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Kapitel 12
Die ökumenische Gemeinde. Das Verhältnis der Landeskirche und des Bischofs zur römisch-katholischen Kirche 1
Die verhärtete Ausgangslage / Das brüderliche Miteinander der Bischöfe Janssen und Heintze / Die Diasporalage der Katholiken in der Braunschweiger Landeskirche / Erste gemeinsame Gottesdienste an der Basis / Holpriger Dialog / Die Diözesansynode in Hildesheim / Weiteres Miteinander an der Basis / Das ökumenische Augsburger Pfingsttreffens 1971 / Der Besuch von Kardinal Willebrands in Wolfenbüttel 1972 / Abkühlung / Bischof Heintze zum Catholica-Beauftragten berufen / Landeskirchliche Ökumenesynode 1978 / Der Ca-tholica-Bericht 1978 / Der Arbeitskreis der gliedkirchlichen Catholica-Beauftragten / Küng und Heintze / Papstbesuch im November 1980 / Gebetswoche für die Einheit der Christen / Mariologie / Wo stehen wir heute?
Die verhärtete Ausgangslage
Um den Wandel im Verhältnis beider Kirche zueinander in den 60er und 70er Jahren zu verstehen, ist eine Erinnerung an die 50er Jahre hilfreich. Beide Kirchen waren sich nicht nur fremd, sondern begegneten sich mit Misstrauen, Vorurteilen, gelegentlich sogar mit Feindschaft. Für die nach dem Krieg zu Tausenden aus dem früheren deutschen Osten hereingeströmten katholischen Flüchtlinge und Vertriebene war die evangelische Bevölkerung in der Region „ungläubig“, in die „Missionsstationen“ eingebaut werden mussten, um sie zu bekehren. Die zahlreichen aus dem Mittelalter stammenden evangelischen Kirchen auf dem Lande und in der Stadt Braunschweig waren ja „eigentlich“ katholische Kirchen, so glaubten und betrachteten sie diese. Alt eingewurzelt war das Vorurteil bei der evangelischen Bevölkerung, Katholiken seien „falsch“. Anfang der 50er Jahre herrschte auch in Landeskirchenamt der Eindruck vor, dass die katholische Kirche in der Landeskirche eine „verstärkte Tätigkeit“ mit der Absicht „größerer Ziele“ entfalte. „Wir wollen auf diese Dinge, die sich zum Teil im Verborgenen abspielen, mehr als bisher achten und ersuchen Sie daher, uns alles zur Kenntnis zu bringen, was auf eine Einflussnahme der römisch-katholischen Kirche sowohl auf dem eigentlich kirchlichen Gebiet, wie auf wirtschaftlichem, politischen, kulturellen u. anderen Gebieten in dieser Richtung geschieht,“ schrieb Landesbischof Erdmann an die Pröpste und versicherte „selbstverständlich Vertraulichkeit“.2 Im September 1954 weihte Kardinal Frings während des Katholikentages auf dem Domplatz in Fulda vor 100.000 Gläubigen ganz Deutschland „dem unbefleckten Herzen Marias“. Das wurde so verstanden, als ob ganz Deutschland „eigentlich“ katholisch werden müsste. Hatte Bischof Erdmann als „das größere Ziel“ befürchtet, dass die Landeskirche einer dauernden Missionstätigkeit seitens der katholischen Kirche ausgesetzt sein würde? So wurde es durchaus als eine Überraschung verstanden, als Heinrich Maria Janssen bald nach seiner Bischofsweihe und Einführung als Bischof der Hildesheimer Diözese 1957 bei Landesbischof Erdmann in Wolfenbüttel einen Antrittsbesuch machte. Da begegnete nicht ein Gläubiger einem Ungläubigen, sondern zwei Bischöfe zweier verschiedener Kirchen in naher Nachbarschaft.
