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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Die Geschichte der Pauligemeinde von 1930 - 1960

von Dietrich Kuessner

(Download des gesamten Textes als pdf hier)


Die Entfernung Pfarrer Goetzes aus dem Pauli-Pfarramt II 1938-1942


Der rechtswidrige Bescheid
Völlig unerwartet erreichte daher den Kirchenvorstand und die Gemeinde die sofortige Beurlaubung von Pastor Goetze am 10. November 1938 ein. Goetze hatte am Tag nach der Terror-Pogromnacht, in der die Synagogen und jüdische Geschäfte in Bereich der Landeskirche wie im ganzen Reich zerstört oder verwüstet und Hunderte von jüdischen Mitbürgern abtransportiert worden waren, einen Telephonanruf von OKR Dr. Breust erhalten, der ihm im Auftrag der Finanzbevollmächtigten Hoffmeister im Landeskirchenamt mitteilte, daß ihm die Vornahme aller Amtshandlungen untersagt wäre. Es wäre denkbar gewesen, daß auch die Wohnung der Familie Goetze von SA-Leuten überfallen und Goetze abtransportiert worden wäre. Die Mutter Goetzes war Jüdin gewesen, daher galt ihr Sohn Alfred nach den unsäglichen Nürnberger Rassegesetzen als „Halbjude“. Diese Stigmatisierung brauchte die Kirche nichts anzugehen, denn die Mutter Goetzes war nach der Geburt ihres Sohnes Alfred getauft worden und damit Christin und Glied ihrer evangelischen Kirchengemeinde in Berlin gewesen. Aber die Nationalsozialisten hatten bereits 1924 den antisemitischen Artikel ihres Parteiprogramms so interpretiert, daß die Taufe an der Einstufung als Jude nichts ändere. Das hatte begreiflicherweise für eine Landeskirche keinerlei Bedeutung. Der ansonsten in Rechtssachen bekanntermaßen gewiefte Oberkirchenrat Dr. Breust, der in der Propstei Braunschweig als der verlängerte Arm des Finanzbevollmächtigten Hoffmeister amtierte, hätte diese rechtswidrige Anweisung gar nicht weitergeben dürfen. Hoffmeister war für Personalfragen überhaupt nicht zuständig, Es gab obendrein keine Rechtsgrundlage, nach der Goetze hätte beurlaubt werden können. Ein derart schwerwiegender Vorgang war schon gar nicht telephonisch zu übermitteln. Goetze hatte keinen Anlaß, auf dieses Telephongespräch zu reagieren, aber die Atmosphäre war durch den überall sichtbaren Staats- und Parteiterror furchterregend und einschüchternd. Wen konnte es noch treffen? Auch der frühere 65jährige Seminardirektor Pastor Niemann in Gr. Stöckheim wurde aus demselben Grund vom Dienst beurlaubt.

Die Kirchenleitung beugt sich dem Unrecht
Es war noch unklar, wie sich das Landeskirchenamt zu dieser Rechtswidrigkeit verhalten würde. Landesbischof Johnsen war am 10. November in Berlin. Unter dem Datum 12. November erhielt Goetze nun einen schriftlichen Bescheid, unterzeichnet von OKR Röpke, der die telephonische Beurlaubung vom Dienst schriftlich bestätigte. „Wie Ihnen bereits durch Herrn Oberkirchenrat Dr. Breust mitgeteilt, haben Sie sich bis auf weiteres jeglicher Ausübung pfarramtlicher Geschäfte zu enthalten. Röpke“ (in der Anlage zu einem Brief Goetzes an die Kirchenkanzlei vom 18.1.1939 ZAB A 4/220, auch A 4/358 Bl 18). Die Lage hatte sich also auch in der Kirchenbehörde so grundlegend verändert, daß der Landesbischof, der Personalreferent Röpke und auch der für theologische Fragen zuständige OKR H.E. Seebaß der Durchführung dieser geschäftsordnungswidrigen Anweisung trotz fehlender Rechtsgrundlage Folge leistete. Dem schriftlichen Bescheid von OKR Röpke fehlte begreiflicherweise jede Begründung.

Wenig Solidarität
Weder der Propst von Braunschweig Leistikow noch der Pfarrernotbund, dem Goetze seit 1934 angehörte, protestierten beim Landeskirchenamt oder wagten eine öffentliche oder wenigstens interne Solidaritätserklärung. Der Konflikt wurde auf dem Rücken der Kirchengemeinde Pauli ausgetragen, denn nun hatten die beiden anderen Pastoren alle anfallenden Amtshandlungen, Konfirmandenunterricht und Gottesdienste zu vertreten.

