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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Die Geschichte der Pauligemeinde von 1930 - 1960

von Dietrich Kuessner

(Download des gesamten Textes als pdf hier)


Pauligemeinde im Kriege


Der Krieg brachte die deutsche Bevölkerung und Hitler immer näher zusammen, denn die militärischen Siege über Polen und Frankreich versetzten die Bevölkerung auch in Braunschweig in einen rauschhaften Taumel. Ein faschistisches Europa mit Deutschland, Italien, Spanien, Frankreich. Dänemark und Norwegen erschien greifbar nahe. Und es war endlich wieder ein christliches Europa. Mussolini hatte mit dem Vatikan schon früh seinen Frieden gemacht, und nach dem Sieg über Frankreich erklang aus dem Volksempfänger aus kehligen Männerstimmen der bekannte Choral „Nun danket alle Gott“. Sieben Tage lang läuteten in ganz Deutschland und auch von der Paulikirche alle Glocken.

„Kämpfendes Volk und glaubende Gemeinde“ von Henneberger
Pfarrer Otto Henneberger veröffentlichte 1940 einen schmalen Aufsatzband unter dem Titel „Kämpfendes Volk und glaubende Gemeinde“, in dem er seine These vom fruchtbaren Nebeneinander von nationalsozialistischem Staat und lutherischer Kirche auch für die Kriegszeiten bekräftigte.
Er widmete diese Abhandlung seinem im 1. Weltkrieg bei Langemarck gefallenen Bruder Edwin.
Henneberger stellt sich hinter die Lüge vom Verteidigungskrieg. Schon im Parteiprogramm von 1923
waren die Ansprüche auf ein Großdeutschland mit Gebieten jenseits der Reichsgrenzen zum Programm erhoben worden. Das neue Deutschland wäre herausgefordert zum Kampf auf Leben und Tod. Seine Freiheit und seine Ehre wären bedroht. Das waren die schon vor 25 Jahren überholten Phrasen aus dem kirchlichen Rechtfertigungsvokabular des 1. Weltkrieges. Henneberger stellte die Kirche ganz und gar für diese Kriegslage zur Verfügung, denn die letzte Wehrkraft eines Volkes wäre sein Glaube. „Daß mitten im kämpfenden Volke eine wahrhaft glaubende Gemeinde sei, ist ernsteste Notwendigkeit“. Den fünf Überschriften „Der große Verbündete“, „Der Kampfschatz des Glaubens“, „Der Griff nach dem Brot“, „Standhaftes Mannestum – ohne Zorn und Zweifel“, „Schicksalgläubig oder Gottes gewiß?“ ist jeweils ein Bibelwort vorangestellt. Henneberger beendete die Abhandlung mit einem Gesangbuchvers. Sie können als Predigten an Pauli im 2. Kriegsjahr gelesen werden. In glatten Wendungen machte Henneberger den Glauben seiner Gemeinde kriegstüchtig. Der gottgewisse Mensch füge sich nicht in fatalistischer Dumpfheit eines dunklen Schicksals, sondern diene in freudigem verantwortungsvollem Gehorsam der geschichtlichen Stunde, in der Freudigkeit zu Gott. Das hieß nichts anderes, als daß die Gemeinde den verbrecherischen Krieg als „geschichtliche Stunde“ zu bejahen und als Dienst für Gott zu verstehen habe. „Es hat mich tief ergriffen zu hören“, predigte Henneberger, „was über den Heldentod eines Sohnes unserer Gemeinde geschah: Daß sein Kamerad, eh er ihm das Grab grub und ein schlichtes Kreuz darüber stellte, über dem gefallenen Bruder ein letztes Vaterunser betete. So wird das Vermächtnis erfüllt, das hier der Apostel Jesu Christi gab und das der deutsche Feldmarschall Mackensen einer jungen Mannschaft in die Bibel schrieb: Ich will, daß die Männer beten an allen Orten.“ (S. 36) So wurde das furchtbare gegenseitige Morden an der Front mit seinen entsetzlichen zivilen Opfern christlich verklärt. Henneberger verknüpfte den Eroberungskrieg Hitlers mit dem künftigen Erhalt der Kirche. „Dafür, daß im neuen Deutschland wir Christen unseres Glaubens leben können, dafür werden wir zur rechten Zeit selber einstehen, nachdem wir jetzt unsere Pflicht erfüllen in unbedingter Treue zu Volk und Reich und Führer, im Kampf für Deutschland.“ Zu dieser Zeit war bereits klar, daß sein Amtsbruder Goetze nicht mehr ungehindert „seines Glaubens leben“ und diesen verkündigen konnte.

