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[Kirche von unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

50 Jahre Predigerseminar – ein etwas anderer Beitrag zum Jubiläum

Dietrich Kuessner

Irgendwann musste das renovierte Predigerseminar eingeweiht werden. Da traf es sich gut, dass vor 50 Jahren das PS sieben Jahre nach Kriegsende an neuer Stelle, erstmals in Braunschweig (sonst in Wolfenbüttel), wieder in Betrieb genommen wurde. Aus diesem Anlaß hat das Presseamt des Landeskirchenamtes in Zusammenarbeit mit der Seminarleitung ein Sonderheft herausgegeben, das der Synode direkt beilag. Gut, dass Direktor Rammler ein Oktavheft von Rudolf Brinckmeier gefunden hatte und auf die Einladungskarte die erste Eintragung drucken konnte. Also: zwei Ereignisse fallen zusammen und werden befeiert: ein historisches und ein aktuelles. Zeit für grundsätzliche Fragen

Von Bert Brecht erzählt man sich, er habe am Ende eines langen Probetages die Schauspieler/Innen noch mit grundsätzlichen Fragen genervt, wie z.B.: Was ist überhaupt ein Schauspieler? Was macht ihr? Wer braucht das, wenn ihr das so macht? Die grundsätzlichen Fragen wie vor einer Inszenierung im BB, die historische wie aktuelle, lauten: Brauchen wir überhaupt ein Predigerseminar? Was vermissen jene, die nie ein Predigerseminar besucht haben?

Ohne Predigerseminar was geworden

Klaus Jürgens hat im Frühjahr 1949 das 1. theologische Examen gemacht, kam ins Vikariat zum Grandseigneur Alfred Cieslar nach Salzgitter Kniestedt, dann für ein weiteres halbes Jahr zu Gerhard Frühling nach Lutter a.B., wo er jedoch die Gemeinde Nauen und Hahausen selbständig verwaltete, und schließlich nach Wolfenbüttel zu Kirchenrat Ernst August Schütze nach Johannes und außerdem ins Landeskirchenamt zu OLKR Seebaß. Aus dieser Arbeit heraus machte er das 2. Examen, wurde Hilfsprediger in Goslar und später Propst. Ohne Predigerseminar. Was hat er vermißt? Das Kennenlernen von Kollegen, sagt er rückblickend. Hans Jürgen Kalberlah hat im Frühjahr 1950 das 1. theologische Examen gemacht, kam ein halbes Jahr zu Ernst Heinrich Kammerer nach Kaierde, dann ein Jahr zum altehrwürdigen Propst Ehrhorn nach Vienenburg (sein 19. und letzter Vikar) und machte aus der Gemeindearbeit im Herbst 51 das 2. Examen. Er wurde später Propst von Goslar. Was hat er vermisst? Er schweigt vielsagend, schließlich hat er selber später am PS unterrichtet. Ernst Wilhelm Kämmerer kam nach dem 1. Examen 1951 für ein halbes Jahr nach Salzgitter zu Cieslar, dann zu Propst Heinrich Hansmann nach Schöppenstedt, in dessen Familie er unter schlichten Verhältnissen wohnte, und von dort nach dem 2. Examen in die Gemeinde Eilum. Auf der Uni habe er zwar von Predigtlehre und Konfirmandenunterricht nichts vernommen, aber: „ich war froh, dass ich um das Predigerseminar rumkam“, sagt er. Hartmut Padel kam auf eigenen Wunsch nach dem 1. Examen 1950 in die Jugendsozialarbeit nach Adelheide, von dort an die Stadtkirche nach Königslutter, wo der Propst Johannes Lehnecke krank geworden war und Padel ein dreiviertel Jahr lang den gesamten Dienst ausser Trauungen absolvierte. In dieser Zeit gehörte er zum wöchentlichen Predigtvorbereitungskreis, dem die BKler Hugo Wicke und Heinrich Brinkmann, ausserdem Helmut Rösner angehörten. Das war offenbar eine gute Predigtschule. Von dort kam der Vikar Padel zum jungen Gandersheimer Propst Rolf Lepsien ins Pfarrhaus nach Heckenbeck, wo die Praxis zurücktrat und das gründliche theologische Gespräch mit Lepsien wichtig und prägend wurde.