Der Protest des Kirchenvorstandes
Goetze protestierte gegen die schriftliche Anweisung Röpkes und wies auf die fehlende Rechtsgrundlage hin. Auch der Kirchenvorstand beriet die Lage und stellte sich unerschrocken einstimmig hinter Pastor Goetze. Goetze solle weiterhin Seelsorger ihrer Kirchengemeinde sein. Diese Erklärung konnte nicht geheim bleiben und war für jene Mitglieder des Kirchenvorstandes mit einem hohen Risiko verbunden, die in ihrem Beruf auf das Wohlwollen von Partei und Staat angewiesen waren. Das Kirchenvorstandsmitglied Karl Höse war inzwischen Landgerichtsdirektor und hatte wegen seines Eintretens für den „Halbjuden Goetze“ Schwierigkeiten zu erwarten. Der Beschluß des Pauli Kirchenvorstandes war ein Beispiel für die Wolfenbüttler Kirchenleitung, die Anweisung von Hoffmeister nicht widerspruchslos hinzunehmen. Es war nicht die einzige Aktion des Kirchenvorstandes. Am 3. September 1939, zwei Tage nach dem Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen, tagte der Kirchenvorstand von Pauli und beschloß ein Schreiben an den Landesbischof und bat erneut um die Wiederverwendung von Goetze. Die hohen Anforderungen, die gegenwärtig an jeden deutschen Mann gestellt würden, verlangten dringend den Einsatz aller verfügbaren Kräfte auch in der Seelsorge. „Der Kirchenvorstand von St. Pauli bittet daher einmütig, eine solche Beauftragung des Herrn Pastor Goetze baldmöglichst auszusprechen zu wollen.“ Der Kirchenvorstand wollte unbedingt vermeiden, daß das Schreiben im Landeskirchenamt unter- oder verlorenging, und sandte es, unterzeichnet von Pastor Schwarze, zur Kenntnisnahme auch an den stellvertretenden Propst Kalberlah und an Pastor Goetze selbst „zur gefälligen Kenntnisnahme und mit der Bitte, auch seinerseits in jeder ihm geeignet erscheinenden Weise dahin zu streben, daß er um der Gemeinde willen baldigst sein Amt ausübt.“ Das war eine beispielhafte, tapfere Haltung, und Pastor Goetze wußte, daß er mit der geschlossenen Unterstützung seines Kirchenvorstandes rechnen konnte.

Die „lex Goetze“
OLKR Röpke schickte den Antrag am 5. September 1939 an die Kirchenkanzlei in Berlin mit der dringenden Bitte, über den Antrag des Kirchenvorstandes eine Entscheidung herbeizuführen, anstatt selber eine tapfere Entscheidung zu treffen. Auch Goetze schaltete mit persönlichen Gesprächen und zahlreichen Briefen die Kirchenkanzlei in sein Verfahren ein. Nach wie vor fehlte es der Kirchenbehörde an einer stichhaltigen Begründung zur Entfernung Goetzes aus dem Dienst. Allein aus diesem Grund schuf die Braunschweiger Kirchenbehörde das erbärmliche Kirchengesetz Nr. 5339 „über die Versetzung eines Geistlichen in den einstweiligen Ruhestand“. Danach konnte die Kirchenregierung einen Pfarrer in den Ruhestand versetzen, „wenn es das Wohl der Gesamtkirche“ erforderte. Der Vorsitzende des Pfarrervereins, Propst Hans Ernesti kündigte umgehend Protest gegen dieses Gesetz an und lieferte einige Monate später eine ausführliche Begründung. Durch dieses Gesetz waren die Pfarrer der Landeskirche praktisch nicht mehr ihres Amtes sicher. Das Gesetz erhielt den Spitznamen „lex Goetze“, weil es nunmehr die rechtliche Handhabe bot, Goetze aus dem Paulipfarramt zu entfernen. Es war eines der ersten Gesetze, die im Herbst 1945 aufgehoben wurden. Nun konnte die Kirchenregierung Goetze mitteilen, daß seine Entfernung aus der Pauligemeinde mit „dem Wohl der Gesamtkirche“ begründet werde.