Das brüderliche Miteinander der Bischöfe Janssen und Heintze
Als Heintze Landesbischof wurde, brachte er nach Wolfenbüttel ein gewachsenes brüderliches Verhältnis zum katholischen Bischof Heinrich Maria Janssen mit.3 Und es war Janssen, der diese Beziehung nicht abreißen ließ. Obwohl das vatikanische Konzil noch nicht beendet war, hatte Janssen an der Einführung von Heintze Anfang Oktober 1965 teilgenommen. Das wurde allseits bemerkt und war mehr als eine repräsentative Geste. Es sollte andeuten: es geht zwischen den beiden Kirchen auch nebeneinander und nicht krampfhaft gegeneinander. Zwischen den fast gleichaltrigen Janssen und Heintze stimmte die persönliche „Chemie“. Beide verband das Bewusstsein von der Reformbedürftigkeit ihrer Kirche. Janssen wirkte beim Vatikanischen Konzil in der Kommission zur Reform des Kirchenrechts mit. Manchmal sind es nur Stilfragen, die einen Gleichklang andeuten: Janssen verbat sich die Anrede Excellenz und Heintze die Anrede Hochwürden. Janssen bewohnte nicht mehr einen Palais, sondern ein „Bischofshaus“ und Heintze richtete sich in seiner Wohnung pfarramtlich ein. Manchmal sind es Strukturfragen: Janssen berief als erster eine Synode nach den Prinzipien des 2. Vatikanums ein, für Heintze war die Synode ein Instrument zur Beteiligung der Laien am kirchenleitenden Dienst. Scharf-Wrede stellt die Periode von Bischof Janssen unter die Überschrift „Aufbruch und Veränderung.“4 Das könnte genauso gut für Bischof Heintze gelten. Beide haben in ihrer Dienstzeit immer wieder Signale für ein fruchtbares Nebeneinander ausgesandt. Es wurde als ein Jahrhundert-Ereignis gedeutet, als Bischof Janssen und Bischof Heintze im Braunschweiger Dom anlässlich des 800jährigen Gedenkens von Thomas Becket am 7. Januar 1971 einen gemeinsamen Festgottesdienst hielten, Janssen predigte, und beide erteilten am Ende des Gottesdienstes den 1.300 Gläubigen den Segen Gottes.5 Zur 950 Jahrfeier der Hildesheimer Michaeliskirche, die von Bischof Bernward geweiht worden war, hielten zahlreiche katholische und evangelische Pfarrer mit den Bischöfen Janssen und Heintze am 30. September 1972 einen ökumenischen Gottesdienst. Beide Bischöfe predigten. „Ein eindrucksvolles Bekenntnis zur Ökumene“ überschrieb der Hildesheimer Anzeiger seinen Bericht.6.Janssen predigte über 1. Petrusbrief 2,3-10 von der Gemeinde als den lebendigen Steinen und dem Eckstein Christus. Es gebe keinen anderen Grund für allen Gemeindebau, für die Ökumene, für die Einheit der Christen.7 Zum 1.100 Bestehen des Hildesheimer Domes lud Bischof Janssen die evangelischen Bischöfe Lohse (Hannover), Maltusch (Schaumburg-Lippe) und Bischof Heintze zu einem gemeinsamen Festgottesdienst am 10. Dezember 1972 ein, in dem die drei evangelischen Bischöfe eine Meditation über einen biblischen Text hielten. Nach dem Gottesdienst war ein Beisammensein mit Abendbrot im Bischofshaus.8 Am 25. Juni 1975 feierten Heintze und Janssen sowie die beiden Braunschweiger Pröpste Stange (ev) und Trojok (kath) einen ökumenischen Gottesdienst anlässlich der 700 Jahrfeier der Klosterkirche Riddagshausen. „So werden wir beide wieder einmal Gelegenheit haben, gemeinsam den Dienst der Verkündigung zu tun“, schrieb Heintze an Bischof Janssen.9 Heintze verwies in seiner Predigt auf den Geist Jesu Christi, der frei mache zu einer gleichermaßen positiven wie kritischen Haltung allen geschichtlichen Überlieferungen gegenüber. Das gelte im Blick auf die Väter des Zisterzienserordens wie auf die der Reformation.. „Wir müssen unseren eigenen, eigenständigen Weg in der Nachfolge Jesu finden.“ Der Geist Jesu Christi sei auch die Voraussetzung dafür, dass es trotz aller noch zwischen unseren Kirchen bestehenden Grenzen auf dem Weg zur Einheit vorangehen könne.10 Beim ökumenischen Gottesdienst anlässlich der 850 Jahrfeier des Klosters Walkenried am 18. September 1977 vertrat Weihbischof Machens den Hildesheimer Bischof. Bischof Janssen erschien zum Neujahrsempfang im Januar 1981, auf dem Heintze über den Stand der Ökumene den Festvortrag hielt. Diese zahlreichen gemeinsamen Gottesdienste sollten nicht etwa bedeuten, dass man sich derlei Gemeinsamkeiten an der Basis ersparen könnte, vielmehr ermunterten sie Pröpste und Pfarrer in den Kirchengemeinden, sich gottesdienstlich im Gebet zusammenzufinden. Diese Nachbarschaft war eine Besonderheit jener 60er und 70er Jahre. Beide Bischofe gingen 1982 in den Ruhestand und blieben weiter in persönlicher Verbindung.