Alle vier waren noch in den letzten Monaten zur Wehrmacht eingezogen worden, waren „im Pulverdampf ergraut“ (Padel), hatten keinen Appetit auf vermutete erneute Kasernierung im Predigerseminar und drängten in die Gemeindearbeit. Sie waren außerdem nicht mehr die Jüngsten.

Erfahrungen aus der Nachkriegszeit

Welche Erfahrungen wären ohne Berücksichtigung der Nachkriegszeit für heute festzuhalten? Erstens: Lehrmeisterin ist die Gemeinde. Dort sind jene Übungsfelder für den kirchlichen Nachwuchs. Und zwar vorrangig. Dazu gehören der sonntäglichen Predigtdienst, Konfirmandenunterricht und Kasualien, also die volle Belastung durch ein Pfarramt. Ich halte es daher für fatal, wenn junge Pfarrer im Probedienst nach ihrer Ordination nur eine gestückelte Stelle erhalten. Da stellt sich dann schon viel zu früh die Frage ein: Was mach ich noch nebenbei? Genauso unmöglich ist es, wenn umgekehrt ein Propst es zulässt, dass ein Probedienstler bereits in den Propsteivorstand gewählt wird und nun als Visitator bei längst bewährten Pfarrern auftauchen soll und in deren Abwesenheit mit dem Kirchenvorstand eben über diesen Amtsbruder reden soll. Das gehört eigentlich zum kleinen Einmaleins, das man in Helmstedt nicht beherrscht.

Es sei vor nicht langer Zeit vorgekommen, dass ein Vikar im ersten Gespräch mit seinem Mentor gefragt habe, an welchem Sonntag er frei habe. Die Antwort müßte lauten: Freitag, Samstag, Sonntag und montags nie. Es ist vorgekommen, dass ein Mentor plötzlich krank wurde und der Erkrankte den Vikar bat, wenigstens das Gebet des Tages zu übernehmen, wozu sich der Vikar nicht in der Lage sah. Nichts ist zu verallgemeinern. Es ist vorgekommen, dass jemand nach seiner Vikariatszeit noch einmal ins Zimmer seines Mentors kam und fragte: Haben Sie sonst noch was? Nein? Auf deutsch: auf Nimmerwiedersehn. Beiderseits dann. Wieviel Benimm lernt man eigentlich im Predigerseminar?

Eine gewisse Anspruchshaltung kontrastiert in der Gegenwart zu den Anforderungen in den 50iger Jahren.

Welche Bedeutung die Gemeinde im Verhältnis zum Predigerseminar hat, wird unbeabsichtigterweise aus den vier Porträts auf den Seiten 8 und 9 des Sonderheftes deutlich. Von den vier Porträts spricht nur einer von seiner PS Zeit und die anderen drei ausschließlich von ihrer Gemeindearbeit. In ihrer Rückschau kommt das Predigerseminar überhaupt nicht vor. War das nicht das Thema des Heftes?

Ein zweite Erfahrung lohnt sich ebenfalls zu reflektieren: der Gemeinde- und Mentorenwechsel während der Vikariatszeit wird als fruchtbar erlebt. Tatsächlich spricht vieles dafür, dass ein Vikar während seines Vikariats sowohl eine Landgemeinde wie eine Stadtgemeinde kennenlernen sollte statt zwei Jahre bei ein und demselben Mentor zu arbeiten, womöglich zu leiden. Auch hier gilt: varietas delectat.

Drittens: Prägend war für die „Alten“ vor allem die Begegnung mit den Mentoren. Direktor Rammler wird im Sonderheft mit dem Satz zitiert, das pastorale Handwerk und die Persönlichkeit der Vikare würden in der Vikarszeit fruchtbar aufeinanderbezogen. Das gelingt am besten durch das Vorbild eines Mentors, einer Mentorin. Diese Vorbilder haben Jürgens, Kalberlah, Kämmerer und Padel gehabt und in guter Erinnerung behalten. Man fragt sich, ob die Auswahl der Mentoren sorgfältig genug ist, wenn man immer wieder hört, dass ein Vikar seinen Ausbildung bei einem Mentor abbricht.

Schließlich: eine regelmäßige, wöchentliche Predigtvorbereitung im Kreis benachbarter Pfarrer ist ein vergrabener Schatz unserer Landeskirche, den es zu heben lohnte, insbesondere für die Vikare.

