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[Kirche von unten]

Die Geschichte des Braunschweiger Gesangbuches

von Dietrich Kuessner

8. Kapitel




Die unterschiedliche Aufnahme des EKG in den 50er und 60er Jahren

Der Rezeptionsprozeß des EKG in den Landeskirchen ist leider noch nicht gründlich genug beschrieben worden.
Mahrenholz hatte Vertreter der westdeutschen Landeskirchen zur 6. Tagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft für Gesangbuchreform zum 17. und 18. Februar 1950 nach Fulda eingeladen, an der 19 Mitglieder für 17 Landeskirchen teilnahmen. Mahrenholz gab erneut wie schon im September 1948 einen historischen Rückblick bis ins Gründungsjahr der Arbeitsgemeinschaft 1926, um eine längere Kontinuität der Arbeit am EKG zu suggerieren. Ausgangspunkt war seinerzeit das Deutsche Ev. Gesangbuch. 1950 machte Mahrenholz das GEC zum Ausgangspunkt des EKG. Aus dessen 335 Liedern wären 26 ausgeschieden und 85 Lieder neu aufgenommen worden. Von den 394 EKG Liedern stammten 238 aus dem DEG.
Mahrenholz bestritt energisch, daß der Beschluß der VELKD Synode „etwa eine Abkapselung des Luthertums gegenüber den anderen Kirchen bedeutet habe“, es wäre vielmehr „ein Bekenntnis zur Gemeinschaft im Gesangbuch mit den unierten und reformierten Kirchen in der EKD“. Allein die Tatsache, daß die Landeskirchen der Ostzone zu diesem Treffen nicht eingeladen worden waren, war ein Hinweis, daß Mahrenholz den seinerzeit höchst kritischen Stimmen aus den Kirchen der Ostzone bei dieser Tagung aus dem Wege gehen wollte. Es hatte auch Kritik aus den westdeutschen unierten Landeskirchen Rheinland und Westfalen gegeben, was Mahrenholz beanstandete. Der Beschluß der VELKD-Synode wäre in der nordrhein-westfälischen Presse „vielfach irrig kommentiert“ worden.
Zum Zeitpunkt dieses 6. Treffens stand die Beschlußfassung in den Landeskirchen noch bevor und der Vorsitzende verwies noch einmal auf den Sinn der Anhänge. Sie sollten auf keinen Fall den Charakter eines zweiten Teils tragen und über etwa 450 Gesängen hinausgehen und sich auf traditionelles Liedgut der jeweiligen Landeskirche sowie neu entdecktes Liedgut beschränken. „Es muß vor allem gewarnt werden vor der Aufnahme von Liedern auch aus dem DEG, die in den Stammteil nicht aufgenommen sind, weil diese Lieder mit voller Absicht ausgeschieden waren.“ (Bericht über die VI. Tagung der Deutschen Arbeitsgemeinschaft LAW G 215).
An diesen Kriterien ist die Beschlußfassung in den Landeskirchen zu beurteilen.

Die Entscheidung der lutherisch-sächsischen Landessynode für das EKG am 21. April 1950
Das sächsische Gesangbuch stammte noch aus der Zeit des Königreiches Sachsen so wie das Braunschweigische von 1902 in die Zeit des Herzogtums Braunschweig zurückreichte. Die sächsische Ausgabe von 1910 war mit Bildern von Rudolf Schäfer illustriert. Beide waren vor der Reformbewegung des DEG entstanden und hatten auch später das DEG nicht aufgenommen wie die Landeskirchen der altpreußischen Union. Der Hauptteil mit 686 Liedern schloß mit dem beliebten „Wer sind die vor Gottes Thron“ von Heinrich Theobald Schenk (gest. 1727), das das Bild aus der Offenbarung Johannes 7,9-17 aufnahm: „Wer sind die in reiner Seide/ göttlicher Gerechtigkeit/ angetan mit weißem Kleide/ das bestäubet keine Zeit/ und veraltet nimmermehr/ wo sind diese kommen her?“ (Str. 3). Die folgenden Strophen antworten auf diese Frage. Es sind „die wohl gerungen“, (Str. 4), „so viel erlitten“ (Str. 5), „so stets erscheinen hier als Priester vor dem Herrn“ (Str. 7) und enden mit der Bitte, daß auch der Sänger diese Wonne verspüren möchte, „wenn ich mit der heilgen Schar/ in dem Strahl der reinen Sonne/ leucht auch wie die Sterne klar“. Es war ein sehr beliebtes Lied, das in den Gesangbüchern von noch 16 weiteren Landeskirchen vorkam. Auf den Hauptteil folgte eine Gruppe von sog. Geistlichen Volksliedern, die wir heute als solche kaum bezeichnen würden („Harre meine Seele“, „Großer Gott wir loben“, „Es ist ein Ros entsprungen“, „Es kennt der Herr die Seinen“ u.a.). Den Schlußpunkt setzte das Braunschweiger Bekenntnislied von Thiele „Du treuer Gott sei hoch gepreist“ (Nr. 716).

Dieses Gesangbuch erhielt 1936 einen wichtigen Anhang mit 56 Liedern, der mit Nummer 717 – 772 fortgeführt wurde (siehe oben unter Der Anhang zum sächsischen Gesangbuch 1934/36).
Von diesem Gesangbuch mit insgesamt 772 Liedern trennte sich die sächsische Landessynode in ihrer Sitzung am 20. und 21. April 1950 und beschloß, gebunden an den Beschluß der VELKD in Leipzig, die Aufnahme des EKG mit einem Anhang von 73 Liedern (Nr. 400-472). Sie strich noch vier Lieder aus der Synodalvorlage, darunter Nr. 557 vom Hannoveraner David Denecke „Hilf Gott daß unsre Kinderzucht/ geschehe stets mit Nutz und Frucht“ (Str.1), „laß sie den Eltern insgemein/ den Obern auch gehorsam sein“ (Str. 2), „ erleuchte sie mit deinem Schein/ laß sie zum Lernen willig sein“ (Str. 4), „behüte sie vor Ärgernis/ mach sie des rechten Wegs gewiß/ wenn ihnen ein Verführer naht/ mit giftgem Reiz zur Missetat“ (Str. 5). Es verwundert heutzutage, daß dieses Lied den GesangbuchAusschuss passierte und ohne Synodenveto in das Gesangbuch gekommen wäre; eine willkommene Zielscheibe der FDJ. Es wurden noch sieben Lieder aus dem alten Gesangbuch, darunter „Ach treuer Gott, barmherzig Herz“ (Nr. 572) und „Auf den Nebel folgt die Sonn“ (Nr. 573) von Paul Gerhardt und „Hirte deiner Schafe“ von Benjamin Schmolck „gerettet“ und drei zeitgenössische ausgewählt („Es mag sein, daß alles fällt“, „Herr du hast alles“ und „Wir bringen dieses Kindelein“) (Akten der 16. ev.-luth. Landessynode der ev.-luth. Landeskirche Sachsens Synodalschrift Nr. 38).
Mit den 73 Anhangliedern rückte die Synode die Einseitigkeiten der EKG-Liedauswahl zurecht. Sie ergänzte die Weihnachtslieder ungeniert durch „Stille Nacht“ (Nr. 403), „Kommet ihr Hirten“ (Nr. 404), „O du fröhliche“ (Nr. 405), die Passionslieder mit „Die wir uns allhier beisammen finden“ (Nr. 409) und die Osterlieder mit „Triumph, Triumph. Es kommt mit Pracht/ der Siegesfürst heut aus der Schlacht/ Wer seines Reiches Untertan/ schau heute sein Triumphfest an Halleluja“ nach der Melodie „Erschienen ist der herrlich Tag“ (Nr. 411). Es stammte von Benjamin Prätorius ( 1636-1674). Die Synode holte die gefühlvollen „Wer ist wohl wie du, Jesu süße Ruh“ von Freylinghausen (Nr. 431 mit 13 Strophen), „Seele, was ermüdst du dich in den Dingen dieser Erde“ (Nr. 433) von Jakob Gabriel Wolf, sowie „Ach mein Herr Jesu dein Nahesein“ (Nr. 441), „Früh am Morgen Jesu gehet“ (Nr. 464) , das in Berlin 1852 gedichtete kämpferische Missionslied „König Jesu, streite siege“ (Nr. 423) und das viel gesungene „Zieht in Frieden eure Pfade“ (Nr. 452) in das sächsische Liedgut zurück. Die große Anzahl der Paul Gerhardt-Lieder wurde durch fünf weitere vermehrt, durch das Pfingstlied „Gott Vater sende deinen Geist“ (Nr. 412), und dann in einem Block hintereinander („Ich weiß, dass mein Erlöser lebt“ (Nr. 445) „Ach treuer Gott, barmherzigs Herz“ (Nr. 446), „Auf Nebel folgt die Sonn“ (447) und „Der Herr, der aller Enden“ (Nr. 448). Die Anzahl der vier Gellertlieder im EKG wurden durch vier weitere verdoppelt, ebenfalls in einem Block „Wie groß ist des Allmächtgen Güte“ (Nr. 438), „So jemand spricht ich liebe Gott“ (Nr. 431), „Wenn ich o Schöpfer deine Macht“ (Nr. 440) und „Auf Gott und nicht auf meinen Rat“ (Nr. 451). Von dem bekannten Trauerlied „Herzlich tut mich verlangen“ von Christoph Knoll 1611, befand sich auch eine fünfte, im niedersächsischen Anhang fehlende Strophe nach der Melodie „O Haupt voll Blut und Wunden“: „Gesegn euch Gott der Herre/ ihr Vielgeliebten mein/ Trauert nicht allzusehre/ über den Abschied mein/ Beständig bleibt im Glauben/ wir werdn in kurzer Zeit/ einander wieder schauen/ dort in der Ewigkeit“. Es vermehrte auch die Zahl der zeitgenössischen Lieder durch R. A. Schröders „Es mag sein, dass alles fällt“ (Nr. 455) und Arno Pötzsch „Wir bringen dieses Kindelein“ (Nr. 420). Etwa verschämt wirkte es, wenn die von den hymnologischen Puristen heftig angefochtenen Lieder „So nimm denn meine Hände“ und „Weiß ich den Weg auch nicht“ unter „Gebete in Freud und Leid“ (S. 54) und „Müde bin ich geh zur Ruh“ unter Abendgebete für Kinder eingeordnet waren. Auch andere Landeskirchen fanden später diesen Ausweg, diese Lieder für das EKG zu „retten“.
Insgesamt war der Anhang wie schon der niedersächsische nicht, wie von Mahrenholz gedacht, eine Vermehrung von Liedern auf dem „Niveau“ des Stammteils aus landsmannschaftlichen Liedern, sondern eine deutliche Korrektur des Liedgutes des Stammteils zugunsten der dort aussortierten Lieder des Pietismus und der in der singenden Gemeinde beliebten Lieder.
Die Lutherisch-sächsische Landeskirche war mit 4,4 Millionen Kirchenmitgliedern seinerzeit die mitgliederstärkste evangelische Kirche in Deutschland (Zahlen nach dem KJ 1952 S. 457). Insofern war der Synodenbeschluß ein wichtiger Schritt auf dem Weg der Anerkennung des EKG. Die Verbreitung des EKG wurde allerdings durch eine Beschlagnahme eines Papierkontingents durch die ostzonalen Behörden schwer behindert. Im Januar 1952 teilte das sächsische Landeskirchenamt dem Wolfenbüttler Landeskirchenamt mit, daß der Beschluß der Landessynode „noch nicht durchgeführt werden könne, da dieses neue Gesangbuch noch nicht in genügender Stückzahl vorhanden ist.“ (Schreiben vom 5.1.1952 im Gesangbuchexemplar im Predigerseminar). Es wurden schließlich 80.000 Exemplare. So wird die Übergangsfrist, in der beide Gesangbücher benutzt wurden, noch länger gedauert haben.

Die Entscheidung der Thüringer Landeskirche für das EKG am 5. Mai 1950
Die Lutherische Thüringische Landeskirche hatte 1929 das DEG mit einem zweiten Thüringer Teil von insgesamt 505 Liednummer beschlossen. 1930 war bereits eine vierte Auflage mit einer Gesamtzahl von 200.000 Stück erschienen und hatte weite Verbreitung gefunden. Die Taschenausgabe von 1930 hatte zu jedem Liedtext auch die Melodie abgedruckt, außerdem war es mit Bildern von Personen und kirchlichen Stätten ausgestattet. Alle Lieder waren mit Bibelstellen versehen. Die Melodien des Gesangbuches folgten oft nach dem neusten Stand der rhythmischen Melodieführung.
Für „Wie soll ich dich empfangen“ war neben der damals bekannten „Valet will ich dir geben“ Melodie die uns geläufige eigene Weise von Johann Crüger zur Auswahl angegeben. Rudolf Mauersberger vertonte die bekannten Lieder „Wo findet die Seele die Heimat die Ruh“ (Nr 498), „Laßt mich gehen“ (Nr. 500) und „Brich herein“ (Nr. 502) 1926/ 1927 neu. Von ihm stammten fünf weitere Vertonungen.

Im Thüringer Teil fanden sich Lieder von J.G. Herder (Nr. 360= EG 74) „Du Morgenstern, du Licht von Licht“ und Nr. 493 „Herr unser Gott, wann kommt dein Reich“, von J. Eichendorff (Nr. 458) „Es wandelt was wir schauen“, von E. Möricke (Nr. 358) „Wie heimlicher Weise“ mit einer Melodie von Mauersberger, L. Uhland (Nr. 497) „Wie blühet jedes Jahr“, von C.F. Meyer (Nr. 366) „Jetzt da die Zeit sich nähert deiner Leiden“, E. Geibel (Nr. 485) „Herr in dieser Zeit Gewog“, F. Novalis (Nr. 369) „Ich sag es jedem, daß er lebt“ und von Ricarda Huch Nr. 445/446. Es herrschte noch ein unbefangener Umgang mit Texten der deutschen Literatur.

Zu den sechs Liedern Philipp Spittas im Stammteil wurden noch fünf in den zweiten Teil gewählt, darunter das typische „O lieber Herre Jesu Christ“ (Nr. 479), das einen Spaziergang mit Jesus durch die Landschaft bedichtete: „Geh auch mit uns durch Wald und Flur/ zeig uns des ewgen Vaters Spur/ und seiner Werke Herrlichkeit/ der Blumen Schmelz und leuchtend Kleid (Str. 2), „und neigt der Tag sich in die Nacht, ist unsre Wanderung vollbracht/ dann kehr Herr Christe bei uns ein/ wir rüsten dir die Herberg fein“ (Str. 5). Verse wie von Julius Schwind gemalt. Auf Lieder aus dem Naturleben (Nr. 472-479) folgten etwas dröhnende Lieder vom Vaterland, darunter zwei auf die Melodie des sog. Niederländischen Dankgebetes „O Vater Berater und Schirmherr der Deinen“ (Nr. 486) und „Das Land meiner Väter, in dem ich geboren“ (Nr. 487) vom Ottensteiner Pfarrer Ernst Krenge, ein Lied mit der Bitte, Gott möge die rauschenden Wälder, Heimat und Scholle Deutschlands behüten.

