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Liederbücher und Gesangbuchanhänge aus der Zeit des Nationalsozialismus
Der Nationalsozialismus war eine singende
Bewegung. Wir kommen um diese positive Bemerkung nicht herum. Ich habe
sehr viele ältere Menschen gesprochen, die zwischen 1933 und 1937
10-16 Jahre alt waren, und die sich mit großer Freude, ja
Begeisterung an das gemeinsame Singen in dieser Zeit erinnerten. Es
wurde bei Gruppenabenden, beim Basteln, beim Wandern, im Freien, beim
Zelten, beim Marschieren gesungen, gemeinsam gesungen. Musikalisch
waren es die Lieder der bündischen Jugend der vorhergehende
Jahrzehnte und neue frische flotte Ohrwürmer. Der
Wolfenbüttler Musikverlag Kallmeyer verlegte die gesamte
Notenliteratur der Hitlerjugend und des Bundes Deutscher Mädchen
und hatte sich bis 1938 damit finanziell außerordentlich saniert.
Für die evangelische Jugend war „Das neue Lied“ und
„Der helle Ton“ Anfang der 30er Jahre erschienen. In diesen
Gesangbüchern fiel der gründliche Abschied vom als weichlich
und süßlich empfundenen Liedgut des 19. Jahrhunderts und der
Rückgriff auf die kämpferischen Lieder aus der frühen
Reformationszeit auf. Auf seine Entstehung hatte der Direktor des
Burckhardthauses Otto Riethmüller entscheidenden Einfluß.
In der Zeit zwischen 1933 und 1940 entstanden verschiedene Anhänge
zu den gebräuchlichen Gesangbüchern, darunter auch zum
Braunschweigischen Gesangbuch. Zum Vergleich behandle ich zuerst die
Liederanhänge, die zuvor in der sächsischen und hannoverschen
Landeskirche entstanden sind. Alle drei Landeskirchen hatten die
Gesangbuchreform Anfang der 30iger Jahre nicht mitgemacht. Zwischen
1929 und 1931 hatten sich zahlreiche Landeskirchen neue
Gesangbücher gegeben, bestehend aus einem gemeinsamen ersten Teil,
dem Deutschen Evangelischen Gesangbuch (DEG) und einem zweiten
speziellen regionalen Teil. In diese Gesangbücher waren zahlreiche
aus alter Zeit neu entdeckte Lieder aufgenommen worden. Die
Sächsische, Hannoversche und Brauschweigische Landeskirche hatten
also ein gewisses Defizit an solchen Liedern, das sie mit der Schaffung
von Anhängen teilweise ausgleichen wollten.
Der Anhang zum sächsischen Gesangbuch 1934/36
Das sächsische Gesangbuch stammte noch aus der Zeit des
Königreiches Sachsen, aus dem Jahr 1883 und hatte 716 Liednummern.
1936 erhielt es einen Anhang mit 56 Liedern, der mit Nummer 717 –
772 fortgeführt wurden. Landeskirchenmusikdirektor Stier hatte
1934 diese neue Liedersammlung unter dem kernigen Titel „Deutsche
Kirchenlieder zur Erneuerung des Gemeindegesangs“
zusammengestellt. Jedes Lied hatte eine eigene Melodie. Lieder, die
sich bereits im Gesangbuch befanden, erhielten eine neue rhythmische
Weise. „Wie soll ich dich empfangen“ wurde nicht mehr nach
der Melodie „Valet will ich dir geben“ gesungen, sondern
nach der uns aus dem EKG geläufigen Weise, „Jesu deine
Passion“ nach „Christus der uns selig macht“,
„O Haupt voll Blut und Wunden“ und „Auf auf mein Herz
mit Freuden“ in rhythmischer Form. Diese „rhythmischen
Melodien“ sollten „die Grundlage für die Erneuerung
des Gemeindegesangs in der sächsischen Landeskirche werden“,
schrieb Stier im Vorwort und aus der praktischen Singearbeit sollte
„ein neues Gesangbuch entstehen, von dem wir wünschen,
daß es ein einheitliches Reichsgesangbuch sei“. Der Anhang
hatte nicht nur neue Weisen sondern auch 28 neue Lieder, die nicht im
bisherigen Gesangbuch standen. Dazu gehörten 16 Lieder, die uns
aus dem EKG geläufig sind wie „Es kommt ein Schiff
geladen“, „O Mensch bewein dein Sünde
groß“, „Gelobt sei Gott im höchsten
Thron“, „Lob Gott getrost mit Singen“, „Nun lob
mein Seel den Herren“ u.a. Außer diesen gab es noch sechs
zeitgenössische Lieder, zwei von Christoph Müller, 1931
„Heraus du Gottesvolk, heraus. Die Zeit ist da zu
streiten“( Nr. 745) und „Wenn Graun und Angst uns treiben
in unheilvoller Stund“ (Nr. 746), zwei von Gerhard Fritzsche
„Herr Christ schenk deiner Christenheit Glauben Lieb und
Einigkeit“ (Nr. 747) und „Nun sollst getrost du streiten du
Christenkämpferschar“ (Nr. 748), und zwei von Walter
Schäfer aus dem Jahr 1933 „Die Kirche Gottes steht im
Streit“ (Nr. 771) und „Ein Feuer hat er entzündet, das
brennen muß“ (Nr. 772).
Es wirkt aus der Distanz merkwürdig, daß die Kirche nur 15
Jahre nach der verheerenden Niederlage von 1918 wieder eine derart
kämpferische Tonart anschlug und auch aus dem Liedgut des 16. und
17. Jahrhundert jene Kampfeslieder herausgrub, die sich auch in diesem
Anhang befanden wie „Wach auf, wach auf du deutsches Land“
(Nr. 769), „Zeuch an die Macht, du Arm des Herrn“ (Nr.
743), „Wach auf wach auf ‚ist hohe Zeit“ ( Nr. 741).
Dieser Kampf galt der Rechristianisierung Deutschlands und einer durch
Volksmission und neue Lieder betriebenen Verlebendigung der
evangelischen Kirche.
Der sächsische Anhang schlug einen Ton an, den Otto
Riethmüller mit seinem Liederheft „Wehr und Waffen“
1935 fortsetzte. „Nun rüste dich, o Christenheit, Christus
steht vor der Tür“ hatte Riethmüller den
Böhmischen Brüdern nachgedichtet (Wehr und Waffen Nr. 43).
„Die schlafenden Heere/ sind bald besiegt/ verrostete Wehre/ von
selbst erliegt“ (Nr. 34,1) // Wir haben dein Warnen/ wohl oft
gehört/ des Feindes Umgarnen hat uns betört (Str. 2)// Parole
im Kriege/ der Herr ist da/ Am Kreuzweg zum Siege/ steht
Golgatha“ ( Str. 7). Das Lied Nr. 20 aus dem Jahr 1932 war
überschrieben „Getreue Führer“, auch von
Riethmüller den Böhmischen Brüdern nachgedichtet:
„Getreue Führer gib uns Gott/ zu Hilf in unsrer großen
Not/ Herr, dessen Allmacht alles kann/ nun führ du selbst dein
Werk voran“. Riethmüller hat nicht an Adolf Hitler gedacht,
sondern an eine „ritterliche Bruderschaft“, die
„beisammenbleibt in Treue und Aufrichtigkeit“ (Wehr und
Waffen 20,4).
Aber es war nur ein kurzer Gedankenschritt von dieser
kämpferischen Kirche zu einem durch den Nationalsozialismus
erneuerten Deutschland. So hieß es im sächsischen Anhang:
„Die Kirche steht im Streit, daß Deutschland sich
bekehre“ (771,2), aber Gott selber muß es bewirken:
„Du führst auf deutscher Erde für uns die Schlacht/. So
sprich dein mächtig Werde/ bis alles Volk erwacht“. Dies
Aufblühen von Christentum war verbunden mit dem Aufstieg des
Nationalsozialismus und vor allem mit dem Namen des damaligen
„Führers“. „Er hat sich wunderbar bezeugt/ und
Satans böse Nacht verscheucht/ Dem Führ’r hat er
geholfen“ (771,1). Der Anhang vermittelt die wichtige und nach
1945 heftig verdrängte Erkenntnis, daß die Hinwendung zum
reformatorischen, uns nunmehr vertrauten Liedgut seinerzeit keine
Abkehr vom Nationalsozialismus bedeutete sondern im Gegenteil die
Hinwendung zur „Bewegung“ mit einschloß. Es
zeichneten sich die Konturen eines Reichsgesangbuches ab, in dem Luther
und Hitler, reformatorisches und nationalsozialistisches Liedgut
durchaus miteinander vergleichbar und vereinbar waren.