Das Predigerseminar lange „geschenkt“

Die predigerseminarlose Ausbildung bleibt vor allem eine typische Nachkriegserscheinung, die wir uns nicht herbeiwünschen sollten, mag einer einwenden. Das ist auf den ersten Blick auch richtig. Auf den zweiten indes muß man feststellen, daß immer wieder bis in die 80iger Jahre hinein einzelnen Vikaren das Predigerseminar „geschenkt“ wurde. Die einen kamen ins Landeskirchenamt, wie z.B. Ulrich Hampel und viele andere, oder sie leiteten wie Peter Hennig das Studienhaus in Göttingen oder hatten einen anderen Sonderauftrag.

Auch mir sollte nach dem halben Jahr Vikariat in Mascherode bei Pfr. Wilhelm Ziegler 1960 das Predigerseminar „geschenkt“ werden und ich wurde als Vikar ins Landeskirchenamt berufen. Mir war nicht klar, was ich da lernen könnte. Im Stillen dachte ich mir: die Päckchen können sie allein von der Post holen und öffnen. Also schrieb ich wahrheitsgemäß: ich möchte lieber ins Predigerseminar, da ich als von aussen Kommender doch einige Braunschweiger Kollegen kennen lernen wollte. Damit hatte ich es mit damaligen Personalreferenten OLKR Wilhelm Röpke total verdorben – eben weil ich „die Ehre“ ausgeschlagen hatte - und beim damaligen Seminardirektor Rudolf Brinckmeier für alle Zeit einen „Stein im Brett“. Die Unsitte, das Landeskirchenamt als Ausbildungsstätte einzubeziehen, ist in letzter Zeit wohl eingestellt worden.

Im Predigerseminar 1960

Im Predigseminar lernte ich Eckhard Schliepack kennen, der unser „Senior“ wurde, später Pfarrer in Volkmarsdorf, danach Propst von Vechelde, eine Bekanntschaft, die anhielt und gewissermaßen auch „nützlich“ war, da Schliepack Mitglied der Kirchenregierung wurde. Außerdem waren im Predigerseminar Klaus Pieper, mit dem ich dann im Dezember 1962 ordiniert wurde - wir feiern die 40jährige Wiederkehr gemeinsam am 4. Advent im Magni -, außerdem Rudolf Quitte und Hans-Peter Schirmer, dazu einige Brüder aus der Oldenburger Kirche. Aus heutiger Sicht war der Unterricht „verschult“. Brinckmeier unterrichtete vormittags Kirchenlied, Kirchengeschichte, Taufe, Trauung und Beerdigung, Predigtlehre mit Exegese, Meditation und Ausführung, wobei in der Aussprache ziemlich die Fetzen flogen. Die Predigt wurde aufgeschrieben, auswendig gelernt und dann möglichst nach den Aufzeichnungen frei gehalten. Die heute in aller Regel abgelesenen Predigten halte ich für einen Ausdruck von Faulheit. Und der angekündigte Versuch aus Amerika einer „freien Rede“ (Sonderheft S.11 Atelier Sprache) bewahre die Hörerinnen und Hörer vor den spontanen, endlosen Einfällen zu einem Thema. Aus meiner unmaßgeblichen Sicht eine Knallidee, um das leerer werdende Predigerseminar noch ekd-weit aufzupeppen. Sie wird sich von allein erledigen.

Natürlich hatten auch wir Sprachunterricht und Sprechübungen und zwar beim Schauspieler Willy Steegen. Wir waren von der Notwendigkeit fälschlicherweise nicht so sehr überzeugt. Man kann den unzutreffenden Eindruck haben, als ob die Pflege der Sprachtechnik eine Erfindung im gegenwärtigen Seminarbetrieb sei. Auch hier gilt wie von anderem, im Sonderheft mit dem Anspruch der Erstmaligkeit Geschriebenem Prediger 3,15: Was geschieht, ist längst gewesen.

Es gab auch auswärtige Unterrichtende. Zur Katechetik kam der Leiter des Katechetischen Amtes Pfr. Heinrich Brinkmann. Das ist heute wohl auch noch so.

Der Nachmittag war der eigenen Beschäftigung und Nacharbeit vorbehalten.