Als gut lutherische Kirche wurden zu den 20 Lutherliedern im Stammteil noch drei in den zweiten Teil gewählt (Nr. 375 „Wir glauben all an einen Gott“, die Litanei und „Die beste Zeit im Jahr“, Nr. 472). Das Bekenntnis zum Luthertum zeigte sich auch im Katechismusteil, wo die 28 Artikel der Confessio Augustana aufgenommen worden waren.

Diese gemütvolle Gesangbuchlandschaft wurde durch den Trommelton der Thüringer Deutschen Christen aufgeschreckt. Ihr Gesangbuch „Großer Gott wir loben dich“ wurde in den deutsch-christlich geprägten Gemeinden viel gebraucht.

Als lutherische Kirche fühlte sich die Thüringische Landeskirche an den Beschluß der Generalssynode vom Januar 1949 gebunden. Sie berief einen GesangbuchAusschuss ein, der sich ganz scharf gegen die Aufnahme der volkstümlichen Lieder aussprach. „Harre meine Seele“ wäre ein „christlich firmierter Eudämonismus“, „Großer Gott wir loben dich“ eine schwächliche katholische Nachdichtung des Te Deums“, „Wo findet die Seele die Heimat“ „theologisch nicht haltbar, literarisch und musikalisch wertlos“, „Tochter Zion“ bringe einen falschen Ton in die Adventszeit und „O du mein Trost und süßes Hoffen“ und „Stern auf den ich schaue“ wären keine Kirchenlieder ( nach EZA 628/410).
Der Landessynode lag indes ein erheblich gemäßigter Vorschlag mit 47 Liedern aus dem alten Gesangbuch vor, mit ganz überwiegendem Liedgut aus dem 18. und 19. Jahrhundert, darunter auch „Harre meine Seele“ und „Großer Gott wir loben dich“. Die im alten Gesangbuch kirchenjahrmäßig integrierten Kinderlieder wurden unter den Nummern 481-492 weit ausgegliedert. Der Vorschlag enthielt zwei zeitgenössische Lieder von R.A. Schröder („Wir dienen, Herr, um keinen Lohn“ und „Es mag sein daß alles fällt“), und als Lied nach dem Glaubensbekenntnis „Auf diesen Glauben will ich nun“ von Joh. Hermann Schrader 1731, kein Lied aus dem alten Thüringer Gesangbuch. Die Synode beschloß, daß der Liederteil für Kinder vom endgültig entscheidenden GesangbuchAusschuss noch erweitert werden und bis zum 1. Juni die Synodalen auch noch weitere Lieder einreichen könnten, über die dann im Ausschuss entschieden würde. Von dieser Möglichkeit wurde auch Gebrauch gemacht und noch drei Lieder, die nicht auf der Vorschlagsliste standen, aufgenommen, nämlich das Osterlied „Ich geh zu deinem Grabe“ von Benjamin Schmolck (EKG 408 = TG 65), das Konfirmationslied „Sei Gott getreu“ von Michael Franck ( EKG 415 = TG 129), das vielleicht im Hinblick auf die Auseinandersetzung um die Jugendweihe und Konfirmation der Pfarrerschaft wichtig war, und das Trostlied von Paul Gerhardt „Ich hab in Gottes Herz und Sinn“ ( EKG 432=TG 220). Außerdem wurden drei Kinderlieder noch hinzugefügt, darunter von Arno Pötzsch „Meinem Gott gehört die Welt“ (EKG 489) mit zwei Melodien, die eine von Christian Lahusen und die andere von Gotthold Veigel 1951, einem Pfarrer in Schmalkalden.
Weiteres Liedgut wurde in den Gebetsteil aufgenommen: als Abendgebete „Nun schläfet man“ von Tersteegen, und „Müde bin ich geh zur Ruh“ (TG 460), außerdem: „Gott wills machen“ (TG 234) und „Weiß ich den Weg auch nicht“ und auf den Tod eines Kindes das Lied Paul Gerhardts „Du bist zwar mein und bleibest mein“ (TG 322) .

Außer Mecklenburg hatte sich keine Landeskirche derart eng den Vorstellungen von Mahrenholz angenähert, wie die seinerzeit große Thüringische Landeskirche. Sie hielt den Anhang mit 56 Liedern auf das gewünschte Mindestmaß, und sie trennte die Kinderlieder vom Stammteil. Was das Liedgut hingegen anging, so setzte sich auch in der Thüringische Landeskirche der Trend fort, in den Anhang möglichst alle beliebten Lieder aus dem ehemaligen Gesangbuch vor allem aus dem 18. und 19. Jahrhundert aufzunehmen.
Dieses alte Gesangbuch blieb den Thüringer Gemeinden länger erhalten, als sich das die Synodalen wünschten, denn die Regierungsbehörden der DDR verweigerten die rasche Auslieferung notwendiger Papierkontingente. Erst 1954 erschien die erste Ausgabe des EKG, sodaß in einer längeren Übergangsfrist beide Gesangbücher im Gebrauch blieben.

Die Entscheidung der bayrischen Landessynode gegen das EKG im September 1950
In der Bayrischen Landeskirche löste der Zeitpunkt für ein neues Gesangbuch – Bayern hatte 1928 ein neues Gesangbuch erhalten - sowie die Liedauswahl des EKG eine ungestüme Diskussion aus. Sie beschäftigte im Frühjahr 1950 die Dekanatskonferenzen der vier Kirchenkreise, im Korrespondenzblatt gingen die Meinungen kontrovers hin und her, der Pfarrerverein beschäftigte sich am 20. April 1950 in Truchtlingen gründlich mit der Gesangbuchfrage mit Referat und Korreferat (LAW G 337). Die überraschende Folge dieser intensiven Diskussionen war, dass die bayrische Landessynode am 20. September 1950 entgegen der massiven, schriftlichen Empfehlung des Landeskirchenamtes die sofortige und bedingungslose Übernahme dieses Gesangbuches ablehnte. Es wurde eine zaghafte Übergangslösung geschaffen. Den bayrischen Kirchengemeinden teilte Bischof Meiser mit, daß nach eingehender und ernster Beratung in der Synode „eine sofortige Einführung des neuen Gesangbuchs aus verschiedenen Gründen z. Zt noch nicht möglich ist.“ Es wäre daher eine Übergangslösung geschaffen, daß das bisherige Gesangbuch erneut gedruckt und mit einem Anhang versehen werde mit jenen Liedern, die aus dem Stammteil des EKG noch nicht im bestehenden Gesangbuch vorhanden wären („Zur Berichterstattung über die Einführung des Ev. Kirchengesangbuches in der Ev. Luth. Kirche in Bayern“ LAW G 218). Das bedeutete, daß sich an der Gliederung des Bayrische Gesangbuch nichts änderte. Es enthielt wie bisher 587 Lieder im Hauptteil, beginnend mit dem Lutherischen „Wir glauben all an einen Gott“ und dem „Herr Gott dich loben wir“, es folgten Lieder zum Kindergottesdienst (Nr. 592-623 darunter „Lobt froh den Herren“, „Weil ich Jesu Schäflein bin“, „Weiß du wieviel Sternlein stehen“) und Geistliche Volkslieder (Nr 1-46 angeführt von „Großer Gott wir loben dich“, und u.a. „Harre meine Seele“, „Stille Nacht“, „O du fröhliche“, „So nimm denn meine Hände“) und jetzt erst beginnend mit Nr. 700 - 824 die neuen Lieder aus dem EKG. Nach Gliederung und Inhalt hatte sich die bayrische Landessynode eindeutig widersetzt. Die fehlenden EKG-Lieder als Anhang hinter die Kinder- und volkstümlichen Lieder zu plazieren, war genau die umgekehrte Reihenfolge. Eigentlich sollten die regional bedeutenden Lieder in einem Anhang erscheinen. Nun war der Restbestand des EKG zum Anhang degradiert worden. Geradezu deprimierend mußte es allerdings wirken, daß ausgerechnet die lutherische Bayrische Landeskirche sich auf diese Weise vom ersten Teil des DEG, der bis auf einige Ausnahmen komplett im bayrischen Gesangbuch enthalten war, nicht trennte. Diese sog. Übergangslösung war in der kirchlichen Alltagspraxis keine. Es blieb in den bayrischen Gottesdiensten alles beim alten. Keiner brauchte sich von dem ihm lieb gewordenen Liedgut trennen, auch nicht von jenen, die theologisch und kirchenmusikalisch als wertlos klassifiziert und aus dem neuen Gesangbuch „ausgemerzt“ worden waren. Gewiß boten die angehängten Lieder aus dem EKG die Möglichkeit, sich an sie zu gewöhnen, aber das war schwierig, so lange das Angebot „beliebter“ Lieder noch vorhanden war und gedruckt wurde. 1956 erschien die 10. Auflage dieses Bayrischen Gesangbuches mit EKG Anhang. Es ist sehr unwahrscheinlich, daß sich die bayrischen Gemeindemitglieder rasch von dieser seinerzeit erstandenen Ausgabe getrennt haben werden.
Nach Hannover war die bayrische Landeskirche mit 2.330.000 Millionen die zweitgrößte lutherische Kirche in Westdeutschland (nach KJ 1952 S. 457). Diese Entscheidung war für das EKG-Projekt unter dem Gesichtspunkt eines nunmehr einheitlichen Gesangbuches in ganz Deutschland ein schwerer Rückschlag.
Mahrenholz gab diesen Rückschlag nicht zu, sondern begründete die Entscheidung der bayrischen Landessynode mit dem Wunsch, man wolle in Bayern erst die Fertigstellung der neuen Gottesdienstordnung (Agende) abwarten, um dann beides zugleich abzudrucken.

