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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche


Die Braunschweigische Evangelisch-Lutherische Landeskirche
und der Nationalsozialismus

Ein Referat vom 11. März 1980 im Städtischen Museum in Braunschweig
von Dietrich Kuessner

(Download des gesamten Textes als pdf hier)



Teil 4: Die Doppelstrategie der Partei gegenüber der Kirche

Während die lutherische Kirche ihrerseits an dem Nebeneinander von Staat und Kirche festhält, zeigt sich die Partei zunehmend doppelgesichtig. Göring, Frick z.B. sind anfangs Anhänger des vertrauensvollen Nebeneinander. Rosenberg, Himmler, Bormann dagegen wünschen eine klare Verordnung des nationalsozialistischen, germanischen Rassismus, dem sich eine arisch orientierte Kirche unterzuordnen habe.
Diese Doppelgesichtigkeit wird in Braunschweig zum ersten Mal beim Gauparteitag im Juni 1934 deutlich:
Gauleiter Rust übernimmt auf dem Domplatz den christlichen Teil der Ansprache und erklärt: "Wie wir keinen Tempel bauen wollen neben den christlichen Kirchen, so wollen wir auch kein neues Walhall uns erdichten als Konkurrenz für den christlichen Himmel ... Nun tue man den letzten Schritt, man lasse das Kreuz in den Kirchen und lasse das Hakenkreuz auf dem Thingplatz und auf dem Sportplatz herrschen." 52) Rosenberg dagegen spricht über den angeblich uralten germanischen Weisheitsspruch: "Von der Schulter schieb, was fremd dir erscheint, und richte dich selbst nach dir selber." Von der Schulter soll natürlich die christliche Lehre geschoben werden. In Vergangenheit und Gegenwart werde nun eine neue sittliche Bewertung vorgenommen werden. Heiliges Land liege nicht irgendwo im Morgenland, sondern heiliges Land sei der Rhein und sei Niedersachsen. Er sei sich bewußt, großen, geistigen Kämpfen entgegenzugehen.
Braunschweig macht auf Rosenberg einen guten Eindruck. "...ganz Braunschweig in freudiger Zustimmung wie wohl nie," notiert er unter dem 28. 6. in sein Tagebuch. 53)
Rosenbergs Ideen fallen auf fruchtbaren Boden. Am nächsten Tag heißt es im Leitartikel der Braunschweiger Tageszeitung:
"Wir lehnen alles Artfremde ab und scheuen keine Konsequenz. Wir trennen uns von Gewohnheiten, auch wenn sie uns bequem und lieb geworden sind, auch wenn wir sie in Jahrhunderten angenommen haben, sofern sie unserer eigenen Art nicht entsprechen. Was uns der Süden und Westen Europas an Anschauungen gebracht hat, schütteln wir ab, weil es nicht zu unserm Heil ausgeschlagen hat und ausschlagen kann. 54)
Die genannten Konsequenzen spiegeln sich in den Kirchenaustrittszahlen ab 1934, die lawinenartig ansteigen: 1934: 245, dann: 705/1.500/4.200/4.500 und 1939: 4.924 Personen.
Diese Rosenberg-Linie wird anschaulich durch den Bau der Thingstätte am Nußberg mit 10.000 Stehplätzen und 7.500 Sitzplätzen. An den Ehrentagen der Nation wolle sich dort die Braunschweiger Bevölkerung zusammenschließen zu Besinnung und Freude, "und uns allen wird dort geschenkt werden, was wir seit langem ersehnen: Kraft durch Freude." 55)
Braunschweig hat die erste Thingstätte Niedersachsens. Holzminden erhält auch eine. Die rassische Schulung soll in Aufbauhäusern folgen, die langsam die Kirchen ersetzen sollen. Aufbauhäuser entstehen in Lehndorf, Melverode, Alversdorf und groß geplant im Salzgitter-Gebiet. Die Sonnenwendfeiern werden auf den Anhöhen des Landes romantisch aufgezogen. Der Bauernkalender für 1935 erscheint mit einem braunen Kirchenjahr: aus Himmelfahrt wird Donars Heimholung, Pfingsten ist Minnetag mit Birken und Ginstermaien, Heilig Abend ist Baldurs Lichtgeburt.
"Stille Nacht, heilige Nacht/ in dir ruht, jäh erwacht /
hehres Erbe aus uralter Zeit / findt uns Deutsche zum Kampf
bereit / heut ist Baldur geborn!". 56)
Professor Berger von der Technischen Universität hält 1935 die Weihrede bei der ersten braunen Trauung im Braunschweigischen Rathaus, der andere folgen.
Durch diesen Rosenbergteil der Partei kommt es auch zu Störungen in der kirchlichen Arbeit: Musiktruppen marschieren während des Gottesdienstes um die Kirchen herum, Jugendliche werden zu Sonntagsübungen abkommandiert, Freizeitlager werden mit Auflösung bedroht, Predigten werden abgehört, nicht wenige Pfarrer müssen sich Verhören und Befragungen unterziehen, ein Führerwitz am späten Abend einer Konfirmation kann schon eine peinliche Befragung auslösen, der Bischof bekommt Einreiseverbot für Thüringen, im August 1937 wird er im Polizeiauto von Schmalkalden nach Coburg verfrachtet.
Die Pfarrer registrieren diese Störungen der kirchlichen Arbeit irritiert. Einer schreibt an den Bischof:
"Ich schrieb Ihnen vor einiger Zeit über die Feindseligkeiten, Unfreundlichkeiten und Schwierigkeiten, die man der Kirche seitens der Parteiorganisation zuteil werden läßt, auch da, wo, wie hier, alles sonst ruhig und friedlich mit Partei und Kirche zugeht ... Stürmer, SA-Mann, Schwarze Korps und andere werden immer frecher und dreister in ihrem Auftreten gegen die Kirche. Wehrt man sich eigentlich nicht dagegen? Manches berührt mich wie aus einer, wie ich dachte, längst entschwundenen, marxistischen Zeit. Ich finde durch das alles nicht durch ..." 57)