Eindrücklich war mir ein Sozialpraktikum in einem – so nannte man das damals – Fürsorgeamt mit Besuchen bei den Bewohnern in den Hochbunkern. Im Fürsorgeamt bekam ich ziemlich krasse Akten und Lebensläufe zu lesen. Man wollte wohl dem angeblich weltfremden Herrn Vikar etwa herbe Luft vom wirklichen Leben um die Nase wehen lassen. Ein weitere wichtige Station war ein sechswöchiges Schulpraktikum in einer zweiklassigen Volksschule in Beuchte bei Lehrer Fanghähnel, in der ich die 2. Klasse, also die Schuljahre 5-8 in einem Raum mit vier verschiedenen Unterrichtsstoffen zu verarzten hatte. Ein Herr von der Schulbehörde nahm am Ende eine Unterrichtsstunde ab und war zufrieden mit den methodischen und didaktischen Vorüberlegungen und der Stundendurchführung. Das war nämlich mein 2. Reinfall bei OLKR Röpke gewesen. Zum 1. Examen sollte ich einen Stundenentwurf abliefern, in dem ein fertiges Frage- und Antwortspiel aufzuzeichnen war. Das hatte ich auf der Uni inzwischen anders gelernt, eben mit entsprechenden Vorüberlegungen zum Stoff. Ich bekam von OLKR Röpke meinen Entwurf zum 1. theologischen Examen prompt zurückgeschickt, die Arbeit sei mangelhaft, da sie sich nicht an die herkömmlichen Regeln ( KaKi = Katechet, Kinder) gehalten habe. Ich beugte mich knurrend, obwohl ich das Verfahren vorsintflutlich fand. Jaja, die herkömmlichen Regeln, das Übliche in der Landeskirche, das Gewöhnliche.

Ausgesprochen wohltuend fand ich im Predigerseminar die regelmäßige liturgische Mette am Morgen und das Abendgebet vor dem Abendbrot. Was diese gemeinsame geistliche Ordnung betraf, so litt Brinckmeier sehr unter dem verqueren Verhältnis zur Brüderngemeinde. Seinerzeit war Max Witte Pfarrer in Brüdern, ein Liebling von Bischof Erdmann, aber von altprotestantischem Schlage, an dem die Theologie des Kirchenkampfes völlig vorbeigegangen war. Nicht einmal am Sterbebett von Witte kam es zu einer Art Versöhnung. Es hätte ja nun wirklich nahegelegen, dass die Vikare sich an der liturgischen Ordnung des Stundengebetes der Brüderngemeinde beteiligt und an deren Gestaltung mitgewirkt hätten. Aber Witte hatte seinerzeit die Bildung der EKD und die Herausgabe eines EKD Gesangbuches brüsk abgelehnt. Also gestaltete Brinckmeier eine Art liturgisches Gerüst innerhalb seines Seminarbetriebes in dem Andachtsraum unter dem Dache: betende Hausgemeinde. Gewiß: wem liturgische Gepflogenheiten völlig fremd waren wie dem Kollegiaten Hans-Peter Schirmer, der hatte wohl zu stöhnen, und die Zeiten politischer Nachtgebete und der holländischen Liturgiereform waren noch nicht angebrochen. Es war ja mal gerade die alte Agende I eingeführt worden und auf dem Altar meines Vikarvaters Ziegeler in Mascherode hatte natürlich noch die alte Braunschweiger Agende gelegen, als ich hochgestimmt mit der neuen Agende im Kopfe zum ersten Mal an den Altar getreten war und ein mixtum compositum liturgicum zustandesang.

Also: betende Hausgemeinde auch aus einer gewissen Verlegenheit zum kirchlichen Nachbar in Brüdern. Daß die Nachbarschaft zur Brüderngemeinde im Sonderheft nicht nach der allen bekannten dramatischen Vorgeschichte thematisiert wird, ist ein Mangel und erweckt den Eindruck, Konflikte zu verdrängen. Nicht gut für ein überzeugendes „neues Konzept der Öffnung“.

Einmal im Monat fand seinerzeit ein literarischer Abend statt, zu dem ein Vikar ein Buch besprach. Ich hatte mir Dr. Faustus von Thomas Mann ausgesucht. Keine schlechte Anregung auch für die Abendgestaltung im neuen Predigerseminar und ein Beitrag zu dem vernachlässigten Kapitel Pfarrerschaft und Kultur. Vielleicht wichtiger als das Atelier Sprache.