Die Diasporalage der Katholiken in der Braunschweiger Landeskirche
In dem Gebiet der Landeskirche gab es durch den Zustrom katholischer Vertriebener aus Schlesien zwei starke katholische Zentren: Braunschweig und Umgebung und das Salzgitter-Gebiet mit je ca. 36.000 Gemeindemitgliedern.11 Daher waren in der Nachkriegszeit unter Propst Frese im Bereich der Landeskirche zahlreiche katholische Kirchen gebaut worden. Dabei spielte auch Konkurrenzverhalten eine Rolle. In Neu Büddenstedt wurde die katholische Barbarakirche als erste im Dorf gebaut, eine evangelische fehlte noch, was nun schleunigst nachgeholt wurde. Ähnlich lagen die Verhältnisse in Salzgitter-Lebenstedt. In der Stadt Braunschweig wurden 10 katholische Kirchen gebaut,12 in Salzgitter-Gebiet insgesamt neun Kirchen13. Weitere katholische Kirchen wurden in Veltheim (1949), Cremlingen (1953), Vechelde (1956), Wendhausen (1962) und Wendeburg (1963), aber auch in Bad Gandersheim, Kreiensen, Seesen, Bad Harzburg, Othfresen errichtet. Neben den Kirchen entstanden Schulen, Kindergärten, Altenheime und andere karitative Einrichtungen in katholischer Trägerschaft. In der unmittelbaren Nachkriegszeit gab es auch Zeichen eines einvernehmlichen Nebeneinanders und viele Kirchenvorstände hatten den katholischen Christen die evangelischen Dorfkirchen zur Verfügung gestellt.14 Daraus ergab sich noch kein gottesdienstliches Miteinander. Man nahm sich eher befremdet gegenseitig zur Kenntnis.
Erste gemeinsame Gottesdienste an der Basis
Zaghaft regten sich aus dem Nebeneinander Formen von Gemeinsamkeiten, z.B. gemeinsame Gebetsstunden. Es war die Idee des Industriepfarrers Erich Warmers und des katholischen Pfarrers Kreutzkamp von der St. Josephskirche zur Erinnerung an den Aufstand der DDR-Bürger am 17. Juni 1953, zu einer Gebetsstunde am 16. Juni 1964 auf den Burgplatz einzuladen. 5000 Christen sprachen ein Gebet für die deutsche Wiedervereinigung. Anlässlich der Gebetswoche für die Einheit der Christen im Januar 1965 luden Warmers und Kreutzkamp zu einer Gebetsstunde für die Einheit der Christen in den Braunschweiger Dom ein. Das Echo war überwältigend. 2.000 Teilnehmer füllten den Dom.15 Nach einem Dankgebet wurde ein Bußgebet gesprochen, in dem es u. a. hieß: „dass wir uns mit unsern christlichen Brüdern so oft mit Überheblichkeit und Engstirnigkeit auseinandersetzen: Herr erbarme dich; dass wir unversöhnlich sind und hart urteilen: Herr erbarme dich; dass wir uns in der Vergangenheit schuldig gemacht haben und noch heute schuldig machen an unserm Bruder in Christus: Herr erbarme dich; dass wir selbstzufrieden sind und stolz dem christlichen Bruder gegenüber und dass wir uns so wenig bemühen, ihn zu verstehen: Herr erbarme dich!“ Dem Bußgebet schloss sich eine Bitte um Erneuerung an, auf die die Gemeinde antwortete: „Erneuere uns, Gott Heiliger Geist“. „Dass wir zusammenstehen im Kampf um die Erhaltung des Friedens unter den Völkern: Erneuere uns, Gott Heiliger Geist“.16 Von dieser Gebetsstunde für die Einheit der Christen unterschieden sich deutlich die Gebetsstunden auf dem Burgplatz für die Wiedererlangung einer deutschen Einheit. 17 So lautete das Gebet bei der von Landeskirchenrat Wandersleb und Pater Gerold O.P. geleiteten „Gebetsstunde für Frieden und Freiheit“ am 16. Juni 1967: „Wir bringen vor Dich die Not unseres Volkes, die Spaltung, das Auseinanderleben, das Schweigen an der Grenze, das Fehlschlagen aller Bemühungen um Wiedervereinigung, die Trennung von Familien und Freunden. Hilf, dass wir beieinander bleiben als Brüder und Schwestern. Um alle Angefochtenen und Leidenden bitten wir Dich: Lass den Tag der Wiedervereinigung bald kommen.“18 Seit Ende der 50er Jahre fanden auch in Gandersheim ökumenische Gebetsstunden abwechselnd in einer katholischen und evangelischen Kirche statt. Das hing von dem jeweiligen konfessionsüberschreitenden Bewusstsein des Ortspfarrers ab.
