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[Kirche von unten]

Das Kirchenjahr im Spiegel der Braunschweiger Gesangbücher

von Dietrich Kuessner

1. Kapitel




Im folgenden zweiten Teil habe ich sämtliche Lieder tabellarisch zusammengestellt, die in den fünf Gesangbuchgenerationen für die festliche Hälfte des Kirchenjahres verzeichnet worden waren.
Wenn man die Spalten der Tabelle senkrecht von oben nach unten liest, ersieht man die Lieder, die beispielsweise im Advent in dem jeweiligen Gesangbuch verzeichnet waren. Im Gesangbuch von 1698 also zehn Lieder und 1780 dann 8 Lieder usf.
Die Quersicht ergibt den Liedanfang und das Vorkommen eines Liedes in dem jeweiligen Gesangbuch. Bei einer durchgehenden Nummernzahl kam das Lied also in allen fünf Gesangbuchgenerationen vor wie z.B. das Lied „Mit Ernst o Menschenkinder“. Lücken zeigen das Fehlen an wie z.B. beim Lied „Nun komm der Heiden Heiland“ für das Gesangbuch aus dem Jahr 1902, oder beim Lied „Warum willst du draußen stehen“ im Gesangbuch der Jahre 1780 und 1994.
Die Nummern in der Spalte sind die Liednummern, unter denen das Lied im jeweiligen Gesangbuch zu finden ist. Die Zahl in Klammern gibt die Strophenzahl an.
Die unterschiedlichen Vorkommen, Unterbrechungen, die Veränderungen bei der Strophenzahl laden zu eigenen Entdeckungen und Überlegungen an.
Ein Sternchen hinter einer Nummer bedeutet, daß das Lied sprachlich, vielleicht auch inhaltlich stark überarbeitet worden ist.
Wenn man die Liederanzahl in der jeweils ersten Spalte zusammenzählt, erhält man die Gesamtzahl der Lieder, die zur bestimmten Kirchenjahreszeit in allen Braunschweiger Gesangbüchern vorgekommen sind, in der Adventszeit also insgesamt 70 .

Die Adventslieder

Adventslieder in den Braunschweiger Gesangbüchern durch die Jahrhunderte
 Gesangbuch aus dem Jahr: 1698 1780 1902 1950 1994
 Anzahl der Adventslieder 10 8 11 16 25
 Nun komm der Heiden Heiland 53 (8) 688 (8)   1 (5) 4 (5)
 Wach auf du werte Christenheit 54 (5)        
 Gott sei Dank durch alle Welt 55 (9)   21 (8) 11 (7) 12 (4)
 Mit Ernst o Menschenkinder 56 (4) 71 (4) * 25 (4) 9 (4) 10 (4)
 Freu dich du werte Christenheit 57 (4)        
 Nun jauchzet all ihr Frommen 58 (6)   26 (5) 7 (6) 9 (6)
 Wie soll ich dich empfangen 59 (16) 70 (10) * 29 (10) 10 (10) 11 (10)
 Auf auf ihr Reichsgenossen 60 (12)   19 (8) 8 (9) 536 (8)
 Warum willst du draußen stehen 61 (9)   28 (8) 400 (6)  
 Auf Töchter Zions, schauet hier 62 (7)        
1780  Heil uns aus unsrer Sündennot 65 (8)      
  Nun Christen laßt uns fröhlich sein (327/10) 66 (10)*      
  Gedanke, der uns Leben gibt 67 (17)      
  Erhebt den Herrn, ihr Frommen 68 (6)      
  Dich Jesus bet ich an 69 (6)      
  1902  Dein König kommt in niedern Hüllen 20 (6) 12 (6) 14 (6)
  Hosianna Davids Sohn kommt in Zion eingez. 22 (7)    
  Kommst du, kommst du Licht der Heiden 23 (5)    
  Macht hoch die Tür, die Tor macht weit 24 (5) 6 (5) 1 (5)
    Nun kommt das neue Kirchenjahr  27 (4)    
  1950  Gottes Sohn ist kommen 2 (9) 5 (9)
  Ihr lieben Christen freut euch nun 3 (5) 6 (5)
  Es kommt ein Schiff geladen 4 (6) 8 (6)
  O Heiland reiß die Himmel auf 5 (7) 7 (7)
  Tröstet tröstet spricht der Herr 13 (6) 15 (6)
  Die Nacht ist vorgedrungen 14 (5) 16 (5)
      Zieh Ehrenkönig bei mir ein  401 (2) 537 (2)
  1994  Das Volk das noch im Finstern wandelt 20 (8)
  Er ist die rechte Freudensonn 2 (3)
  Gott heilger Schöpfer aller Stern 3 (6)
  O komm o komm du Morgenstern 19 (3)
  Tochter Zion 13 (3)
  Wir sagen euch an den lieben Advent 17 (4)
  Seht die gute Zeit ist nah 18 (2)
  Seht auf und erhebt eure Häupter 21
  Nun sei uns willkommen Herre Christ 22
        Lobt den Herrn 538 (3)