Die Zustimmung der Bremische Landeskirche zum EKG im Advent 1950
Auf Veranlassung des Kirchenausschusses wurde im Advent 1950 das EKG eingeführt. Der KirchenAusschuss bediente sich dabei der Zusammenarbeit mit dem Verband ev. Kirchenchöre, also von OLKR Mahrenholz. Das EKG löste das Bremer Gesangbuch von 1917 mit 606 Liedern ab.
Der Anhang enthielt 80 Lieder (Nr. 400-479) und hatte den Titel „Lieder der Evangelischen Kirche in Bremen“. Es vermied das Wort „Anhang“ und verstand sich also als der typische Bremer Teil. Später wurde dieser Teil um weitere 21 Lieder bis zur Nummer 500 erweitert und damit der Eindruck eines eigenen zweiten Teiles gefestigt.
Die Bremer Kirchengemeinden hatten 1926 eine mit zahlreichen jugenstilmäßigen Bildern und Vignetten versehene Schmuckausgabe erhalten. Das EKG präsentierte sich als in schwarz gehaltenes Kirchenbuch.
Kein „Anhang“ hatte 1950 so viele zeitgenössische Dichter aufgenommen. Er enthielt sechs Lieder von R.A. Schröder, drei von Gustav Schüler, zwei von Lotte Denkhaus, je eins von Will Vesper, Otto Riethmüller, Hermann Weingart, Erich Pfalzgraf, insgesamt 15 zusätzliche zeitgenössische Lieder. Von Jochen Klepper war keines dabei. Dieser Schwerpunkt ist auffällig. Von Gustav Schüler (1868-1938), einem Lehrer und freiem Schriftsteller in Frankfurt a.O. stammten schon acht Lieder im alten Gesangbuch. Sie repräsentieren mit ihren fröhlichen, ausladenden, verschlungene Bildern die Zeit des Jugendstils. Das Lied „O ewges Licht, du heller heilger Braus, der alle Welt umschlingt“ (EKG 449= BreG 303) war um eine Strophe gekürzt. Die erste Hälfte lautete: „O ewges Glück/ du füllst das Äthermeer/ und tränkst das Weltenrund, o komm zu uns mit einem Hauche her“. EKG 459 (= BreG 453): „Und wollte alles wanken und alles bräche ein“ wirkte durch die zweite Strophe „Und mußt du alles missen und ganz zu Trümmern gehen/ und könntst vor Finsternissen den hellen Tag nicht sehn“ sehr zeitnah samt dem als Trost gedachten, jeweils wiederholten Schluß: „Er hat dich doch in Händen, der alle Himmel hält“. Die vierte Strophe beschrieb die Seenot: „wie auch die Wasser schäumen/ in wilder Mächtigkeit/. Wenngleich vor Gischt verschwänden/ das Leben und die Welt/ er hat dich doch in Händen, der alle Himmel hält.“ Diese drei Schülerlieder, die aus den acht ausgesucht waren, waren der Erinnerung an das alte Gesangbuch geschuldet. Eine weitere regionale Erinnerung war das Morgenlied von Hermann Weingart „Nun tritt aus goldnem Tore der junge Tag ins Land“ (EKG 469=BreG 480). Von Weingart (1866-1921), seit 1902 Pfarrer in Borgfelde bei Bremen, stammten im alten Gesangbuch insgesamt drei Lieder, darunter auch aus dem ersten Weltkrieg (BreG Nr. 555) „Mit Gott hindurch im Kriege, denn es ist Gottes Krieg, mit Gott hindurch zum Siege, denn es ist Gottes Sieg“. Die dritte Strophe dieses Liedes mochte 1944/45 noch die Durchhaltementalität der Bremer zementieren: „Und stellen tausend Welten/ sich uns zum Widerstand/ uns führt der Held der Helden/, Herr Christ der Heliand/ Er hebt die Kreuzesfahne/ von Golgatha so rot/ daß sie uns heilig mahne/ Getreu bis in den Tod.“ Von Weingart war nun für das EKG ein versponnenes jugendbewegtes Morgenlied ausgesucht. Es beschrieb den Morgen als jungen Gottesboten, als „jungen Sohn der Zeit“( Str. 5) „in blinker Heldenzier“ (Str. 2), der dem Schläfer „mit neuem Schlag das Blut hämmert“ (Str. 3) und zum Gebet veranlaßt: „drum jauchz ich ihm entgegen/ dem jungen Sohn der Zeit/ Mein Tag, mein Gottesbote, hilf beten mir und baun“ (Str. 5). Die blumenumkränzten, goldbeglänzten Jünglinge des Jugendstils passen besonders gut zu diesem Lied. Das Weingartlied war auch eine dankbare Erinnerung an das nunmehr verflossene Gesangbuch.
Daß zu den fünf R.A. Schröderlieder im Stammteil noch sechs neue hinzugewählt wurden, war dem Bremer Stadtbürger gedankt, der R.A. Schröder gewesen war. Außer „Wir harren Christ in dunkler Zeit“, das auch in anderen Liederanhängen vorkam, wurden die Lieder „ In Finsternis vollendet“ (EKG 414) zum Neujahrmorgen, „Trittst du wieder vor die Nacht“ (EKG 416) zu Epiphanias, „Komm uns noch einmal segnen“ (EKG 427) zu Pfingsten, „Wir sind noch in den Hütten“ (EKG 430) zum Abendmahl, und „Ich hab ein Wort gefunden, dafür will ich dir danken“ (EKG 456) aufgenommen. Daneben wirkte es zunächst apart, daß auch das Lied von Will Vesper „All Ding auf Erden, welche Pracht. Wie schön sind sie formieret“ (EKG 477) für den Anhang vorgeschlagen war. Will Vesper hatte 1940 die berüchtigte Anthologie „Die Ernte der Gegenwart“ veranstaltet, die 1943 bereits das 40. Tausend erreicht hatte und neben zeitgenössischer Lyrik auch stramme Nazigedichte aufgenommen hatte. Von Will Vesper stammte das Gedicht August 1939 „Mein Führer, in jeder Stunde/ weiß Deutschland, was du trägst/ daß du im Herzensgrunde/ für uns die schwere Schlacht des Schicksals schlägst“ Das Gedicht endete mit „Nun wag, was du mußt wagen/ wozu dich Gott gesandt“. Das EKG-Lied war dagegen ein harmloses Loblied „nach der Ernte“ eingeordnet, das Gott als Wunder der Natur besang. In jener Nazianthologie war auch R.A. Schröder mit sieben Gedichten vertreten, einige aus den frühen Jahren, darunter aber auch das viel gesungene „Heilig Vaterland in Gefahren“. Das Abendmahlslied „Wir sind noch in den Hütten“ (EKG 430) aus dem Jahre 1939 hatte schon den Geruch des 2. Weltkriegs an sich. Der Sänger liegt „zu Feld“, wo Gott ihn hingestellt hat (Str. 1), er sah, wie „so mancher Kämpe fiel“ (Str. 2), er sehnt sich nach „Waffenruh“, in der er das Schwert „an unsres Herrgotts Wand“ stellen könnte (Str. 3). Der Sänger hatte also noch lange weiterzukämpfen, aber mit der Aussicht auf „das schöne Vaterhaus“ und „lichte Hallen“ (Str. 4). Für bedenklich halte ich auch die Wendung aus dem 1941 gedichteten Lied, dem Jahr des Überfalls auf die Sowjetunion und nach drei Jahren Krieg „Wir harren Christ in dunkler Zeit“(EKG 403), wo es in der dritten Strophe heißt „Es darf nicht immer Friede sein; wers recht begriff, der gibt sich drein. Hat jedes seine Zeit“. Das mußte als die Bejahung auch dieses Krieges als Gottesfügung verstanden werden. Diese Deutung hatte sich auch in der Nachkriegszeit fortgesetzt und erst Jahrzehnte später Widerspruch gefunden. Insofern waren Will Vesper und R.A. Schröder nebeneinander im Bremer zweiten Gesangbuchteil kein Widerspruch.
Vom 1937 verstorbenen Bremer Pfarrer Erich Pfalzgraf wurde ein geradezu anstößiges Lied, das die Gotterwähltheit des deutschen Volkes unverhohlen benennt, aufgenommen: EKG 478 „Du gabst uns in der weiten Welt das Volk, dem wir entstammen“. Unter vielen Völkern und Ländern ist das Los Gottes auf das deutsche Volk gefallen: „Und sind der Völker noch so viel/ und noch so viel der Länder/ das Los zu unserm Volk uns fiel/ durch dich, o ewger Spender“. Das Lied endet angesichts der Trümmerlandschaft der Bremer Innenstadt sibyllinisch: „ Durch dich steht uns die Heimat fest/ du bist ein Gott, der nie verläßt/ ein Volk, das dir vertrauet“. Von einer „festen Heimat“ hatten die Flüchtlingsmassen aus dem Osten nichts mehr gemerkt. Offenkundig hatte die deutsche Bevölkerung Gott verlassen – aber wollten das jene sagen, die dieses Lied für den zweiten Teil vorgeschlagen hatten? Erich Pfalzgraf war Deutscher Christ und bis zu seinem Tode 1938 Vorsitzender der Gesangbuchkommission der Bremer Landeskirche.
Dieser Teil enthält zwei außerordentliche Zeitzeugnisse von der Bremer Pfarrfrau Lotte Denkhaus aus den Jahren 1942 und 1945. Das Lied „Du kennst sie all mit Namen“ (EKG 479) benennt den Tod vieler deutscher Soldaten an den verschiedenen Frontabschnitten und die zurückgebliebene Pfarrfrau bittet, Gott möge den Tod der Soldaten annehmen, ihre Treue ansehen, die Zeichen des Kampfes von ihrem Gesicht abwischen „und mach auch unser Herze an deinem Herzen still/ wenn sich’s in seinem Schmerze nicht trösten lassen will“. Sie tröstet sich mit der Aussicht, mit den Toten „dich loben und dir dienen, bis wir uns wiedersehn“. Das Lied ist der Ausdruck einer Gottverbundenheit auch in aussichtsloser Lage. Das andere Lied „Wir gehn dahin und weinen und leiden große Not“ (EKG 464) stammt aus der Zeit der Niederlage, wo sich rings „wüstes Land“ dehnt und der Himmel verschlossen ist (Str. 1). Es war die Zeit, wo die Pfarrfrauen oft Jahre lang den Dienst ihrer Männer in den Gemeinden versehen hatten und in die Lage des Säemann versetzt wurden (Str. 2), „und wo die Körner fallen aus unsrer Hand aufs Feld/ da kommt dein Reich zu allen Verlornen auf der Welt“ „Wir gehen dahin und tragen mit uns dein heilig Wort“ (Str. 3). Die Dichterin hofft, die Erde möge ein großer Acker voller Garben werden (Str. 4). Auch dieses Lied stammt aus einer mit frommem Sinn erlebten Notzeit und ist darin ein authentisches Zeugnis der Frömmigkeit seiner Zeit.

Alle 20 Jahre, so war der Plan des Verbandes ev. Kirchenchöre, sollte der Anhang überprüft und Lieder ausgewechselt werden. Ende der 60iger Jahre wurde tatsächlich der „Anhang“ überprüft, jedoch kein einziges Lied ausgetauscht, sondern 21 hinzugefügt bis auf die Liednummer 500. Damit war auch dieser „Anhang“ endgültig zu einem zweiten Teil geworden. Es wurden einige ältere, bekannte Lieder, die in anderen „zweiten Teilen“ standen, nun nachgeholt wie „Harre meine Seele“ (Nr. 492), „Mein Schöpfer steh mir bei“ (Nr. 487), „Reich des Herrn“ (Nr. 489), „Laß mich o Herr in allen Dingen“ (Nr. 495), „Geist des Glaubens, Geist der Stärke“ (Nr. 482). Darunter waren auch die von der Gemeinde vermißten Lieder von Jochen Klepper „Gott wohnt in einem Lichte“ (Nr. 496) und „Er weckt mich alle Morgen“ (Nr. 499), die ersten, die (abgesehen vom Stammteil) überhaupt in ein Bremer Gesangbuch aufgenommen wurden, und die von Otto Riethmüller „Herr wir stehen Hand in Hand“ (Nr. 490) und „Nun gib uns Pilgern“ (Nr. 491).
Eine Bremer Besonderheit war die Aufnahme eines Liedes von Emmanuel Hirsch, der sich besonders in dem Bremer Gesangbuch „Lieder von der Kommenden Kirche“(1939) engagiert hatte, das unter die Passionslieder eingereiht worden war: „Die ihr euch müht und streitet, erhebt den Sinn zu Gott“ (Nr. 481). Im Kampf des Frommen mit dem Tod müsse die Seele sich bei tausend einstellenden Fragen auf Gottes verborgene Güte verlassen. Jesus ist ihm als Bruder gegeben, der „mit uns zu Gott ruft“. „Tod spiel nur deine Geigen/ ich komm und fürcht mich nicht/ ich weiß du mußt mir zeigen/ den Weg zu Gottes Licht/ Ich brauche nicht zu schauen/ in deines Rätsels Nacht/ ich darf dem Helden trauen/ der dich zum Knecht gemacht“ (vierte und letzte Strophe). Hirsch vermeidet die geläufigen dogmatischen Bilder vom Tod Jesu als Opfertod, er schildert ihn als Begleiter des Sterbenden auf dem Weg durch den Tod, als Gottes Knecht, zu Gottes Licht. Die Entdogmatisierung des Todes Jesu gehörte zur deutsch-christlichen Programmatik und ist heute wieder aktuell. Ein anderer zeitgenössischer Dichter war der Bremer Pastor Johann Karl Ernst Triebel, geb. 1903, der das Abendmahlslied „Herr laß uns deine Nähe inne werden“ beigesteuert hat. „Nähe“ und „Gemeinschaft“ waren die neuen Stichworte zum Verständnis des Abendmahls statt Opfertod und Wandlung in „wahren Leib und wahres Blut“. „Und in dem Brot, das wir gemeinsam essen, laß deine Güte dankbar uns ermessen“ (Str. 2) und „Stets will das Böse die Gemeinschaft stören/ laß uns von ganzer Seele dir gehören“ (Str. 4).

1969 erschien ein „Anhang 70“, mit 22 Liedern, gezählt nach Nr. 901-922, die bequem in das Gesangbuch eingeklebt werden konnten, wie das in einigen Bremer Gemeinden der Fall war. Sie waren im Auftrag des Hamburger Kirchenrates von Otto Brodde und Herwarth von Schade zusammengestellt worden und den Gemeinden zur Erprobung empfohlen. Darunter befanden sich die neuen Lieder vom Tutzinger Ausschreiben „Ein Schiff das sich Gemeinde nennt“ (Nr. 905), Lieder von Dieter Trautwein, Kurt Rommel, Rolf Schweizer, Kurt Marti und Arnim Juhre, Gustav Lohmann und aus der Bonner Studentengemeinde 1966. Damit wurde bereits der Abschied vom EKG und der Beginn eines neuen Gesangbuches angedeutet.

Die Entscheidung der Brandenburgischen Kirche für ein zweiteiliges EKG am 7. Februar 1951
Keine Landeskirche hatte sein gebräuchliches Gesangbuch so spät eingeführt wie die brandenburgische- pommersche Landeskirche. Im Jahre 1931 hatte sie das DEG mit einem 2. Teil und einem pommerschen Sonderanhang in ihren Kirchen eingeführt und damit das Gesangbuch von 1886 abgelöst. Beide Gesangbücher waren noch im Gebrauch, als nun nach sehr kurzer Zeit ein drittes Landesgesangbuch eingeführt werden sollte. Das brandenburgische Gesangbuch von 1931 hatte 583 Lieder und einen pommerschen Anhang mit weiteren 12 Liedern (Nr. 584 – 595).
Die Bekanntgabe des Liedbestandes des EKG rief wie schon in vielen niedersächsischen Gemeinden auch in der Berlin-Brandenburgischen Kirche Empörung aus. Die Regionalzeitung „Die Kirche“ wurde wochenlang mit Leserbriefen überschwemmt. Es wurden insgesamt 300 Leserbriefe gesammelt und dem landeskirchlichen GesangbuchAusschuss zur Bearbeitung überwiesen. Beispielhaft mag folgender Brief von Pfarrer Flügge an OKR Söhngen genannt werden. Pfarrer Flügge schrieb aus seiner pfarramtlichen Praxis: „Jetzt bin ich in einer Berliner Vorortgemeinde Rehfelde. Unentwegt habe ich Begräbnisse, Trauungen usw. mit Leuten, die seit Jahrzehnten in keiner Kirche waren. An abgelegenen Stätten (Stuben in kleinen Arbeiterhäusern völlig christusferner Menschen) halte ich Bibelstunden und Gottesdienste. Was glauben Sie wohl, was ich da singen soll? „Nun geht ein Freuen durch die Welt“..da singen auf einmal alle mit, die seit 20 Jahren kein frommes Lied mehr gesungen haben. Dachten Sie im Ernst, ich könnte mit diesen Leuten, die niemals in die Kirche kommen (wohl aber in jene Stuben) Heermann-Lieder singen?“
Eine Frau rief Flügge an das Sterbebett von zwei 55-jährigen Männern. „Ich stand ratlos. Kein Bild Jesu im Hause, die Stuben voller Unordnung, fassungslos weinende Frauen und Kinder, Männer, die ich nie gesehen hatte, der eine soll aus der Kirche ausgetreten sein, oder war er es nicht, niemand wusste es. Was soll ich beten? Alles verhallte im Todesröcheln und hemmungslosen Weinen der Frauen. Da sang ich: „So nimm denn meine Hände“. Sie finden das schrecklich. Aber jene dort – ja, was soll ich sagen? Der röchelnde Mann singt mit brechende Stimme, nein er stöhnt, er keucht von sterbenden Lippen „.. und führe mich bis an..“ Dieses war das einzige Gebet, das der Mann beten konnte“ (Flügge an Söhngen am 12.12.1950 in EZA 628/409).

Die Kreissynoden der Landeskirche beschäftigten sich ausgiebig mit einem vom GesangbuchAusschuss veröffentlichten Entwurf und gaben ihre sehr unterschiedlichen Voten ab. Sechs Kreissynoden verneinten die Notwendigkeit eines neuen Gesangbuches, zwei weitere äußerten ernste Bedenken.
Dem GesangbuchAusschuss wurden 300 Kostproben der wütenden Leserbriefe aus der „Kirche“ überreicht. In der Berlin-Brandenburgischen Kirche gab es trotz der kirchlichen Notlage eine stürmische, kritische Anteilnahme an der Gestaltung des Gesangbuches.
Die Einführung des EKG in der Berlin Brandenburgischen Landeskirche war deshalb bedeutsam, weil nun erstmals eine Kirche der ApU diesen Beschluß fassen sollte. Sie war an die Entwicklung und Gesetzgebung der lutherischen Kirchen nicht gebunden, wie etwa die Lutherisch-sächsische Landeskirche und hatte durchaus die Möglichkeit, auch den Stammteil gründlich durchzuarbeiten und zu verändern, wie das später die Württembergische Landeskirche tat, die auch nicht zur VELKD gehörte. 1948 war eine hohe Auflage des DEG in der Landeskirche zum Verkauf gekommen. Ein dramatischer Druck für ein neues Gesangbuch schien nicht vorhanden.
Außerdem hatte im Herbst 1950 die bayrische Landessynode die bedingungslose Übernahme des EKG abgelehnt.