Dazu gehörte auch die Beseitigung alttestamentlicher Wörter
aus dem klassischen Liedgut. Kein Gemeindemitglied hatte sich bisher
daran gestört, beim beliebten „Wie soll ich dich empfangen
von Paul Gerhardt zu singen „Dein Zion streut dir Palmen und
grüne Zweige hin“, nun aber hieß es: „Dein Volk,
das streut dir Palmen“. (717, 2) „Wohl dem, der einzig
schauet nach Jakobs Gott und Heil“ hatte Gerhardt in der zweiten
Strophe von „Du meine Seele singe“ gedichtet. Nun
hieß es: „..der einzig schauet nach unsres Gottes
Heil“ (757, 2). Ärgerlicher als diese Textänderung wird
es der Gemeinde gewesen sein, daß ihnen die vertraute Melodie
„Ich dank dir lieber Herre“, nach der sich bisher das Lied
gesungen hatten, genommen worden war und sie eine völlig neue
Melodie lernen sollten. Für den Fall blieben sie wohl lieber bei
der Liednummer ihres bisherigen Gesangbuches Nr. 289, und landeten dann
auch wieder beim „jüdischen“ Text von Paul Gerhardt.
Die Schlußstrophe des Osterliedes „Christ ist
erstanden“ hieß nun nicht mehr „Halleluja, des solln
wir alle froh sein“ sondern: Gelobt sei Gott, gelobt sei
Gott..des solln wir alle froh sein“ (Nr. 730, 3). Die Halleluja
in den beiden vorangehenden Strophen waren durch Kyrieleis ersetzt
worden. Das war Krampf auf der ganzen Linie und der Gemeinde vermutlich
herzlich gleichgültig. Sie wollten unbeschwert singen und dabei
sollte sie nichts stören. Aber es war eine von der
deutsch-christlichen Kirchenleitung eingefädelte Infamie, die auf
der Gesangbuchebene unbemerkt die Vertreibung der jüdischen
Bevölkerung unterstützte. Vor allem aber bedeutete sie eine
Beschädigung des jüdischen Erbes der Kirche.
Dieser Liederanhang war schon 1934 in der hohen Auflage von 372.600
Exemplare in den Gemeinden in Umlauf gebracht worden. Durch die
Verbindung mit dem gebräuchlichen Gesangbuch 1936 hatte dieser
Liederanhang seine offiziöse Weihe bekommen und wurde auch in den
Bekenntnisgemeinden bekannt.
Cornelia Kück hat dem Anhang einen Abschnitt in ihrer Arbeit gewidmet (S. 110 ff.).
Nicht unter den „Deutschen Kirchenlieder“ befand sich ein
Lied, weil es bereits im Sächsischen Gesangbuch von 1883 unter die
Geistlichen Volkslieder (Nr. 714) aufgenommen war. Es firmierte als
„Niederländisches Dankgebet“, spielte schon im ersten
Weltkrieg eine wichtige propagandistische Rolle, anvancierte zu einem
der Lieblingslieder Goebbels, und wurde immer und immer wieder bei den
bedeutsamen außenpolitischen Erfolgen Hitlers gesungen wurde:
„Wir treten zum Beten vor Gott den Gerechten/ er waltet und haltet ein strenges Gericht/
er läßt von den Schlechten die Guten nicht knechen/ sein Name sei gelobt. Er vergisst unser nicht.
Im Streite zur Seite ist Gott uns gestanden/ Er wollte, es sollte das Recht siegreich sein/
Da war kaum begonnen der Streit schon gewonnen/ Du Gott warst ja mit uns! Der Sieg er war dein.
Wir loben dich droben du Lenker der Schlachten/ und flehen mögst stehen uns fernerhin bei/
Dass deine Gemeinde nicht Opfer der Feinde/ Dein Name sei gelobt! O Herr mach uns frei.“
Das Lied propagiert ein primitives, aber bis heute populäres
Weltbild, das nur Gute und Schlechte kennt und Gott auf die Seite der
Guten postiert. Die Guten siegen, denn Gott ist auf ihrer Seite. Als
Gute widmen sie ihren Sieg Gott, der ja der „eigentliche“
Sieger ist. Das Lied hatte sich schon im ersten Weltkrieg nicht als
Durchhaltechoral bewährt, aber im Nationalsozialismus sollte es
sich, so hoffte man, als Wahrheit erweisen.
Der Durchhaltefilm „Kolberg“ 1945 endete mit diesem Choral.
Seither ist er aus den evangelischen Gesangbüchern verschwunden.
Er stand nicht nur im Sächsischen von 1883 sondern auch in anderen
Gesangbüchern (Baden, Brandenburg, Bremen, Hessen, Oldenburg,
Pfalz, Provinzsachsen, Freistaat Sachsen und Schlesien). Gewiß
hätte es seinen bevorzugten Platz in einem Reichsgesangbuch
gefunden.
Der Hannoversche Anhang 1938
Wenig später erhielt das Hannoversche Gesangbuch einen Anhang. Am
5. April 1938 hatte OLKR Mahrenholz die Pfarrer der Hannoverschen
Landeskirche auf die Einführung eines Liederanhangs für das
Hannoversche Gesangbuch von 1884 hingewiesen. Der Anhang bestand aus
einem gesonderten in gelben Karton gebundenen Heft (daher scherzhaft
„die gelbe Gefahr“ genannt) mit 52 Liedern (Nr. 639-690).
Die Liednummern schlossen sich fortlaufend an die letzte Nummer des
Gesangbuches an. Wer bei diesem Anhang Anpassung an den braunen Staat
und dessen schmissiges Liedgut vermutet, wird enttäuscht. Der
Liederanhang begann mit „Nun komm der Heiden Heiland“,
„Gottes Sohn ist kommen“, „Es kommt ein Schiff
geladen“, „Es ist ein Ros entsprungen“, „Gelobt
sei Gott im höchsten Thron“, „Der Herr ist mein
getreuer Hirt“, „Christ der du bist der helle Tag“,
„Es geht daher des Tages Schein“, zu Michaelis „Herr
Gott dich loben alle wir“, „Wach auf, wach auf du deutsches
Land“ u.a. Die Lieder gliederten sich in Lieder zum Kirchenjahr,
zu Gottesdienst und Tageszeiten. Eine Rubrik „Volk und
Staat“ fehlte. Allenfalls konnte man die Aufnahme von „Wir
treten zum Beten vor Gott den Gerechten“ ( Nr. 673) als
Konzession an den politischen Zeitgeschmack werten. Zum Liederanhang
erschien 1939 ein Choralbuch, das an die hymnologische
Erneuerungsbewegung anknüpfend den Liedern zahlreiche neue,
rhythmisch veränderte Melodien zuwies (LAH 50214). „Allein
Gott in der Höh sein Ehr“ (Nr. 6), „Christus der ist
mein Leben“ (Nr. 29), „Herr Christ der einig Gotts
Sohn“ (Nr. 96), „Wachet auf“ (Nr. 230) hatten bereits
die im EKG wiedergegebene Fassung, die sich von der gebräuchlichen
Singweise unterschied. Weniger die Texte sondern die neuen Melodien
waren es, die den Gemeinden zu schaffen machte.
Wie schon Stier so verband sich auch bei Mahrenholz mit diesem Anhang
die Hoffnung, daß in Umrissen die Konturen eines deutschen
Reichsgesangbuches sichtbar würden.
Es gelang Mahrenholz sogar, diese neuen Melodien den alten Texten in
der ordentlichen Gesangbuchausgabe von 1938 zu unterlegen. Es wurden
auf diese Weise die Melodien zu sämtlichen Lutherliedern
verändert. „Es wolle Gott uns gnädig sein“ (HG
165), „Wär Gott nicht mit uns diese Zeit“ (HG 176),
„Ach Gott vom Himmel sieh darein“ (HG 166), „Christ
ist erstanden“ (HG 105), „Christ lag in Todesbanden“
(HG 108) und alle weiteren Lieder Luthers und der Reformationszeit
wurden nun in der rhythmischen Fassung geboten. Selbst HG 168
„Ein feste Burg“ wurde die vertraute isometrische Melodie
genommen und nur noch in der neuen rhythmischen Fassung geboten. Aber
auch spätere Melodien wie „Sollt ich meinem Gott nicht
singen“ waren völlig verändert und mußten von der
Gemeinde neu eingeübt werden.
Klügel hat nicht unrecht, wenn er diesen Liederanhang „heute
als Brücke zum EKG“ wertet (S. 305). Das gilt nicht nur
für den Liederanhang sondern in viel größerem
Maße für die melodische Bearbeitung der Hauptausgabe des
Gesangbuches von 1938. Zunächst aber stopfte dieser Liederanhang
wie die melodische Bearbeitung des Gesangbuches die große
Lücke, die die Weigerung der Hannoverschen Kirchenleitung 1926,
das DEG einzuführen, hinterlassen hatte. Die meisten der oben
erwähnten Lieder standen bereits in zahlreichen anderen
Gesangbüchern. Das Hannoversche Gesangbuch hatte einen erheblichen
Nachholbedarf. 1938/39 hatte der Anhang außerdem dieselbe Aufgabe
wie der sächsische Liederanhang. Er war eine Stufe zum geplanten
Reichgesangbuch. Gemäß dem Prinzip der kirchlichen Mitte,
die die Lutheraner vertraten, nämlich daß
nationalsozialistischer Staat und lutherische Kirche getrennt, aber in
einem geordneten Nebeneinander miteinander existieren sollten, sollten
die zahlreichen reformatorischen Gesänge ihren geordneten Platz im
Dritten Reich erhalten. An ein anderes Staatsgebilde als den
nationalsozialistischen Staat hatte 1938/39 keiner gedacht. Man hatte
sich auch gesangbuchmäßig mit diesem Anhang im Dritten Reich
eingerichtet.
