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[Kirche von Unten]

Die Evangelische Kirche und der Russlandfeldzug

von Dietrich Kuessner

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Die Evangelische Kirche zu Beginn des 2. Weltkrieges

Zu Beginn des Jahres 1939 ging es der Deutschen Evangelischen Kirche eigentlich ganz gut. Die Kirchensteuern waren im Vergleich zur Zeit vor 1933 gestiegen, der Kirchbau hatte im Vergleich zur Weimarer Zeit einen Aufschwung genommen, in der theologischen Wissenschaft hatte es wichtige Neuerscheinungen im exegetischen, kirchengeschichtlichen und dogmatischen Fachbereich gegeben, in den Gemeinden erschienen im allgemeinen unangefochten eine Vielzahl von Gemeindebriefen. Mehr als 90% aller Deutschen gehörten nach dem Ergebnis der Volkszählung von 1939 der evangelischen oder katholischen Kirche an. Die volkskirchliche Struktur der evangelischen Kirche war im Allgemeinen unversehrt. Es gab auch Schwierigkeiten innerhalb der Kirche. Es war nicht gelungen, eine von allen Landeskirchen anerkannte Gesamtkirchenleitung durchzusetzen. Das 1933 geplante Projekt einer straff zentral ausgerichteten Reichskirche mit einer Reichssynode war gescheitert. Dadurch behielten aber die Leitungen der 27 Landeskirchen ihr altes, bereits früher unangefochtenes Gewicht. In allen Landeskirchen gab es unterschiedlich starke, miteinander konkurrierende Strömungen: die Bekennende Kirche und die Deutschen Christen. Die große Masse der Gemeinden jedoch hielt sich aus dem Kirchenstreit heraus. In der Zustimmung zur Regierung Hitler aber waren sich alle Kirchengruppen über die Grenzen ihres Kirchenstreites hinweg einig. Unbestritten hatte die Regierung Hitler insbesondere nach dem allseits gefeierten sog. „Anschluß“ Österreichs an das Reichsgebiet die Zustimmung der überwältigen Mehrheit der Deutschen. So wollten also die Gemeindemitglieder beides miteinander verbinden: christlichen, volkskirchlichen Glauben und Gehorsam und Treue zum Hitlerstaat.

Es gab immer wieder Konflikte zwischen dem Glauben und der Loyalität zur nationalsozialistischen Staatspartei, insbesondere zu dem von Alfred Rosenberg geleiteten Parteiflügel. Einige Pfarrer der Bekennenden Kirche waren inhaftiert worden, die Frauenhilfen wehrten sich gegen ihre Eingliederung in die nationalsozialistischen Frauenschaft, die kirchliche Jugendarbeit war auf biblische und kirchliche Themen eingeschränkt, die Gestapo überwachte die kirchliche Tätigkeit und fertigte Berichte über sie an. In den Dörfern besonders spürbar wegen der engen Verhältnisse und in den Städten war neben die gewohnte Führungsschicht (Ratsherr, Lehrer, Arzt, Vereinsvorsitzender, Pfarrer) eine neue Elite getreten: der Ortsgruppenleiter, der HJ – Führer, die BDM Führerin, die Frauenschaftsleiterin. Unverkennbar anders als in der Weimarer Republik war die Atmosphäre im Deutschen Reich unter der Regierung Hitler, aber die meisten Deutschen und ihre Volkskirchen hatten die Einschränkungen in Kauf genommen. Für sie überwogen bis 1939 die Wohltaten der Regierung Hitler die Einschränkungen und Veränderungen bei weitem.

