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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche


Vaterlandsliebe und Frömmigkeit, Patriotismus und Pietismus,
im Braunschweiger Land

von Dietrich Kuessner

(Download des gesamten Textes als pdf hier)


Das 19. Jahrhundert


Vaterlandsliebe und Frömmigkeit in der staatskirchenrechtlichen Konstruktion mit ihren Wurzeln im Pietismus und in der Reformation wirkten unangefochten bis 1918. Sie erlebten ihre besondere Ausprägung in den Freiheitskriegen und im ersten Weltkrieg.

Ich lade Sie ein zu einem patriotischen Potpourri. Wir singen
2) Patriotische Potpourri um 1810

(Nach der Melodie von „Ein feste Burg“)
Und wenn die Welt voll Teufel wär/ und wollten uns verschlingen/ mit Gott zum Kampf du treues Heer/ dir muß der Sieg gelingen/ Der helfen will und kann/ den rufen wir an/ von Gottes Mut entbrannt/ stehn wir fürs Vaterland/ Sein Arm ist Wehr dem Schwachen“ (1,3).

(nach der Melodie: „Jesus meine Zuversicht“)
Auf mit Gott zum Heldenstreit/ Auf für Freiheit und für Ehre/ Daß auf Erden weit und breit/ Deutsche Redlichkeit sich mehre/ Männer auf für Recht und Pflicht/ Gott ist meine Zuversicht“ (Nr. 7,4).

(nach der Melodie „Von Gott will ich nicht lassen“)
„Frischauf ihr deutschen Brüder/ frischauf zum heilgen Streit/ Der Satan droht uns wieder/ zu ernten weit und breit/ Er will die Erdenflur/ zur Schlangenwüste machen/ mit Tigern und mit Drachen/ verheeren die Natur.
Gott steht mit euch im Leben/ Gott steht mit euch im Tod/ Will Gott den Arm erheben/ wo bleibet, was euch droht?/ Mit Gott das Schwert zur Hand/ Mit Gott hineingefallen/ und laßt die Losung schallen/ Gott Freiheit Vaterland.“



Nachdem die Franzosen das Braunschweiger Land geräumt hatten, bekamen die Braunschweiger Truppen 1814 ein eigenes Liederbuch, ein schmales Heftchen, praktisch zum Einstecken in den Waffenrock, mit 16 geistlichen und 65 volkstümlichen Liedern. Ein Exemplar befindet sich heute in der Herzog August Bibliothek. Es vereinigten sich Patriotismus und Pietismus. Von den geistlichen Liedern waren allein fünf von Ernst Moritz Arndt. Sie waren als Aufmunterungslieder vor der Schlacht gedacht. Ich füge noch eine vom zuletzt gesungenen Lied hinzu: „Auf mit dem Herrn der Scharen/ wohlauf in Not und Tod/ Er wird euch wohl bewahren/ der alte treue Gott/ Von ihm kömmt alles her/ Zu ihm geht alles wieder/ drum zagt nicht, deutsche Brüder/ Gott ist mit euch im Heer// Die aus dem Pietismus 100 Jahre zuvor stammende Denkfigur vom Kampf des Gottesreiches gegen das Reich des Bösen, die Dämonisierung des Feindes als mythische Figuren „Tiger und Drachen“, die Bewahrung der Umwelt vor Verwüstung, die der Feind zur „Schlangenwürste“ machen will, wurde gegen die Franzosen mobilisiert..

Unser Thema verdichtet sich biografisch in der Gestalt von Ernst Moritz Arndt, auf den die Ausstellung hinweist und von dem das Motto der Ausstellung „Was ist des Teutschen Vaterland“ stammt. Manchen Älteren ist dessen Kinderlied zu Weihnachten noch in Erinnerung: „Du lieber heilger frommer Christ/ weil heute dein Geburtstag ist/ so ist auf Erden weit und breit/ bei allen Kindern frohe Zeit.“ Die Braunschweiger konnten dieses Lied bis 1950 in ihrem Gesangbuch unter der Nr. 35 finden.

