Kirche von unten: Home - Archiv - Geschichte - Vorträge, Beiträge - Cyty - Glaube

[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

(Download des Textes als pdf hier)


Kein Salut für Schmidt-Noske

von Dietrich Kuessner


Nun ist der von ihm kräftig geschürte Rummel um seinen 90. Geburtstag am 23. Dezember vorbei. Viele Interviews, zwei Sonderausgaben der ZEIT, die Familienalben wurden geplündert und auch Intimes aus der Frühzeit vermarktet. Das ist Geschmackssache. Die Verklärung habe „bizarre Formen“ angenommen, vermerkt Holger Schmale in der Berliner Zeitung (20./21.12.).

Die Gratulanten standen Schlange, konnte man meinen. Wie so oft ist auch hier auffällig, wer nicht gratulierte, z.B. die ehemaligen Koalitionspartner von der FDP. Nicht an der Treulosigkeit der FDP (Genscher der Verräter), wie Schmidt meint, ist die Koalition 1982 gescheitert, sondern weil Schmidt Gefolgschaft von seinem Partner und vor allem von seiner Partei verlangte. Gut militärisch, aber wenig kooperativ. Müntefering erinnert sich bei der Vorstellung von Schmidts jüngstem Buch „Außer Dienst“, er habe Schmidt in der Fraktion arrogant und verletzend erlebt. Das Ende der Regierungszeit Schmidt habe er wie andere als „Befreiung“ empfunden. Im Fernsehen schiebt Müntefering im Gespräch mit Beckmann noch nach: Schmidt wäre eitel und verletzend. Verständlich, dass Schmidt sich vor einem Festakt in seiner SPD drückt, weil er solche Bemerkungen wohl kaum ertragen hätte.

Kein Bischof, keiner von Kirchens ist als Gratulant aufgetreten. Schmidt hat den Hamburger Kirchentag 1981 noch immer nicht verkraftet, wo ihm die Kirchentagsteilnehmer die Gefolgschaft hinter seinem Aufrüstungsprogramm verweigerten. Die Großmächte konnten sich alle schon x mal gegenseitig umbringen, neue Waffen waren keine Lösung. Schmidt wollte „nach-rüsten“, die Kirche wollte „Frieden schaffen ohne Waffen“. Das war auch die Losung der damaligen Friedensbewegung, die Schmidt in seinem neusten Buch „Außer Diensten“ wie schon damals als „psychotisch“ beschimpft. Tja, da ist denn auch kein Dialog mehr möglich. Dann muss man eben zurücktreten und im Ruhestand Unanständiges und Unverdautes von sich geben.

Auf dem Kirchentag wurde auch der damalige Verteidigungsminister Hans Apel von den Teilnehmern kräftig zur Brust genommen. Apel trat daraufhin aus der evangelischen Kirche aus und zu den konservativen Selbständigen Lutheranern über. Und Apel polemisierte seither pausenlos gegen die Reformschritte der Kirche. Schmidt verbrachte seinen Geburtstag nach dem vielen tatü tata „im Stillen“, wie immer mit drei befreundeten Ehepaaren, darunter --- Hans Apel und Frau. Soso. Da können sie wieder ihre alten Wunden lecken.

Schmidt wiederholt in ausuferndem Altersstarrsinn seine damaligen politischen Positionen ohne einen Hauch von Selbstkritik erkennen zu lassen. Wer sich je die Erkenntnis Bonhoeffers, es gibt keinen Frieden auf dem Weg der Sicherheit, zu eigen gemacht hat, konnte mit gutem theologischen Grund gegen Schmidt Position beziehen. Und so ist es auch gekommen, obwohl einige Historiker das Gegenteil behaupten. Nicht die Nachrüstung, sondern eine Politik, die das Sicherheitsbedürfnis der Sowjets berücksichtigte (Egon Bahr, der auch unter den Gratulanten fehlt!) und der nachhaltige Eindruck der Friedensbewegung in der DDR und der BRD auf die Großmächte, dass vom deutschen Boden kein Krieg mehr ausgehen wird, haben die Sowjets zum Einlenken bewogen. Die Erkenntnis Bonhoeffers mag Schmidt als visionäre Psychopathie abtun, sie war 1933 visionär und politiktauglich zugleich.