Zeichenerklärung: die Zahlen in Klammern geben die Strophenzahl an. Ein * bedeutet: stark verändert.

Beobachtungen zu den Adventsliedern
Offenbar leben wir, gemessen an der Anzahl der Adventslieder, in der Gegenwart in einer besonders adventsfreudigen Zeit. Kein Braunschweiger Gesangbuch hat so viele Adventslieder wie das EG von heute: 25 Lieder. Die Aufklärung hatte die wenigsten Lieder (acht Choräle).

a) Mit dem Lutherlied „Nun komm der Heiden Heiland“ begann das erste Gesangbuch seine Adventslieder. Die Ehrfurcht vor Luther gebot es, alle Strophen abzudrucken, auch jene, die dann seit 1950 im EKG und EG fortgelassen wurden. Eine Lektüre macht die Gründe klar. Die zweite und dritte Strophe lauteten:
„Nicht vom Mannsblut/ noch vom Fleisch/ allein von dem Heilgen Geist/ Ist Gottes Wort word’n ein Mensch/ und blüht ein Frucht Weibesfleisch.
Der Jungfrau Leib schwanger ward/ doch bleib Keuschheit rein bewahrt/ leucht’t hervor manch Tugend schon/ Gott da ward in seinem Thron“.
Es folgt die heutige zweite und dritte Strophe „Er ging aus der Kammer sein.. Sein Lauf kam vom Vater her.“ Darauf folgt die sechste Strophe nach Luther, die ebenfalls gestrichen wurde:
„Der du bist dem Vater gleich/ Führ hinaus den Sieg im Fleisch/ daß dein ew’ge Gottes G’walt/ in uns das krank Fleisch erhalt.“ Statt „erhalt“ heißt es im Original bei Luther „enthalt“, nicht im Sinne von beinhalten sondern von „wegmachen“, „sich enthalten“ „entäußern“, und macht auch nur so den Sinn, daß Gottes Gewalt das kranke Fleisch beseitige.
Die Aufklärung behielt diese schwierigen Strophen, verbannte aber den Originaltext als Nr. 688 in den Anhang. Erst in der Gesangbuchreform nach dem 2. Weltkrieg wurde es, um diese Strophen gekürzt, wieder in den Stammteil des Gesangbuches aufgenommen und zwar hervorgehoben als erstes Lied des Gesangbuches. Das sollte ein Signal für das ganze EKG sein: restaurative Rückkehr zum reformatorischen Erbe. Eine Einladung zum weiteren Blättern bedeutete diese Positionierung nicht. Im heutigen Gesangbuch hat es als Nr. 4 diese hervorgehobene Stellung wieder eingebüßt.