Holpriger Dialog
Wie holperig und schwerfällig ein Dialog zwischen katholischen und evangelischen Kirchenmännern auch nach dem 2. Vatikanischen Konzil in Gang kam, wurde an einem Disput zwischen dem Moraltheologen Peter Bläser vom Johann-Adam-Möhler-Institut und Bischof Heintze anschaulich. Die katholische Akademie der Diözese Osnabrück Albertus Magnus in Bremen hatte Bläser und Heintze zu einem öffentlichen Streitgespräch im Kapitelsaal der Petri-Domgemeinde am 23.1.1967 eingeladen.19 Heintze sollte auf „Fragen eines katholischen Christen an die evangelische Kirche“ antworten. Das Streitgespräch wurde vom NDR gesendet.20 Bläser fragte, was denn typisch evangelisch sei, wer verbindlich spreche, welche die Grundlagen seien.21 Bläser bedauerte den Stellenwert der Abendmahlspraxis und der Beichte in der evangelischen Kirche, die fehlende Heiligenverehrung und „die radikale Ablehnung jedweder Marienverehrung im Protestantismus.“ Heintze hatte sich die Thesen von Bläser von einem bereits zwei Jahre zurückliegenden gleichen Vortrag in Frankfurt besorgt und seine Erwiderung darauf bezogen. So fehlte seinen Ausführungen die Frische der unmittelbaren Erwiderung. Heintze repetierte ziemlich trocken die dogmatischen Positionen zum Thema „Schrift und Tradition“, hob das bleibende Christuskriterium (solus Christus) gegenüber aller Tradition und die Unumkehrbarkeit von „norma normans“ und „norma normata“22 hervor. Was das kirchliche Amt betreffe, so gebe es, anders als Bläser es darstelle, doch eine beträchtliche Diskussion in der evangelischen Kirche. „Das faktische Bild, das evangelische Gemeinden und Kirchen heute biete, sei in der Tat oft genug trübe, Heintze bedauerte die weitgehende Verkümmerung der Beichte und der Feier des Heiligen Abendmahls und die „Gebetsarmut“, die in der evangelischen Kirche gerade im Vergleich mit der katholischen Kirche oft in Erscheinung trete. Um den Umgang mit der Bibel und um die grundlegende Bibelkenntnis sei es in „unseren Gemeinden vielfach so dürftig bestellt“.23 Heintze spürte nicht, dass im Rahmen eines kontroverstheologischen Streitgespräches solche selbstkritischen Bemerkungen, die vor der Braunschweiger Pfarrerschaft in einer Pfarrkonferenz wohl angebracht gewesen wären, leicht als peinliche Selbstbezichtigungen missverstanden werden konnten. Bezeichnenderweise griff die regionale Presse eben diese Passagen Heintzes auf.24 Heintze fehlte die für ein Streitgespräch zulässige Portion an Polemik und Demagogie. Zu Polemik und Demagogie war er auch sonst während seiner ganzen Bischofszeit völlig unfähig, was ihm in anderen Situationen zu Recht hoch angerechnet wurde. In Bremen fand also 1967 kein Feuerwerk kontroverstheologischer Streitpunkte statt, angereichert mit dem Zündstoff aus den Veröffentlichungen des 2. Vatikanischen Konzils, sondern eher ein Austausch abgestandener Argumente aus der Rüstungskammer des 19. Jahrhunderts. Das war die erste Phase aggressiver Abgrenzung.