BILD veröffentlichte am 23. „90 kluge Sätze von Helmut Schmidt“. Satz eins, fett gedruckt: „Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen“. Vielleicht liest es sich im Zusammenhang anders, aber dieser Satz ist immer wieder zitiert worden. Es wäre für Schmidt ein Klacks gewesen, die Presse zu bitten, diesen Satz wegzulassen, weil er sich missverstanden fühlt. Er dachte nicht daran. Daraus ist zweierlei zu entnehmen: Schmidt ist ein Mann ohne Visionen und betrieb eine Politik ohne Visionen. Dann sollte sich seine Frau nicht öffentlich beschweren, wenn ihr Mann immer wieder als „Macher“ vorgestellt wird. Das andere, das zu entnehmen ist, wäre: Schmidt wird nie ein Verständnis für biblische Texte haben, die von vorne bis hinten voller Visionen sind. Das war schon in den 80igern so, als Schmidt gegen die Bergpredigt tobte: damit könne man keine Politik machen. Er verstand nicht den visionären Charakter der Bergpredigt.

In seinem neusten Buch äußert sich Schmidt auch zu seinem kirchendistanzierten Glauben. Das macht ihn ja eher sympathisch. Aber auch da ist er pragmatisch. Er hält Kirche für die gegenwärtige Gesellschaft für wichtig, weil wertevermittelnd. Aber er selber betont, dass er dem Rat von Kardinal König, „trauen Sie auf die Kraft des Gebetes“ nicht gefolgt ist. Er beendet dieses Kapitel mit dem koketten Satz: Der Papst und Martin Luther würden ihn wohl nicht als Christ ansehen. Na gut, also Christsein als „Selbstbestimmung“, nach dem Motto: ich definiere mich als Christ und die Kriterien dafür stelle ich selber auf.
Unerwartet kommt Schmidt in diesem Kapitel nicht auf Bach zu sprechen. Hätte ja sein können, dass die von ihm geschätzte Bachmusik eine Brücke zu einer Art christlichem Glauben gebaut hätte..

Völlig ungeklärt ist die Position Schmidts in der Hitlerschen Wehrmacht. Schmidt war von 1939-1945 in dieser Armee, machte dort Karriere, wurde Leutnant und zum Schluss Batteriechef. Einsatz an der Ostfront und an Westfront. Gut geballert, wa? Schmidt war ein stolzer junger Offizier. Trauung natürlich in Uniform. Auch jetzt viel herumgezeigtes Foto. Ohne ein Gefühl von Peinlichkeit. „Das war damals eben so“.
Schmidt hatte das Bedürfnis, seine Rolle von damals öffentlich zu erklären. Ganz öffentlich. Es geschah unter freiem Himmel. Das öffentliche Gelöbnis von 500 Rekruten, das ja eigentlich in die Kaserne gehört, wurde in diesem Jahr vor den Berliner Reichstag platziert, aber die Bevölkerung aus Angst vor Störern ausgegrenzt. Öffentlich, ha ha.
Der Altbundeskanzler Schmidt plauderte von seinem Soldatensein und biederte sich den jungen Rekruten an. Er hätte die Verbrechen der Hitlerregierung schon früh, allerspätestens 1944 begriffen. Hitler hätte er schon 1938 aus „Verrückten“ durchschaut (so in seinem neusten Buch). Ganz schön visionär, wenn es nützlich ist. Sein Soldatensein damals hätte so ausgesehen: nachts im Bett schreckliche Leiden an den Verbrechen der Hitlerregierung und tagsüber dann kämpfen für den Sieg eben jener Regierung. Die „lieben jungen Soldaten“ (so Schmidt vor dem Reichstag) dürften sich sicher sein, dass der heutige Staat sie nicht missbraucht, wie Hitler damals seine Soldaten z.B. den leidenden Schmidt. Die Tagespresse war von dieser angeblichen Ehrlichkeit so überzuckert, dass sie die Rede wortwörtlich abdruckte. Vermutlich mit dem Hintergedanken: ging es allen anständigen Deutschen nicht ebenso? Oder gab es nur einen einzigen Anständigen?