Das eindrucksvollste Beispiel für das Nebeneinander von
klassischem reformatorischen Choral und Nationalsozialismus bot das
Lutherlied „Verleih uns Frieden gnädiglich“ (HG 1938
Nr. 519). Dort ersetzte Mahrenholz in der zweiten, von Johann Walther
hinzugefügten, seltener gesungenen Strophe „Gib unserm
Fürsten und aller Obrigkeit“ das Wort
„Fürst“ durch „Führer“. Nun
hieß es also: „Gib unserm Führer und aller Obrigkeit
Fried und gut Regiment, daß wir unter ihnen ein geruhiges und
stilles Leben führen mögen in aller Gottseligkeit und
Ehrbarkeit. Amen“. Im Gesangbuch von 1928 hieß es auch
bereits unzeitgemäß: „Gib unserm Könige und aller
Obrigkeit Fried und gut Regiment“. Nun also
zeitgemäßer „Führer“, nach 1945 hieß
es „unserm Volk“. Die Bewertung wird von
„kirchendiplomatisch geschickt“ bis zu
„angepaßt“ reichen. Daß das schlichte Ersetzen
von „König“ durch „Führer“ doch
schwierig war, zeigte das nächste Lied Nr. 521 im Hannoverschen
Gesangbuch von 1938. Dort hieß es 1928 nach der Melodie
„Herzlich lieb hab ich dich o Herr“: „Den König
schütze deine Macht/ Er der für unsre Wohlfahrt wacht/ ist
uns von dir gegeben.“ Mahrenholz änderte den Text in der
Ausgabe 1938: „Den Führer schütze deine Macht!/ Er der
für unsre Wohlfahrt wacht/ ist uns von dir gegeben“. Die
Ausgabe von 1928 nahm Bezug auf die Jahrhunderte lang gepflegte
Denkfigur vom Gottesgnadentum von Kaiser, König und Fürst.
Daß Hitler von „Gott gegeben“ wäre, mochte 1933
noch im Überschwang deutsch-christlicher Irrtümer verzeihlich
sein, 1938 war das doch eine umstrittene Aussage. Die auf diesen Vers
folgende Bitte hat Gott dann nicht erhört. Die Fortsetzung
lautete: „Du, der in ihm so viel uns gibt/ schenk ihm, der sein
Volk treulich liebt/ ein reiches langes Leben“. Hitler hat sich
mit 55 Jahren erschossen. Die Wendung, das Hitler sein „Volk
treulich“ liebt, stammte auch aus der Feder von Mahrenholz. In
der Fassung von 1928 hieß es: „schenk ihm, der
väterlich uns liebt, das frohste, längste Leben“.
Eingezwängt in diesen beiden, den Führer benennenden Lieder
HG Nr. 519 und 521 mußte sich das Lied Nr. HG 520
unmißverständlich ebenfalls unausgesprochen auf Hitler und
die ns Führerelite beziehen: „O heilige Dreieinigkeit/
erhalt uns unsre Obrigkeit/ die deine treue Vaterhand/ gesetzet selbst
in diesen Stand.“ Wirklich? Das Luthertum von den Alpen bis an
die Nordsee hat dies 1933-1945 immer wieder zu Papier gebracht: Gott
hat die ns. Obrigkeit in diesen Stand gesetzt. Im Gesangbuch wurde
dieser Irrtum auch der singenden Gemeinde nahegelegt.
Daß es auch ganz ohne Anpassung ging, bewies der aus elf Liedern
bestehende Anhang (Nr. 745-755) des schlesischen Gesangbuches von 1939.
Der Liederanhang zum Braunschweigischen Gesangbuch 1939
Entstehung des Liederanhangs
1938 hatte das Hannoversche Gesangbuch einen Anhang erhalten. Im Mai
1938 stellte eine Kommission, der Musikdirektor Saffe,
Wolfenbüttel, Pastor lic. Schäfer, Wolfenbüttel und Pfr.
Otto Jürgens, Braunschweig angehörte, unter dem Vorsitz von
OKR Röpke eine Liederliste mit 35 Liedern zusammen, und zwar
Lieder zum Kirchenjahr, Morgen und Abendlieder, dann Kreuz und
Trostlieder unter dem Motto „Auf bleibet treu“ und Lieder
der Glaubensgemeinschaft unter der Überschrift „Herr wir
stehen Hand in Hand.“
Elf Lieder verschwanden wieder aus der Liste, darunter auch „Volk
will leben“, „Gott ruft dich priesterliche Schar“. Es
wurden 14 neue Lieder hinzugefügt und eineinhalb Jahre später
am 30. September 1939 wurden Pfr. Wendeburg vom Marienstift, Pfr.
Rauls, Braunschweig, Frl. v. Hoerschelmann vom Mädchenwerk, Propst
Leistikow, Pfr. Kalberlah und Landesjugenwart Stracke angeschrieben und
gebeten, die beiliegende stark veränderte und leicht ausgeweiteten
Liedauswahl auf eventuelle Wünsche durchzusehen. Das war in einer
Zeit des führergemäßen Zentralismus ein Hochmaß
von Gemeindebeteiligung der unterschiedlichen Gruppen. Auch an diesem
letzten Entwurf wurde noch geändert und drei Lieder
handschriftlich hinzugefügt, darunter Jochen Kleppers „Gott
wohnt in einem Lichte“ (LAW G 211). Es waren sogar drei
Klepperlieder vorgeschlagen und der Eckartverlag hatte bereits seine
Genehmigung zum Abdruck gegeben. Außer dem oben genannten
„Noch manche Nacht wird fallen“ auf die Melodie
„Befiehl du deine Wege“ und „Die Menschenjahre dieser
Erde“ nach der Melodie „Wer nur den lieben Gott
läßt walten“ (LAW G 211). Klepper war seinerzeit
berühmt wegen seines Soldatenromans „Der Vater“, der
den König Friedrich Wilhelm I., den Vater Friedrich II., zur
Hauptfigur hatte.
Inhalt des Liederanhangs
Den 536 Liedern des Gesangbuches von 1902 wurden die Nr. 537 –
576 angefügt. Die 40 Lieder gliederten sich in I. Lobet den Herren
alle die ihn ehren (Nr. 537-550) II. Auf bleibt treu Nr. 531-560 und
III. Herr wir stehen Hand in Hand.
Der erste Teil vereinigt 14 klassische Choräle wie „O
Heiland reiß die Himmel auf“ (Nr. 537), „Gelobt sei
Gott im höchsten Thron“ (Nr. 542), „Wir pflügen
und wir streuen“(544), „Lobet den Herren alle die ihn
ehren“(545), „Mein schönste Zier und Kleinod
bist“ (Nr. 548).
Im zweiten Teil befinden sich zehn weitere Choräle mit
volkstümlichen Charakter wie „Brich herein süßer
Schein“(Nr. 552), „Weiß ich den Weg auch nicht du
weißt ihn wohl (Nr. 560), wobei die Überschrift „Auf
bleibet treu“ unklar bleibt. Das gleichnamige Lied von Ernst
Moritz Arndt (Nr. 551), das diese Lieder anführt, konnte im Jahr
1939 als ein Aufruf verstanden werden, am „alten, treuen
Gott“ festzuhalten. „Der alte Gott, der treue Gott/
läßt sich noch immer schauen/ und macht des Teufels List zu
Spott und seinen Stolz zu Grauen“. Die Schlusszeile der zweiten
Strophe wurde zu einem geflügelten Wort: „die Freiheit und
das Himmelreich gewinnen keine Halben“. Von Otto Riethmüller
war das 1934 gedichtete kämpferische, leicht missbräuchliche
Lied „Das Königsbanner zieht voraus/ ihm folgt das ganze
Königshaus/ es kennt das Zeichen in der Fahn/ das Kreuz geht
Gottes Heer voran“. Der Kirche ziehe das Kreuz als Sieg und
Friedensfahn still voran. „Und wer dies Zeichen sich
erwählt/ der ist zu Gottes Heer gezählt“. Dies Lied
sollte die marschierende, bündische christliche Jugend von damals
ansprechen. Der junge Christ solle recht streiten, den Plan nicht
verlassen, stark und fest stehen, dann winke der Sieg. Es war immer der
Glaube und Glaubenskampf gemeint, aber mußte der an die Front
eingezogene junge deutsche Mann diese Strophe nicht auch als
Durchhalteparole mißverstehen: „Sei wach und kühn und
streite recht/ es ziert den Kriegsmann wahrlich schlecht/ wenn er
verzagt den Plan verlässt/ Wer siegen will steh stark und
fest“ (Nr. 553,6). Mit „Gott wohnt in einem Lichte“
Nr. 555) von Jochen Klepper 1938 wurde der Text eines
zeitgenössischen nach damaliger Anschauung nicht total
„arischen“ Dichters aufgenommen. Es ist das Lied von der
beständigen Nähe Gottes auch bei dem ärmsten
Geschöpf. Gott allein ist unsterblich und gewaltig. „Aus
seinem Glanz und Lichte tritt er in deine Nacht/ und alles wird
zunichte was dir so bange macht“. Klepper hat es als Trostlied
auch „in der Nacht“ „im Welt und Endgericht“
verstanden. „Er macht die Völker bangen/ vor Welt- und
Endgericht/ er trägt nach dir Verlangen/ lässt auch die
Ärmsten nicht“ (555,3). Im Hinblick auf die
Auseinandersetzung innerhalb der führungslosen Deutschen
Evangelischen Kirche und auch mit dem nationalsozialistischen Staat
konnte zur Melodie „Erhalt uns Herr bei deinem Wort“ das
Lied Nr. 556 aus der Reformationszeit ausgesucht sein: „Herr Jesu
Christ, mit großem Leid/ umfangen ist dein Christenheit/ Hilf
doch hilf doch o lieber Herr/ ohn dich ist sonst kein Helfer
mehr“.