Arndt war im Jahre 1800 31 Jahre alt, hatte Theologie und Geschichte studiert, war in Greifswald Dozent für Geschichte geworden und hatte in Bonn seit 1818 eine Professur inne. Die Ideen der französischen Revolution von der Gleichstellung aller Menschen hatte er begeistert begrüßt, während der napoleonischen Besatzung einen religiöse verklärten Freiheitskrieg propagiert und den „Gott, der Eisen wachsen ließ“ verkündet. Von 1820 an verlor er in Folge einer Denunziation, es ermangle ihm an Staatstreue zum erstarkenden autoritären preußischen Staat, seine Professur und blieb lange Zeit vom Dienst dispensiert. Erst mit 71 Jahren wurde er rehabilitiert, Rektor der Bonner Universität und nahm seine Vorlesungstätigkeit bis zum 85. Lebensjahr wieder auf und wurde einer der ältesten Abgeordneten der Frankfurter Paulsversammlung. An Patriotismus hat es Arndt in seinem 91 Jahre währenden Leben wahrhaftig nicht mangeln lassen. Arndt schwärmte für ein politisch und konfessionell geeintes Deutschland.

„Wer ist ein Mann?“ fragte Arndt in einem gleichnamigen Lied und antwortete: „Wer beten kann/ und Gott dem Herrn vertraut/ wenn alles bricht/ er zaget nicht/ dem Frommen nimmer graut.

Dies ist der Mann / der sterben kann/ für Gott und Vaterland/ er läßt nicht ab/ bis an das Grab/ mit Herz und Mund und Hand.

So deutscher Mann/ so freier Mann/ mit Gott dem Herrn zum Krieg/ Denn Gott allein/ kann Helfer sein/ von Gott kommt Glück und Sieg.“

Dieses Lied finden wir als Nr. 573 im Anhang des Braunschweiger Gesangbuches von 1902, „Die Freiheit und das Himmelreich gewinnen keine Halben“ wurde zum geflügelten Wort und zur Durchhalteparole in unhaltbaren Zeiten.
Im heutigen Gesangbuch ist Arndt mit dem bekannten Lied „Ich weiß woran ich glaube“ vertreten,
in dem er einen diamantenharten Glauben besingt: „Das ist das Licht der Höhe, das ist der Jesus Christ/ der Fels auf dem ich stehe/ der diamanten ist“. Es liegt für mich über dieser Mischung von durchlittener Vaterlandsliebe und Frömmigkeit ein liebenswerter Zug von Unverwüstlichkeit, der heutzutage gewiß altmodisch wirkt.

Noch von einem weiteren Dichter muß hier die Rede sein, von Theodor Körner. Sein „Gebet vor der Schlacht“ finden Sie auf dem Liederzettel. Vier Gedankengänge hebe ich hervor: a) Das Schlachtfeld ist ein Ort der Offenbarung Gottes. Theologisch wäre auch das Gegenteil denkbar, das Schlachtfeld als ein Ort, wo sich Gott verbirgt und verdunkelt, eher ein Ort für die losgelassenen Dämonen. Aber er ist der Herr der Geschichte, also auch des Krieges. b) das Schlachtfeld ist daher auch ein Ort der Erkenntnis Gottes. Geläufig ist die Anschauung, daß Gott in der Schönheit der Natur, hier im „herbstlichen Rauschen der Blätter“ anschaulich werde. Nun kann ihn der Mensch an der Front besonders, aber auch in der Heimat wahrnehmen, „im Schlachtendonnerwetter“, c) und zwar nicht als Gericht, sondern als „Urquell der Gnade“. Gott erscheint auf dem Schlachtfeld nicht als furchtbarer Richter über die Sünden der Menschen, sondern als gütiger Vater. „Vater ich rufe dich“, „Vater du führe mich“, „Vater du segne mich“ „Vater ich preise dich“. d) Der Soldat folgt dem Einberufungsbefehl wie einem Ruf in die Nachfolge Jesu. Krieg ist Nachfolge und der Soldat ein Soldat Christi.
Der Liedtext hat Noten. Es stammt aus dem Choralposaunenbuch des bekannten Betheler Posaunenchorleiters Johannes Kuhlo. Wir können singen:

3) Vater ich rufe dich./ Brüllend umwölkt mich der Dampf der Geschütze/ sprühend umzucken mich rasselnde Blitze/ Lenker der Schlachten ich rufe dich. Vater du führe mich.

Vater du führe mich/ führ mich zum Siege, führ mich zum Tode/ Herr ich erkenne Deine Gebote/ Herr wie du willst, so führe mich/ Gott ich erkenne dich.

Gott ich erkenne dich. So im herbstlichen Rauschen der Blätter/ als im Schlachtendonnerwetter/ Urquell der Gnade erkenne ich dich. Vater du segne mich.
Theodor Körner 1791- 1813

Theodor Körner (1791-1813) war mit 22 Jahren selber in diesem „Freiheitskrieg“ gefallen und seine Lieder hatten für manche Generationen den Glanz eines nationalen Märtyrers.