Erneuter Protest des Kirchenvorstandes
Das ließ der Kirchenvorstand, der darin zu Recht eine Diskriminierung der Gemeindearbeit Goetzes sah, nicht gelten, hielt am 21. Januar 1940 eine Kirchenvorstandssitzung ab und schrieb am 22. Januar 1940 an die Kirchenregierung, es wäre ihm „nichts bekannt, was einer ersprießlichen Arbeit des Pastor Goetze in unserer Gemeinde“ entgegenstünde. Pointiert fügte der Kirchenvorstand hinzu, insbesondere bitte der Kirchenvorstand um Auskunft, „ob etwa die nicht rein arische Abstammung von Pastor Goetze“ die oben erwähnte Maßnahme veranlaßt habe. Dieser Brief war eine furchtbare Blamage für die gesamte Kirchenbehörde. „Etwa“ sollte bedeuten, daß die längst bekannte Tatsache, daß die Mutter Goetze mal jüdisch gewesen war, für den Kirchenvorstand keinesfalls ein Grund für die Entfernung aus dem Dienst der Kirchengemeinde sein konnte. Der Kirchenvorstand widersetzte sich hartnäckig den Maßnahmen der Finanzabteilung, der Kirchenregierung, des Bischofs und des Landeskirchenamtes, die sich offenkundig alle darin einig waren, Goetze opfern zu müssen, um Wohlwollen für die Landeskirche zu erlangen. Der Brief war von Pastor Schwarze unterzeichnet. Es wäre möglicherweise noch eindrucksvoller gewesen, wenn auch Pastor Henneberger den Brief mit unterzeichnet hätte. Aber Henneberger hielt sich während des ganzen Verfahrens bedeckt.

Schützenhilfe aus Berlin und die Amtshandlung Goetzes
Der Kirchenvorstand erhielt unerwartet Schützenhilfe aus Berlin. Das Landeskirchenamt erhielt auf die Anfrage von Roepke am 26. März 1940 einen Bescheid von der Kirchenkanzlei, wonach Goetze wegen seiner „nichtdeutschblütigen Abstammung“ nicht aus dem Dienst entlassen oder in den Ruhestand oder Wartestand versetzt werden dürfte. Er behielte alle Ansprüche auf Dienstbezüge, Versorgung und Amtsbezeichnung in vollem Umfang weiter, er dürfe zwar keine Amtshandlungen vornehmen „mit Ausnahme solcher Amtshandlungen, die er auf besonderen Wunsch der Beteiligten im geschlossenen Kreis vollzieht.“ Dieses Schreiben war nur ein Briefentwurf, der aber Goetze erreicht hatte und auf dessen Inhalt sich Goetze berief, als zum Entsetzen des Braunschweiger Propstes in der Nationalsozialistischen Braunschweiger Tageszeitung vom 11. August 1940 eine Danksagung mit Namensnennung von Goetze für die Abhaltung einer Beerdigung erschienen war. „Was tun?“ schrieb Leistikow an Röpke. „Ich hatte Herrn P. Goetze zur Rede gestellt, wie er dazu käme, gegen die eindeutige Verfügung vom 12.11.1938 und zuletzt noch die Verfügung vom 25.6.1940 zu handeln“. Goetze zeigte Leistikow das Schreiben der Kirchenkanzlei, wonach „im kleinen Kreise“ eine Amtshandlung möglich wäre. Goetze war also nach wie vor vom Kirchenvorstand und auch von Kreisen seiner Kirchengemeinde getragen. Das Landeskirchenamt hatte von der Berliner Kirchenkanzlei freie Hand für die Behandlung des „Falles Goetze“ erhalten.
Auch das Landeskirchenamt erhielt einen irritierenden Bescheid von der Kirchenkanzlei vom 27.5.1940, in dem es hieß: „Im staatlichen Raume würden nach den geltenden Bestimmungen der Tatbestand, daß ein Beamter, der zwar Halbjude aber im Besitz des Reichsbürgerrechts ist (wie Götze) nicht dazu ausreichen, ihn aus dem Amt zu entfernen“. (Das „nicht“ war im Original sogar unterstrichen.) Wenn jene indes im öffentlichen Dienst in einer führenden Stellung tätig wären, würden sie zurückgezogen und etwa in einem Archiv beschäftigt. Der Kirchenregierung bliebe es überlassen, ebenso zu verfahren. Es herrschte also auch in den Berliner Stellen keine eindeutige Klarheit.