Während der Brandenburgischen Provinzialsynode vom 5.-8. Februar 1951 wurde die Gesangbuchfrage verhandelt. OKR Söhngen führte mit einem ausführlichen Referat in die Entstehungsgeschichte und die Vorlage des Gesangbuchausschusses ein (Verhandlungen der Berlin-Brandenburgischen Provinzialsynode Tagung vom 5.-8. Februar 1951 LABB 21.4 S. 76-89). Söhngen überging die heftigen Auseinandersetzungen der Vergangenheit und schilderte das vorliegende EKG als ein Einlenken des Westens auf die Wünsche des Ostens. „Da geschah das Überraschende, daß sich der Verband ev. Kirchenchöre sofort bereit erklärte, seine Vorlagen entsprechend den Wünschen des Ostens weitgehend umzugestalten, um eine wirkliche Gesangbucheinheit schon jetzt zwischen Ost und West zu ermöglichen“. So wäre die Anzahl der Tersteegenlieder von ursprünglich drei auf zehn erhöht worden, die des württembergischen Pietisten Hiller von einem auf vier Lieder, das pietistische Liedgut insgesamt von ursprünglich 30 auf jetzt 61 angehoben. So wäre es auch zu dem neuen Namen „Evangelisches Kirchengesangbuch“ gekommen statt des Namens der westlichen Vorlage „Gesangbuch für die ev. Christenheit“. Die östlichen Kirchenleitungen wären einverstanden, die Flüchtlinge drängten auf ein Gesangbuch mit möglichst vielem Liedgut aus ihren alten Gesangbüchern, für die bevorstehende Konfirmation fehlten Exemplare. Söhngen war von seinen alten Bedenken vollständig abgerückt und war bestrebt, in enger Kiellinie nun das EKG durchzuziehen. Er verteidigte auch den Überhang an reformatorischem Liedgut. Diese Lieder hätten über Nacht eine unerhörte Aktualität bekommen und sie muteten vielfach moderner an als die Lieder des 19. und 20. Jahrhunderts. Als sich Söhngen dann zu der Behauptung verstieg, daß gerade die Jugend diese reformatorischen Lieder geradezu stürmisch begehrten und diese mit den Liedern des DEG aus den Gottesdiensten herausgetrieben wären, entstand nun doch im Plenum Unruhe und Widerspruch. Vergessen waren die Warnungen der evangelischen männlichen Jugend aus Kassel-Wilhelmshöhe, die Söhngen seinerzeit noch so ausführlich zitiert hatte und die auch wiederholt wurden. Nach Erscheinen des EKG hatte sich die Junge Gemeinde in einem Schreiben an den Rat der EKD über eine Reihe „schwer, ja unmöglich zu verstehender Wendungen“ beschwert. Dadurch werde der Jugend der Weg zu diesen Liedern verbaut.. Sie wären nun genötigt, auf die bisherigern Liederbücher „Der helle Ton“, „Das neue Lied“ zurückzugreifen“ (epd 13.10.1950).

Die Synode wählte einen 24-köpfigen GesangbuchAusschuss, der die 27 Eingaben an die Synode bearbeiten und weitere Verbesserungen vorbringen sollte. An einem offenen Synodenabend wurden die vorhandenen erheblichen Bedenken weitgehend ausgeräumt.
Zwei Tage später schlug der Ausschussvorsitzende vor, acht Lieder aus der Vorlage zu streichen und einige neue, dringend begehrte Lieder hinzuzufügen. Davon stammten vier wiederum aus dem DEG: „Geist des Glaubens Geist der Stärke“, „König Jesu streite, siege“, „Gottes Stadt steht fest gegründet“ und „Auf bleibet treu und haltet fest“. Der Ausschussvorsitzende begründete diesen neuen Liedvorschlag mit der Bemerkung: „Wir dachten dabei an die Männer und die junge Gemeinde“. Außerdem wurden als zeitgenössische Lieder von Heinrich Vogel „Der Herr wird für dich streiten“ und, weil es ein Standardlied von Frauenhilfen und Jugendgruppen wäre, Riethmüllers „Herr wir stehen Hand in Hand“ beantragt. Der Ausschuss schlug außerdem zwei wesentliche Änderungen bei der Melodieführung im Stammteil vor. Bei dem Lied „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ (Nr. 131), hatte die Gemeinde bisher den Vers „ein Wohlgefalln Gott an uns hat“ in natürlicher Aufwärtsbewegung gesungen. Das entsprach aber nicht dem Original, sondern war eine spätere Glättung. Das Original sah vor, daß die Silben „ein Wohl“ auf demselben Ton gesungen werden sollten. Das war aus der Sicht der Gemeinde eine völlig überflüssige Lappalie, für die Hymnologen indes fast ein Bekenntnisakt. Die Brandenburger Synode beschloß, es bei der bisherigen glatten Version zu belassen. Auch bei dem Lied „Christus der ist mein Leben“ sollte der Vers „dem tu ich mich ergeben“ wie bisher in der geglätteten Form beibehalten werden, im Original waren die Worte „ich mich“ auf demselben Ton zu singen, wie es das neue EKG nun auch vorsah. Damit hatte die brandenburgische Synode in die Form des Stammteils eingegriffen und versäumte es, auch am Text den vielen Eingaben folgend Verbesserungen vorzunehmen.
Es gab weder eine inhaltliche Generalaussprache (die hatte an dem gemütlichen offenen Abend stattgefunden), auch keine Debatte über die neue Vorlage des synodalen Gesangbuchausschusses, sondern eine sehr deutliche Mehrheit bei zwei Gegenstimmen und vier Enthaltungen. Zum 1. Advent 1951 sollte es eingeführt werden.

Der vom landeskirchlichen GesangbuchAusschuss endgültig festgestellte Anhang des brandenburgischen EKG betrug schließlich 99 Lieder (Nr. 400-498). Wie schon im niedersächsischen und lutherisch sächsischen Anhang wurde auch im Brandenburgischen der Anteil der pietistischen Lieder erhöht. Auffällig ist jedoch, dass vier neue Abendmahlslieder aufgenommen wurden, davon drei zeitgenössische: „Du hast zu deinem Abendmahl“ von Arno Pötzsch (Nr. 424), „Herr du bist hier in Brot und Wein“ von Eugen Weschke 1951 (Nr. 425) und „O Leib gebrochen mir zugut“ (Nr. 426) von Heinrich Vogel. Die Abendmahlslieder vermieden dogmatische Aussagen und betonten die solidarische Gemeinschaft der Abendmahlsgäste. Das Lied von Pötzsch wurde 1994 ins EG unter Nr. 224 aufgenommen.
Die 25 Lieder des Stammteils von der Kirche (EKG Nr. 201 – 225) wurden durch 16 neue (Nr. 432-447) vermehrt, davon 10 aus dem 19. und 20. Jahrhundert, darunter „Zieht in Frieden eure Pfade“ Nr. 443, das nicht im niedersächsischen Anhang stand und hier wiedergegeben wird, auf die Melodie „Wachet auf“ zu singen:
„Zieht in Frieden eure Pfade/ Mit euch des großen Gottes Gnade/ und seiner heilgen Engel Wacht/ Wenn euch Jesu Hände schirmen/ geht’s unter Sonnenschein und Stürmen/ getrost und froh bei Tag und Nacht/ Lebt wohl, lebt wohl im Herrn/ Er sei euch nimmer fern/ spät und frühe/ Vergeßt uns nicht/ in seinem Licht/ und wenn ihr sucht sein Angesicht“ von Gustav Knak, dem Berliner Pfarrer und Missionsfreund. (Nr. 447). Bei welcher Gelegenheit mag ein solches Lied gesungen worden sein? Bei mir stellt sich das Bild eines in die Ferne abdampfenden Missionsschiffes mit einem Missionsehepaar ein. Vielleicht war es auch ein Abschiedslied nach einem brausenden Missionsfest, das sich die auseinandergehende Missionsgemeinde zusang. Vielleicht erfüllt es die Funktion, die heute das gern gesungene iroschottische Segenslied „Mögen sich die Wege“ einnimmt. Es ist auch gerne bei einer Konfirmation gesungen worden, zu einer Zeit, wo noch die Konfirmation mit dem Schulabschluß verbunden war und die Konfirmanden tatsächlich die Elternhäuser verließen und in die neue, ferne Arbeitswelt untertauchten. Das 1950 im Stammteil des EKG verschmähte Lied ist im EG unter Nr. 258 zu finden.
Eine geniale Lösung fand der Ausschuss für das Lied. „Ich bete an die Macht der Liebe“ (Nr. 467). Er setzte die dazugehörige originale erste und dritte Strophe davor: „Für dich sei ganz mein Herz und Leben/ mein süßer Gott und all mein Gut/ für dich hast du’s mir nur gegeben,/ in dir es nur und selig ruht/ Hersteller meines schweren Falles/ für dich sei ewig Herz und alles“ (Str.1) und nach der zweiten Strophe „Deins väterlichen Herzens Triebe im Namen Jesu öffnen sich..“ folgt „Ich bete an die Macht der Liebe“, was in den Zusammenhang gut paßt.
Außerdem erhielt das Lied eine andere Melodie von Christian Gregor 1784 und mit dem Abschied von der Bortnianskymelodie, die noch im alten Gesangbuch (Nr. 188) gestanden hatte, war auch die Erinnerung an das militärische Zeremoniell des Gelöbnisses für den Gemeindegottesdienst getilgt. Schade, daß diese Lösung nicht für das EG übernommen worden ist.

Es wirkte etwas unaufrichtig, daß auch in diesem Gesangbuch wie schon im Sächsischen die viel verachteten „beliebten“ Lieder im Gebetsteil untergebracht waren, nämlich auf S. 66 „Brich herein, süßer Schein“(EG 643), „Geduld ist euch vonnöten“, „Harre meine Seele“ (EG 593), „So nimm denn meine Hände“ (EG 376), „Stern auf den ich schaue“(EG 407), „Weiß ich den Weg auch nicht“ (EG 591). In der nächsten Gesangbuchgeneration wurden sie wieder im Stammteil oder Anhang der Gemeinde zugemutet. Die Nummern im Evangelischen Gesangbuch von 1994 sind in Klammern zugefügt.
Söhngen hatte während der Synodaltagung betont, daß auch Mitglieder aus der westfälischen Landeskirche im GesangbuchAusschuss an der Synodalvorlage mitgearbeitet hätten. Die Hoffnung, daß nun auch die unierten Kirchen des Westens, die westfälische und die rheinische Landeskirche, das EKG übernehmen würden, erfüllte sich nicht.

Die Entscheidung der badischen Landeskirche gegen das EKG am 27. April 1951
Die badische Landessynode verabschiedete am 27. April 1951 das EKG und einen zweiten Teil „Lieder der Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens“ mit 117 Liedern. Die badische Kirche gehörte zu den unierten Kirchen, hatte sich aber nicht der ApU angeschlossen, und war mit 900.000 Mitgliedern eine der kleineren Landeskirchen (KJ 1952 S. 457). Im Entwurf des zweiten Teils des Gesangbuches der badischen Landeskirche überstiegen die ursprünglich 162 zusätzlichen Lieder den vorgesehenen Umfang bei weitem, und in Fulda war der badische Vertreter Pfr. Dr. Scheuerpflug gebeten worden, die badische Kirche möge den geplanten Umfang des Anhangs noch einmal überdenken. Aber auch mit den endgültig beschlossenen 117 zusätzlichen Liedern im zweiten Teil blieb die badische Kirche sehr weit über dem verabredeten Höchstmaß von 50 Liedern (EOK an die Mitglieder des erweiterteten EOK am 25.1.1951 in: EZA 628/ 410 und LAW G 215).
Schon die Überschrift des zweiten Teils überraschte. „Lieder der Vereinigten Evangelisch-protestantischen Landeskirche Badens“. Das sollte ja eigentlich für alle Lieder, auch für die des Stammteils gelten. Aber schon der Stammteil des EKG blieb erstmals nicht unberührt. Der badische Gesangbuchausschuss hatte die Gliederung durch den Abschnitt „Heilsangebot und Heilsverlangen“ zwischen „Lob und Dank“ und „Christlicher Glaube und christliches Leben“ erweitert. Das war nicht ein beliebiger, zusätzlicher Abschnitt sondern ein Eingriff in die theologische Struktur des EKG. Absichtsvoll hatte Mahrenholz auf diese Kategorie, die aus der nachreformatorischen Zeit stammte, verzichtet, weil Rechtfertigung auch ohne ein persönliches Heilsverlangen stattfinden konnte. In diesem zusätzlichen Abschnitt befanden sich 12 Lieder. Die Überschrift „Kirche“ wurde ergänzt durch „Kirche und Mission“.
Wie schon im brandenburgischen Gesangbuch wurde bei der Melodie von „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ auf die Originalfassung verzichtet.

