des verlorenen Krieges. Viele Gemeindeglieder haben sich nie daran gewöhnt, erst zu Sachsen dann zur Kirchenprovinz Sachsen gehören zu sollen.
Bei zwei Gesprächen im Landeskirchenamt Wolfenbüttel ist mir deutlich geworden, dass die Chance, wieder zu Braunschweig kommen zu können, nie so groß war wie in diesen Tagen
Ich frage mich und Sie alle, was hindert uns eigentlich, diese Chance zu nutzen Sollten wir nicht unverzüglich in unseren Gemeinden mit unseren Kirchenvorständen und Mitarbeitern über diese Frage nachdenken? Im Ergebnis unserer Überlegungen sollten wir die Kirchenleitung in Magdeburg bitten, unserer Gemeinden wieder in die Ev.-Luth. Landeskirche zu entlassen. Die Synode der Br. Landeskirche wird sich der Rückkehr ihrer verlorenen Gemeinden kaum verschließen können und wollen.
Mein Vorschlag: sprechen Sie ehrlich und offen über diese Frage in ihren Gemeinden und lassen Sie uns dann zu einem Sondenkonvent der ehemaligen Braunschweiger in Heimburg zusammenkommen." Stiller schlug den 11. Juni 9 Uhr in seiner Gemeinde in Heimburg vor..

Dass Stiller diesen Vorschlag machte, lag nicht auf seiner bisherigen kirchenpolitischen Linie. Noch im April hatte er anlässlich der Kommunalwahlen 1989 der Zeitung "Volkstimme" ein Interview gegeben und dazu aufgerufen, sich unbedingt an der Wahl zu beteiligen und die Nationale Front zu wählen. Damals boykottierten bereits einige Gruppen die Wahl. Dagegen stellte sich Stiller als Mitglied der CDU an die Seite der SED. Das hatte am 7. Juni 1989 im Blankenburger Gemeindehaus laut Protokoll "Anfragen an Bruder Stiller bezüglich seines der Volksstimme gewährten Interviews am 19.4.1989 S. 3" gegeben.
Nun aber war Stiller zweimal nach Wolfenbüttel ins Landeskirchenamt gefahren und war dort offensichtlich dazu ermuntert worden, eine Art Volksbefragung auf eigene Faust anzuzetteln. Das konnte der zuständige Superintendent Schäfer in Wernigerode als Zumutung auslegen.

Beim Treffen im Juni in Heimburg sprach sich die Mehrheit der Kirchengemeinden für einen Anschluss an die Braunschweigische Landeskirche aus. Pfarrer Marschke erklärte allerdings, diese Frage liege in Hüttenrode zur Zeit nicht an, und Pfr. Schubert aus Hasselfelde wollte eine Befragung erst im August vornehmen. Nun legten die Kirchenleitungen in Magdeburg und Wolfenbüttel ihrerseits den Kirchengemeinden noch einmal die Frag vor, ob sie einen Anschluß an die Brausnchweigische Landeskirche wollten und "ob sie diesen Anschluß in die Br. Lk schnell anstreben oder wollen Sie sich Zeit nehmen für einen solchen Anschluß?

Die Gemeinden ließen sich Zeit und Stiller mußte sie im Januar 1991 zu einer Entscheidung drängen.
"Nach Anfrage im Landeskirchenamt Wolfenbüttel wartet man in Wolfenbüttel auf die abschließende Stellungnahme der Gemeindekirchenräte, die vor einigen Wochen von Vertretern der Kirchenleitungen in Magdeburg und Wolfenbüttel befragt wurde, ob sie den Wunsch haben, wieder in die Braunschweigische Landeskirche eingegliedert zu werden." Die Gemeinden stimmten zu, aber die provinzsächsische Synode entzog sich auf ihrer Sitzung im November 1991 bei nur 20 JA Stimmen, 12. Neinstimmen und 33 Enthaltungen einer Zustimmung, zumal die Ausgliederung für sie erhebliche Nachteile bedeutete.
Der Synodale Müksch hielt die Ausgliederung für einen "Rückfall in die Kleinstaaterei", eine 40jährige Solidarität sei zielgerichtet zu Fall gebracht worden. Propst Schmidt, Stendhal sprach von einer rückwärts gewandten Entscheidung. Der Synodenpräses Hoeppner erklärte, er werde gegen den Vertrag stimmen. Es fand sich in der Synodendebatte nicht eine einzige befürwortende Stimme.
Davon völlig unbeeindruckt stimmte die Braunschweiger Landessynode mit sehr großer Mehrheit dem Anschluss zu.

Die Entwicklung nach dem Anschluss
Die Entwicklung nach dem Anschluss des Harzbereiches an die Braunschweigische Landeskirche sieht folgendermaßen aus:
1993 hatte der Harzbereich 10 Pfarrstellen und 8.066 Gemeindemitglieder, im Jahr 2010 noch fünf Pfarrstellen und 4.569 Gemeindemitglieder. In der Stadt Blankenburg sind die 1.696 Gemeindemitglieder zu einer Pfarrstelle zusammengefasst (Pfrn Sabine Beyer), die Stadt Hasselfelde, Stiege, Allrode bildet mit 1.340 Gemeindemitgliedern ebenfalls eine Pfarrstelle (Pfrn Antje Labahn). Die Gemeinden Heimburg, Benzingerode, Rübeland, Neuwerk, Hüttenrode bilden mit 1.041 Gemeindemitglieder einen Pfarrverband (Pfr. Christoph Gutsche), und die Gemeinden Wienrode, Cattenstedt, Timmenrode, Treseburg und Börnecke mit 492 Gemeindemitgliedern ebenfalls einen Pfarrverband (Pfr. Oliver Meißner). Die 5. Pfarrstelle ist vom Pfarrerehepaar Lundbeck in Blankenburg als Sonderpfarrstelle "Kirche am Markt" besetzt.
Nach dem Ausscheiden von Pfr. Schubert, der Hasselfelde nach 24 dortigen Dienstjahren im Jahr 2000 verließ und Pfarrer Marschke, der über 30 Jahre in Hüttenrode amtierte und 2009 ausschied, gibt es keinen Amtsinhaber mit DDR- oder Wendeerfahrung. Die in Blankenburg wohnenden Ruheständler Minkner und Herrmann sowie Superintendent Kölbel können die Erinnerung an die Vorwendezeit aufbewahren.

Gott der Herr der Geschichte?
War Gott der Herr der Geschichte, insbesondere dieser Geschichte? Diese Sprachweise kehrte in der Begeisterung der 89er und 90er Jahre immer wieder auf. Ich würde es sehr begrüßen, wenn wir darüber in ein klärendes Gespräch kämen, denn gerade jene, die ihr Leben als unter der Führung Gottes verstehen, stehen in der Versuchung, Gott nicht nur als Herr ihrer Lebensgeschichte, sondern auch der Geschichte eines Volkes, ja der Völker zu interpretieren.
Ich wünschte mir ein unmissverständliches Nein. Für mich ist Gott nicht Herr der Geschichte, sondern ein Gott der Heilsgeschichte, auch meiner persönlichen Heilsgeschichte, denn die unappetitliche Verwechslung von deutscher Geschichte und Heilsgeschichte hatte schon öfters verheerende Folgen.




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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/vortrag/blankenburgcalvoerde/blankenburgcalvoerde.htm, Stand: November 2009, dk