Das erste Gesangbuch hat drei nicht wieder verwendete Adventslieder (Nr. 54/ 57/ 62). Vom Königsberger Pfarrer und Theologieprofessor Bernhard von Derschau (1591-1639) stammte der Appell „Wach auf du werte Christenheit“ (Nr. 54). Er beschreibt auf die Melodie „Kommt her zu mir spricht Gottes Sohn“ die Weise, wie Gott kommt: „Durch das gehörte Wort allein/ kehrt er bei jedem Christen ein/ Des nur recht nimmt zu Herzen/ Wer nicht betrachtet den Advent/ Christum durchs Wort nicht recht erkennt/ Der wird das Heil verscherzen“ ( Str. 4). v. Derschau dichtete auch das Abendmahlslied „Herr Jesu dir sei Preis und Dank“, das sich auch in diesem Braunschweigischen Gesangbuch Nr. 268 befindet (siehe Walter Hubatsch Geschichte der evangelischen Kirche Ostpreußens“ Göttingen 1968 Bd. I S. 129). Das Lied Nr. 57 „Freu dich du werte Christenheit“, von einem süddeutschen Amtmann, nahm, wie sonst in keinem Adventslied mehr, in der dritte Strophe Bezug auf das adventliche Thema der Verkündigung der Maria, dem Evangelium vom 4. Advent: „Sie hört vom Engel Gabriel/ sie soll Jesum gebären/ Der ganzen Welt Immanuel/ den mächtig großen Herren/ Das erJungfräulein/ so keusch und rein/ erschrak ob den Geschichten/ doch gläubt dem Wort/ wie sie gehört/ Gott würd’ es wohl verrichten“, auf die Melodie „Was mein Gott will gescheh allzeit“.
Das Lied Nr. 62 „Auf Töchter Zions“ nimmt womöglich ein Motiv eines alten Marienliedes auf. Danach krönt Maria ihren Sohn Jesus im Himmel, bevor er nunmehr als König aus seiner Kammer zu den Menschen kommt. Nach der bekannten Melodie „Allein Gott in der Höh sei Ehr“ Str. 1: „Auf Töchter Zions schauet hier/ den König in der Krone/ Die aufgesetzt mit schöner Zier/ die Mutter ihrem Sohne/ am Tage seiner Fröhlichkeit/ das sich derselbe hoch erfreut bei seiner Hochzeit Ehren.“ Die Krone indes ist nicht aus Gold, sondern „ist unser Fleisch und Blut/ wie weh es auch dem Satan tut/ darein er sich verkleidet“ (Str. 2). Diese drei Choräle sind untergegangen.
Drei weitere indes haben in unserem Gesangbuch, unterbrochen zwischen 1800 und 1900, erneut Verwendung gefunden, in der Zählung von 1698: Nr. 55/ 58/ 60.
„Gott sei Dank durch alle Welt“ hat eine fortlaufende Verkürzung erfahren. 1902 wurde die anschauliche Strophe „Tritt den Schlangenkopf entzwei/ daß ich aller Ängsten frei/ dir im Glauben um und an/ ewig bleibe zugetan“ ( so 1698 Nr. 55) entfernt. 1950 wurde diese Strophe wieder („der Schlange Kopf“) hereingenommen, dafür jedoch die ursprünglichen Strophen 6 und 7 entfernt:
„Und gleichwie dein Zukunft war/ voller Sanftmut ohn Gefahr/ also sei auch jederzeit/ deine Sanftmut mir bereit.// Tröste tröste meinen Sinn/, weil ich schwach und blöde bin/ Und des Satans schlaue List/ sich zu hoch für mich vermißt“. 1902 waren diese beiden Verse noch im Braunschweiger Gesangbuch. Daß heutzutage nur noch vier Strophen gesungen werden und die im EKG enthaltene 5. und 7. Strophe entfallen sind, halte ich für unangebrachte Ängstlichkeit vor der barocken Sprache („Lebensfürst“, Sündenwust“) und einen Verlust:
„Zeuch o Ehrenkönig ein/ es (nämlich das Herz) gehöret dir allein/ mach es wie du’s gerne tust/ frei von allem Sündenwust// daß wenn du o Lebensfürst/ prächtig wiederkommen wirst, ich dir mög entgegengehn/ und vor dir gerecht bestehn“. In Offleben haben wir diese Verse ins Gesangbuch eingeklebt. Von Anfang an wurde dieses Lied auf die Melodie „Nun kommt der Heiden Heiland“ gesungen. Das EG hat eine andere, lebhafte Melodie eingefügt.

