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[Kirche von Unten]

Die Evangelische Kirche und der Russlandfeldzug

von Dietrich Kuessner

(Download des Textes als pdf hier)




Vorwort

Zum 50. Jahrestag des deutschen Überfalls auf die UdSSR veröffentlichte die evangelische Kirche in der BRD und der DDR 1991 eine gemeinsame Erklärung, in der es hieß: „Den Frevel an Land und Menschen, der dem Überfall folgte, wollen wir nicht vergessen und nicht verdrängen. Erinnerung tut not, damit die Wunden wirklich heilen können. Die damaligen Schrecken dürfen sich nicht wiederholen. Mit Scham erinnern wir uns daran, dass im Zusammenhang des 22. Juni 1941 die Kirchen entweder geschwiegen oder unverantwortlich geredet haben.“ Die deutsche Spaltung sei das Ergebnis des von Deutschland ausgegangenen und besonders gegenüber der Sowjetunion grausam geführten Krieges. „Nun haben sowjetische Politiker maßgeblich dazu geholfen, die Spaltung Deutschlands zu überwinden. Ein neues Kapitel der deutsch-sowjetischen Beziehungen hat begonnen. Wir sehen darin auch eine Erfüllung unserer Hoffnung und unserer Gebete, dass eine leidvolle Vergangenheit nicht auf Dauer zwischen den Völkern der Sowjetunion und dem deutschen Volk stehen und dass Vertrauen wachsen wird.“

Das war 1991. Die damals durchaus konkrete Hoffnung auf ein „gemeinsames soziales Haus Europa“ wurde durch das ungebändigte, gierige Kapital zerschlagen. Die beiden Kirchenleitungen erklärten am Ende ihrer Erklärung, „die Verantwortung für eine größeres und soziales Europa zu wecken und lebendig zu erhalten, stelle für die Kirchen eine vordringliche Aufgabe dar.“ Von dieser vordringlichen Aufgabe ist in der deutschen Öffentlichkeit nichts mehr zu spüren.
Auch die gewaltigen politischen und wirtschaftlichen Umbrüche in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion haben das Verhältnis zur deutschen Bevölkerung ganz erheblich verändert. Es hat den Anschein, wir stünden wieder am Anfang. Es versinkt in Vergessenheit, wie die Kirche „geschwiegen und unverantwortlich geredet hat“. „Wir wollen nicht vergessen und verdrängen“, mahnten 1991 die Kirchenleitungen. Ist das nicht schon längst passiert?

Einmal nur blitzte in der Synode der evangelischen Kirche der BRD die fatale Rolle der Kirche im Irrsinn dieses Krieges auf. Es ging um die Bedeutung der theologischen Erklärung von Barmen aus dem Jahre 1984 für die damalige Gegenwart. Der Berliner Friedensforscher und Synodale Theodor Ebert richtete an das Plenum im Kongreßzentrums in Lübeck Travemunde in der Abendsitzung am 5. November 1984 „folgende persönliche Anfrage an Sie alle. Was mich im Zusammenhang mit Barmen eigentlich am meisten bewegt hat, ist, dass die Barmer Erklärung für die Christen in Deutschland keine Anweisung gewesen zu sein scheint, sich dem Kriegsdienst im Heer Hitlers zu verweigern. Trotz der so klaren Aussage der II. Barmer These zu der frohen Befreiung und von dem dankbaren Dienst an seinen Geschöpfen haben die Christen damals den Anpassungszwängen dieser Zeit nicht zu widerstehen vermocht. Sie haben sich nicht nur angepasst und geduldet, sondern sie wurden wirklich zu Killern in Hitlers Armee. Mit dieser Frage werde ich nicht fertig.“ Der Begriff „Killer“ löste bei der Mehrheit im Plenum Bestürzung und Entsetzen aus, obwohl nicht wenige Synodale in Hitlers Wehrmacht „gedient“ hatten. Ebert zog in einem späteren Beitrag seine Wortwahl zurück, nicht die sachliche Anfrage.
Seither sind so entsetzliche Fotos von deutschen Soldaten mit Bildern von aufgehängten und aus allernächster Nähe mit der Pistole erschossenen Zivilisten aufgetaucht, die die Soldaten an ihre Familien zu Hause schickten, dass der Begriff in seiner ordinären Bedeutung von Mordlust gerechtfertigt erscheint.

Die nächste Generation ist erstaunt und fragt, und wir stellen uns mit dieser kleinen Darstellung aus früheren Jahren der oben zitierten Verantwortung, zu erinnern und nicht zu verdrängen.



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