Der dritte Abschnitt vereinigte Lieder mit eindeutigerer
vaterländische Note, allen voran das sog. Niederländische
Dankgebet und „Wach auf, wach auf du deutsches Land“ (Nr.
571). Auch dieses Lied von 1552 konnte mißbraucht werden und
einen gefährlichen Beigeschmack entwickeln, sodass es sogar auf
einem Reichsparteitag der NSDAP gesungen wurde. War das
„höchste Pfand“, das Gott gesandt hatte, nicht eben
Adolf Hitler? Deutschland solle sich „erweichen lassen“,
rechte Buße tun und die Hand Gottes ergreifen. Die Verwirrung
unter den Frommen war damals so groß, dass dabei eine Mahnung zu
einer Wendung zur ns. Partei herausgehört werden konnte. Dieser
Teil wurde angeführt von einem Lied des damaligen Braunschweiger
Männerpfarrers Schäfer „Auf auf ihr Männer, steht
bereit/ Wach auf du Königsheer/ Du dienst dem Herrn der
Herrlichkeit/ dem Gott das letzte Reich verleiht/ ob seine Feind auch
toben sehr“ (Nr. 561). Nicht also das dritte sondern das letzte
Reich war diesem Königsheer, sollte heißen; der
kämpfenden Gemeinde anvertraut. Es war der zeitgemäße
martialische Ton, den schon Riethmüller angeschlagen hatte, mit
seinen mittelalterlichen Bildern vom Kriegsmann, Fähnlein und
Schwert, dem das Lied, gedichtet in Wolfenbüttel 1936, seine
Aufnahme in diesen Anhang verdankt. Nach der Melodie „Wir treten
zum Beten“ konnte auch die beliebte Verherrlichung des deutschen
Vaterlandes „Das Land meiner Väter“ (Nr. 563) besungen
werden als „Boden der Heimat“, „Scholle der
Väter“, „Herd des Hauses“, und Gott möge
die rauschenden Wälder und blühenden Gärten behüten
und der allmächtige Gott möge Segen verleihen „zu
heiligem Glauben/ zu innigem Lieben/ zu fröhlichem Hoffen und
redlichem Tun/ zu lauterer Freude, zu Helfen und Retten“. Es
blieb unklar, wer das Objekt des Glaubens und Hoffens war. Es konnte
auch Deutschland sein. Es stammte von Ernst Krenge, der bis 1934 33
Jahre lang Pfarrer in Ottenstein gewesen war. Selbst Zinzendorfs
„Der Glaube bricht durch Stahl und Stein/ und kann die Allmacht
fassen/ er wirket alles und allein/ wenn wir ihn walten lassen/ Wenn
einer nichts als glauben kann/ so kann er alles machen/ der Erde
Kräfte sieht er an/ als ganz geringe Sachen“ (Nr. 564)
konnte mißverstanden werden. In den drei Strophen ist nirgends
die Rede vom Glauben an Jesus Christus, was Zinzendorf
selbstverständlich war. Die Bitte der zweiten Strophe „Gib
mir auch einen Heldenmut, die Feinde zu bestreiten“, konnte sich
auch auf Polen, Franzosen und Russen beziehen lassen. Der
Braunschweiger Liederanhang unterschied sich vom Hannoverschen durch
einen erheblich stärkeren vaterländischen, nazinahen Ton.
Behinderung und politische Einflußnahme der Finanzabteilung
Der Anhang war ein klassisches Dokument der kirchlichen Mitte. Es
vermied deutsch-christliche Grotesken und Häresien und er stellte
den allzeit singbaren Gemeindechoral neben den missverständlichen.
Das geordnete Nebeneinander von lutherischer Kirche und Lehre und
nationalsozialistischer Partei und Ideologie gehörte zur
grundlegenden Kirchenpolitik der damaligen Braunschweigischen
Kirchenleitung.
Der Anhang war ab Frühjahr 1938 konzipiert und seinerzeit seine Finanzierung sichergestellt worden.
Ab Sommer 1938 hatte jedoch ein Wechsel in der Finanzabteilung
stattgefunden, die nun von dem erklärten Nationalsozialisten
Oberregierungsrat Hoffmeister geleitet wurde. Unter der Vorwand,
daß alles mit Finanzen zu tun habe, riß er die ganze
Verwaltungsgewalt des Landeskirchenamtes an sich, wobei ihm
bedauerlicherweise fast die gesamte Belegschaft folgte. Die
Oberlandeskirchenräte Röpke und Seebaß, die für
die Herausgabe des Gesangbuchanhanges verantwortlich waren, wurden
vollständig isoliert und wurden in einen zermürbenden
Kleinkrieg um die Finanzierung von Kleinstbeträgen an den
Bärenreiterverlag und die Waisenhausdruckerei verwickelt.
Hoffmeister, der sich für die nationalsozialistische
Grundausrichtung der ganzen Landeskirche verantwortlich fühlte,
nahm auch Einfluß auf den Inhalt des Anhanges. Er verlangte die
Streichung eines Liedes und von drei Strophen zweier Lieder. Das
fünfstrophige Lied, das ganz gestrichen werden sollte, hatte einen
eigentlich unverdächtigen kämpferischen Charakter und stammte
aus dem Jahr 1933. Es hatte folgenden Wortlaut:
„Ringsum die Macht der Feinde/ steh auf du deutsches Land/ und
du, des Herrn Gemeinde/ nimm Gottes Schwert zur Hand/ nimm Schild und
Panzerhaube/ das Banner trag herzu/ hier ist Geduld und Glaube/ und
hier Herr Christ bist du.
Wofür die Väter standen/ vor Fürsten ungebeugt/ was sie
in Blut und Banden/ als Gotteswort bezeugt/ dies Wort wolln sie zum
Raube/ dein Kreuz Herr Christ dazu/ Hier ist Geduld und Glaube/ und
hier Herr Christ bist du.
O Deutschland, Land der Gnaden/ du heiß geliebtes Land/ dem
über dunklen Pfaden/ der Himmel offen stand/ läßt du
das Wort dem Staube/ schließt selbst den Himmel zu/ hier ist
Geduld und Glaube/ und hier Herr Christ bist du.
Herr laß es nicht geschehen/ Herr Gott verwirf uns nicht/ Noch
einmal laß uns stehen/ gerettet im Gericht/ Dem Helfer Christ
erlaube/ daß er sein Wunder tut/ Hier ist Geduld und Glaube/ und
hier Herr Christ bis du.
Uns aber hilf bekennen/ hilf leiden ohne Scheu/ mach die nach dir sich
nennen/ bis in den Tod getreu/ Einst führst du aus dem Staube/
dein Volk zu selger Ruh/ Hier ist Geduld und Glaube/ und hier Herr
Christ bist du.“
Es sollte auf die Melodie „Lob Gott getrost mit Singen“
gesungen werden“ und war im Burckhardthaus erschienen. Der Reim
von Glaube auf Panzerhaube ist ein Unikat wie der Verfasser des Liedes:
Generalsuperintendent Otto Dibelius, der zwar die Predigt am Tag von
Potsdam in der Garnisonkirche im März 1933 gehalten hatte,
für wenige Monate den Deutschen Christen zuneigte, dann aber
dienstentlassen wurde und sich innerlich der Bekennenden Kirche
zugehörig fühlte. Nach 1945 wurde er der erste evangelische
Bischof von Berlin und Vorsitzender des Rates der Evangelischen Kirche
in Deutschland sowie Mitglied der CDU. Die Verbindung der Bilder einer
geistlichen Waffenrüstung mit nationalem Pathos und einem im
Zentrum stehenden christlichen Glauben war im Jahre 1933 allen
kirchenpolitischen Gruppierungen eigen. 1938 konnte es als Provokation
der ns. Ideologie verstanden werden und Oberregierungsrat Hoffmeister
in Wolfenbüttel nahm ihn zum Anlaß, die Streichung des
Liedes zu verlangen. Um den Anhang nicht zu gefährden, gab OLKR
Röpke nach und strich das Lied. Es befindet sich mit diesen
Streichungen noch im Archiv (LAW G 197/2).