Die anhaltende Fernwirkung zeigte sich in den Predigten evangelischer Prediger im ersten Weltkrieg. Etwa am Beispiel des Blankenburger Superintendenten Ottmar Palmer. In seinen sechs veröffentlichten Predigten aus den Jahren 1914-1916 legte Palmer seinen Gottesdienstbesuchern den Krieg als die besondere, harte, unüberhörbare Sprache Gottes aus, „Gott redet zu uns, lieber Christ, in diesem Krieg in einer Sprache von Blut und Elend, von Sorge und Gefahr, von Not und Tod“. Die Soldaten sind „Gotteskämpfer“. Das „Blutbad des Krieges“ schenkt dem Volk Gesundung von seinem im Frieden verkommenen Lotterleben. Der Tod an der Front ist Bewährung des Glaubens und wird, als Opfer für das Vaterland verstanden, mit dem Opfertod Jesu am Kreuz gleichgesetzt. Nach dem Gedenkgottesdienst anläßlich des dritten Jahrestages des Kriegsbeginns August 1916 ließ Palmer das „Kampflied des Schwarzen Herzog“ aus dem Jahre 1809 singen: „Dir trau ich Gott und wanke nicht“. „Unendlicher/ ich trau auf dich/ du leitest mich/ ich kämpf und siege Gott durch dich“. Nach der Melodie „Herzlich lieb hab ich dich o Herr“ zu singen. „Bald steh auch ich vor deinem Thron/ mit treuer Kämpfer Scharen/ und danke dir Gott verklärt/ der jetzt mich prüft und dann bewährt/ daß ich von allen Leiden frei/ ein Seliger des Himmels sei.“ Auch dieses Lied wurde 1902 in das bis 1950 gültige Braunschweiger Gesangbuch aufgenommen und mit der Bemerkung versehen „Herzog Friedrich Wilhelms Kampflied“. Im Landesmuseum befinden sich zahlreiche Postkarten aus dem 1. Weltkrieg, auf den der Gefallene mit einem Engel abgebildet ist: „Wer den Heldentod stirbt, wird selig“, war die Botschaft des Herzogs und des Liederdichters Eschenburg und des Superintendenten Ottmar Palmer, denn das Vaterland ist ein Glaubensgut, es ist heilig.
„Heilig Vaterland in Gefahren/ deine Söhne sich um dich scharen/ von Gefahr umringt heilig Vaterland/ alle stehen wir Hand in Hand... Eh der Fremde dir deine Krone raubt/ Deutschland fallen wir Haupt bei Haupt“, so Rudolf Alexander Schröder, noch nach 1950 hoch geehrter Kirchenliederdichter im Jahre 1914.

Wir singen:
4) Heilig Vaterland in Gefahren/ deine Söhne sich um dich scharen/ Von Gefahr umringt heilig Vaterland/ alle stehen wir Hand in Hand

Bei den Sternen steht, was wir schwören/ Der die S terne lenkt wird uns hören/ Eh der Fremde dir deine Krone raubt/ Deutschland fallen wir Haupt bei Haupt.

Heilig Vaterland heb zur Stunde kühn dein Angesicht in die Runde/ Sieh uns all entbrannt Sohn bei Söhnen stehn. Du sollst bleiben Land, wir vergehn.
R. Alexander Schröder 1914


Mir liegt daran, daß wir die Wurzeln dieser für uns schwer zugänglichen Frömmigkeit nicht in einem überspannten Nationalismus sehen, sondern erkennen, daß sie zwei Wurzeln hat: ihre aus der Reformation stammende strukturelle Abhängigkeit und im Pietismus repräsentierte Frömmigkeit.

Schon während des Krieges kamen bei den betroffenen Gemeindemitgliedern erhebliche Zweifel an der seelsorgerlichen Richtigkeit dieser Aussagen. Viele Frauen verließen die Gottesdienste und wandten sich von dieser Art von Trost ab. Sie wollten ihre Männer begreiflicherweise bei ihrer Arbeit und im Hause sehen und nicht als Helden im Himmel. Das Verhältnis von Frömmigkeit und Vaterlandsliebe verlor seine Anziehungskraft und trug im Gegenteil zur Entkirchlichung und Säkularisierung bei.


Zum Teil III: Die Weimarer Zeit




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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Patr-piet/Patr-piet-2.htm, Stand: Mai 2007, dk