Erneuter Protest des Kirchenvorstandes
Zum vierten Mal wurde der Kirchenvorstand vorstellig und zwar dieses Mal persönlich. Am 3. Februar 1941 gingen Pastor Schwarze, Landgerichtsdirektor Höse und Studienrat i. R. Klingenspor ins Landeskirchenamt und legten den OLKRäten Röpke und Seebaß in einem fast zweistündigen Gespräch den Standpunkt des Kirchenvorstandes vor, Höse den juristischen Standpunkt, Klingenspor den theologischen und Schwarze den von der Gemeindearbeit aus. „Sie machten geltend, das nach Ansicht des Kirchenvorstandes die Möglichkeit eines Weiteramtierens des Pastor Götze gegeben sei, zeichneten anerkennend die Persönlichkeit Götzes als Pfarrer und Prediger und baten, Götze doch im Amt zu belassen.“ OLKR Seebaß ging auf die vorgebrachten theologischen und die Gemeinde betreffenden Argumente offenbar nicht ein, während Röpke den Kirchenvorstehern ungerührt erklärte, an der Versetzung in den Wartestand wäre nichts zu ändern, sie sei außerdem notwendig im Interesse der Gesamtkirche. Die Kirchenvorsteher mußten mit der bitteren Erkenntnis nach Hause fahren, daß sich die beiden theologischen Oberlandeskirchenräte den Standpunkt der nationalsozialistischen Finanzabteilung völlig zu eigen gemacht hatten. Mit dieser Entscheidung und nach diesem Gespräch war einem Weiteramtieren beider Oberlandeskirchenräte nach 1945 eigentlich die Grundlage entzogen. OLKR Seebaß blieb bis zu seinem Tod 1957 im Amt, OLKR Röpke bis zu seiner Emeritierung 1963. Die Kirchenvorstandsmitglieder baten, über den Besuch einen Vermerk zu machen und ihn zu den Akten zu nehmen. So ist dieses Gespräch überliefert worden.

Die verstockte Kirchenbehörde
Noch im selben Monat erhielt Goetze mit dem Datum vom 24.2.1941 seine von OLKR Röpke unterzeichnete definitive Entfernung aus dem Dienst der Landeskirche. „Es ist Ihnen bekannt, daß Ihnen seit dem 10. November 1938 wegen Ihrer nicht rein arischen Abstammung – Sie haben einen jüdischen Elternteil – die Ausübung des Dienstes untersagt ist. Das Wohl der Gesamtkirche erfordert bei dieser Sachlage, daß Sie künftig nicht mehr ein öffentliches Pfarramt der Braunschw. Landeskirche bekleiden. Außerdem ist es notwendig, die Möglichkeit einer anderweitigen Besetzung Ihrer Pfarrstelle zu schaffen. i.V. Röpke“ Mit diesem Schreiben war die theologische Unterordnung des Taufsakramentes unter die mörderischen Rassengesetze und die aus dieser Häresie folgenden Dienstentfernung eines Pfarrers aktenkundig.
Goetze legte sofort Widerspruch gegen die Entscheidung ein und verzögerte auf diese Weise den Vollzug der Entscheidung.

Der Schachzug mit dem Landgericht
Nun zögerte Goetze das Verfahren durch eine Klage vor dem Landgericht Braunschweig hinaus und ließ sich von Rechtsanwalt Justizrat H. Dedekind vertreten. In einem 30 Seiten langen Schriftsatz bestritt Dedekind die Rechtmäßigkeit der Beurlaubung und des Gesetzes vom Dezember 1939, „das an rücksichtsloser Ausschaltung aller Sicherungen für den Pfarrerstand über alle anderen Landeskirchlichen Wartestandgesetze, auch über das bis dahin radikalste – das in Bremen hinausgeht.“ Dedekind betonte „die ganz eindeutig nationale, völkische Gesinnung und Haltung , die der Kläger als Pfarrer und besonders als Geschäftsführer des Landeselternbundes im öffentlichen Kampf gegen Kommunismus und Gottlosenbewegung in den Jahren 1918-33 an den Tag gelegt habe und das einmütig bekundete Vertrauen des Kirchenvorstandes. „Durch mehrfache Entsendung von Abgeordneten ins Landeskirchenamt wie durch schriftliche Eingaben hat sich der Kirchenvorstand von St. Pauli nunmehr bald drei Jahre hindurch bemüht, seinen Pfarrer für die seelsorgerliche Arbeit in der großen Gemeinde wieder frei zu machen und zum Einsatz zu bringen.“ Goetze hatte insofern Erfolg, als die Beschlußstelle der Kirchenkanzlei die Sache an sich zog und eine Urteilssprechung verschoben wurde.
Goetze nutzte die vom Gericht geschaffene Pause dazu, das Landeskirchenamt im Herbst 1941 darauf hinzuweisen, daß seine Dienstentfernung auch parteipolitisch unnötig wäre. Die ebenfalls „rassistisch belastete“ Tochter Goetzes hatte aus dem Führerhauptquartier schriftlich eine persönliche Entscheidung Hitlers, „daß Fräulein Ingeborg Goetze in Braunschweig Wilhelm Bodestr. 2, deutschblütigen Personen im Sinne der deutschen Rassegesetzgebung und der hierzu erlassenen Gesetze mit allen sich daraus ergebenden Rechten und Pflichten gleichgestellt wird.“ Mit diesem Schreiben hätte sich auch kirchenpolitisch gut argumentieren lassen, aber Goetze war der Kirchenleitung unbequem geworden.