Johann Rist, von dem „Auf auf ihr Reichsgenossen“ (Nr. 60) stammt, hat in der Regel viel zu lange Strophen gedichtet. Ohne Schaden wurde das Lied 1950 um drei Strophen gekürzt. Str. 5 „Seid fromm ihr Untertanen, der König ist gerecht“ assoziierte zu stark die feudalistische Zeit (war aber 1902 noch tragbar!), und die Str. 4 warnte zeitgemäß die „frechen Sünder“, daß ihr „voller Lasterlauf“ vom ankommenden König sehr wohl bemerkt würde. Im heutigen EG sind die „Reichsgenossen“ trotz der bekannten Wendung vom „Reich Gottes“ aus Scham vor einem falsch verstandenen Reichsgedanken in „Auf auf, ihr Christen alle“ geändert und in den Anhang verbannt worden. 1698 wurde das Lied auf die Melodie „Von Gott will ich nicht lassen“ gesungen, 1950 wurde die tänzerische Melodie von Thomas Selle darüber gesetzt, die gerne von Pfr. Adolf Nebel in der Helmstedter Thomaskirche benutzt wurde.

b) Das Gesangbuch der Aufklärungszeit hat bei der geringen Anzahl (8) fünf neue Dichtungen verwendet. Es überschrieb die Adventszeit als „Von der Erlösung des Menschen durch Christum“, was jedoch ebenso für die Passionslieder gelten kann. So beziehen sich die Lieder Nr. 65/ 66/ 67, mit der die Adventslieder eingeleitet wurden, und Nr. 69 besonders auf die Erlösung des Sünders durch das Kreuz. Ganz im Stil des Rationalismus wurde die Tatsache, daß Gott den Menschen seinen Sohn schenkt, von Gellert mit der Frage eingeleitet: „Gedanke, der uns Leben gibt/ Wer kann dich ganz durchdenken/ Also hat Gott die Welt geliebt/ Uns seinen Sohn zu schenken// Hoch über die Vernunft erhöht/ umringt von Finsternissen/ füllst du mein Herz mit Majestät/ und stillest mein Gewissen“. Damit waren bereits alle Anspielungen auf die Kirchenjahreszeit erschöpft, um im übernächsten Vers den Tod Jesu zu ergründen. Es ist mir fraglich, ob Gellert selber dieses Lied, das 17 Strophen hatte, für die Adventszeit vorgesehen hatte. Es wurde auf die Melodie „Ich dank dir, Gott, durch“, heute „Mein erst Gefühl sei Preis und Dank“ gesungen. Diesem Lied von Gellert ging ein anderes von Oberkonsistorialrat Diterich, der eine Leitfigur der Gesangbuchkommission war, voraus: „Heil uns aus unsrer Sündennot“. Ihm folgt, für uns ungewohnt unter die Adventslieder eingereiht, eine von Schlegel sehr stark bearbeitete Fassung von Luthers „Nun freut euch liebe Christen g’mein.“ Unter dem veränderten und daher zunächst kaum erkennbaren Anfang: „Nun Christen laßt uns fröhlich sein“. Es ist in den nächsten Gesangbuchausgaben (1902: Nr. 215 (10)/ EKG Nr. 239 (10) und EG Nr. 341 (10)) wieder in den Originalzustand versetzt und unter die Lieder vom christlichen Glauben und christlichen Leben eingeordnet worden.

Bezeichnend sind die starken Eingriffe in das Lied „Mit Ernst o Menschkinder“.


1902/ 1950/1994
Mit Ernst o Menschenkinder
Das Herz in euch bestellt
Bald wird das Heil der Sünder
Der wunderstarke Held
Den Gott aus Gnad allein
Der Welt zum Licht und Leben
Versprochen hat zu geben
Bei allen kehren ein

Ach mache du mich Armen
Zu dieser heilgen Zeit
Aus Güte und Erbarmen
Herr Jesu, selbst bereit.
Zieh in das Herz hinein
Vom Stall und von der Krippen
So werden Herz und Lippen
Dir allzeit dankbar sein.