Der Liedbestand des zweiten Teiles widersprach vollständig den von Mahrenholz aufgestellten Kriterien. Die Badenser hatten 84 im Stammteil schwer vermisste Lieder ihres bisherigen Gesangbuches in den Anhang verlagert. Besonders der Teil der 21 Weihnachtslieder des Stammteils wurde durch zehn weitere im zweiten Teil erweitert. Schon die hohe Zahl der „ergänzenden“ Lieder deutete auf eine schmerzlich empfundene Mangelerscheinung des Stammteils hin. Darunter befanden sich die volkstümliche Weihnachtslieder „Ihr Kinderlein kommet,“ „Stille Nacht“, „O du fröhliche“, „Herbei ihr Gläubigen“, „Du lieber heilger frommer Christ“, „Kommet ihr Hirten“, „Ihr Hirten erwacht“, „Zu Bethlehem geboren“. Damit wurden jene Lieder, die als „Kinderlieder“ oder als „Geistliches Volkslied“ meist in einen dritten Teil ausgelagert waren an die Spitze des zweiten Teils gerückt. Das war keine Ergänzung des Stammteils sondern ein Protest gegen dessen Auswahl.
Die 25 Lieder „Kirche“ (EKG 201-225) wurden durch 15 Lieder „Kirche und Mission“ wesentlich erweitert (Nr. 446-460). Diesem Teil, der unerwartet viele zeitgenössische Lieder enthielt (siehe unten), gehörten die klassischen Missionslieder „König Jesu streite, siege“, „Zieht in Frieden eure Pfade“ an und Albert Knapps „Der du zum Heil erschienen“ (Nr. 451), der die Sehnsucht der weltweiten Mission des 19. Jahrhunderts mit dieser 4. Strophe besingt: „Du hast dem ärmsten Sklaven/ wo heiß die Sonne glüht/ wie deinen andern Schafen/ zuliebe dich gemüht/ und selbst den öden Norden, den ewges Eis bedrückt/ zu deines Himmels Pforten/ erbarmend hingerückt“. Musikalisch noch schmissiger wirkt selbst heute noch das folgende Lied Nr. 452 „Die Sach und Ehr Herr Jesu Christ, die Sach an der wir stehn“ von Samuel Preiswerk (gest. 1871) durch die Melodie von Michael Haydn, bekannt auf dem Text „Üb immer Treu und Redlichkeit“.
In diesem zweiten Teil fanden die treuen Kirchenmitglieder die beiden ihnen aus dem Gottesdienst bekannten Lieder „Die Gnade unsres Herren Jesu Christi“ und „Segne und behüte“, das „Großer Gott wir loben dich“, mit dem das bisherige Gesangbuch eröffnet worden war, andre volkstümliche Lieder wie „Schönster Herr Jesu“, „Weil ich Jesu Schäflein bin“, „Harre meine Seele“, „So nimm denn meine Hände“, „Ich bete an die Macht der Liebe“, „Eines wünsch ich mir vor allem andern“, und andere beliebte Lieder wie „Halleluja schöner Morgen“, „ Zieht in Frieden eure Pfade“, „Die wir uns allhier beisammen finden“, „Wie groß ist des Allmächtgen Güte“, „Gott wills machen, dass die Sachen“. Jedenfalls wurden diese Lieder nicht schamhaft in einen Gebetsteil versteckt sondern wurden in den Liedteil aufgenommen.
Zu diesen 84 sozusagen „alten Kirchenschlagern“ kamen 33 neue Lieder, die bisher nicht im badischen Gesangbuch gestanden hatten. Unter diesen fällt die hohe Anzahl an zeitgenössischen Liedern auf. Ursprünglich waren von Mahrenholz nur drei zeitgenössische Lieder im EKG vorgesehen, die durch das Drängen aus dem Osten auf zehn im Stammteil erhöht worden waren. Im zweiten Teil des badischen Gesangbuches befanden sich neun weitere Lieder aus der Gegenwart: von Otto Riethmüller „Herr wir stehen Hand in Hand“ (Nr. 456), das auch in zahlreiche andere Anhänge aufgenommen wurde, aber auch das seltene „Nun gib uns Pilgern aus der Quelle/ der Gottesstadt den frischen Trank/ laß über der Gemeinde helle/ aufgehn dein Wort zu Lob und Dank“ (Nr. 457) und „Von deinen Quellen leben wir“ (Nr. 465), zu dem Riethmüller auch die Melodie geschrieben hatte. Von Jochen Klepper waren zusätzlich „Er weckt mich alle Morgen“ (Nr. 504), was sich bald durchsetzte, und das Osterlied „Siehe das ist Gottes Lamm“ (Nr. 419), von Heinrich Vogel „Der Herr wird für dich streiten“ (Nr. 459), von Hermann Claudius „Es wandeln sich die Reiche“ (Nr. 458), von Eugen Gorenflo, dem Pfarrer in Emmendingen, das 1942 gedichtete „Lobgesänge in der Nacht“ und von Ernst Willauer, einem Lehrer und im Kriegseinsatz umgekommenen Heerespfarrer, das 1941 gedichtete „Du weißt die Not der letzten Zeiten“ (Nr. 502). Die Melodien zu drei von diesen zeitgenössischen Liedern hatte Rudolf Zöbeley (geb. 1901), Pfarrer in Baiertal, geschrieben, und zwar zu den beiden erwähnten Klepperliedern (Nr. 419 und 504) und zu Willauers „Du weißt die Not“, außerdem zu dem älteren Missionslied „Die Kirche Christi, die er geweiht“ (Nr. 449).
Zu den „neuen“ gehörte aber nicht nur zeitgenössisches Liedgut sondern auch Zinzendorfs „Der Glaube bricht durch Stahl und Stein“, dessen dritte Strophe lautet: „Gelobet sei die Tapferkeit der Streiter unseres Fürsten/ verlacht sei die Verwegenheit, nach ihrem Blut sie dürsten/ Wie gut und sicher dient sich´s nicht dem ewigen Monarchen/ Im Feuer ist er Zuversicht, fürs Wasser baut er Archen“ (Nr. 478,3). Außerdem von Matthias Claudius „Wir pflügen und wir streuen“ und von Christoph Blumhardt „Dass Jesus siegt bleibt ewig ausgemacht“.

Das zweiteilige badische Gesangbuch war nach der Absage der bayrischen Landessynode an eine bedingungslose Übernahme des EKG der Versuch, das EKG durch einen zweiten Teil zu ergänzen. Tatsächlich waren beide Teile in ihrer Struktur und Liedauswahl unvergleichbar. Wie schon beim DEG waren zwei Teile entstanden: ein für alle verbindlicher Hauptteil und ein zweiter regional geprägter Teil. Genau diese Konstruktion hatte Mahrenholz aber verhindern wollen. So bedeutete die Entscheidung der badischen Landessynode trotz gegenteiliger Beteuerungen ein Scheitern des Entwurfes des EKG.

Die Entscheidung der pfälzischen Landeskirche gegen das EKG im Mai 1951
Im Mai 1951 beschloß die pfälzische Landessynode die Einführung des EKG und, wie sie es nannte, einen „landeskirchlichen Teil“ von 99 Liedern (Nr. 400 – 498), also keinen kleinen variablen „Anhang“ zum Stammteil, wie es eigentlich gedacht war. Die pfälzische Landeskirche war keine lutherische. Das EKG hatte die nähere Bezeichnung „Ausgabe für die Vereinigte, protestantisch-evangelische, christliche Kirche der Pfalz“. Die Gottesdienstordnung war reformiert geprägt.

Die Kirchenleitung hatte dem Gesangbuch ein Geleitwort vorangestellt, in dem es hieß: „In dem neuen Gesangbuch finden sich Lieder, die uns in der Pfalz fremd anmuten. Sie stehen darin, weil sie unsere Brüder in anderen Kirchen nicht entbehren können“. Das klingt ziemlich distanzierend. Zum sog. Anhang schreibt die Kirchenleitung: „Als zweites Stück ist ein landeskirchlicher Teil angefügt, in dem wir Pfälzer die Lieder aus unserem alten Gesangbuch wiederfinden, welche die Synode zur Herübernahme bestimmte. Die Brücke vom alten zum neuen Gesangbuch ist diesmal breiter als es vordem der Fall gewesen ist.“ Eben diese „Herübernahme“ war die Befürchtung von Mahrenholz und er wollte deshalb den Anhang auf 30 – 50 Lieder begrenzen. Nun waren die Pfälzer bereits zahlenmäßig wie schon die Niedersachsen bis unmittelbar an die Grenze von 500 Liedern herangegangen und erklärten offenherzig im Geleitwort, daß die Gemeinden dort ihre alten geliebten Lieder wiederfinden würden. Es war also kein Anhang sondern ein eigener gefügter zweiter Teil. Damit war die viel zitierte „Einheit“ durchbrochen. Nun war durchaus die Frage, ob auch die Flüchtlinge, die ebenfalls als Grund für die Erstellung des EKG im Geleitwort zitiert werden, „wie mit einem Munde Gott loben können.“
Wie ausgeprägt dieses pfälzische Frömmigkeitsbewußtsein war, ist an der dreifachen Melodiefassung des „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ deutlich. Es begegnet uns im Stammteil unter Nr. 131, und im 2. Teil in einer „pfälzischen Fassung“ des Gloria, nämlich von Samuel Diterich (Nr. 419) und in Baltasar Münters „Lobt Gott in seinem Heiligtum“ (Nr. 436).
Diterichs Umdichtung war auch im Braunschweiger Gesangbuch vorhanden. Statt „ein Wohlgefalln Gott an uns hat“, hieß es weiterhin in der Pfalz: „Uns wohlzutun ist er bereit/ sein Rat ist unsre Seligkeit/ erhebet ihn mit Freuden“. Die 3. Strophe lautete: „O Jesu Christ, des Höchsten Sohn/ dich, seinen Eingebornen/ dich sandte Gott vom Himmelsthron/ zur Rettung der Verlornen/ Du Mittler zwischen uns und Gott/ hilf uns im Leben und im Tod/ erbarm dich unser aller.“ Da Münters „Lobt Gott in seinem Heiligtum“ auch auf diese Melodie gesungen wurde, konnte sein Lied ebenfalls als Glorialied Verwendung finden: „Lobt Gott in seinem Heiligtum, die ihr den Höchsten kennet/ der uns sein Evangelium von Jugend auf vergönnet/ der uns den Weg zur Wahrheit zeigt/ und unser Herz zum Guten neigt/ gebt unserm Gott die Ehre“. Die Aufklärungstheologie hinterließ im 2. Teil weitere tiefe Spuren. Die vier Gellertlieder im Stammteil wurden von fünf Gellertliedern im 2. Teil überboten: (Nr. 420 „Gott ist mein Hort“/ Nr. 428 „Ich komme Herr und suche dich“/ Nr. 455 „Gott ist mein Lied“/ Nr. 466 „Wenn ich o Schöpfer“/ Nr. 467 „Wie groß ist des Allmächtgen Güte“). Von Münter war noch das Ewigkeitslied „Herr ich bin dein Eigentum“ (Nr. 479) aufgenommen. Str. 3: nach der Melodie „Strafe mich nicht in deinem Zorn“: „Lehre mich gewissenhaft meine Tage zählen/ eingedenk der Rechenschaft nur was gut ist, wählen/ gib, daß ich/ ernstlich mich/ täglich und auch heute/ darauf vorbereite“. Die Abendmahlslieder des Stammteils wurden als unbefriedigend empfunden und durch sechs weitere im landeskirchlichen Teil ergänzt, darunter auch von Lavater/Zollikofer: „Nimm hin den Dank für deine Liebe, erhöhter Mittler Jesu Christ/ Gib, daß ich dich nicht mehr betrübe, der du für ich gestorben bist“.
Auch andre im Stammteil zurückhaltend aufgenommene Dichter kehrten im zweiten Teil wieder. Die zwei Ernst Moritz Arndt-Lieder des Stammteils wurden durch weitere drei überboten: Das Lied zum Jahreswechsel: „Christ, laß dich nicht betrüben, der alte Gott lebt noch“ (Nr. 404), das Pfingstlied (hier unter Trinitatis eingeordnet) „O Gottes Geist“ (Nr. 414) mit den Strophen 3 und 4: „O Gottes Geist und Christi Geist/ der uns wie Kinder beten heißt/ der uns wie Kinder glauben heißt/ o komm o komm du heilger Geist// Komm, Gottes Frieden, Gottes Mut/ komm stille Kraft, die nimmer ruht/ komm gieße deinen Gnadenschein/ in Seele, Sinn und Herz mir ein.“ Und sein Lied vom Wort Gottes (Nr. 423) „O Gottes Wort, gewaltig Wort, wie führt dein Schwert so scharfen Ort“(Str. 1), „du Herzbezwinger, Geisterhort, du ernst geheime Majestät“(Str. 2), „Bald gleich dem Sturmwind wild und graus/ du fährst mit Blitz und Donner aus/ bald freundlich, fröhlich, lieb und lind/ du säuselst gleich dem Maienwind“(Str. 3), „Laß deine Liebe mich durchwehn/ damit ich lerne Gott verstehn“(St. 5).
Das 19. Jahrhundert hielt weiterhin besonders Einzug durch Philipp Spitta, dessen vier Lieder im Stammteil durch fünf weitere im Landeskirchenteil ebenfalls überboten wurden: „Geist des Glaubens“ (Nr. 410)/ „Kehre wieder“ (Nr. 431)/ O selig Haus“( Nr. 433)/, „Es kennt der Herr die Seinen (Nr. 453)/ und „Freuet euch der schönen Erde“ (Nr. 488).
Den Beschluß des zweiten Teils machen acht „Geistliche Volkslieder“, die vom Abendlied „Es ist so still geworden“ von Johann Gottfried Kinkel (1840) mit der wiederkehrenden Schlußzeile „Wirf ab, Herz, was dich kränket und was dir bange macht“, angeführt werden.
Der folgende Gottes- und Gebetsteil hat mit der EKG-Vorlage nichts mehr zu tun und war eigenständig gestaltet. Er enthielt auch einen Teil „Gebetsverse“ mit sechs Liedern: von Immanuel Friedrich Butters (1834-1900) „Bleibe bei uns. Es ist will Abend werden“, „Brich herein süßer Schein“, von Paul Gerhardt auf den Tod eines Kindes „Du bist zwar mein und bleibst mein“, „Stark ist meines Jesu Hand“, „Weiß ich den Weg auch nicht“, und „Zieht in Frieden eure Pfade“ (S. 23 ff). Mit diesen sechs Liedern überschritt die Anzahl der Lieder die magische 500 Nummern-Grenze. Ab 400 Liedern, so hatte Söhngen vor der Synode erklärt, gleiche ein Gesangbuch einem Urwald.
Es paßt zum Stil des zweiten Teiles, daß er mit praktischen Hinweisen zum „andächtigen Verhalten bei kirchlichen Handlungen“ schließt. Da wurden Fragen des Umgangs beim Abendmahl, bei Taufe, Trauung und Beerdigung behandelt, die gerade für den ungewohnten Kirchgänger durchaus nützlich sein konnten.

Dieses Gesangbuch hat zwar das EKG als einen Teil aufgenommen, aber es hat nicht die Originalfassung eines Liedes im Blick sondern die unterschiedlichen Gesangbuchbenutzer. So uneinheitlich und widersprüchlich die Bewußtseinslage eines Gesangbuchbenutzers ist, so unterschiedlich und widersprüchlich war hinsichtlich der Stilrichtungen der gesamte Liedbestand des pfälzischen Gesangbuches.


Ehr= und Hausstand

Die vollständige Ablehnung des EKG in der württembergischen Landeskirche am 13. November 1952
In Württemberg stieß die EKG Aufnahme auf grundsätzlichen Widerstand. Das lag an der unterschiedlichen Gesangbuchgeschichte. Anders als im Herzogtum Wolfenbüttel gab es im Herzogtum Württemberg bereits 1583 ein erstes Gesangbuch mit 108 Liedern und 92 Melodien. Dieses blieb mit einigen Erweiterungen auf 154 Lieder (1664) und auf 214 Lieder (1711) und auf 393 Lieder mit einem Drittel pietistischer Lieder (1741) fast zweihundert Jahre bis 1791 in Geltung. Das rationalistische Gesangbuch von 1791 und 629 Liedern bedeutete einen radikalen Bruch im traditionellen Liedgut, hatte aber nur bis 1842 Bestand, weil das neue, auf sehr breiter Gemeindebasis entstandene Reformgesangbuch mit 651 Liedern wieder den Anschluß an das Gesangbuch von 1741 suchte. Sein Entwurf war in 6000 Stück in die Gemeinden und Fachgremien gegeben worden und die Eingaben fünf Jahre lang bearbeitet worden. Die Kommission hatte „jeden brauchbaren Wink, jede gewichtige Stimme von da und dort, aus hohem und niederem Stande gern benützt und so ein Werk ausgeführt, zu welchem in brüderlichem Geist Unzählige mitgewirkt haben, das mithin als die Frucht einer gemeinschaftlichen Handreichung der Kirche selbst betrachtet werden darf.“ (Einleitung zum Gesangbuch für die evangelische Kirche in Württemberg 1909 S.X f).