An seine Stelle trat das Lied Nr. 570 „O König Jesu Christe,
ein Fürst, Hauptmann und Held“, das später auch in das
EKG aufgenommen wurde (Nr. 203), aber nicht mehr in das Evangelische
Gesangbuch von 1994. Es stammte aus dem Jahr 1539. Es hatte fünf
Strophen, im Anhang von 1939 jedoch nur vier. In der ersten Strophe
hieß es nämlich von diesem Held Jesus, er wäre vom
Vater auserwählt „ein Sohn Davids geboren:/ dein Reich ewig
besteht/ das dir Gott hat geschworen/ durch seinen Geist geredt.“
Die Erinnerung an David galt als „Verjudung“ und beim
ewigen Reich sollte der Zeitgenosse weniger an Davids Sohn sondern an
Adolf Hitlers tausendjähriges Reich denken. Diese
Strophenhälfte wurde also bereits vom GesangbuchAusschuss unter
Röpkes Führung gestrichen und durch die erste
Strophenhälfte der zweiten Strophe ersetzt. Schon im 17. und 18.
Jahrhundert wurden öfters zwei Strophen zu einer
zurechtgeschnitten und verkürzt. So also auch hier.
Zunächst die beiden Strophen im Original von 1539:
„O König Jesu Christe/ ein Fürst Hauptmann und Held/ zu
ewiglicher Friste/ vom Vater auserwählt/ ein Sohn Davids geboren/
dein Reich ewig besteht/ das dir Gott hat geschworen/ durch seinen
Geist geredt.
Dich Herr wir wollen bitten/ du edler Herzog wert/ nach rechter Kinder
Sitten/ send uns dein geistlich Schwert/ das schneidt’ zu beiden
Seiten/ ich mein dein göttlich Wort/ damit wir mögen
streiten/ wider der Höllen Pfort.“
Die zusammengeschnittene Fassung von 1939 hieß folgendermaßen:
„O König Jesu Christe/ ein Fürst Hauptmann und Held/ zu ewiglicher Friste/ vom Vater auserwählt/
Dich Herr wir wollen bitten/ du edler Herzog wert/ nach rechter Kinder
Sitten/ send uns dein geistlich Schwert“. Auf diese Weise war der
„Sohn Davids“ verschwunden.
Aber auch die anderen Strophen hätten bei Hoffmeister
Mißtrauen erwecken können. „Den Harnisch tu uns
senden“, „den Panzer (aber nicht die Panzerhaube!) tu uns
geben deiner Gerechtigkeit“, es gelte ritterlich zu kämpfen
und zu fechten, und die vierte Strophe bat: „ O Gott woll uns
erhalten/ in diesem großen Streit/ laß die Lieb nicht
erkalten/ durch Ungerechtigkeit/ darin die arge Welte/ überhand
g’nommen hat/ hilf uns halten das Felde/ durch deine große
Gnad“. Trotz des altfränkischen Vokabulars konnte ein
tapferes Mitglied der Bekennenden Kirche, in Braunschweig etwa Dagmar
v. Hoerschelmann, der das Gesangbuch mit Anhang gehörte, aus dem
ich zitiere und das im Predigerseminar lagert, der Strophe den Aufruf
zum „Streit“ also zum Kirchenkampf entnehmen, zumal die
„Welt“ als „arg und ungerecht bezeichnet wird.
Aus dem Lied „Wach auf, wach auf ist’s hohe Zeit“
(Nr. 572), das auch ins EKG (Nr. 204) und ins EG (Nr. 244)
übernommen worden ist, sollten zwei Strophen gestrichen werden,
die sich weder im EKG noch im EG befinden und daher hier wiedergegeben
werden:
„Die Obern und die Untertan/ nicht wollten gehen auf deiner Bahn/
die Eltern samt den Jungen auch/ verachtet haben Recht und Brauch/
Jedoch weil unsre Sache gut/ so wehr all derer Übermut/ die uns
bei Rechte lassen nicht/ und wehren deines Wortes Licht“.
Im EKG hat das Lied elf Strophen, im EG zehn und in diesem Anhang
sechs. Die beiden oben abgedruckten Strophen wären im Original die
Strophen sieben und neun. (Handbuch der EKG III,2 S. 76). Der
Nationalsozialist Hoffmeister in Wolfenbüttel sah vermutlich eine
Verunglimpfung von HJ und BDM, daß die Jugend „Recht“
und ausgerechnet „Brauch“ verachteten. Die braune Zeit
pflegte ja gerade die alten, wenn auch germanischen Bräuche. Und
daß die „Oberen“ nicht auf der „Bahn“
Gottes gehen wollen, konnte auch als Vorwurf gegen einen Führer
ausgelegt werden, der sich gerne auf denen Allmächtigen und die
Vorsehung berief und die Kirche in gehöriger Distanz zwar, aber
als Mitläufer in sein System einordnen wollte. Die beiden Strophen
verschwanden also aus dem Anhang.
Schließlich gab Röpke auch bei der anderen Strophe nach, die
aus dem scheinbar völlig unverdächtigen und daher sogar bei
einem ns. Reichsparteitag gesungenen Lied „Wach auf wach auf du
deutsches Land“ stammte. Es war nach dem Kriege im EKG unter der
Nummer 390 zu finden, im EG Nr. 145. Es war also seinerzeit durchaus
weitsichtig , dieses Lied in das Gesangbuch aufzunehmen. Aus dem
neunstrophigen Lied (so im EKG) sind heute zwei Strophen wieder
gestrichen, darunter auch jene, die schon Herrn Hoffmeister
mißfallen hatte:
„Wach auf Deutschland ist’s hohe Zeit/ du wirst sonst
übereilet/ die Straf dir auf dem Halse leit/ ob sich’s
gleich jetzt verweilet/ Fürwahr die Axt ist angesetzt/ und auch
zum Hieb sehr scharf gewetzt/ was gilt’s ob sie dein
fehlet“. Der Ausschuss hatte bereits eine Auswahl getroffen und
auf jene Strophe „Die Wahrheit wird jetzt unterdrückt/ will
niemand Wahrheit hören“, verzichtet, weil sie richtig als
Verunglimpfung des Reichspropagandaministeriums verstanden werden
konnte, so wie die 68iger in den beiden letzten Versen „die
Wahrheit höhnisch auch verlacht/ die Lüge tut man
ehren“ höhnisch durch „Böhnisch“, den
damaligen Chefredakteur der BILD Zeitung ersetzten, was als
zeitgemäße „agitpropmäßige“ Anwendung
durchaus noch im hymnologisch zulässigen Bereich liegen konnte.
Dass Deutschland indes der Strafe Gottes ausgesetzt und dazu bereits
eine Axt angesetzt wäre, paßte nicht zum berauschenden
Parteigetöse von 1938 ff und wurde daher gestrichen.
Immerhin: der Anhang wurde gesondert gedruckt und konnte lose in das Gesangbuch von 1902 hineingelegt werden.
Weidemanns Gesangbuch „Lieder der kommenden Kirche“
Außerdem kursierte noch ein anderes Gesangbuch in der
Landeskirche. OLKR Dr. Breust, überzeugter Deutscher Christ von
1933 bis 1945 und seit 1939 leitender Mitarbeiter in der
nationalsozialistisch verseuchten deutsch-christlichen Finanzabteilung
des Landeskirchenamtes unter besagtem Oberregierungsrat Hoffmeister,
hatte für die wenigen deutsch-christlichen Gemeinden Exemplare der
„Lieder der kommenden Kirche“ bestellt, die 1938 von den
Deutschen Christen in Bremen in ansprechender Buchform herausgegeben
worden waren. Auf der Buchankündigung befindet sich im Exemplar
für das Landeskirchenamt in großer deutscher Handschrift die
Notiz: „Ich empfehle zur Anschaffung“ (LAW G 488/1).
