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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche


Die Braunschweigische Evangelisch-Lutherische Landeskirche
und der Nationalsozialismus

Ein Referat vom 11. März 1980 im Städtischen Museum in Braunschweig
von Dietrich Kuessner

(Download des gesamten Textes als pdf hier)



Teil 6: Nationalsozialismus und Landeskirche nach 1945

1945 ist das deutsche Reich militärisch besiegt, aber der Nationalsozialismus nicht vorbei. Im Gegenteil: Der Nationalsozialismus wird nach 1945 besonders gegenwärtig, und zwar aus der Optik der Unterdrückten und Geschundenen. Das wollen viele Deutsche nicht. Sie wollen sich die erlebte Sonnenseite des Nationalsozialismus nicht verderben lassen und sagen daher lieber: der Nationalsozialismus ist jetzt vorbei. Die Braunschweiger werden noch am 1. Juni 1945 im "Braunschweiger Boten" aufgefordert, den Hitlergruß zu unterlassen.
Aus den Lagern der Hermann-Göring-Stadt strömen 50.000 Lagerinsassen, organisieren, plündern und sind die Herren der Straße. Zur Furcht vor der Rache der Sieger und der Unterdrückten kommt die Furcht vor der Denunziation und vor der beginnenden Entnazifizierung.
Gerade die von den Besatzungsmächten aufgezwungene und völlig sinnlose Entnazifizierung mit Hilfe eines Persilscheines und von guten Beziehungen unterbindet eine wirklich geistige Aufarbeitung des Verhältnisses zum Nationalsozialismus. Konnten die Alliierten hoffen, in den ebenfalls menschenunwürdigen Lagern der britischen Zone die nationalsozialistischen Deutschen für die Demokratie zu gewinnen?
Die Kirchen verbitten es sich außerdem, daß die Besatzungsmächte bestimmen, ob ein ordinierter Geistlicher in seinem Amt verbleiben kann oder nicht. Die Kirchen wollen - so heißt es – die 'Selbstreinigung' selber vornehmen. Die braunschweigische Landeskirche betreibt die 'Selbstreinigung' auf recht saloppe Art. Die Pfarrer füllen einen Fragebogen aus. Wenigstens 104 Pfarrer waren als Mitglieder der NSDAP erfaßt. Man trifft sich im Landeskirchenamt und wundert sich, wer alles dazugehörte. Man müsse den Engländern gegenüber etwas an Denazifizierung vorweisen. Man zahlt RM 20,---, einige auch mehr, einige Pfarrer gehen von alleine in den Ruhestand, einige Pröpste kehren nicht mehr in die Ämter zurück - und dann geht alles seinen alten Gang.
Die Entscheidung ist bereits im April 1945 gefallen. Oberlandeskirchenrat Dr. Breust, vorzüglicher Jurist der 20iger Jahre, völkisch, antisemitisch, Deutscher Christ, im letzten Jahr in den Harz evakuiert, fährt mit dem Möbelwagen vor das Landeskirchenamt, lädt sein Mobiliar in der mittleren Etage des Hauses am Schloßplatz ab und bezieht Posten. - Oberlandeskirchenrat Röpke tritt im Herbst 1945 im Magnigemeindesaal vor eine Reihe von Pfarrern, schildert seinen Kampf gegen die Finanzabteilung, läßt sich das Vertrauen aussprechen und knüpft die ersten Kontakte zur Gesamtkirche.
Mit dem Verbleiben der Oberlandeskirchenräte Röpke und Dr. Breust sind die Weichen für die Zukunft gestellt. Nach einer kurzen Pause kehren die alten Mitarbeiter von 1934 wieder zurück. Später kommt, von Bischof Erdmann geholt, der ehemalige Landgerichtsdirektor Dr. Lerche hinzu, der Oberlandeskirchenrat wird, obwohl er bis 1945 am Sondergericht in Braunschweig als Vorsitzender tätig war und in dieser Eigenschaft am Todesurteil von Erna Waszinski am 21. 10. 1944 mitgewirkt hat.
Die braunschweigische Landeskirche erlebt zum zweiten Mal im 20. Jahrhundert den Zusammenbruch des von ihr wesentlich mitgetragenen Obrigkeitsstaates. Sie entwickelt viele Formen, wie sie ihre Enttäuschung verkraftet:
Sie überwindet diese Enttäuschung, indem sie sich gekränkt gegen den Nationalsozialismus wendet. Jetzt sind die Predigten voll von der Schlechtigkeit des Nationalsozialismus. In ihrem Selbstverständnis getroffen, stellt sich der Koalitionspartner von 1931 nun als Opfer dar. Der gekränkte Mitläufer und Mitverfolger verdrängt die Schuld, indem er sich als Geschädigter darstellt und sich in eine umfassende Widerstandssituation hineinphantasiert. In diesem Sinne ist die bereits erwähnte Dokumentation des Landeskirchenamtes aus dem Jahre 1949 verfaßt.
Da, wo die Landeskirche an ihre Partnerschaft von einst erinnert wird und diese Erinnerung nicht verdrängt, beantwortet sie diese Erinnerung mit dem Hinweis auf "alte Geschichten, die man ruhen lassen sollte". Das ist verständlich. Sie kann auch vergessen, da sie ja in ihrer Substanz nicht wirklich bedroht war und keine Narben die Erinnerung an den Nationalsozialismus frisch halten. Bringt die Landeskirche überhaupt die Voraussetzungen mit, ihre Gemeindeglieder gegenüber den Opfern des Nationalsozialismus und der Entnazifizierung zu sensibilisieren? Oder leistet sie einem Infantilismus Vorschub, der sagt: "Ich bin es nicht gewesen" und "der andre ist viel schlimmer", z.B. derjenige, der am 15. 10. 1944 die Braunschweiger Altstadt aus der Luft zerstört hat.