Lob und Dank

Dieses Gesangbuch von 1841 wurde von dem Gesangbuch aus dem Jahre 1912 abgelöst, bei dem etwa 250 Lieder ausgeschieden wurden und 154 neu hinzukamen. Es hatte insgesamt 555 Lieder, davon 185 Lieder aus der Zeit bis Paul Gerhardt, 206 Lieder aus der pietistischen Zeit und 160 Lieder aus der Aufklärungs- und Neuzeit (Auflistung nach dem Amtlichen Entwurf S. 183). Dieses Gesangbuch hatte sein Gepräge wie schon das vorherige durch zwar behutsame aber zahlreiche sprachliche Glättungen des Stuttgarter Pfarrers und Hymnologen Albert Knapp (1798- 1864). Von „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ „Ein Wohlgefalln Gott an uns hat“ war geglättet in „Gott Wohlgefalln an uns hat“, oder: „Ich sehe dich mit Freuden an/ und kann nicht satt mich sehen// Und weil ich nun nicht weiter kann/ So bleib ich sinnend stehen. O daß mein Sinn ein Abgrund wär..“ 4. Str. aus „Ich steh an deiner Krippe hier“.
In „Tut mir auf die schöne Pforte“ statt „heilige du Leib und Geist“ „heilige mir Leib und Geist/ daß mein Singen und mein Beten/ Dir ein lieblich Opfer heißt“ und statt „Ich bin Herr zu dir gekommen“ „Herr, ich bin zu dir gekommen“. Diese Glättungen waren geringfügig, aber gerade ihre Geringfügigkeit war das Vertrackte.

Mit einer historisch bereits eingebürgerten, breiten Gemeindebeteiligung wurde auch die Einführung des EKG in der Württembergischen Landeskirche sehr gründlich vorbereitet. Die Abgeordneten hatten den im April 1949 im Bärenreiter Verlag erschienenen vorläufigen Erstdruck des EKG in der Hand. Der Oberkirchenrat berief eine Gesangbuchkommission, die eine „Denkschrift“ zum Plan eines neuen württembergischen Gesangbuches verfaßte. Am 31. März 1950 trat die Landessynode zusammen, auf der OKR Metzger in einer umfassenden Rede den vorläufigen Entwurf des Evangelischen Oberkirchenrates in die Verhandlungen der Landessynode einbrachte. In dieser Rede wurden die Synodalen schonend auf die sehr umfangreichen sprachlichen und musikalischen Änderungen im künftigen Gesangbuch vorbereitet. Diese Rede erhielten die Kirchengemeinden zu ihrer Urteilsbildung zugesandt.
Nach der Synodaltagung setzte in der württembergischen Landeskirche eine sehr lebhafte Diskussion in Kirchengemeinderatssitzungen, Kirchenbezirkstagen, Pfarrkonventen, Dekanskonferenzen und zahlreichen kirchlichen Kreisen ein. Sie wandten sich in Berichten, Eingaben und Entschließungen an den Präses der Landessynode, an die Gesangbuchkommission und den Landesbischof. An der Diskussion beteiligten sich auch die „Württembergischen Blätter für Kirchenmusik“, „Arbeit und Besinnung“, „Das Ev. Gemeindeblatt für Württemberg“ und „Das Stuttgarter ev. Sonntagsblatt“. Als Ergebnis der Diskussion legte der Ev. Oberkirchenrat einen auf Grund der zahlreichen Eingaben abgeänderten amtlichen Entwurf zum neuen württembergischen Gesangbuch vor. Allein 30 Lieder aus dem alten Gesangbuch wurden wieder aufgenommen.
Dieser Entwurf wurde in der Landessynode am 9.1.1951 beraten und die Beratungsergebnisse an den Ausschuss verwiesen.
Am 13. November 1952 wurde das Gesangbuch mit insgesamt 592 Liedern wiederum vorgelegt und während der Synodalsitzung um sieben Lieder auf den Endstand von 599 Liedern vermehrt. Der Ev. Oberkirchenrat hatte es der Synode freigestellt, seinem Entwurf noch zehn Lieder hinzuzufügen.
Dieses verabschiedete Württembergische Gesangbuch hatte mit Absicht und Profil des EKG nichts mehr gemeinsam. Es enthielt außer dem Stammteil des EKG 199 weitere Lieder. Das war kein Anhang mehr, sondern der von Mahrenholz beim DEG so sehr verabscheute zweite Teil. So wurden sie auch sprachlich betitelt: „Zweiter Teil. Die besonderen Lieder der Evangelischen Landeskirche in Württemberg“. Als zuträglicher Umfang eines Gesangbuches waren in Fulda höchstens 50 zusätzliche Lieder vereinbart worden. Dieser württembergische Umfang bedeutete, daß viele Lieder, die der Reform zum Opfer gefallen waren, sozusagen durch die Hintertür im zweiten Teil untergebracht worden waren.
Es hatte auch eine Veränderung in der als unantastbar geltenden Gliederungsstruktur gegeben. Es war dem Teil III ein Kapitel „Die Völkermission“ mit sieben Liedern (Nr. 475-481) und ein weiteres „Heilsangebot und Heilsverlangen“ (Nr. 521-532) mit 12 Liedern hinzugefügt worden.


tausend Zungen

Aber es gab erhebliche Veränderungen sogar in den Liedertexten des Stammteils des EKG, die bisher als tabu gegolten hatten.
Bei dem Passionslied „O Haupt voll Blut und Wunden“ lautete die 2. Strophe im EKG „Du edles Angesichte, davon sonst schrickt und scheut das große Weltgewichte, wie bist du so erbleicht“. Württemberg blieb bei der bisherigen Fassung: „Du edles Angesichte, davon sonst schrickt und scheut, was Macht hat und Gewichte, wie bist du so erbleicht.“ In der 3. Strophe des Liedes „Wer weiß wie nahe mir mein Ende“ (EKG 331) wurde die Zeile „und wenn ich einstens sterben muß, die Seel in Jesu Wunden senken“, als mißverständlich angesehen, als ob man mit seiner Buße bis zum Tode warten könnte, daher hieß es nun im Württembergischen Gesangbuch: „und ehe denn ich sterben muß, die Seel in Jesu Wunden senken“. Sogar der sakrosankte Luthertext in „Gott sei gelobet und gebenedeiet“ (EKG 163) wurde mehrfach geändert. „Der heilig Leichnam ist für uns gegeben“ in Str. 2 wurde geändert in „der heilig Leib, der ist für uns gegeben“. In „Fröhlich soll mein Herze springen“ (EKG 27) heißt es bei Paul Gerhardt in Str. 12: „Ich will dich mit Fleiß bewahren-.. dir will ich abfahren“. Bei dem völligen Bedeutungswandel des Wortes „abfahren“ schlug der Stuttgarter EOK der Synode vor: „dir will ich heimfahren“, die Synode entschied „dir will ich hinfahren“. Auf diese Weise wurden die Liedertexte des Stammteils gründlich durchforstet.
Ebenso gravierend und noch sichtbarer war das Hinzufügen neuer Strophen in den Textteil des EKG, die jeweils mit a) und b) und c) gezählt wurden. Der ersten Strophe des Epiphaniasliedes „Auf Seele auf und säume nicht“ (EKG 52) wurde die Strophe 1a) hinzugefügt: „Geh aus von deinem Vaterland/ zu suchen solchen Herrn/ laß deine Augen sein gewandt/ auf diesen Morgenstern“. Der ersten Strophe des Abendlied von Tersteegen „Nun sich der Tag geendet“ (EKG 367) wurden zwei Strophen angefügt: „Vor dich mit Ehrfurcht treten/ dich loben, dich anbeten/ o davon lebet man/ Wohl dem den du erlesen/ du seligmachend Wesen/ daß es zu dir so nahen kann (1a). „Die Zeit ist wie verschenket/ drin man nicht dein gedenket/ da hat man’s nirgend gut/ Weil du uns Herz und Leben/ allein für dich gegeben/ das Herz allein in dir auch ruht.“(1b). Der vierten Strophe des bekannten Liedes „O daß ich tausend Zungen hätte“ wurden drei weitere Strophen als 4a) , 4b) und 4c) hinzugefügt (EKG 238) . Mit diesen und weiteren Hinzufügungen bei insgesamt 42 Liedern war der so gehütete Grundkonsens des EKG zerstört.


mache Dich, mein Gott, bereit

So wie der Textteil wurde nun auch der Konsens im Melodieteil der Lieder angetastet. EKG Nr. 11 „Gott sei Dank durch alle Welt“ verzeichnete statt „Nun komm der Heiden Heiland“ bereits die Weise, wie sie dann im EG (Nr. 12) aufgenommen wurde. Das Pfingstlied „Schmückt das Fest Maien“ hatte die unpassende Melodie von „Jesu meine Freude“, im Württembergischen jene, die später ins EG (Nr. 135) aufgenommen wurde. Am Neujahrstag wurde „Jesus soll die Losung sein“ nach „Jesus meine Zuversicht“ gesungen. Diese Änderungen betrafen nach dem endgültigen Entwurf des EOK insgesamt 67 Lieder.

Die Liedauswahl des zweiten Teiles des Gesangbuches unterstützte in keiner Weise, wie vorgesehen, das theologische Profil des ersten Teils, sondern veränderte es gründlich. Nach der Aufstellung des EOK im Entwurf gehörte ein Lied der Zeit Luthers an, 20 der folgenden Zeit bis auf Paul Gerhardt, 89 aber dem Zeitalter des Pietismus. Es waren vor allem die 19 Lieder des württembergischen pietistischen Lieblingsdichters Philipp Friedrich Hiller (1699 – 1769), die als unentbehrlich galten. Im EKG hatten nur vier Lieder (EKG 96 „Jesus Christus herrscht als König“/ 123 „Wir warten dein o Gottes Sohn“/ 277 „Mir ist Erbarmung widerfahren“/ 304 „Es jammre, wer nicht glaubt“) Berücksichtigung gefunden.
Die 12 Lieder der Aufklärung im EKG Stammteil wurden von 24 neuen Liedern vor allem aus dem Gellertschen und Klopstockschen Dichterkreis überboten. 43 Lieder stammten aus dem 19. Jahrhundert. Es tauchten fast alle Namen aus dem Braunschweiger Gesangbuch von 1902 auf: E. M. Arndt, Albert Knapp, Johann Falk. L. B. Garve, Julie Hausmann, Gustav Knak, Fr. Sachse, Gerhard Stips, Friedrich Räder, vor allem aber Philipp Spitta mit sechs zusätzlichen Liedern zu den vier im EKG-Stammteil. Dazu kamen die Verfasser aus der süddeutschen kirchlichen Erweckung des 19. Jahrhunderts wie die beiden Blumhardts, der Ältere und der Jüngere, Karl Gerok, Sophie Herwig, Heinrich Zeiler, Heinrich Puchta u.a.

Auch das zeitgenössische Liedgut wurde zusätzlich ergänzt durch weitere drei Lieder von Jochen Klepper, darunter das selten aufgenommene Neujahrslied „Sieh nicht an, was du selber bist/ in deiner Schuld und Schwäche/ Sieh den an, der gekommen ist/ damit er für dich spreche“ (NR 407) und drei andere von Otto Riethmüller: „Herr wir stehen Hand in Hand“ (Nr. 473= EG 602), „Nun gib uns Pilgern aus der Quelle“ ( Nr.439) und das Wochenschlußlied „Du Schöpfer aller Wesen“ (Nr. 594= EG 485); zwei Lieder von R.A. Schröder „Wir dienen Herr um keinen Lohn“ (Nr. 520) und „Es mag sein daß alles fällt“ (Nr. 563 = EG 378); von Heinrich Vogel „Nun werde still du kleine Schar“ (Nr. 459) und „Hie Wort des Herrn und Christenschwert“ (Nr. 474) und Wolfgang Metzger (gest. 1899), Pfarrer und Oberkirchenrat, „Du baust Herr deine Christenheit“ (Nr. 442), und „Komm doch Herr Christ das Fest bricht an“ zur Trauung (Nr. 450). Außerdem je ein Lied vom Württemberger Pfarrer Heinrich Lamparter (geb. 1912) „Dank sei dir Richter aller Welt“ (Nr. 457), vom Volksmissionar Richard Neumaier (geb. 1907) „Auf auf es naht der Tag“ (Nr. 532), das umkämpfte Abendmahlslied von Arno Pötzsch „Du hast zu deinem Abendmahl“ (Nr. 445), und von Siegfried Goes, Pfarrer und 1943 gefallen, mit der Überschrift „Gefallenen-Gedächtnis“ versehen, „All die gefallen in Meer und Land, sind Herr gefallen in deine Hand“ (Nr. 456).

Das häufig zitierte Argument, daß mit dem Erscheinen des EKG ein Kirchenmitglied nun im ganzen Bereich der EKD aus demselben Gesangbuch singen könnte, verlor in Württemberg seine Gültigkeit. Neuankömmlinge mussten sich ein neues Gesangbuch anschaffen, wenn sie am Sonntag morgen in einer württembergischen Kirche mitsingen wollten. Die Württembergische Landeskirche hatte 1.920.000 Mitglieder und gehörte wie Hessen-Nassau zu den mittelgroßen Landeskirchen in der Westzone.
Das Württembergische Gesangbuch wich derart grundsätzlich vom Profil des EKG ab, daß die Reform des Gesangbuches nach den Vorstellungen von Mahrenholz in Württemberg gescheitert war. Es bestätigte die früh geäußerte Befürchtung Söhngens, daß die Gliederung „Stammteil/ Anhang“ von selbst zu einer Zweiteilung führen würde, wie sie im DEG in zahlreichen Landeskirchen durchgeführt worden war.