Im Vorwort hatte der Bremer Bischof Weidemann geschrieben: „Es
gibt einen deutschen Choral, der ewig Bestand haben wird... Wir singen
das Lied der Väter. Wir singen Lieder der Zeit, aber wir singen
deutsch, auch als Christen nur deutsch“. So gliederte sich das
Gesangbuch in das Lied der Väter (Nr. 1-91) und Lieder der Zeit
(Nr. 92-112). Der erste, sehr viel größere Teil
umfaßte 32 Lieder zum Kirchenjahr, 21 Lieder zu „Kirche und
Volk“ und 38 Lieder zum „Christenleben“. Es
überwogen bei weitem die bekannten und beliebten Choräle von
Luther und Paul Gerhardt, Mattias Claudius und anderen. Dazwischen
eingestreut waren zum Zapfenstreich der Wehrmacht „Ich bete an
die Macht der Liebe“ und „Ich hatt’ einen
Kameraden“. Auffällig ist ein Block von Ernst Moritz Arndt
Liedern „Gott du bist meine Zuversicht“ (Nr. 42),
„Auf bleibet treu und haltet fest“ (Nr. 43), „Wer ist
ein Mann“ (Nr. 45) und ohne Noten „Der Gott der Eisen
wachsen ließ“ (Nr. 44). Der militante Geist der
Freiheitskriege wurde beschworen. „Der Gott, der Eisen wachsen
ließ/ der wollte keine Knechte/ drum gab es Säbel, Schwert
und Spieß/ dem Mann in seine Rechte/ drum gab er ihm den
kühnen Mut/ den Zorn der freien Rede/ daß er bestände
bis aufs Blut/ bis in den Tod die Fehde“. Damit mochten sich die
Pimpfe bei einem Gruppenabend Mut machen, in ein Kirchengesangbuch
gehörte so ein Lied nicht hinein. Aber das war auch eine Ausnahme.
Ein anderes durchgehendes Bemühen war auffälliger: die
„undeutschen“ Ausdrücke wie Kyrieleis, Halleluja, und
a.t. Bezüge wie „Zion“ und „Jerusalem“
wurden ohne Rücksicht auf das singbare Versmaß ausgetauscht.
So lautete die 3. Strophe von Christ ist erstanden nicht mehr
„Halleluja – des solln wir alle froh sein Christ will unser
Trost sein Kyrieleis“ sondern: „Gelobt sei Gott gelobt sei
Gott gelobt sei Gott Des solln wir alle froh sein Christ will unser
Trost sein Herr erbarme dich“. Beim einmaligen Singen fällt
der melodische Unsinn dieser Textfassung auf. Der Schluß des
Weihnachtsliedes „Gelobet seist du Jesus Christ“ „des
freuet sich der Engel Schar Kyrieleis“ heißt nun: des
freuet sich der Engel Schar. Gott sei gelobt“. Das ist nicht nur
sprachlich etwas anderes, sondern die Betonung auf ge ist vom
Melodiefluß her schlecht.
Aber es sind nicht nur stilistische sondern auch inhaltliche
Änderungen. Beim Lutherlied „Aus tiefer Not“
heißt es in Strophe vier statt „So tu Israel rechter
Art“: „so tu das Volk von rechter Art“ (Nr. 57, 4).
Was mit dem „Volk von rechter Art“ gemeint war, blieb
offen. In Paul Gerhardts Adventslied streut nicht mehr „dein
Zion“ Palmen, sondern: „Der Jünger Scharen streuen dir
grüne Zweige hin/ und ich will dir erneuern/ zu frohem Dank den
Sinn“ (Nr. 3,2). Palmen wuchsen tatsächlich nicht mal im
Großdeutschen Reich und bei „grünen Zweigen“
konnte sich der fromme deutsche Christ auch grüne Tannenzweige
vorstellen. Im Nicolailied „Wachet auf ruft uns die Stimme“
galt der Weckruf in der ersten Strophe nicht „der Stadt
Jerusalem“, sondern „du Königsstadt wach eilends
auf“. „Zion“ hört auch nicht die Wächter
singen, sondern: „Die Stadt hört die Wächter
singen“. Diese Beseitigung a.t. Begriffe ist keinesweg eine
beliebige stilistische Auswechslung von Wörtern, sondern hat als
ernsten Hintergrund die „Ausmerzung des jüdischen Einflusses
auf das deutsche Geistesleben“, in diesem Falle auf das
evangelische Kirchenlied. Ob dann Synagogen aus dem Stadtbild
verschwanden wie in Braunschweig, Wolfenbüttel, Holzminden, Goslar
war kein Anlaß zum Protest. Es wurde im evangelischen
deutsch-christlichen Kirchenlied bereits besorgt.
Im zweiten sehr viel kleineren Teil überwogen Lieder von Emanuel
Hirsch. Hirsch, angesehener Professor für Dogmengeschichte in
Göttingen, hatte seinen repräsentativen Namen für dieses
Unternehmen hergegeben und einige schlichte Lieder ohne
verfängliche Hinweise getextet, die nun in diesem Gesangbuch
Aufnahme fanden. In zwei Liedern finden sich Hinweise auf „den
Führer“: Im Lied von Julius Sturm „Ein Haupt hast du
dem Volk gesandt“, das sich auch im Braunschweiger Gesangbuch
unter Nr. 467 befand, wurde das zweisilbrige „Kai-ser“
durch „Füh-rer“ ersetzt. Der Text lautete nun: „
mit Frieden hast du uns bedacht/ den Führer uns bestellt zur
Wacht/ zu deines Namens Ehre“. Der Grundfehler lag nicht in der
nazistischen Auswechslung der Wörter, sondern schon Kaiser
Wilhelm, auf den Sturm dies gemünzt hatte, war keineswegs von Gott
bestellt. Es wurde auch in allen weiteren Strophen ausgewechselt: Nun
bittet der Fromme, Gott möge „uns“ den Führer und
das deutsch Reich bewahren. Strophe drei: „Verwirf, Gott, unser
Flehen nicht/ laß auf des Führers Wegen/ dein huldvoll
heilig Angesicht/ ihm leuchten uns zum Segen“ (Nr. 97, 1-3).
Der Bremer Pfarrer Erich Pfalzgraf (1879-1937) erhöhte
zeitgemäß das deutsche Volk als ein auserwähltes:
„Und sind der Völker noch so viel/ und noch so viel der
Länder/ das Los zu unserm Volk uns fiel/ durch dich o ewger
Spender/ Durch dich steht uns die Heimat fest/ du bist ein Gott der nie
verläßt/ ein Volk das treu sich selber“ (Nr. 96,4).
Pfarrer Pfalzgraf hat die Zerstörung Bremens und Hamburgs und
seiner Kirchen aus der Luft nicht mehr erlebt. Über Deutschland
schwebte vor 1933 offenbar Unheil, darum bat der fromme Nazi:
„Für Deutschlands Heil bitten wir/ Vater wir lassen nicht
von dir“ (Nr. 98,3) und verknüpfte diese völkische
Heilsfrage mit dem persönlichen Glaubensringen eines Jakob. Die
1945 ausgelöste Glaubenskrise wurde in verstärktem
angepaßten Mitläufertum und der Lüge vom Widerstand
ertränkt.
Dieser Abschnitt des Liederbuches endet mit den vertonten Worten des
nationalsozialistischen Thüringer Schulgebetes: „Unser
Gelübde und Losung sei: Deutschland erwache, Herr mach uns
frei.“ Das Gelübde blieb durch die jahrzehntelange Besatzung
Deutschlands von 1945-1990 ungehört. Schrecklich erfüllte
sich der düstere Schwur Rudolf Alexander Schröders
„Deutschland fallen wir Haupt bei Haupt“ (Nr. 93,2). Dieses
Liederbuch wäre das Gesangbuch „der kommenden Kirche“
geworden, wenn es nicht doch anders gekommen wäre.
Das Feldgesangbuch
Es kam völlig anders durch den von Hitler und seinem Militär
ausgelösten Krieg. Auch dafür stand rechtzeitig ein
Gesangbuch bereit, das die zahlreichen Braunschweiger an die Front
eingezogenen jungen Männer erhielten. Es war ein in grüne
Pappdeckel eingebundenes Feldgesangbuch, das jeder Landser leicht in
die obere Tasche seiner Uniform einstecken konnte. Ein Braunschweiger
Divisionspfarrer schrieb mir: „daß dieses mit der Nr. 371
der Heeresvorschrift versehene Feldgesangbuch benutzt worden ist vor
Kampfhandlungen und im Feldlazarett.“ „Es wurde meistens
dankbar angenommen; ich hab’s auch dann und wann in der Tasche
eines Gefallenen gefunden“. Das Feldgesangbuch enthielt Gebete,
Kernsprüche, Choräle, Lieder. Die 56 Choräle stammten
aus den gängigen Gesangbüchern und entsprachen durchaus
solchen, die sich auch im Stammteil des heutigen EG befinden. Aus
einigen klassischen Chorälen sind die judaistischen Vokabeln
entfernt worden. Auf die Frage Luthers im Lied von der festen Burg:
„weißt du, wer der ist?“ antwortete der deutsche
Soldat von 1939 ff „Er heißt Jesus Christ, der Retter in
Not“, um das Wort Zebaoth zu vermeiden, und die dritte Strophe
von „Großer Gott wir loben dich“ ist umgedichtet in:
„Heilig Herr allmächtger Gott, Heilig Herr der
Kriegesheere.“ Um die aktuelle Situation besonders hervorzuheben,
bekam dieses Lied folgende neugedichtete Abschlußstrophe:
„Dort wo unsre Fahnen wehn/ sei’s zu Lande, sei’s zu
Meere/ laß die Treue Schildwach stehn/ Sei uns selber
Waff’n und Wehre/ Losungswort sei allzugleich/ Treu zu
Führer Volk und Reich.“
Außer diesen Veränderungen innerhalb der Liedtexte gab es in
diesem klassischen Choralteil noch drei Ausnahmen. Ein Lied benutzte
die alte These von gerechten Krieg, dem Gott selbst voranzieht:
„Allmächtger Herr der Heere/ zieh du mit deiner Schar/ und
mache deine Ehre/ vor allen offenbar“. Das Lied endete mit der
Bitte: „Es gilt ja deine Ehre/ es ist gerechter Krieg/ Herr zieh
mit unsrem Heere/ und führe uns zum Sieg“ (13,1+4). Das
andre Lied, das sich aus dem klassischen Choralgut heraushob, bat um
Segen für die Waffen: „Herr segne unsre Waffen/ und
laß uns nimmer ruhn/ Herr segne unser Schaffen/ und unser
schweres Tun“ (21,1). Dieses von Gott gesegnete schwere Tun war
für den Soldaten erträglich, der den Herrn gefunden hatte:
„Wer dich nur Herr gefunden/ den macht die Not nicht bleich/ der
wirkt zu allen Stunden/ für Führer Volk und Reich“
(18,3).