1780
Mit Ernst oMenschenkinder
Macht euer Herz bereit
Er kömmt,das Heil der Sünder,
der Herr der Herrlichkeit.
Er kömmt aus seinem Thron
voll Huld zu uns hernieder
wird einer unsrer Brüder
Er, Gottes ein’ger Sohn.

Doch was vermag ich Schwacher
Ich Sünder ohne dich
Mein Heil, mein Seligmacher,
Bereite selber mich.
Mein Herz sehnt sich nach dir
Ich eile dir entgegen
komm, komm mit deinem Segen
Und wohne stets bei mir.


Das Lied ist von Schlegel übertragen und dann weiterhin, zuletzt von Pastor Paulmann, bearbeitet worden. Wenn man die Strophen von Valentin Thilo in prosaisches Deutsch übersetzt, dann ist inhaltlich die Übertragung von 1780 nicht falsch. Die anstößigen Wörter wie „wunderstark“, „heilge Zeit“, „Stall und Krippe“ sind ersetzt. Für „ein Herz, das richtig ist“ heißt es nun in Str. 3 „Nur der, der redlich ist“.. „zu dem kommt Jesus Christ“. Am Ende des Liedes könnte das Mißverständnis eines Perspektivwechsels aufkommen. Der Dichter redet vom Kommen Gottes und der aufgeklärte Menschen vom Entgegeneilen des Frommen. Das wäre kein Advent, wenn es dabei bliebe, aber er fügt die Bitte „komm komm mit deinem Segen“ an.

c) Das Gesangbuch von 1902 revidierte den krassen Einschnitt von 1780, tilgte sämtliche damals zeitgenössische Dichtungen (Nr. 65-69) des Vorgängers und nahm sechs Choräle aus dem ersten Gesangbuch wieder auf, merkwürdigerweise aber nicht „Nun komm der Heiden Heiland“. Die nachhaltigste Entdeckung war Georg Weissels „Macht hoch die Tür“, das sich bereits seit einigen Jahren im Gesangbuchanhang befand und seit 1994 die Adventslieder anführt. Das Lied Nr. 20 „Dein König kommt in niedern Hüllen“ von Ernst Rückert war 1902 ein modernes Lied und hat sich erstaunlicherweise durchgesetzt. Ich habe es bisher in keinem Adventsgottesdienst gehört.
Drei weitere Lieder (Nr. 22/ 23/ 27) sind Einzelstücke geblieben. Lied Nr. 27 von Johann Olearius (gest. 1634) nimmt zwar ausdrücklich die Tatsache des Kirchenjahresbeginns auf. „Nun kommt das neue Kirchenjahr/ des freu sich alle Christenschar,“ bleibt aber in den weiteren Aussagen zu allgemein. Nr. 22 „Hosianna Davids Sohn“ von Benjamin Schmolck mit dem siebenfachen Hosianna-Ruf zu Beginn der Strophe paßte auch zu gut zum triumphierenden Ton des endenden Kaiserreiches: Str. 3 „Hosianna, Friedefürst/ Ehrenkönig, Held im Streite/ Alles, was du schaffen wirst/ das ist unsre Siegesbeute/ Deine Rechte bleibt erhöht/ und dein Reich allein besteht“ (nach der Melodie „Meinen Jesum laß ich nicht)“. In der letzte Strophe wird der Gesegnete des Herrn gedrängt, beim Frommen einzukehren. „Warum willst du draußen stehen? Hosianna! Bist du da? Ja, du kommst. Halleluja“, endet das Lied.