Alle theoretischen Kenntnisse im Predigerseminar haben mich der quälenden Einsamkeit bei der Anfertigung der ersten Trauansprache, der ersten Taufe und der ersten Beerdigung nicht enthoben.

Prägend war für mich neben der theologischen Persönlichkeit von Brinckmeier im Predigerseminar die Hausgemeinschaft. Dazu gehörte die Frau, die für das leibliche Wohl zuständig war, die erste Frau Brauer, die zweite eine gestandene ostpreußische Pfarrwitwe, Frau Raffel, zu unserer Zeit die sehr auf Etikette bedachte Frau Sälter, die ich mit manchem Handkuß versöhnlich stimmte, wenn wir mal wieder zu albern gewesen waren. Gewiß lernten manche bei Tisch, dass man nicht anfängt zu essen, bevor nicht alle genommen haben und dass man erst mal sieht, ob der Nachbar was hat, bevor man sich selber auftischt. Mich haben die Essmanieren während meiner Dozententätigkeit gelegentlich erstaunt und mehr an einen Hühnerhof erinnert. Um derlei zu lernen, bedarf es nicht stilvoll inszenierter einmaliger Abende mit Kirchenpromis, sondern einer normalen regelmäßigen Tischgemeinschaft, bei der die Köchin selbstverständlich mitisst und nicht als „Personal“ behandelt wird. Hausgemeinschaft als Tischgemeinschaft kann durchaus prägend auch für den Umgang mit den kirchlichen Mitarbeiter/Innen in der Gemeinde sein. Die Manieren der Ich AG Generation verlernt man auf diese Weise rasch.

Zum Kirchenrecht kam mal OLKR Röpke, ich nehme an mehr deshalb, um mal die Vikare im Unterricht kennenzulernen. Auch diese Sitte sollte das neue PS ausbauen. Ich hielte es für die Personalpolitik der Landeskirche für sehr ersprießlich, wenn die Personalreferentin oder der Landesbischof einen Block von drei Tagen pro Kursus übernehmen würden. Man kann viel von den Vikarinnen und Vikaren lernen. Es ist bemerkt worden, dass der Vorgänger im Bischofsamt das PS kaum betreten hat.

Einmal war dann auch das Landeskirchenamt festlich zu Gast. Wir mussten uns fein machen, die Oberlandeskirchenräte wurden bedient, wer durfte neben wem sitzen und wer wem aus dem Mantel helfen – ach ja und das war‘s denn auch schon: Mokierende Hausgemeinde – sowas gab‘s denn auch

Mit Bonhoeffers „Gemeinsames“ Leben hatte das alles nichts zu tun, wie im Sonderheft zu lesen ist. Brinckmeier war ein von Karl Barth geprägter Lutheraner, der der Theologie der Ordnungen gründlich abgeschworen hatte und von Bischof Erdmann zum Predigerseminardirektor vorgeschlagen war, weil er Mitglied des Braunschweiger Pfarrernotbundes gewesen war, der in der Kirchenpolitik der Nachkriegszeit von Röpke und Breust links liegengelassen worden war. Nun war erstmals eine wichtige Personalstelle in der Landeskirche mit einem Mann der Bekennenden Kirche besetzt worden.

Brinckmeier dachte sich das Predigerseminar als betende, lernende, feiernde Hausgemeinde. Was ist daran altmodisch?

Da wir schon mal bei der Geschichte sind – man kann bei der Lektüre des Sonderheftes den unzutreffenden Eindruck haben, als ob die Seminarleitung ständig unterbesetzt gewesen ist. Da waren doch neben den Direktoren, derer mit einer Zeile gedacht wird, auch noch für den Betrieb wichtige Studienleiter. Die Kümmerlichkeit, mit der bei einem historischen Rückblick die Vorgänger bedacht und gewürdigt werden, bewegt sich am äußersten Rand des normalen Anstandes und hat mit guten Gründen verärgerte Reaktionen ausgelöst. Wer so tut, als finge mit ihm erst die wahre Seminararbeit an, dem sei nochmal die Lektüre des Prediger Salomo empfohlen: “und auch was sein wird, ist schon gewesen“.