Die vergebliche Besetzung der Pfarrstelle Pauli II und Ergänzung des Kirchenvorstandes
Das Landeskirchenamt hatte die von Goetze besetzte Pfarrstelle Pauli II ausgeschrieben, obwohl Goetze noch in seinem Hause wohnte. Zur Durchführung der Wahl eines neuen Pfarrers war eine Ergänzung des Kirchenvorstandes notwendig geworden. Im Mai 1941 teilte Pastor Schwarze dem Landeskirchenamt mit, daß seit 1935 sechs Mitglieder aus dem Kirchenvorstand ausgeschieden waren. Es waren Ball, Engeland, Jorns, Kirchberg, Löhnefink, und Preer. An ihre Stelle schlug Schwarze folgende Personen vor, die er alle als treue Kirchenbesucher bezeichnete und sich auch für ihre „politische Zuverlässigkeit“ ausdrücklich verbürgte.
Die 12 alten Mitglieder, die sich für Pastor Goetze eingesetzt hatten, waren die beiden Provisoren Kellner und Grosse, Danneberg, Hesse, Höse, Klingenspor, Lüddeckens, Mack, Meier, Ring, Tetzlaff und Urban. Zu diesen traten 1941 hinzu: Oberstudiendirektor Dr. phil Richard Bock; Reichsbahnoberinspektor Karl Globig; Dr. Hanke; Buchhalter Walter Köhler; Martha Münter, geb. Heuer, Ilse Vestner, geb. Diekmann. Letztere war nicht nur Vorsitzende der Frauenhilfe sondern auch Mitglied der NS Frauenschaft. Als Ersatzmänner nannte Schwarze Zollinspektor Hans Königsdorf; und Lehrer a. D. Karl Meyer. Diese Auffüllung des Kirchenvorstandes ist ein wichtiger Hinweis, daß die Kirchenvorstandsarbeit dort, wo sie gepflegt wurde, sogar in Kriegszeiten möglich war. Die Mitarbeit in diesem derart profilierten Kirchenvorstand war ein besonderer Akt christlicher Solidarität.
In einem öffentlichen Gottesdienst wurden diese acht Frauen und Männer in ihr Kirchenvorsteheramt eingeführt, für die öffentliche Situation des Jahres 1941 doch ein Ereignis gegen den Trend. Im Dezember 1941 wurde Pfarrer Lepsien knapp vor Pfarrer Witte (mit 8:7 Stimmen) gewählt. Allerdings wurde Lepsien eingezogen und trat seinen Dienst in der Paulikirche nicht an. Die Pfarrstelle blieb noch acht Jahre bis 1950 vakant.
Goetze beantragte bei der Kirchenregierung, der Pfarrerwahl die Bestätigung zu versagen. Die Kirchenregierung entschied im Februar 1942, dem Antrag Goetzes nicht zu entsprechen.

Erst am 21.8.1942 wies das Landgericht erwartungsgemäß die Klage Goetzes ab. Nun verzog Goetze aus dem Haus Wilhelm Bodestr. 2 in die Gemeinde seines Sohnes, der Pfarrer der württembergischen Landeskirche in Allmersbach geworden war, nachdem ihm das Landeskirchenamt in Wolfenbüttel 1936 aus ns. rassistischen Gründen nach dem bestandenen zweiten Examen die Anstellung in der Braunschweiger Landeskirche verweigert hatte. Der Sohn war an die Front eingezogen worden und sein Vater verwaltete für ihn die Kirchengemeinde. In Württemberg war möglich, was in der Braunschweiger Landeskirche aus Mangel an Zivilcourage der Kirchenleitung und trotz der Zivilcourage des Paulikirchenvorstandes nicht möglich gewesen war. War es nur ein zeitlicher Zufall, daß am 21. Dezember dieses Jahres 1942 die Kirchenregierung Otto Henneberger den Ehrentitel Kirchenrat verlieh?

Zum Teil 5: Pauligemeinde im Kriege




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