d) Das Evangelische Kirchengesangbuch von 1950 eröffnet wie schon das erste Gesangbuch mit „Nun komm der Heiden Heiland“ und fügte zwei Lieder aus dem 16 Jahrhundert (Nr. 2/ 3) und eins aus dem 17. Jahrhundert (Nr. 4) hinzu, deren Melodien eine dunkle Färbung in den Advent hineinbrachten und stellte diese programmatisch an den Anfang des EKG. Dieser Ton sollte wohl dem vorweihnachtlichen Trubel eine nachdenkliche Weise entgegensetzen. Drei Lieder beziehen sich auf die biblischen Sonntagslesungen: die Epistel des 1. Advent klingt in EKG 14 „Die Nacht ist vorgedrungen“ an, das Lied EKG 5 „O Heiland reiß die Himmel auf“ thematisiert die a.t. Lesung des 2. Advent, und EKG 13 („Tröstet, tröstet, spricht der Herr“) die a.t. Lesung des 3. Advent. Das Lied „Es kommt ein Schiff geladen“ stand schon in zahlreichen Gesangbüchern aus der Gesangbuchreform von 1930/31, bei uns kommt es mit dem EKG jetzt erst vor und hat sich rasch eingebürgert.

e) Das Evangelische Gesangbuch von 1994
Von den 25 Adventsliedern gehören dreizehn dem 16. und 17. Jahrhundert, neun dem 20. Jahrhundert und nur zwei dem 19. Jahrhundert an. Eins ist zeitlich unbestimmbar.
Die Braunschweiger Kirchengemeinden hatten auf ihre Wunschliste für den Liederanhang folgende fünf Lieder gesetzt: „Auf auf ihr Reichsgenossen“ (= EG 536), „Komm in unsre stolze Welt“ (= EG 428), „Lobt den Herrn (= EG 538), „Zieh Ehrenkönig bei mir ein“ (= EG 537), außerdem „Kündet allen in der Not“, einen Text von Friedrich Dörr 1972, der in den Anhang des Bayrischen Gesangbuches (Nr. 540) aufgenommen worden ist.
Das Evangelische Gesangbuch verbindet die sechs Gesänge des ersten Gesangbuches (1698) und die beiden Entdeckungen des Gesangbuches von 1902 (EG 1 + 14) mit sämtlichen Liedern des EKG. Wer also zwischen den traditionellen Gottesdienstbesuchen am Bußtag/ Totensonntag und zu Weihnachten noch einen weiteren Besuch in der Adventszeit plante, konnte sicher sein, auch einige der gewohnten traditionellen Adventslieder wie „Macht hoch die Tür“ (EG 1), „Wie soll ich dich empfangen“ (EG 11), „Nun jauchzet all ihr Frommen“ (EG 9), „Es kommt ein Schiff geladen“ singen zu können. Auch die beiden, von der Melodie her herberen aus dem 20. Jahrhundert „Tröstet tröstet spricht der Herr“ (EG 15) und „Die Nacht ist vorgedrungen“ (Nr. 16) gehörten zum Stammteil. Dabei ist nicht zu übersehen, daß mit der fortschreitende Säkularisierung, die auch in der Kirche Raum gewinnt, das seinerzeit zeitgenössische Lied von Jochen Klepper in den Hintergrund tritt. Das Lied kreist um die Worte „Angst und Pein“, „Sühne“, „Schuld von Anfang an“, „Lohn“, „Gericht“. Es ist die typische Begrifflichkeit der konservativen Frömmigkeit von Jochen Klepper, die es erschweren, mit diesem Lied dem Halli-Galli-Advent der Weihnachtsmärkte zu widerstehen. Die erwünschte Nachdenklichkeit des „anderen Advent“ wird dadurch nicht geweckt.