Gesellschaftpolitisches Engagement

Im Sonderheft hebt die Seminarleitung zweimal das notwendige gesellschaftspolitische Engagement eines Pfarrers hervor. Pfarrer und Pfarrerinnen sollten „neben ihrer seelsorgerlichen Verantwortung noch offensiver wichtige gesellschaftliche Themen aufgreifen“ (S. 7 Rammler) und Pfarrer „gelten als kompetent, um Fragen der Gesellschaft zu beantworten“ (S. 6 Drost). Das wäre ja nun wirklich eine geradezu revolutionäre Neuerung im Seminarbetrieb. Es gibt in den letzten 40 Jahren meiner Erinnerung nach nicht eine einzige gesellschaftspolitische Initiative, die aus dem Predigerseminar in unsere Landeskirche hineingewirkt hätte. KEINE. Anlaß hatte es in den 60iger,70iger 80iger Jahren genug gegeben. Es hat mal eine Resolution der Studierendenkonferenz etwa zur Schwulenfrage in der Landeskirche gegeben, aber – ist sowas je im Seminarbetrieb aufgegriffen worden? Jedenfalls ist nichts nach aussen gedrungen und irgendwie vom Seminar aus wirksam für das Gespräch in der Landeskirche geworden. Kann denn die Seminarleitung aus ihrer eigenen Gemeindearbeit in Wenden und Bad Harzburg auf irgendeine bemerkenswerte Erfahrung in dieser Hinsicht zurückgreifen? Es gab in der jüngsten Zeit ein wichtiges, weit über die Landeskirche hinaus bekanntgewordenes gesellschaftspolitisches Engagement, nämlich den Protest von Herbert Erchinger gegen bestimmte Erscheinungen in der Autostadt Wolfsburg. Wenn wir nun lesen könnten, dass Erchinger als kompetenter Pfarrer für Industrie und Sozialarbeit ins Predigerseminar eingeladen worden wäre (früher war das der Fall) und zu seiner interessanten und wirkungsvollen Initiative befragt worden wäre. Nichts davon.

Offene Kirche, offenes Seminar – dass ich nicht lache! Ist es den Vorgängern in Erchingers Amt anders gegangen? Helmut Stammberger gehört zu den Vorkämpfern gegen die nicht rückholbare Ablagerung hochgiftiger atomarer Abfälle in den Salzstock Asse. Ist er für seine Kompetenz je anerkannt worden oder gar ins Predigerseminar geholt worden? Die Umweltproblematik im Landkreis Helmstedt hat sogar den Bundestag beschäftigt. Pfarrer Adrian und ich haben jahrelang gesellschaftspolitisch gegen die verderbliche Wirtschaftspolitik der herrschenden BKB gehalten. Wie war das Echo aus Kirchenleitung und Predigerseminar? Haha. Nein, man wollte sich mit diesen Niederungen der Politik eben nicht beschmutzen. Das war‘s. Und wie wäre es mit einer Einladung an den Landwirt Traube in Salzgitter, denn keiner, wirklich keiner kann über Schacht Konrad mitreden, der sich nicht in ein Gespräch mit diesem tapferen Kirchenmitglied eingelassen hat. Und Schacht Konrad ist der gegenwärtige umweltpolitische Brennpunkt unserer Landeskirche. Die offiziöse theologische lutherische Höhenluft war strikt für eine Trennung dieser beiden Bereiche in unserer Landeskirche und es ist zu befürchten, dass dies so bleibt. Denn Direktor Rammler meint, dass das Aufgreifen wichtiger gesellschaftlicher Themen NEBEN der seelsorgerlichen Verantwortung stattzufinden habe. Falsch. Ganz falsch. Das gesellschaftspolitische Engagement ist fundamentaler Teil der Seelsorge. Sonst verengt es sich zu parteipolitischer Einseitigkeit. Deshalb ist die Gesellschaftspolitik auch fundamentaler Bestandteil der Predigt. Das widerspricht nun im Grundsatz dem, was OLKR Kollmar, immerhin zuständig für das Predigerseminar, in seinem Zukunftsbild für unsere Kirche vor der Landessynode entwickelt hat: die priesterliche Kirche, die eben jedes gesellschaftspolitische Engagement endlich beiseitezulegen habe. Das seien aus seiner Sicht die Sünden der 68er. Soso!