Besondere Zielscheiben dieser Absetzbewegungen von der Kirche sind der Braunschweiger Dom, das Landeskirchenamt und die kirchlichen Finanzen.
Am 12. Juli 1935 besichtigt Hitler überraschend im Braunschweiger Dom die geöffnete Gruft Heinrich des Löwen. Er bewilligt zur Renovierung RM 400.000,--. Der Dom bleibt nach einer Übereinkunft zwischen dem Bischof und Klagges für eine Übergangszeit geschlossen. Es gibt jedoch Ärger, als erst die HJ, dann die Frauenschaft im Herbst 1935 den Dom zu einer Feierstunde genehmigt bekommen, den Altar jedoch nicht herrichten und das Kruzifix verhängen. "Hiermit fängt der Kirchenkampf bei uns an", bemerkt Bischof Johnsen am 16. Oktober in Seesen, bei der Arbeitstagung der Pröpste. - Am 2. 1. 1936 veröffentlicht die Braunschweiger Tageszeitung Skizzen, die das Ausmaß der nun geplanten Renovierungsmaßnahmen ahnen lassen. Es geht nicht nur um eine Gruftrenovierung, sondern um eine Domrestaurierung. Der Bischof versucht, den Dom für die Landeskirche zu retten, indem er zunächst selber das Dompfarramt wahrnimmt, dann Pfarrer Johannes Schomerus dafür gewinnt. Das ganze Jahr 1936 finden im Dom Gottesdienste statt. Aber Klagges setzt sich durch. Er erhält ratenweise von der Reichskanzlei weitere Summen - bis zur Endabrechnung im April 1940 sind es RM 650.000,-- - für eine architektonisch gesehen durchaus stilvolle Renovierung, wenn man von den germanischen Grafitzeichnungen oberhalb des Mittelschiffes absieht. Diese Umgestaltung geschieht ohne Absprache mit dem Landeskichenamt, da ja der Dom im Eigentum des Staates steht und zu seiner Gemeinde vor allem die Mitglieder des Herzoghauses, der Staatsministerien und die Staatsbediensteten gehören. 1938 wird das Gebäude des Dompfarramtes abgerissen, am 29. 12. 1939 wird die Domgemeinde aufgehoben. Nach dem Umbau finden im 'Staatsdom Heinrich des Löwen' Feierstunden zum Erntedank, der Hitlerjugend und des Gemeindetages statt. Es sprechen v. Schirach und wiederholt Rosenberg. Agnes Miegel und andere Prominente besuchen den Dom. 58)
Die Umwandlung des Domes in eine nationalsozialistische Weihestätte bedeutet für Klagges noch keine Unterwerfung des kirchlichen Lebens in der Stadt Braunschweig. Der Dom ist umgeben von 8 anderen großen Stadtkirchen im Stadtinneren, die alle den Gemeinden im Dritten Reich sonntags und alltags ungehindert zur Verfügung stehen.
Schwerwiegender erscheint der Einfluß der Partei auf das Landeskirchenamt. Im Sommer 1938 wird Oberregierungsrat Hoffmeister aus dem Staatsministerium Vorsitzender der Finanzabteilung. Er verdrängt die bewährten Juristen Dr. Lambrecht und Dr. Jürgens, stellt die Oberkirchenräte Röpke und Seebaß kalt, holt sich als Mitarbeiter den von Johnsen seit 1934 beurlaubten Oberkirchenrat Dr. Breust, streicht die Mittel für die kirchliche Arbeit erheblich zusammen und verhökert im Laufe der Jahre 900 Hektar Kirchenland. Das kann ihm nur gelingen, weil er dafür im Landeskirchenamt eine Reihe von hilfswilligen, anpassungsfähigen Mitarbeitern findet. Als 1949 das Landeskirchenamt eine Dokumentation über die Ära Hoffmeister herausgibt, wird diese Mithilfe durch das Landeskirchenamt verschwiegen. 59)
Der schwerwiegendste Eingriff ist für den 1. April 1941 vorgesehen. Das Braunschweigische Staatsministerium plant, sämtliche staatliche Zuschüsse an die Kirche zu streichen, der Kirche auch das Einziehen von Kirchensteuern zu verbieten und stattdessen die Erhebung von Beiträgen zu gestatten. § 2 des Gesetzentwurfes lautet: "Zu Beiträgen können die volljährigen Mitglieder der Religionsgesellschaften herangezogen werden." Der Staat behält sich jedoch die Genehmigung der Beitragsordnung (§ 6) und des Vollzuges (§ 7) vor. Damit soll die Kirche statt des öffentlich rechtlichen Charakters eine Vereinsbasis erhalten. 60) Dieses Modell wird bereits im Warthegau praktiziert. Bormann schreibt unter dem 10. 2. 1941 an das Reichsministerium für kirchliche Angelegenheiten, man wolle in Braunschweig Erfahrungen sammeln, die nach dem Kriege im ganzen Altreich ausgewertet werden könnten. Hitler jedoch will den Krieg nicht mit innen-politischen Spannungen belasten. Staatssekretär Lammers teilt aus dem Führerhauptquartier unter dem 6. 3. 1941 mit, daß Hitler "... die Fragen der Neuregelung des Kirchensteuerrechtes im Altreich noch aufgeschoben wissen will." Damit ist das Projekt wieder in der Schublade des Staatsministeriums bis zum Endsieg. Das Konzept des Nebeneinander ist zwar angefochten, aber es ist nach wie vor die Geschäftsbasis zwischen der braunschweigischen Landeskirche und dem Staatsministerium. Das Hakenkreuz allerdings verschwindet aus dem Kopf des Amtsblattes, nicht weil die Landeskirche vom Nationalsozialismus abrückt, sondern weil die Partei die Verwendung nationalsozialistischer Symbole verbietet.