Diesem Choralteil folgten 25 andere Lieder, vor allem alte
vaterländische Gesänge: „Der Gott, der Eisen wachsen
ließ“, „Auf bleibet treu und haltet fest“,
„Ich hab mich ergeben“, „Wir treten zum Beten“,
„wer ist ein Mann? Wer beten kann.“ Diese Auswahl zeigt,
wie wenig die Frage des Krieges nach dem Ersten Weltkrieg theologisch
aufgearbeitet worden ist. Es sind dieselben Lieder, mit denen die
Freischärler 1813, die Kürassiere 1870/71, die kaiserliche
Armee 1914 und nun die deutsche Wehrmacht 1939 in den Krieg geschickt
worden ist.
1939 wie schon damals war es nicht nur ein gerechter Krieg, sondern ein
geradezu christlicher Streit: „Die Christenbanner wehen/ dein ist
o Herr der Krieg“ (63,2). Von den Berufspflichten des deutschen
Soldaten 1939 hieß es daher unter Nr. 7:
„Selbstbewußt doch bescheiden, aufrecht und treu,
gottesfürchtig und wahrhaft, verschwiegen und unbestechlich soll
der Soldat dem ganzen Volk ein Vorbild männlicher Kraft
sein“.
Dem Krieg lag eine Einladung Gottes zugrunde: „Du reicher Gott in
Gnaden/ schau her vom blauen Zelt/ du selbst hast uns geladen/ in
dieses Waffenfeld“ (63,2). Diese Einladung Gottes zum Krieg
ergeht durch das Wort, auf das der Soldat mit seinem Eid antwortet:
„Mein Eid und Brief/ der mich berief/ sei stets in meinem Herzen/
laß mich damit nicht scherzen“ (67,2).
Weil der Krieg nicht nur ein Geschehen unter den Augen Gottes ist,
sondern auch seiner Initiative entspringt, das Böse zu besiegen,
kann er kaum verloren gehen. „Laß uns vor dir bestehen/ und
gib uns heute Sieg“ (63,2). Oder: „Vater du führe
mich, führ mich zum Siege“ (75,2). Die Fahne, die voranweht,
ist ein stolzes „Siegspanier“ und der Krieg endet mit
„Siegsgeschrei“ (63,4). Der Sieg scheint gewiß, weil
Gott selber im Schlachtendonnerwetter als Urquell der Gnade erkennbar
wird.
„Gott ich erkenne dich/ so im herbstlichen Rauschen der
Blätter/ als im Schlachtendonnerwetter/ Urquelle der Gnade erkenn
ich dich/ Vater du segne mich.“ (75,3). Dieser Vers von Theodor
Körner entspricht einer gewiß auch 1813 nicht
unproblematischen Frömmigkeit der Befreiungskriege. Aber kann man
so ein Lied den Soldaten von 1939 anbieten?
Gott erweist sich als der gehobene Generalstab. Er ist „der
Lenker der Schlachten“ (75,1). Da nun immer zwei Seiten den Krieg
führen, Gott aber beiden Seiten den Sieg nicht schenken kann,
gehört der Sieg den Treuen. Offenbar denen, die Gott treu bleiben.
Daher die Aufforderung: „Auf bleibet treu und haltet fest/ so
wird euch mehr gelingen/ wer sich von Gott nicht scheiden
läßt/ der kann die Hölle zwingen“ (57,1). Diese
Treue ist eine Begabung und ein Wert besonders unter den Deutschen.
Deutschland ist „ein Land der Treue“ (72,1). Es ist ein
naheliegender Gedanken, daß der „treue Gott“
eigentlich nur ein „deutscher Gott“ sein kann. Das
Feldgesangbuch verändert daher folgerichtig die Zeile „der
alte Gott, der treue Gott“ läßt sich noch immer
schauen“ (so wie es im Braunschweigischen und anderswo gesungen
wurde) in „der alte Gott der deutsche Gott/ läßt sich
noch immer schauen“ (57,1). Damit ist unzweideutig festgelegt,
wem der Sieg gehören wird: der deutschen Wehrmacht. Richtiger: dem
deutschen Volk. Dieses Volk verläßt Gott nie und ist darin
sich selber treu: „Du bist ein Gott, der nie verläßt /
ein Volk das treu sich selber“ (61,4). Dieses Volk, dem Gott die
Treue hält, ist ein heiliges Volk. Vaterlandstreue, Staatstreue
und Gottestreue sind dicht beieinander. Deshalb gelobt der Soldat:
„Will halten und glauben/ an Gott fromm und frei/ will Vaterland
dir bleiben/ auf ewig fest und treu.“ Gerade bei diesem
schönen und alten Volkslied „Ich hab mich ergeben“
wird deutlich, wie problematisch seine Verwendung auch in der Situation
von 1939 gewesen war.
Wie Gottestreue und Vaterlandstreue sich entsprechen, so gilt die
Heiligkeit sowohl Gott wie dem Vaterland. „O Deutschland, heilig
Vaterland“ dichtete E.M. Arndt, und R.A. Schröder greift
diesen Gedanken auf: „Heilig Vaterland heb zu Stunde/ kühn
dein Angesicht in die Runde“. Es ist dann nur noch ein kurzer
Schritt zu der Strophe: „Deutschland heiligs Wort / du voll
Unendlichkeit/ über die Zeiten fort/ seist du gebenedeit/ heilig
sind deine Seen, heilig der Kranz/ deiner stillen Höhn/ bis an das
grüne Meer“ (69,1). Dieses heilig Vaterland wird von einem
Führer regiert, dessen ns. Propaganda an die Idee vom
Gottesgnadentum anknüpfte. Es ist das schon zitierte Lied von
Julius Sturm auf das Gottesgnadentum des Kaisers, das nun auf Hitler
angewandt wurde.
Wenn Kaiser und Führer nicht nur vom Volk gewählte, sondern
von Gottes Gnade erwählte Staatsmacht sind, können beide
einen heiligen Eid für sich in Anspruch nehmen. Ganz vorne im
Gesangbuch war der Fahneneid abgedruckt: „Ich schwöre bei
Gott, dem Allmächtigen diesen heiligen Eid, daß ich dem
Führer des Deutschen Reiches und Volkes, Adolf Hitler, dem
obersten Befehlshaber der Wehrmacht unbedingten Gehorsam leisten und
als tapferer Soldat bereit sein will, jeder Zeit für diesen Eid
mein Leben einzusetzen“.
Der Einsatz des Lebens konnte den Tod bedeuten. „Man träumt
von Siegeskränzen, man denkt auch an den Tod“ (63,1), nicht
nur damals in den Freiheitskriegen. Für das Vaterland zu sterben,
war süß, nicht nur bei den alten Römern, sondern auch
für E.M. Arndt: „Wir wollen heute Mann für Mann zum
Heldentode mahnen/ auf fliege stolzes Siegspanier/ voran den
kühnen Reihen/ wie siegen oder sterben hier/ den süßen
Tod der Freien“.
Süß ist der Tod, weil er Gottes Willen entspricht.
„Des Höchsten Wille rief dich ab/ leb wohl mein
Kamerad“, dichtete E. Hirsch (8,1). Es ist wie am Ende eines
erfüllten Tages: „Du hast dein Tagwerk ausgericht’/ es
leuchte dir das ewge Licht/ es leucht dir Gottes Gnad“ (80,2). In
dem Tod für das Vaterland und für Gott erfüllt sich das
Mannestum: „Dies ist der Mann/ der sterben kann/ für Gott
und Vaterland/ er läßt nicht ab/ bis an das Grab/ mit Herz
und Mund und Hand“ (79,6).
