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[Kirche von Unten]

Hans Wilhelm Jürgens

Die Geschichte eines vergessenen Oberlandeskirchenrates

Eine Erzählung


von Dietrich Kuessner

(Download des Buches als pdf hier)




Nachwort


In dieser Arbeit begegnen dem Leser zwei verschiedene Gesichter von Hans-Wilhelm Jürgens: der junge, erfolgreiche Jurist in der Kleinstadt Wolfenbüttel und der betagte Rentner an der Elbe, umgeben von Enkeln, in Erinnerungen schwelgend, lebenssatt. Es schimmert durch sie die glückliche Zeit der Familiengründung hindurch, die großzügige Häuslichkeit, berufliche Anfangserfolge sowie das bittere Berufsende als Oberlandeskirchenrat im Wolfenbüttler Landeskirchenamt. Der betagte Jürgens hat sich ein Bild von der hinter ihm liegenden Geschichte gemacht und äußert sie in dem ausgiebigen Briefwechsel. Er betonte darin den konservativem Großvater, der seinen Enkeln die traditionellen Werte von Autorität, Heimat, Vaterland, Disziplin. Anstand und Kultur nahe bringen wollte.
Jürgens war in seinem Haus am Neuen Weg der unmittelbare Nachbar von drei aufeinander folgenden Braunschweigischen Landesbischöfen (Bernewitz, Beye, Johnsen). Er ist wie kein Pfarrer diesen Bischöfen nahe gekommen. Wie hat er sie erlebt? Wie schärft oder verzerrt die Nähe das Bild der Bischöfe, das von ihnen in der Geschichtsschreibung vermittelt wird?
Es gibt schriftliche Erinnerungen von Bischof Bernewitz und von OLKR Friedrich Lambrecht über ihre Arbeit im Landeskirchenamt. Schon diese Quellendichte ist kirchengeschichtlich nicht üblich. Nun gesellt sich zu diesen beiden Memoiren mit den Briefen eine dritte Quelle, die einen weiteren Zugang bietet und neue Aspekte vermittelt.
Jürgens ist Zeitzeuge der Weimarer Zeit und des Nationalsozialismus. Ist die Nazizeit in einer bürgerlichen Kleinstadt anders als man es sonst aus Büchern kennt? Erfahren wir über unsere Landeskirche wirklich was Neues?
Die Äußerungen von Jürgens über Hoffmeister sind begreiflicherweise sehr persönlich gefärbt von seiner schweren Enttäuschung über sein Dienstende im Landeskirchenamt. Jürgens stand 1941 durch Hoffmeister am Ende seiner juristischen Laufbahn. Trotzdem ist die Charakteristik Hoffmeisters von Jürgens eine wichtige Ergänzung zu den bisherigen historischen Schilderungen. Beim Nachdenken über die Ursache der gehässigen Abneigung Hoffmeisters gegen Oberlandeskirchenrat Jürgens nennt der betagte Jürgens als schlichte Ursache: den Sozialneid. Wenn das zutrifft, dann wird ein kleiner Widerschein der Banalität des Bösen im Landeskirchenamt zu jener Zeit sichtbar.
Noch deutlicher ist die Beschreibung von der Person Dr. Breust. Breust und Jürgens verbindet über die Dienstzeit von Jürgens im LKA hinaus eine von gegenseitiger Hochschätzung geprägte Bekanntschaft. Jürgens Beschreibung verändert das Bild, das Breust in der Nachkriegszeit von sich immer wieder gezeichnet hat und das sich innerhalb der damaligen zeitgenössischen Pfarrerschaft erstaunlich lange festgeschrieben hat. Erst Prof. Klaus Erich Pollmann hat auf Grund seiner grundlegenden Arbeit über die Landeskirche in der Nachkriegszeit festgestellt, dass es für die Landeskirche besser gewesen wäre, wenn OLKR Dr. Breust seinen Dienst in der Landeskirche nicht erneut angetreten hätte. Hauke Marahrens bestätigt diese Einschätzung in seiner oben bereits zitierten Arbeit über die Finanzabteilung. Die Briefe von Jürgens erweitern und bestätigen diese zu Einschätzung eindrucksvoll als zutreffend.
Die Nazifizierung der Kirchenbehörde war nicht nur ein Werk Hoffmeisters ab 1937 und auch nicht nur ein Werk Breust`s ab 1933, sondern vollzog sich auf breiter Basis sehr schnell in der gesamten Mitarbeiterschaft, die sich nunmehr als „Gefolgschaft“ verstand. Jürgens nennt dafür einige Beispiele.
Bei der Einordnung der Nazizeit in seiner persönliche Biographie erwähnt Jürgens zwei Beobachtungen, die sich vom traditionellen historischen Meinungsbild unterscheiden: die Nazis hätten nie die Mehrheit der deutschen Bevölkerung erobern können, die entsprechend veröffentlichten Zahlen seien samt und sonders gefälscht. Bei dieser Feststellung, der die allgemeine historische Forschung nicht folgt , kann das spezielle Hamburger Hafenmilieu bedeutsam sein, in der sich widerständische Gruppierungen bilden konnten. Jürgens rechnete sich selber zu den eher widerständischen Gruppen in der damaligen nationalsozialistischen Gesellschaft.
Tatsächlich ist Jürgens im beruflichen und finanziellen Sinn durch die Firma seines Vaters unabhängig gewesen. Er ist nicht durch die Nazis zu seiner Karriere gekommen. Er konnte seine Meinungen und Positionen recht unabhängig auch gegen den herrschenden Zeitgeist gestalten, was ich nicht als widerständig bezeichnen würde.
In einem Antwortbrief an seinen früheren Mitarbeiter Timmermann, in dem Timmermann Jürgens um eine günstige Beschreibung seiner Tätigkeit im Landeskirchenamt bis 1933 erbat, begründet Jürgens sein Zögern damit, dass nach 1933 die Verbrechen der Nazis doch offen zu Tage getreten seien und die Hälfte der Bevölkerung in eine Art Wahn verfallen sei. Diesem Gedanken weiter nachzugehen, lohnt sich. Denn der Wahn ist eine Krankheit, dem ein maßloser Egozentrismus zu Grunde liegt, der das Verhältnis zur Wirklichkeit verliert und unkorrigierbar erscheint.
Der Quellenbestand, den ich dem Archiv übergebe, ist mit dieser Arbeit keinesfalls ausgeschöpft. Allein die Briefe enthalten zahlreiche Bemerkungen über Pfarrer der Landeskirche sowie über Erlebnisse im Braunschweiger Ministerium, die auszuwerten sich lohnen.

Ich habe zu danken für die freundliche Unterstützung durch das landeskirchliche Archiv in Wolfenbüttel sowie der Bibliothek des Theologischen Zentrums in Braunschweig für die Beschaffung von Literatur.

Diese Erzählung ist eine Gemeinschaftsarbeit mit Reemt S. Heijen, der seit Jahrzehnten die äußere Gestaltung meiner Arbeiten bis zur Drucklegung verantwortet und dem ich das wiederholte Korrekturlesen und wichtige inhaltliche Hinweise verdanke.



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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Juergens/, Stand: März 2022, dk