Die Diözesansynode in Hildesheim
Einen Schub für katholisch-evangelische Begegnungen bot dagegen die Diözesansynode im Hildesheim 1968/69, die sich als Verlängerung der Anstöße und Anregungen des Vatikanischen Konzils in die Region verstand. Unter großer Beteiligung von stimmberechtigten Laien wurden drei Wochen lang gottesdienstliche, ethische, pädagogische, diakonische, publizistische Fragen diskutiert und Beschlüsse gefasst. Die synodale Kommission für Glaubensverkündigung und Ökumenismus behandelte auch Fragen des katholisch-evangelischen Verhältnisses. Die Synode beschloss folgenden Text: „Wo immer es möglich ist, möge von den katholischen Christen – Priestern und Laien – die Begegnung mit den Brüdern und Schwestern der anderen Kirchen gesucht werden. Es genügt nicht mehr, dass wir als Christen bloß freundlich nebeneinander leben. Wir halten es für geboten, offen und unbefangen, ohne Aufdringlichkeit, aufeinander zuzugehen“25 Das war ein weitreichender Beschluss. Er sprach den Partner als Kirche an, er verzichtete auf den missionarischen Gestus. Ich finde in der Braunschweiger Landeskirche keine Reaktion auf die kräftige Anregung des Aufeinanderzugehens. Als Beispiel des Aufeinanderzugehens kann die Wirksamkeit des Jesuitenpaters Dr. Joop Bergsma verstanden werden, der 1963 eine Abhandlung über die Reform der Messliturgie von Johannes Bugenhagen veröffentlicht hatte.26 Bergsma war Dozent für Liturgik und Ökumene am Priesterseminar in Hildesheim und später Dechant des Dekanats in Göttingen und danach in Hannover. Er hielt eine Übereinkunft über das Verständnis des kirchlichen Amtes für möglich und hatte vorgeschlagen, dass eine römisch-katholische Teilkirche Mitglied des Ökumenischen Rates werden sollte. Er leitete zeitweise das Bildungshaus in Goslar. Pfarrer Klaus Jürgens lud Bergsma anlässlich eines Kirchenfestes der Braunschweiger Jakobigemeinde 1967 zu einem Gemeindeabend ein, auf dem beide über das Lutherbild in ihren Kirchen referierten. 1970 referierte Bergsma in der Bugenhagengemeinde über das Verhältnis beider Kirchen zueinander und stellte zur Verblüffung der Zuhörenden fest, dass die dogmatischen Unterschiede auf der Ebene der Theologen leicht zu überwinden seien, dagegen in den Kirchengemeinden große Probleme aufkämen.27 Bergsma war ein Beispiel für die enorme Anschauungsbreite in der katholischen Kirche. Sein Urteil stellte sich mit der Zeit als falsch heraus. Es war die auf der Ebene der Theologen versuchte Konsenstheologie, die scheiterte, und die für das Miteinander in den Kirchengemeinden bedeutungslos war.
Weiteres Miteinander an der Basis
Große Aufmerksamkeit fanden in der Öffentlichkeit die ersten ökumenischen Trauungen Anfang der 70er Jahre in evangelischen wie katholischen Kirchen. Sie wurden von den Gemeinden als ein gemeinsames gottesdienstliches Handeln an den Eheleuten empfunden. Dogmatische Unterschiede im Sakraments- und Eheverständnis traten demgegenüber in den Hintergrund. Die Presse berichtete meist mit Bild; „Erste ökumenische Trauung in Bad Gandersheim“.28 Ökumenische Trauung in der evangelischen Kirche in Bornum bei Pfarrer Schmidt und in der katholischen Kirche St. Marien in Königslutter mit P. Schmidt und Pfarrer Georg Elbracht und Pfarrer Schmidt gemeinsam.29 Wachsende Bedeutung erlebte der Arbeitskreis der Catholica-Beauftragten der Landeskirchen, die sich seit 1957 zum Gespräch und zur Bearbeitung von Anfragen trafen. Die Braunschweigische Landeskirche war in diesem Kreis durch Pfarrer Klaus Jürgens vertreten, der dieses Aufgabe auch als Propst wahrnahm. Dieser Dienst wurde zunächst von der kirchlichen Öffentlichkeit nicht aufmerksam wahrgenommen, zumal Jürgens auch nicht aufgefordert wurde, schriftlich der Landessynode zu berichten. Es gab in der Propstei Braunschweig gemeinsame katholisch-evangelische Pfarrertreffen. Am 27.1.1971 behandelten auf einer gemeinsamen Pfarrkonferenz insgesamt 64 Geistliche mit ihren Pröpsten Franz Frese und Siegfried Stange das Thema „Die konfessionsverschiedene Ehe heute“. Sachreferate hielten Prälat Dr. Paul Wesemann, Münster und Pfarrer Klaus Jürgens.30 Propst Herdieckerhoff berichtete der Propsteisynode Vorsfelde im März 1971 von einer „guten Zusammenarbeit mit katholischen Gemeinden“. Die Zahl der gemeinsamen Zusammenkünfte sei groß.31 Landeskirchenrat Wandersleb hatte über „Geschichte und Arbeit des Ökumenischen Rates“ referiert. Die bisherigen gemeinsamen Treffen meist auf Pfarrersebene gipfelten in einem ersten gemeinsamen Kirchentag, in dem nun die Laien die große Mehrheit bildeten.