In der gleichen Woche erschien ein ausführlicher Bericht, wie die christlich-demokratisch/ sozialdemokratische Bundesregierung die zahlreichen traumatisierten Rückkehrer von der afghanischen Front samt ihren Familien unchristlich und unsozial alleine lässt. Hätten sie den Ruf an die Front verweigern können? Im Bus zur Gedenkstätte Seelower Höhen, der vorletzten furchtbaren Menschenschlächterei zwischen Oder und der Berliner Reichskanzlei im April 1945, erzählt mir der Busfahrer, dass sein Sohn bereits zweimal als Major in Afghanistan stationiert gewesen wäre, beim ersten Mal offenbar leicht verwundet, und dann doch wieder hin. Und verweigern? frage ich ihn. Die bekämen einen Befehl und im Falle einer Verweigerung würden sie ins Zivilleben entlassen, auf deutsch: in die Arbeitslosigkeit. In Seelow beträgt die Arbeitslosigkeit 19,5 Prozent. Afghanistan als die lukrative Form, die Arbeitslosigkeit zu drücken. Von der Seite hatte ich es noch gar nicht gesehen. Wieder so eine Klemme, nur eine andere wie 1944. Diesmal: morden oder arbeitslos.
Jetzt (jetzt!) gefällt sich Schmidt, gegen den Einsatz des Bundeswehr in Afghanistan zu polemisieren. Das hätte er mal vor dem Reichstag in Berlin machen und den Soldaten raten sollen, was sie in diesem Falle tun sollten.

Schmidt ist in seinem Rückblick auf diese prägende Lebensphase als Zwanzig- bis Sechsundzwanzigjähriger nicht glaubwürdig. Und dass er es sich nicht verkniffen hat, beim Schandprozess gegen die Leute des 20. Juli als Zuschauer dabei zu sein, spricht Bände. Oder auch nur ein Befehl, gegen den „man nichts machen konnte“?

Es gab schon früher einmal einen Sozialdemokraten, von dem man sagte, er gehörte eigentlich einer anderen Partei an: Gustav Noske. Noske wurde 1919 Minister unter Ebert, und war dazu bestimmt, die ganze aufmüpfiger, aufrührerische Linke zusammenzuschießen. Das hat er in Berlin, München und Bremen gründlich besorgt, mit Hunderten von Toten. „Einer muss den Bluthund machen“, erklärte Noske. Danach wurde er abgelöst und wurde Oberpräsident in Hannover. Er blieb Außenseiter in seiner sozialdemokratischen Partei wie Schmidt.
„Der Feldwebel“ lautete Schmidts Spitzname während seiner Regierungszeit unter den europäischen Politikern. Wenigstens darauf sollte sich Schmidt nichts einbilden.
Daher unsrerseits: kein Salut zum 90.
Über Schmidts Regierungszeit informiert immer noch gut lesbar die Abhandlung von Jäger/Link 5. Band, Teilband 2. der Geschichte der BRD Kap. „Siechtum und Ende . Das letzte Kabinett Schmidt/Genscher“ S. 188 ff 1987, jetzt schon als Taschenbuch erhältlich ).




[Zurück] [Glaube] [Helfen]
Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/nachrichten/Schmidt.htm, Stand: Dezember 2008, dk