Das alles will man sich nicht gerne sagen lassen und sucht doch in den eigenen Reihen nach Sündenböcken, am besten nach solchen, die schon tot oder weit weg sind.
So wie für viele Deutsche der tote Führer an allem schuld war, so projiziert die braunschweigische Landeskirche alle Schuld auf die Bischöfe Beye und Johnsen, die ebenfalls weit weg sind.
Bischof Johnsen ist seit Januar 1940 bei der Wehrmacht und im Mai 1945 in jugoslawische Gefangenschaft geraten. Am 29. 10. 1946 schlägt der Rechtsausschuß der Landessynode eine besondere lex Johnsen vor, die Johnsen das bischöfliche Amt vertragswidrig nimmt. Die Kirchenleitung schickt Johnsen diesen Bescheid unbrüderlich ins KZ Zrenjanin. Mit Pfarrer Erdmann sucht sich die Landeskirche einen anderen unverdächtigen Bischofskandidaten, der Mitglied der Bekennenden Kirche war und eine Bereinigung des Problems Nationalsozialismus und lutherische Landeskirche nach außen dokumentieren kann. Am 22. April 1947 wird Erdmann zum Bischof gewählt, am 2. September 1947 wird Bischof Johnsen im KZ Zrenjanin ermordet.
Beide Bischöfe sind nur Projektionsflächen, der eine für die Schuld der Landeskirche, der andere für den eingebildeten Neubeginn.
Eine wirkliche Wende hätte das Stuttgarter Schuldbekenntnis der Evangelischen Kirche bringen können, in dem es heißt: "Wir klagen uns an, daß wir nicht mutiger bekannt haben". Aber diese Einsicht erreicht nicht die Mehrzahl der braunschweigischen Pfarrerschaft und nicht das braunschweiger Kirchenvolk und ist auch in Westdeutschland nicht populär. In einem Kirchenarchiv finde ich einen Zeitungsausschnitt mit dem Stuttgarter Schuldbekenntnis und handschriftlichen, zeittypischen Randbemerkungen: "Zum ersten Mal haben führende Männer der deutschen Kirche Deutschlands Kriegsschuld bekannt". Am Rand; "Pfui Teufel!" "Durch uns ist unendliches Leid über viele Völker und Länder gebracht worden." Randbemerkung: "Diese Idioten!"
Enttäuscht ziehen sich diejenigen zurück, die auf einen Neubeginn der braunschweigischen Landeskirche gehofft hatten. "Nach 1945 waren die Kräfte der Restauration stärker als die der Reformation", stellt später der letzte Vorsitzende des Pfarrernotbundes fest. Und ein anderer: "Als ich aus Gefangenschaft zurückkam, stellt sich zu meinem Erstaunen fest, daß in einer restaurierten Kirche eigentlich keiner wirklich 'Deutscher Christ' gewesen war. Sie waren alle Brüder geworden. Alles war ein violetter Brei." 67)
Bischof Dibelius charakterisiert die Situation nach 1945 folgendermaßen: "Es muß etwas Neues geschaffen werden, aber dieses Neue muß irgendwie das Alte sein." 68) Man müsse da anfangen, wo man 1933 aufgehört habe. Und tatsächlich findet sich wie 1933 wieder eine sich christlich verstehende Obrigkeit, der die Kirche ihre Dienste anbieten kann.
Ich sträube mich, an dieser Stelle als lichtvollen Ausblick sozusagen noch Namen zu nennen, die sich vom Nationalsozialismus nicht haben beeindrucken lassen und die diese Haltung auch offen bekundet haben. Ich will gerne, wenn Sie danach fragen, dafür Beispiele in der Diskussion nennen. Ich befürchte aber, daß diese Beispiele uns auch hinderlich sein können, die notwendige Trauerarbeit zu leisten, nämlich sich der Krise zu erinnern, in der Erinnerung zu verharren und zu verarbeiten.
Ich bedanke mich bei der ÖTV-Fachschaft Staatsanwälte und Richter für die Gelegenheit ernsthafter und anhaltender Erinnerung, dem ersten Schritt der Trauerarbeit. Ich bitte Euch, nicht nur in der folgenden Diskussion diese Bemühung fortzusetzen.


Zur Zusammenfassung


Anmerkungen:

  1. Propst i. R. Radkau in einem Brief vom 3. 11. 1978 an den Verfasser
  2. Karl Kupisch "Kirchengeschichte 1815 - 1945", UTB, Bd. 172, 1975 5. 123. Kupisch stellt auch zutreffend fest: "Es hat der BK geschadet, daß man sie nach dem Kriege zur Widerstandsbewegung erhob. Das hat zu Verzeichnungen geführt" S. 125 und: "Wer die kommende politische Praxis der Kirche, vor allem die Stellungnahme hoher kirchlicher Amtsträger verfolgte, konnte nicht im Zweifel sein, wo der politische Standort der Kirche war. So wie die Kirche nach 1919 öffentliche Anliegen und ihre politischen Hoffnungen am besten bei der Deutschnationalen Volkspartei aufgehoben sah, so wurde jetzt die CDU der politische Rückenschutz." S. 129




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