Da der Krieg gerecht erscheint, und der Tod als Akt der Treue sittlich
hoch gewertet wurde, wird der, der treu im Kampf steht und fällt,
auch des Lebens Krone erringen. „Und willst du, daß wir
fallen/ auf weitem Ehrenfeld/ so hilf uns gnädig allen/ in deine
ewge Welt“ (61,5). „Komme uns zu erneuern/ nimm Ewger ganz
uns hin/ laß aus den Totenfeuern/ des Lebens Flamme
glühn“ (77,4).
Am Ende stand kein Sieg sondern 1945 eine katastrophale Niederlage mit
in der deutschen Geschichte beispiellosen Folgen. Man nennt den Krieg
nicht gerecht sondern ein Verbrechen. Mit diesem tiefsitzenden Schock
kehrten die Frontsoldaten in die zerstörte Heimat zurück.
Welche Gedanken und Hilfen werden ihnen die Kirchen nun anbieten, um
den Schock zu überwinden? Sie erhielten ein neues Gesangbuch.
Bleibende
Lieder, die in der nationalsozialistischen Zeit entstanden sind |
|
?Titel |
?Dichter |
erschienen |
?Komponist |
EKG |
EG |
1936 |
?O Christenheit sei hocherfreut |
?R. A Schr?der |
1938 |
?H.F. Micheelsen???????? |
225 |
|
1937 |
?Wir glauben Gott im h?chsten Thron |
?R.A.Schr?der |
vor 1945 |
?Ch.Lahusen |
133 |
184 |
1938 |
?Gelobt sei deine Treu |
?F. Fritsche |
1938 |
?J. Petzold |
|
630 |
1938 |
?Er weckt mich alle Morgen |
?J.Klepper |
1941 |
?R. Z?beley |
|
452 |
1938 |
?Die Nacht ist vorgedrungen |
?J. Klepper |
1939 |
?J. Petzold |
14 |
16 |
1938 |
?Nun geh?ren unsre Herzen |
?Fr.v. Bodelschwingh |
1946 |
?R. L?rcher |
|
93 |
1938 |
?Tr?stet tr?stet spricht der Herr |
?W. Rode |
1938 |
?H.Fr. Micheeelsen |
13 |
15 |
1938 |
?Gott wohnt in einem Lichte |
?J. Klepper |
|
Befiehl du |
|
379 |
1938 |
?Ja ich will euch tragen |
?J. Klepper |
1939 |
?S. Rothenberg |
|
380 |
1938 |
?Der du die Zeit in H?nden hast |
?J. Klepper |
1960 |
?S. Reda |
45 |
64 |
1939 |
?Es mag sein da? alles f?llt |
?R.A. Schr?der |
1940 |
?P.Geildorf |
|
378 |
1939 |
?Wi?t ihr noch wie es geschehen |
?H. Claudius |
1939 |
?Chr. Lahusen |
|
52 |
1939 |
?Also liebt Gott die arge Welt |
?K. M?ller-Osten |
1939 |
?G. Schwarz |
35 |
28 |
1941 |
?Du hast zu deinem Abendmahl |
?A. P?tzsch |
1951 |
?G. Veigel |
|
224 |
1941 |
?Du kannst nicht tiefer fallen |
?A. P?tzsch |
1986 |
?H.G. Bertram |
|
533 |
1941 |
?In dem Herren freuet euch |
?K. M?ller-Osten |
1946 |
?Chr.Lahusen |
|
359 |
1941 |
?Gott Vater du hast deinen Namen |
?J. Klepper |
1948 |
?J. Petzold |
|
208 |
1941 |
?Freuet euch im Herren allewege |
?J. Klepper |
1981 |
?F. Hofmann |
|
239 |
1942 |
?Abend ward bald kommt die Nacht |
?R. A. Schr?der |
1948 |
?S. Rothenberg |
|
487 |
1944 |
?Von guten M?chten |
?D. Bonhoeffer |
1959 |
?O. Abel |
|
65 |
|
|
|
|
|
|
|
Von diesen insgesamt 21 Liedern standen sieben im EKG und stehen 20 im EG.
Diese Lieder waren in der Zeit von 1938-1944 Lieder gegen den
herrschenden nationalsozialistischen Musikton, der auf Marsch und auf
eingängigen Schwulst gestimmt war, jedoch Ohrwürmer, die noch
Jahrzehnte nachklangen. In Bodelschwinghs Passionslied „Nun
gehören unsre Herzen ganz dem Mann von Golgatha“ wird der
unteilbare Anspruch des Kreuzes an den gläubigen Christenmenschen
formuliert. Er ist den Lügenmächten der Hölle (Str. 3)
ausgesetzt, die nicht nur fern, sondern auch nah sind. Das konnte als
starker Kontrapunkt zum nationalsozialistischen totalen Anspruch und
Terror ausgelegt werden. Die Melodie stammt aus dem zweiten
Nachkriegsjahr. Ob dieses Lied auch schon in der ns Zeit in Bethel
gesungen worden ist, weiß ich nicht. Auch Schröders
„Es mag sein, daß alles fällt“ konnte
antinazistisch ausgelegt werden. Daß Trug und List (Str.2) und
Frevel (Str.3) siegen, konnte sich auf die Lügen des
Reichspropagandaministers und „manches Glück“ jener
Zeit mochte sich auf das „braune Wirtschaftswunder“ von
1936 und das aufsteigende Lebensgefühl der Mehrheit der Deutschen
beziehen. Die meisten anderen Lieder sind ein kräftiges Bekenntnis
zum Gott der Schrift, die zunehmend von einem Teil der ns. Ideologie
als Fremdkörper im Volk diskriminiert wurden.
Andrerseits war es die Taktik der ns. Regierung, den christlichen
Choral in ihr Propagandasystem einzugliedern. „Wach auf wach auf
du deutsches Land“ wurde auf dem Reichparteitag in Nürnberg
gesungen und „Nun danket alle Gott“ erklang im Sommer 1940
nach den Siegesnachrichten von der militärischen Niederlage
Frankreichs. Da sie besonders im Krieg auf jede Konfrontation mit den
Kirchen verzichtete, hätten diese Choräle trotz ihres
unmißverständlichen christlichen Bekenntnisses auch zur ns.
Zeit in den Kirchen Bestand haben können. Das gilt besonders
für jene Lieder, die einen ausgesprochen privaten Charakter haben,
wie „Von guten Mächten“ von Dietrich Bonhoeffer (EG
65), oder biblische Texte erzählen wie „Wißt ihr noch
wie es geschehen“ (EG 52) oder die AT Lesung des 3. Advent textet
„Tröstet tröstet spricht der Herr“ (EG 15).
Das Lied „Du kannst nicht tiefer fallen/ als nur in Gottes Hand/
die er zum Heil uns allen/ barmherzig ausgespannt“ (EG 533)
stammt von Arno Pötzsch, der während des Krieges
Marinepfarrer war und zahlreiche Gedächtnisgottesdienste halten
mußte für an der Front gefallene Soldaten. Die Aussage
mochte als Trost für die hinterbliebene Familie gedacht sein, aber
sie machte nicht Ernst mit der biblische Aussage, daß Menschen
ihr Leben auch verfehlen und verlieren können. Galt das
„nicht tiefer als in Gottes Hand Fallen“ auch für jene
deutschen Soldaten, die in Weißrußland, Griechenland und
Italien und anderswo ganze Dörfer niedergebrannt und die zivile
Einwohnerschaft ermordet haben und dabei für Führer, Volk und
Vaterland gefallen waren? Ich halte es für sehr problematisch,
daß dieses Lied in den Stammteil des EG aufgenommen worden ist.
Es ist auffällig, daß die völlige Zerstörung der
deutschen Städte und das Kriegselend nicht ausdrücklich
thematisiert worden ist. Bei Paul Gerhard lesen wir noch von
„zerstörten Schlössern und Städte voller Schutt
und Stein“ und „Gräber voller Leichen“(EKG 392,
4). In Gedichtausgaben unmittelbar nach dem Krieg etwa von Anna Paulsen
„Der Glaube kann nicht schweigen“ 1948 und „Wir
rühmen seinen Namen“ 1956 herausgegeben von Helmut Burgert
sind noch diese Themen enthalten; „Ein Mann von Stalingrad“
von Hans Egon Holthusen ( S. 73), oder „Der
Flüchtling“ von Alexandra Gräfin Schwerin (S. 86),
oder: „Kein tröstliches Zeichen will mehr/ aufblühen
aus der Trümmerhalde/ und vergeblich späht/ das Auge nach
oben/“ in „Das neue Zeichen“ von Hermann Stock (S.
74) und viele andere. Aber die Kirchen richteten ihre Energie
längst auf einen kompletten restaurativen
„Wiederaufbau“, der eine Erinnerung an Trümmer und die
furchtbare Front wegwischen sollte. Diese Gedichte fanden auch keine
Komponisten.
Zum Teil 7: Das Evangelische Kirchengesangbuch von 1950 (EKG) - ein Gesangbuch der Restauration
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