Zum Teil 5: Die Bilanz des Konzeptes der Öffnung


Anmerkungen:

  1. Braunschweiger Tageszeitung 25. 6. 1934
  2. "Das politische Tagebuch Alfred Rosenbergs" H. J. Seraphim 1956 S. 30
  3. Braunschweiger Tageszeitung 25. 6. 1934
  4. Braunschweiger Tageszeitung 11. 2. 1934
  5. In: "Weihnachen im Dritten Reiche" 1934 Berlin
  6. Landeskirchliches Archiv Braunschweig G 84 Brief von Pfarrer Ehlers am 8. 11. 1936. Die Akte G 84 enthält eine Reihe anderer Störungen des kirchlichen Lebens in der Landeskirche
  7. Examensarbeit von Ulrich Schade "Der Braunschweiger Dom als 'Nationale Weihestätte' April 1970. Schade hat wichtige Quellen im Niedersächsischen Staatsarchiv Wolfenbüttel und im Landeskirchlichen Archiv Braunschweig aufgearbeitet. Außerdem Bundesarchiv Koblenz R 43 II 1257 a
  8. Siehe "Beiträge zur Tätigkeit der vormaligen Finanzabteilung beim Landeskirchenamt in Wolfenbüttel vom 2. Juni 1938 bis zum Schluß des 3. Reiches", Wolfenbüttel 1948
    Palmer "Materialsammlung" a.a.0. S. 109 ff
  9. In: Bundesarchiv Koblenz R 43 II/152 und Niedersächsisches Staatsarchiv Wolfenbüttel 12 A Neu 13 1 22687




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