So war es nicht wunderlich, daß beim 50. Geburtstag Hitlers am 20.April 1939 auch die Kirche der „Führer“ mit überschwänglichen Dankadressen, Reden und Geschenken öffentlich geradezu überschüttete. In Gottesdiensten wurde der Person und der Regierungstätigkeit Hitlers gedacht. Die Kirche bekundete damit die vorbehaltlose Zustimmung zum außenpolitischen Kurs Hitlers. Dieser zielte auf die Aufhebung des sog, „Schandvertrages“ von Versailles. Mit dieser Zielsetzung war Hitler bei allen Bevölkerungsgruppen und auch bei der evangelischen Kirche ungeheuer populär.
Ihre Zustimmung hatte die evangelische Kirche seit 1933 immer wieder öffentlich kundgetan: sie hatte den Austritt aus dem Völkerbund im November 1933, die Angliederung des Saargebietes im Januar 1935, den völkerrechtswidrigen militärischen Einmarsch in das entmilitarisierte Rheinland im März 1936, den sog. „Anschluß“ Österreichs im April 1938, des Sudetenlandes im Oktober 1938, den Einmarsch in Prag im März 1939 begrüßt. Aber auch den innenpolitischen Kurs Hitlers hatte die evangelische Kirche, wenn auch nicht mit der gleichen öffentlichen Begeisterung, in wesentlichen Teilen mitgetragen: die Ausschaltung der politischen linken Opposition im Frühjahr 1933, der SA im Sommer 1934, die Einführung der allgemeinen Wehrpflicht im Frühjahr 1935, die Verkündung der Nürnberger Rassengesetzgebung 1935, die schrittweise Zurückdrängung des sog. „jüdischen Einflusses auf das öffentliche Leben“. Die Kirche hatte sich womöglich wider Willen als tragender Pfeiler des nationalsozialistischen Systems erwiesen. Der von ihr immer wieder geäußerte Widerspruch gegen repressive Maßnahmen von Partei und Regierung tastete ihre grundsätzliche Zustimmung zur Regierung Hitlers nicht an. Sie erinnerte den Kanzler vielmehr immer wieder an die der Kirche in der Regierungserklärung im März 1933 mehrfach zugewiesene Rolle als „wichtigsten Faktor“ und „unerschütterliches Fundament“ des Volkes und damit dieser Regierung. Die nationalsozialistische Regierung sei entschlossen, das öffentliche Leben zu entgiften und „die Voraussetzungen für eine wirklich tiefe Einkehr religiösen Lebens“ zu schaffen, hatte Hitler erklärt. Trotz zahlreicher Querelen und Reibereien kann das Verhältnis zwischen Hitlerregierung und der Kirche als notwendiges, unvermeidliches und von unterschiedlicher Sympathiebewegung gekennzeichnetes Nebeneinander charakterisiert werden.

Der Krieg bedeutete, dass nun die Außenpolitik den vollständigen Vorrang erhielt. Ein Abrücken von der Politik Hitlers war nun völlig unmöglich. Damit würde die Kirche in das Lager des auswärtigen Feindes wechseln. Wenn es überhaupt Ansätze für einen prinzipiellen Widerstand gegeben hat, dann blieb er auf Einzelgänger beschränkt. Es entsprach auch nicht dem Bedürfnis der Gemeinde, etwa in dem Widerstand geführt zu werden, sondern die Gemeindemitglieder wollten gesagt bekommen, wie man im nationalsozialistischen Staat als Christ leben kann.

Ende August 1939 kam es auf Veranlassung des Ministers für die kirchlichen Angelegenheiten Hans Kerrl zur Bildung des Geistlichen Vertrauensrates. Er war eine Art vorübergehender, nur für die Kriegszeit installierter Kirchenleitung für die gesamte evangelische Kirche. Er hatte nach eigenem Bekunden die Aufgabe, „diejenigen Entschlüsse zu fassen und diejenigen Maßnahmen zu treffen, die sich aus der Verpflichtung der evangelischen Kirche gegen Führer, Volk und Staat ergeben, und ihren geordneten umfassenden Einsatz zu seelsorgerlichem Dienst am deutschen Volk zu fördern geeignet sind“. Diese Aufgabenstellung machte die Ängste der Regierungsseite deutlich, nämlich dass die Kirche aus der allgemeinen Kriegsordnung herausbrechen könnte. Die Aufgabenstellung des Geistlichen Vertrauensrates bestand in einer möglichst stromlinienförmigen Ausrichtung der Kirche auf die Kriegsziele Hitlers und auf die bei ihrer Durchführung angewandten Methoden. Der Minister für die Kirchlichen Angelegenheiten empfing am 30. August 1939 Landesbischof D. Marahrens, den deutschchristlichen mecklenburgischen Landesbischof Schulz und den Vizepräsidenten der Kirche der Altpreußischen Union Hymmen. Für die Hitlerregierung war damit ein möglicher Unsicherheitsfaktor erfolgreich neutralisiert. Tatsächlich gab es in der Kirche keine grundlegende Diskussion über Rechtfertigung und Notwendigkeit des Krieges.

Während des Polen- und bis zum Ende des Frankreichfeldzuges war es für die evangelische Kirche leicht, Hitlers Krieg zuzustimmen. Sie befand sich auf der Seite des Siegers. Die Zustimmung der Kirche war zwar unterschiedlich dosiert: beim Geistlichen Vertrauensrat groß, bei den deutsch-christlichen Kirchenführern Thüringens, Sachsens, Mecklenburgs, Lübecks noch viel größer, bei den lutherischen Bischöfen vergleichsweise eher zurückhaltender, aber die Kirche setzte die alte Linie der Unterstützung des außenpolitischen Kurses Hitlers fort und fühlte sich im Sommer 1940 darin bestätigt. Die Siegesmeldung von der Kapitulation der französischen Armee im Juni 1940 war im Radio von christlichen Chorälen eingerahmt. Manche wiegten sich in der Hoffnung, dass der Krieg doch begrenzt bleiben würde, zumal das erklärte Ziel, die Beseitigung des sog. „Schandvertrages“ von Versailles, offensichtlich erreicht war. Das vor der Bevölkerung unausgesprochene militärische Ziel Hitlers dagegen war die Niederwerfung der Sowjetunion.



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