Volkskirche im Kriege
Bis 1941 ging das alltägliche Leben mit den Einschränkungen der rationierten Lebensmittel, den Verdunkelungen der Fenster am Abend, den Vertretungen für die zum Fronteinsatz einberufenen Pfarrer, vor allem aber mit dem Bangen um die eingezogenen Söhne und Väter weiter. Der Krieg war für den größten Teil der Bevölkerung weit weg und fand als Nachricht mit Sondermeldungen im Volksempfänger statt.
Auch das volkskirchliche Gemeindeleben an Pauli ging in Kriegszeiten, teilweise eingeschränkt, weiter, wie die Tabelle der Kasualien anzeigt:

Jahr

Taufen

Trauungen

Konfirmationen

1938

227

106

225

1939

170

80

164

1940

179

72

172

1941

213

75

143

1942

223

74

122


Die Zunahme der Taufziffern während des Krieges ist auffällig. Die Abnahme der Trauziffern ist von der Abwesenheit der Männer in der Heimat beeinflußt. Der Rückgang der Konfirmandenzahl hängt wohl nicht unwesentlich mit dem Einbruch der HJ/BDM Ideologie in das Leben der damalige Jugend zusammen, später auch mit der Evakuierung der Jugendlichen aus der Stadt auf das Land.
Nach privaten Aufzeichnungen von Pastor Schwarze hatte er im Jahr 1940 230 Trauerfeiern abgehalten. Leider gibt es bisher keine für die Braunschweiger Kirchengemeinden aufgeschlüsselten Kirchenaustrittszahlen aus jener Zeit. Die bisher einzige greifbare Ziffer macht indes das Ausmaß der damaligen Kirchenaustritte deutlich. Vom 1.1.-30.1.1939 traten insgesamt allein in der Stadt Braunschweig insgesamt 3.065 Personen, davon 2.086 Männer und 979 Frauen aus der evangelischen Kirche aus. (S 301)
Bezeichnender finde ich folgende Beobachtung: die Kirchenaustritte machten sich bei den Konfirmandeneltern bemerkbar. Von den Konfirmanden des Jahres 1942 waren zwölf und 1943 elf Elternteile oder sogar beide Eltern aus der Kirche ausgetreten waren und als „gottgläubig“ im Konfirmandenregister vermerkt worden. „Gottgläubig“ war die Religionsbezeichnung für aus der Kirche ausgetretene Nationalsozialisten. Trotzdem wollten sie nicht auf die Konfirmation ihrer Kinder verzichten. „Gottgläubige“ Elternteile oder Eltern begehrten mit zunehmenden Kriegsjahren auch die Taufe. Eine Art kirchliche Lebensordnung, die Vorschriften enthielt, unter welchen Bedingungen eine Taufe zu verweigern wäre, gab es nicht. Die Gemeindepfarrer konnten solches Begehren als ersten Schritt zur Annäherung an die Kirche verstehen und nahmen dann die Amtshandlung auch vor.

Der Schrecken des Krieges hatte das Braunschweiger Land und die Stadt lange nicht erreicht. Die letzten veröffentlichten Kirchennachrichten vom Frühjahr 1941 meldeten, daß Gottesdienste, Konfirmandenprüfungen, Passionsandachten wie in Friedenszeiten weitergingen. Auffällig ist die Nachricht, daß am 26. Januar 1941 in der Paulikirche von Pfarrer Blankerts aus Ülzen eine „Deutsch-christliche Gottesfeier“ gehalten wurde. Es war bekannt, daß Pastor Wernsdorff in der Katharinenkirche monatlich diese häretischen Feiern abhielt, die den Versuch der Gleichsetzung von Gottesreich und Drittem Reich und einer entjudaisierten evangelischen Kirche aus den Jahren 1933/34 hartnäckig fortsetzten. Nun hatte die nazifizierte Finanzabteilung in Wolfenbüttel und deren Vertreter in Braunschweig, OLKR Dr. Breust, eine solche Gottesfeier auch für die Paulikirche durchgesetzt. Am Nachmittag um 16.00 predigte Henneberger für die traditionelle Gemeinde. Die Frauenhilfen hörten Vorträge über „Das Jahr der Kirche“, vom Bleckenstedter Propst Strothmann mit Lichtbildern über die „kirchliche Arbeit im Braunschweiger Industriegebiet“, Henneberger behandelte von R.A. Schröder „Ein Kreuzgespräch“, Schwarze sprach über „Unser Glaube ist der Sieg“.

Zum Teil 6: Das Kriegsende 1943 - 1945




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Impressum und Datenschutzerklärung  http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/gesch/Pogromnacht/Pauli_1930-1960.htm, Stand: Dezember 2006, dk