Zehn weitere Lieder sind hinzugefügt. Dabei dominiert das Bemühen um Volkstümlichkeit (Nr. 13 „Tochter Zion“). „Tochter Zion“ stand schon um 1930 in den meisten Gesangbüchern, nur nicht im Hannoverschen und Braunschweigischen. Es war dem rigorosen Verdikt der hymnologischen Gesangbuchausschüsse 1950 zufolge aus dem Stammteil verbannt worden, aber einige Landeskirchen (Sachsen, Mecklenburg, Thüringen, Rheinland, Westfalen, Bremen) hatten es in ihren Anhang aufgenommen. Aber die Aufnahme in den Stammteil verdankt es weder seiner dürftigen inhaltlichen Aussage, die sich auf die Ausrufe „der Friedefürst kommt“ und „ewig steht dein Friedensthron“ noch der Melodie, die über die Silben des Textes holpert („siehihihihi dein König“, Dahahahahavids Sohn“, „hohohohohosianna in der Höh“ etc), sondern eben seiner Beliebtheit, die soweit geht, daß dieses Lied sogar zum Eingang in die Karwoche am Palmsonntag gesungen wird, weil es den Ruf des Volkes aufnimmt „Hosianna dem Sohn Davids“.
Auch die neuen Lieder „Seht die gute Zeit ist da“ (EG 18) und „Lobt den Herrn“ (EG 538) repräsentieren wegen ihrer einfachen Melodie und ihrer schlichten inhaltlichen Aussage eine gewisse Art von Volkstümlichkeit. Dazu gehört auch Nr. 17 „Wir sagen euch an den lieben Advent“. Dieses Lied mit seiner litaneihaften Melodie ist hörbar im katholischen Milieu entstanden. Es knüpft an die nach dem 1. Weltkrieg entstandene Sitte an, in den Kirchen Adventskränze aufzuhängen. Es lag nahe, diese volkstümliche Sitte auch in das Kirchenlied einzugbeziehen. Liturgisch gehört allerdings die Kerze zum Osterkreis („Osterkerze“) und zum Taufritual („Taufkerze“). Die Kerze verdrängt in der Adventszeit das Symbol des Sternes, das zur Epiphaniaszeit gehört und durch den Herrnhuter Stern in diakonischen Einrichtungen und Pfarrhäusern präsent ist, aber nie populär wurde.
Das gewollt hervorgehobene Kennzeichen der Adventsliedersammlung ist seine Ökumenizität. Im Jahr 1950 des Mariendogmas von Pius XII. war auch nicht im entfernten daran zu denken. Neun Lieder haben den Vermerk „ö“ ( EG 1-3/ 7+8/ 11/ 16+17/ 22.
Als Gegengewicht zu dieser Art von glatter Volkstümlichkeit ist Thomas Müntzers altkirchliches Adventslied „Gott heilger Schöpfer aller Stern“ aufgenommen, wodurch allerdings eine Doublette zu Luthers „Nun komm der Heiden Heiland“ in Kauf genommen worden ist, auch wenn ihnen unterschiedliche lateinische Hymnen zu Grunde liegen. Gegen zu viel Volkstümlichkeit und als Beispiel klassischer Moderne steht die Melodie des Liedes „Das Volk das noch in Finstern wandelt“ (EG 20) vom Holländer Frits Mehrtens aus dem Jahr 1959 mit den drei ungewohnten Quartsprüngen und den biblischen Verheißungen aus Jesaja 9 mit der solidarischen Schlußstrophe: „Dann stehen Mensch und Mensch zusammen vor eines Herren Angesicht und alle alle schaun ins Licht und er kennt jedermann mit Namen“. (EG 20,8). Auch die Melodie von „O komm o komm du Morgenstern“ (EG 19) entzieht sich der raschen Aneignung, sodaß der musikalisch verhältnismäßig schwierigere erste Teil einem Vorsänger überlassen bleibt.
Das Evangelische Gesangbuch war auch Hausbuch zum Singen in Gruppen außerhalb des Gottesdienstes. Dazu dienten die Kanon „Nun sei uns willkommen“ (EG 22) und „Er ist die rechte Freudensonn“ (EG 2), aber sie könnten auch einen Familiengottesdienst im Advent verlebendigen.
Als Adventslieder eignen sich auch „Herr mach uns stark“ (EG 154) und „Komm in unsre stolze Welt“ (EG 428).


Zum Teil 2: Die Weihnachtslieder






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Impressum  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Gesangbuch/T2K1.htm, Stand: Dezember 2007, dk