Die Zustimmung der Landeskirchen von Schleswig-Holstein, Hamburg, Lübeck und Eutin 1954
1954 stimmten auch die Landeskirchen von Schleswig-Holstein, Hamburg, Lübeck und Eutin dem EKG mit einem gemeinsamen Anhang zu. Es waren die Landeskirchen des früheren Nordgesangbuches, die sich wieder zu einem gemeinsamen Gesangbuch entschlossen hatten. Die 1930 dazugehörende Mecklenburgische Landeskirche, nun durch die Zonengrenze getrennt, hatte bereits früher dem EKG mit einem kleinen Anhang zugestimmt. Durch die Planungen zum EKG war die durch das Nordgesangbuch seit 1930 geschlossene Gemeinschaft zerbrochen. Das war bedauerlich.
Es waren vier lutherische Landeskirchen, die sich durch den Leipziger VELKD-Beschluß von 1949 gebunden fühlten. Sie hatten aber 1949 das Nordgesangbuch mit seinen 575 Liednummern in einer hohen Auflage in unterschiedlichen Ausgaben für die verschiedenen Landeskirchen erneut in Gebrauch genommen. Die Bremer Kirche hatte sich an die Ausgabe angehängt und das Nordgesangbuch seit 1949 übernommen. Das in Lübeck gebrauchte war eine kleine, in roten Karton gebundene, handliche, ansehnliche Ausgabe. Sie war ermöglicht durch die Rohmaterialspende der Evangelical und Reformed Church von Amerika und in der Missionsdruckerei Breklum gedruckt worden. An diese Ausgabe waren die Landeskirchen bis 1954 durch Verträge mit Verlagen zeitlich gebunden. Auch so erklärt sich die relativ späte Zustimmung zum EKG.

Der „Liederanhang zum EKG“, so der offizielle Titel, hatte 100 Liednummern (Nr. 400 – 499), 75 weniger als das Nordgesangbuch mit seinen 575 Liednummern.

Von den bisherigen 19 Adventslieder blieben insgesamt 10 erhalten, davon eines im Anhang. „Die Nacht ist hin, der Tag bricht an“ von Wilhelm Alardus (gest. 1645). Die sechste Strophe erinnert an den Beginn des neuen Kirchenjahres: „So kommt das liebe Kirchenjahr und will die Gnad erneuern.“ Es fehlten die populären „Hosianna Davids Sohn“ von Benjamin Schmolck, „Tochter Zion“ und das seltene „O du mein Trost und süßes Hoffen“ (Nr. 527) von den Geistlichen Volksliedern. Es stammte aus dem 17. Jahrhundert und war von Wilhelm Osterwald (1820-1887) nachgedichtet worden. „O du mein Trost und süßes Hoffen/ laß mich nicht länger meiner Pein/ mein Herz und Seele sind dir offen/ o Jesu ziehe bei mir ein/ Du Himmelslust, du Erdenwonne/ du Gott und Mensch du Morgenglanz/ ach komm du teure Gnadensonne/ durchleuchte meine Seele ganz.“ Es zielt auf die mystische Bitte am Ende der 2. Strophe: „Ach Herr, daß du in mir kannst leben/ woll erst in mir geboren sein.“ Am schwierigsten war der Einstieg in die Adventszeit, die bisher wie in allen DEG-Gesangbüchern mit Nr. 1 „Macht hoch die Tür“ begonnen hatte. Nunmehr begann die Adventszeit mit drei unbekannten, im bisherigen Gesangbuch nicht vorhandenen Liedern „Nun komm der Heiden Heiland“, „Gottes Sohn ist kommen“ und „Ihr lieben Christen freut euch nun“.

Bei den Weihnachtsliedern wurden im Anhang Nr. 401 – 407 unbedenklich die populären, bisher in den Geistlichen Volksliedern verzeichneten „Zu Bethlehem geboren“, „Der Heiland ist geboren“, „O du fröhliche“, „Stille Nacht“, „Herbei o ihr Gläubigen“, „Ihr Kinderlein kommet“ untergebracht und alle mit einem Stern versehen, was heißen sollte, daß sie für den Gottesdienst nicht geeignet wären. Welcher Pfarrer mag sich am Heiligen Abend und bei einem Krippenspiel wohl daran gehalten haben?

Das Nordgesangbuch verfügte über 12 Epiphaniaslieder. Das war für dieses Fest, das in vielen norddeutschen Kirchen gar nicht gefeiert wurde, und die folgenden Epiphaniassonntage ein üppiges Angebot. Auch dieses Fest begann nun mit zwei unbekannten Liedern „Herr Christ der einig Gottes Sohn“ und „O süßer Herre Jesu Christ“, im bisherigen Nordgesangbuch mit dem bekannten „Wie schön leuchtet der Morgenstern,“ das in fünf Strophen sprachliche Veränderungen erfahren hatte. Die sechs EKG-Epiphaniaslieder waren aus dem Nordgesangbuch bekannt. Die anderen Lieder entfielen, darunter auch das in viele DEG-Gsangbücher aufgenommene „Morgenstern der finstern Nacht, der die Welt voll Freude macht“ (Nr. 358) von Angelus Silesius mit seinen mystischen Bildern „Schau dein Himmel ist in mir/ er begehrt dich seine Zier“ (Str.2) oder überschäumend: „Du erleuchtest alles gar/ was jetzt ist und kommt und war/ voller Pracht/ wird die Nacht/ weil dein Glanz sie angelacht“ (Str. 4), „Ei nun güldnes Seelenlicht/ komm herein und säume nicht“ (Str. 6). An die Stelle aller weggefallenen Lieder stand im Anhang indes ein neues, bisher unbekanntes Epiphaniaslied, nämlich Luthers „Was fürchtst du Feind Herodes sehr“ (Nr. 408). Welcher Kieler Matrose, welcher Dithmarscher Bauer, welcher Hanseat auf dem Hamburger Jungfernstieg mochte wohl auf die Idee gekommen sein, dieses nach Text und Melodie unbekannte Lied in seinem Gesangbuch zu finden? Die Lösung befindet sich auf der letzten Seite des Gesangbuches mit den technischen Angaben. „Das Gesangbuch wurde herausgegeben in Zusammenarbeit mit dem Verband evangelischer Kirchenchöre Deutschlands.“ Der Verbandvorsitzende OLKR Mahrenholz, der dieses Lied wegen seines Verfassers und seiner originalen Sprache für „wertvoll“ hielt, hatte es, wohl im Gegenzug zu den „wertlosen“ Weihnachtsliedern des Anhangs, in den Anhang plaziert.
Zu den Besonderheiten der Osterlieder des Nordgesangbuches gehörte von Ernst Christoph Homburg „Jesus unser Trost und Leben“ mit der bekannten bewegten Melodie aus dem Bachschen Schemelligesangbuch. Die Nordlichter bestanden auf diesem Lied, das nun unter Nr. 416 die Osterlieder im Anhang anführte. Ebenfalls wegen seiner beschwingten Melodie von Thomas Selle gehörte das Ristsche „O fröhliche Stunden o herrliche Zeit, nun hat überwunden der Herzog im Streit“ zu den typischen Osterliedern des Nordens, nun unter Nr. 418 im Anhang. Zum Opfer fiel ein weiteres beliebtes Osterlied „Triumph, Triumph. Es kommt mit Pracht“ von Benjamin Prätorius.
Von insgesamt zehn Liedern von Angelus Silesius wurden sechs gestrichen und von ursprünglich zehn Ernst Moritz Arndt-Liedern blieben noch zwei übrig.
Das zeitgenössische Liedgut von 14 Liedern wurde um 15 weitere erhöht. Das entsprach dem Trend. Die drei Klepperlieder wurden um vier vermehrt, die sich inzwischen auch durchgesetzt haben: „Ja ich will euch tragen“ (Nr. 478), „Schon bricht des Tages Glanz hervor“ (Nr. 486), „Er weckt mich alle Morgen“ (Nr. 487) und „Ich liege Herr in deiner Hut“ (Nr. 493). Die fünf R.A. Schröder-Lieder wurden um zwei vermehrt: das seltene „Ob alle Welt verginge“ (Nr. 465) und „Wir dienen Herr um keinen Lohn“ ( Nr. 474). Einen eigenen Schwerpunkt bildeten die vier Lieder von Wilhelm Thomas, Pfarrer und Hymnologe in Hannover. Es waren durchweg Übertragungen aus den nordischen Ländern wie „Wir loben dich o großer Gott“ (Nr. 441), „Der Freuden die Fülle“ (Nr. 457), „Im Himmelreich im Himmelreich“ (Nr. 482), „Des Tages Glanz erloschen ist“ (Nr. 490). Alle Nachdichtungen datieren aus dem Jahr 1952 und erwecken den Eindruck, als ob sie zu diesem Anlaß verfaßt worden wären. Auch das Lied „Die Kirche ist gegründet allein auf Jesus Christ“ (Nr. 448) ist eine Verdeutschung von Theodor Werner aus dem Jahre 1952. Die beiden anderen zeitgenössischen Lieder von der Kirche stammen aus den 30iger Jahren: von Richard Löscher „Wisse, daß der Herre Christ“ (Nr. 450) und „Gott ruft dich heute durch Jesum Christ“( Nr. 451) vor Gerhard Fritzsche.

Mit der Verabschiedung dieses EKG-Gesangbuches war zunächst der Rezeptionsprozeß für eine Zeit abgeschlossen. Offen blieb die Zustimmung der Bayrischen und Rheinischen und Westfälischen Landeskirchen.

Die bayrische Landeskirche trennt sich 1957 vom Übergangsgesangbuch
Als letztes der lutherischen Landeskirchen trennte sich die bayrische Landeskirche 1957 von ihrer sog. Übergangslösung und führte ein Gesangbuch ein, das für die Gründungsväter des EKG zum Desaster wurde. Das neue bayrische EKG-Gesangbuch enthielt insgesamt 547 Lieder, also 147 zusätzliche Lieder, 97 mehr als in Fulda eigentlich vorgesehen. Die bayrische Landeskirche führte damit wie schon die badische und württembergische Landeskirche einen zweiten Teil ein, mit dem der Stammteil in seinem Charakter beeinträchtigt wurde. Es verließ die grundsätzliche Gliederung und fügte eine neue Kategorie “Geistliche Kinderlieder“ ein, auf die die EKG-Väter ausdrücklich verzichtet hatten. Diese sollten ursprünglich in einem „Hausbuch“ gesammelt werden. In diesen Geistlichen Kinderliedern Nr. 535-547 befanden sich die bekannten Kinderlieder wie „Weil ich Jesu Schäflein bin“ (Nr. 544), „Weiß du wieviel Sternlein stehen“ (Nr. 545), „Himmelsau licht und blau“ (Nr. 543), „Ihr Kinderlein kommet“ und „Kommet ihr Hirten“.
In der Regel wurden die sog. „beliebten“ und bekannten Choräle aus dem ehemaligen Stammteil nun in den sog. Anhang, den zweiten Teil, übernommen. Den Adventsliedern wurden fünf hinzugefügt, davon stammten vier aus dem ehemaligen Gesangbuch. Den Passionsliedern wurden sieben zugefügt, davon stammten sechs aus dem früheren Stammteil. Von den Liedern „Christlicher Glaube und christliches Leben“ wurden insgesamt 23 Lieder hinzugefügt, davon drei neue, 20 davon standen bereits im Übergangsgesangbuch, insbesondere schmerzlich für die Gründungsväter 10 davon sogar im DEG, um deren „Ausmerzung“ sie sich so sehr bemüht hatten. Hier hielten sie also wieder Einzug. Besonders apart war die Lösung für die umstrittenen „Harre meine Seele“, „So nimm denn meine Hände“, „Weiß ich den Weg auch nicht“, nach Mahrenholz „indiskutabel“. Sie wurden ohne Nummerierung in den Gebetsteil aufgenommen, wie das Inhaltsverzeichnis der Lieder verriet (Gebet S. 679). So blieben diese, wenn auch ohne Noten, den bayrischen Gemeindemitgliedern erhalten.
Auffällig ist die geringe Anzahl an zusätzlichen zeitgenössischen Liedern im zweiten Teil: drei von Otto Riethmüller, zwei von Jochen Klepper, und je ein von Arno Pötzsch, R.A. Schröder und Martin Jentzsch. Zum Klepper-Lied „Er weckt mich alle Morgen“ komponierte Friedrich Högner bereits 1944 eine eigene Melodie (Nr. 514), die sich aber gegen die von Rudolf Zöbeley aus dem Jahre 1941 nicht durchsetzte. Von Friedrich Högner stammte auch die Melodie zum Abendmahlslied von Wilhelm Löhe (gest. 1872), dem Begründer der Werke der Äußeren und Inneren Mission in Neuendettelsau, „O Gottessohn voll ewiger Gewalt“ (Nr. 445). Gegenüber den acht zeitgenössischen Liedern im zweiten Teil ist die zusätzliche Aufnahme von zehn Paul Gerhardt-Liedern bemerkenswert.
Dieser zweite Teil mit 147 Liedern war deshalb so bemerkenswert, weil inzwischen Zeit genug gewesen war, sich mit den Kriterien für den Stammteil des EKG zu befassen und sich überzeugen zu lassen. Es war ganz offenbar nicht gelungen. Das EKG war gescheitert.

Die rheinisch Landeskirche stimmte im Januar 1969 einem zweiteiligen EKG zu
Die Landeskirchen von Rheinland und Westfalen hatten dem DEG am längsten die Treue gehalten, insgesamt 40 Jahre. 1929 hatten die Rheinischen und Westfälischen Provinzialsynoden beschlossen, bei sich das DEG einzuführen, 1930 wurde für beide Landeskirchen „Das evangelische Gesangbuch für Rheinland und Westfalen“, bei Crüwell in Dortmund gedruckt, an die Kirchengemeinden ausgeliefert. 1948 war es in einer hohen Auflage im Taschenbuchformat erneut aufgelegt worden.
Das Gesangbuch hatte insgesamt 616 Lieder, die in drei Gruppen aufgeteilt waren: Das DEG (erster und zweiter Teil Nr. 1-515), als Besonderheit ein Teil mit Psalmliedern von Matthias Jorissen (Nr. 516 – 540) und 76 Geistliche Volkslieder (Nr. 1-76). Daran anschließend liturgische Stücke, einige Melodien in anderer Fassung, darunter auch solche in rhythmischer wie „Ein feste Burg“, „Sollt ich meinem Gott nicht singen“ und „Was mein Gott will g’scheh allzeit“. Dann sieben ausgeführte Passionsandachten, Gebete und Register.
Im zweiten Teil, der das regionale Profil darstellte, wurden die Lieder von P. Gerhardt, G. Tersteegen, B. Schmolck, Ph. Spitta und N. Zinzendorf noch kräftig verstärkt. Zu 12 Schmolckliedern kamen noch 6 hinzu, zu sieben Tersteegenlieder noch 13 weitere, zu vier Zinzendorfliedern weitere vier, zu sechs Spittaliedern noch einmal sechs und zu den zahlreichen 32 P. Gerhardt-Liedern noch einmal acht. Die Liebe zum rheinischen Pietismus und zur Erweckung im Westfälischen machten sich bemerkbar.
Den Unterschied zu den anderen Gesangbüchern machten die 25 Psalmlieder von Matthias Jorissen (1739-1823), einem reformierten Pfarrer in Holland. Er textete die Psalmen in Liedform nach Melodien aus dem 16. Jahrhundert. Diese Psalmlieder bürgerten sich in den rheinischen Unionsgemeinden mit ihrem gemischten theologischen Erbe bald ein. „Erhebet er sich, unser Gott, seht wie verstummt der Frechen Spott, wie seine Feinde fliehen“ (Nr. 526 nach Psalm 68) war ein populärer Gesang im Kirchenkampf 1933/34.