Der Umzug

Inzwischen haben die Mitarbeiterinnen, Vikare und Studenten in einer Gewaltaktion an einem Tag die ganze Bibliothek in ihre neuen Positionen gebracht. Wir gratulieren zu dieser besonderen Gemeinschaftsleistung. Die Räume oben, in denen Frau Canstein sitzt, sind ein Gewinn. Das wichtige Magazin ist jetzt direkt zugänglich. Allerdings ist im Raum der Ausgabe weniger daran gedacht, sich irgendwo gemütlich mit einer Zeitschrift hinzusetzen und zu schmökern. Daß unter den etwa 70 ausliegenden Zeitschriften Kirche von unten fehlt, ist was Neues, indes kein Versehen. Jaja, die Weite des Horizontes oder die Angst vor dem kritischen Wort. Und das andere Heft, in dem Braunschweiger Pfarrer/In weit über die Landesgrenzen hinauswirken, das Heft Arbeitshilfe Gottesdienst ist zum Jahresende abbestellt. Und so verkriecht sich der Kleingeist unter die Ausflucht: Man kann doch nicht alles haben und anbieten. Aber natürlich nicht! Mitglieder der Kirchenregierung lesen es mit Gewinn.

Geglückt finde ich auch die Cafeteria. Das ist, anders als ich es befürchtet habe, ein großzügiger Raum geworden. Man wünschte sehr, er würde nun auch angenommen werden. Das kommt wohl auf das kulinarische Angebot an.

Den Eingang finde ich grässlich, aber das ist Geschmackssache: kalt, ungemütlich, wenig einladend, das nennt man heute wohl funktional. Ausgesprochen ärgerlich ist es, dass im Eingangsbereich kein Durchgang zur Propstei Braunschweig geschaffen wurde. Die Propstei hat zur Zeit einen erbärmlichen Zugang. Da fehlte es offenbar an der notwendigen Kooperation, von der man schriftlich so besonders gut zu berichten wußte. Betrifft‘s den eigenen Beritt, wird die Welt eng,enger. Ich AG!

Wie gehts nun weiter?

Neue Räume machen noch keinen neuen Geist. Die Zeit ist hoffentlich vorbei, dass Vikare/Innen das Gefühl hatten, es würde auch außerhalb des Unterrichtes neuerdings leitenderseits mitgeschrieben und dann, tja, dann weiß man nicht mehr so genau. Das PS ist nicht die Schneiderei, in der die ehemaligen Theologiestudenten auf Rechtgläubigkeit und Bekenntnis und Gemeindefrömmigkeit zugeschnitten werden, sondern wo Glaube und Zweifel Hand in Hand frei durchatmen können. PS lieber als Gelegenheit zu einer kräftigen Ketzerei und dem Gespräch darüber als das Korsett, in dem man vor lauter Glauben schwindelig wird. Ganz schädlich für den protestantischen Geist im PS ist die Tatsache, dass sich der Direktor neuerdings examensrelevant äußern soll. Viel wichtiger dagegen wäre ein enges Verhältnis zur Personalreferentin im gemeinsamen Gespräch, für welche erste Stelle sich ein Kandidat wohl eigne. Daran hat es in der weit zurückliegenden Zeit leider gefehlt.

Die Zahl der Theologiestudierenden geht in derart dramatischer Weise zurück, dass die Kirchenleitungen bereits Aufrufe zu vermehrtem Theologiestudium annoncieren. Wie sehen die mittelfristigen Planungszahlen für unser Predigerseminar aus? Warum erfahren wir da nichts? Angekündigt wird eine Verzahnung von Pfarrerfortbildung und Predigerseminar. Dazu wäre der Besuch der Seminarleitung in den Amtskonferenzen fällig mit motivierenden Referaten, damit die Kollegen im Dienst von sich aus die exegetische und systematische Arbeit endlich wieder in den Pfarrkonferenzen aufnehmen und vertiefen. Der aktuelle Tiefstand in dieser Hinsicht ist bedauerlich. Denn das wäre ja das schönste Ergebnis des Umbaus des Predigerseminars: das vertiefte Bemühen um das Verständnis vom biblischen Wort, von Geschichte und wie wir es unseren Zeitgenossen verklickern.


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