Nirgends hat sich die Einführung des EKG so lange hingezogen wie in der rheinischen und westfälischen Kirche.
Nach dem Kriege spielte das EKG zunächst keine Rolle, weil sich die Kirchen 1948/ 49 mit Neuauflagen des DEG aus dem Jahre 1930 eingedeckt hatten, außerdem für einige Jahre mit diesem Gesangbuch an den Verlag gebunden waren und mit dem Beschluß der VELKD als Unionskirche nichts zu tun hatte. Außerdem gab es erhebliche Vorbehalte gegen das EKG. Erst während der 4. rheinischen Synode 1953 fragte die Dinslaker Kreissynode an, ob und wann das EKG eingeführt würde und erhielt den Bescheid, es wäre bisher von keiner Seite ein Antrag auf Einführung gestellt worden, daher wäre die Frage nicht aktuell. (Verhandlungen der 4. rhein. Synode S. 69). Einen Antrag der Bonner Kreissynode bei der Landessynode 1955, ob die Kirchengemeinden über daß EKG informiert würden, wurde an den Ausschuss für Gottesdienst und Kirchenmusik überwiesen. Der Synodale Niesel empfahl, das gebräuchliche sehr genau mit dem EKG zu vergleichen, was auch von Präses Held unterstützt wurde. (Protokoll der 5. rheinischen Synode 1955 S. 60). Im Sommer 1956 schrieb der Kirchenkreis Bonn alle Kirchengemeinden an, sie sollten bei der Landessynode einen Antrag auf Einführung des EKG stellen. Das Echo war nicht überwältigend. 14 Kirchengemeinden und vier Kreissynoden unterstützten die Aktion, eine lehnte es ab. Immerhin kam es in der Landessynode zu einer lebhaften Aussprache, die sich mit Grundsätzlichem und Praktischem befaßte, wie das Protokoll vermerkte (S. 237). Die Synode 1958 bildete einen „Ausschuss zur Beurteilung des EKG“. Schon die Bezeichnung formulierte die Vorbehalte, die bei der Mehrheit der Landessynode gegenüber dem EKG bestanden. Während der 6. Synode im Mai 1959 in Bad Kreuznach berichtete der Präses, daß der gebildete Ausschuss bisher zu keinem greifbaren Ergebnis gekommen wäre. „Wir werden also noch eine längere Zeit abwarten müssen“ (S. 14), bemerkte er abschließend. Auf der 9. Landessynode im Januar 1961 in Bad Godesberg hatte die Kreissynode Kleve einen Antrag auf Einführung des EKG gestellt. Die Synode beschloß die Anfertigung eines Beiheftes mit 98 nicht im gebräuchlichen Gesangbuch vorhandenen Liedern und einigen abweichenden Melodien. Dabei sollte eine maßvolle Bearbeitung unverständlicher Ausdrücke erfolgen. Im übrigen sollte die Kirchenleitung einen Ausschuss zur Erarbeitung eines Anhangs einberufen. Es würde in der rheinischen Kirche die Frage nach der Richtigkeit des EKG mit besonderer Dringlichkeit gestellt. OLKR Mahrenholz hatte gegen die Einführung des Beiheftes interveniert. Es würde die Fortentwicklung des EKG behindern (S. 154). Diese Anschauung wurde vom Präses nicht geteilt. Das Beiheft hatte die Liednummern 600-696 und enthielt zahlreiche Lieder aus dem EKG, die im DEG/RW nicht enthalten waren. Dazu wurden für einige Lieder auch neue Übertragungen geboten, z.B. von Willi Hennes für EKG 1 und von Helmut Rößler für „Komm Gott Schöpfer Heiliger Geist“ (EKG 97=Nr. 621). Hennes dichtete EKG 1,4: „Von der Krippe hell und klar/ glänzt die Nacht so wunderbar/ Alles Dunkel muß vergehn/ Glaube darf im Lichte stehn“. Von Hennes stammte auch folgende Strophe nach der Melodie „Wo Gott zum Haus nicht gibt sein Gunst“: „Wenn Gott uns Eltern Kinder gibt/ erfahren wir daß er sie liebt/ er liebet sie ob groß ob klein/ will allen Kindern Vater sein“.

Tatsächlich fand das Beiheft großen Anklang. Es wurden 1961 150.000 Exemplare gedruckt und 105.000 davon an die Gemeinden verteilt. Für 24 Kirchenkreise wurden Singbeauftragte bestellt, die das Beiheft und die liturgischen Melodien einüben sollten. Bei der 14. Synode im Januar 1966 erstattete der Vorsitzende des Gesangbuchausschusses OKR Rößler einen ausführlichen Bericht und es wurde beschlossen, verfassungsgemäß die Kreissynoden zu befragen. Diese sollten sich u.a. mit folgenden Fragen beschäftigen: 1. Soll die Gemeinschaft mit Westfalen beibehalten werden? Das bisherige Gesangbuch war 1931 mit Westfalen zusammen eingerichtet worden. Nun war die Frage, ob auch für das EKG diese Gesangbuchgemeinschaft beibehalten werden sollte. 2. Ob der erste Teil des EKG übernommen und was eventuell geändert werden sollte. Welche Anregungen hinsichtlich der Texte und Melodien gegeben würden. Der Ausschuss hatte bereits eine Liste von 118 Liedern zusammengestellt, die gestrichen werden könnten. Die Kreissynode Braunfels hatte den Antrag gestellt, man sollte beim EKG wegen der vielen unterschiedlichen Anhänge nicht mehr von einem „Einheitsgesangbuch“ sprechen.
Auf der 15. ordentlichen Synode in Bad Godesberg am 8.-13.1967 fiel die Entscheidung für ein neues Gesangbuch. OLKR Mahrenholz hielt am 9.1.1967 ein einleitendes Referat (S. 134 ff), wiederholte dabei aber nur seine längst schriftlich geäußerten Argumente, obwohl sie längst bröckelten. Es hätte einen lutherischen Liederkanon gegeben, aber dieser Mahrenholzsche Liederkanon registrierte nur die Häufigkeit des Vorkommens in den Gesangbüchern, nicht des Singens. „Christ unser Herr zum Jordan kam“ und eine Reihe anderer lutherischer und reformatorischer Lieder gehörten für ihn zum Kanon, obwohl sie in den Gemeinden fremd geblieben waren. Das Gemeindegesangbuch und das Singen der Gemeinde wären „zum öffentlichen Merkzeichen der Reformation geworden“. Mahrenholz machte sich eine historische Sicht zurecht, die in sein Konzept paßte. Die Braunschweiger Kirchenordnungen, die lange Zeit auch für Calenberg-Hannover gegolten hatten, sprachen sehr deutlich gegen diesen historischen Rückblick. Das Reichsgesangbuch in der ns. Zeit wäre „schon in den Anfängen gescheitert“. Damit wollte Mahrenholz nur seine Rolle verschleiern, die er bis 1938 bei der Erstellung eines Reichsgesangbuches durch die Schaffung von Anhängen gespielt hatte. Der Stammteil des EKG wäre „auf längere Zeit unabänderlich“, denn er enthalte „vorwiegend das ältere durch längere Zeit erprobte von den Gemeinden akklamierte Liedgut“ (S. 142). Mahrenholz wiederholte auch seine häßlichen Äußerungen über das DEG. „Im EKG sind drastische und bildhafte Worte, die man mit Rücksicht auf die zartbesaiteten Insassen von Mädchenpensionaten oder aus einer leibfeindlichen Geistigkeit heraus im DEG gemildert hatte, in der originalen Fassung stehen geblieben. Die jeder Realistik abholde Bürgerlichkeit und die wohlerzogene Gemessenheit der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg, die an diesen Stellen aus Gründen der Schicklichkeit und Ästhetik Änderungen für notwendig hielt, dürfte für unsere Jugend heute kaum mehr einfühlbar sein, sie versteht die originale Drastik weitaus besser als die gouvernantenhaften Umbildungen“. (Protokoll S. 148). Das war eine herausragende Taktlosigkeit gegenüber den Synodalen, die ja noch immer aus jenem geschmähten DEG Sonntag für Sonntag sangen. Mahrenholz hat dies vermutlich nicht geahnt, sondern er wiederholte als 67-Jähriger, was er bereits als 38-Jähriger über das DEG zum Besten gegeben hatte. Für einen lutherischen Oberlandeskirchenrat kein Zeichen besonderer geistiger Beweglichkeit. Die Jugend hatte sich längst völlig abweisend gegenüber dem EKG geäußert. Mahrenholz hatte es einfach nicht zur Kenntnis genommen.
Die Synode ging auf die Äußerungen von Mahrenholz nicht mehr ein, sondern wandte sich dem Ausschussvorsitzenden OKR Rößler zu, der von der Arbeit des 36-köpfigen Gesangbuchausschusses (je 15 für die rheinische und die westfälische Kirche, je drei für die lippische und die reformierte Kirche) berichtete. Der gemeinsame Ausschuss hatte ausgiebig die Voten der Kirchengemeinden aus dem Jahre 1965 und der Kreisssynoden von 1966 ausgewertet. Von 47 Kreissynoden hatten sich 37 für eine Übernahme des Stammteils als einem ersten Teil eines Gesangbuches ausgesprochen, aber mit nur weitegehenden Änderungen bei den Melodien und auch am Text. Diesem ersten Teil sollte ein ausführlicher zweiter Regionalteil folgen, nicht nur ein Anhang. Einhellig hatte man sich für ein gemeinsames Gesangbuch mit der westfälischen Kirche ausgesprochen.
Die Synode ging dann in verschiedene Ausschüsse und Unterausschüsse, wohin sich üblicherweise die Diskussion verlagerte. Aus einer Vorlage von 44 neuen, keineswegs nur zeitgenössischen Liedern entschieden sich die Synodale für 18 Lieder, deren Spektrum von „Eh daß vergeht des Tages Schein“ bis „Du hast vereint in allen Zonen“ von J. Chr. Hampe 1950 reichte. Alle ökumenischen Lieder sollten mehrsprachig ausgedruckt werden. Die Beratungsergebnisse gingen wieder an den gemeinsamen Ausschuss, über dessen Schlußbericht Ende 1968 die Kirchenleitung abschließend entschied.
Auf den Stammteil des EKG folgte ein ausführlicher „Landeskirchlicher Liederteil“ (Nr. 400 –553), der die Einseitigkeiten des Stammteils ausglich. Neutestamentliche Lobgesänge (Nr. 554-556) aus den liturgischen Gebeten der Tageszeiten sollten den Lobgesang des Zacharias, der Maria und des Simeon auch dem sonntäglichen Gottesdienst dienstbar machen. Es gab vier Reihen von jeweils sieben ausgeführten Passionsandachten nach den vier Evangelisten, ein Hinweis auf den bibelfesten rheinischen Pietismus. Der Gebetsteil enthielt außer den Gebeten am Morgen und Abend auch besondere Fürbitten zu diesen Tageszeiten.
Am 1. Advent 1969 wurde das neue Gesangbuch mit einem 2. Teil von Liedern in Gebrauch genommen. Die lange Vorbereitungszeit, die breite Beteiligung der Gemeinden und Kreissynoden erhöhte die Akzeptanz in den Kirchengemeinden. Bis 1971 wurden 460.000 Gesangbücher verkauft. Neben diesem Gesangbuch gab es ein Sonderheft „Lieder aus unserer Zeit“ mit 52 Liedern, denn man hatte sich auf der Synode geeinigt, keine Lieder ab 1964, dem Tutzinger Liederwettbewerb, aufzunehmen. Es war diese Mischung aus Stammteil, einem erheblich korrigierenden zweiten Teil und dem Sonderheft mit neuen Liedern, die dem unterschiedlichen Singen in den Gemeinden zugute kam. In diesem Zusammenhang schien auch das EKG erträglich.

Beobachtungen und Anfragen
Zusammenfassung

1) Mit dem EKG wurde in der Gesangbuchgeschichte der evangelischen Kirche Deutschlands ein Gesangbuch geschaffen, das im größten Teil von allen Landeskirchen gemeinsam benutzt wurde.

2) Es war aber kein „Gesangbuch der Einheit“. Dazu waren die Abweichungen sogar im Stammteil zu erheblich. Vor allem aber gingen die Landeskirchen im zweiten, teilweise umfangreichen Teil eigene Wege und richteten sich nicht nach den Kriterien, nach denen der Stammteil gebildet worden war.

3.) Außerdem stimmten die rheinische und die westfälische Kirche erst 18 Jahre nach der Zustimmung der lutherischen Kirchen einem bereits revidierten EKG zu.

4) Der insbesondere von der hymnologischen Gruppe um OLKR Mahrenholz verbreitete Eindruck eines Einheitsgesangbuches ist irreführend. Dieses „Einheitsgesangbuch“ hat nie bestanden.

5) Trotz der synodalen Zustimmungen der Landeskirchen war das EKG vor allem durch die Vorlage von OLKR Mahrenholz bestimmt. Dieser Vorlage fehlte mit Absicht die breite Zustimmung der Kirchengemeinden.

6) Daher ist das Zustandekommen der einzelnen Ausgaben des EKG in fast allen Landeskirchen von heftigen Protesten der Kirchengemeinden begleitet gewesen.

7) Dieser Protest richtete sich gegen die gezielte Vernachlässigung des Liedgutes des 18. und 19. Jahrhunderts. Dieses Liedgut wurde größtenteils in den zweiten Teil aufgenommen, was den gewollten Eindruck eines Gesangbuches des reformatorischen Chorals veränderte.

8) So trug das EKG von Anfang an den Beweggrund zur erneuten Revision in sich. Dieser Prozeß begann bald 15 Jahre nach dem sich hinziehenden Zustimmungsprozeß in den einzelnen Landeskirchen.


Zum Teil 9: Das Evangelische Gesangbuch 1994 (EG)






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Impressum  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Gesangbuch/T1K8.htm, Stand: Dezember 2007, dk