Das ökumenische Augsburger Pfingsttreffen 1971
Zu einer deutliche Irritation führte es, als die Kirchenbasis auf die offiziöse Bischofsebene stieß.32 Vom 2.-5. Juni 1971 fand in Augsburg das erste ökumenische Treffen von katholischen und evangelischen Christen statt, Im Vorfeld des Pfingsttreffens wurde von verschiedenem Gruppen die Forderung nach einem gemeinsamen Abendmahl erhoben. Der Kölner Kardinal Höffner lehnte solche Ansinnen strikt ab und zwar auch für konfessionsverschiedene Ehepaare.33 Freundlicher erschien das ökumenischen Klima in Hannover, als am Pfingstmontag Lilje und Janssen in der Hannoverschen Marktkirche einen ökumenischen Gottesdienst hielten und bei dieser Gelegenheit das in Zukunft gemeinsame apostolische Glaubensbekenntnis in Gebrauch nahmen. Beide predigten, und das 1. Fernsehen übertrug den Gottesdienst am Pfingstmontag.34 Auch an den Tagen in Augsburg werde man das Wehen des Heiligen Geistes erfahren, meinte Janssen während seiner Predigt aufmunternd. Gottes Geist führe zu neuen Wegen, sie zu beschreiten, erforderte Mut und Kraft, ein hohes Maß an Vertrauen und ein Rechnen auf seine (des Geistes) Hilfe. Von diesem Vertrauen auf der kirchenleitenden Ebene war in Augsburg indes wenig zu spüren. Das zur gleichen Zeit gefeierte Pfingsttreffen stand eher unter misstrauischer Beobachtung einiger Kirchenleitungen. Was würde passieren? Das ökumenische Pfingsttreffen war verglichen mit der üblichen Teilnehmerzahl der Kirchentage mit 8.270 Dauerteilnehmern schlecht besucht. An der Schlussveranstaltung im Augsburger Fußballstadion nahmen etwa 18.000 Personen teil, darunter auch Gruppen aus der Braunschweiger Landeskirche. Bischof Heintze hatte für die Teilnahme im Rundbrief geworben. Es waren vor allem die sehr jungen Teilnehmer, die die zahlreichen Resolutionen inhaltlich bestimmten. In der Arbeitsgruppe „Gottesdienst“ wurde gefordert, alle Christen in ihren Kirchen zum Abendmahl zuzulassen, die Konfessionsverschiedenheit nicht als Hindernis zu betrachten, jede Diskriminierung der konfessionsverschiedenen Ehe zu vermeiden, die Teilnahme an einem evangelischen Gottesdienst möge als Anerkennung der katholischen Sonntagspflicht angesehen werden. Alle zwei Jahre sollte ein solches ökumenisches Treffen durchgeführt werden. In einem weiteren Arbeitskreis wurde eine gemeinsame Arbeitsstelle für die Beratung von Kriegsdienstverweigerern und die Unterstützung des Antirassismusprogrammes der Ökumenischen Rates empfohlen.35 Im Arbeitskreis „Christliche Gemeinde“ wurde vorgeschlagen, in der Ortsgemeinde Christenräte zu gründen, die auf das Konfessionssignal verzichteten. Sie wollten „sich durch Information und Kooperation gegenseitig Lebens- und Glaubenshilfe geben“ und gemeinsame Gottesdienste feiern. Kirchenbauten sollten gemeinsam geplant werden. Die Anregung zu ökumenischen Gemeindezentren fiel auf fruchtbaren Boden. Schon sieben Jahre später gab es in der Bundesrepublik 25 ökumenischen evangelisch/katholische Gemeindezentren.36 Die Christenräte sollten mit Finanzhoheit ausgestattet werden. Es habe im Arbeitskreis der „entschiedene Wille“ geherrscht, auf dem Wege der Einheit auch notfalls gegen den Widerstand der Kirchenleitungen vorwärts zu gehen.“37 Vor einer Kirche wurden Luftballons verteilt mit der Aufschrift „Katholisch – Einstich hier“, „Evangelisch – Einstich hier“. Als besonderes Ärgernis empfanden die Kirchenleitungen die gemeinsam durchgeführten Abendmahlsgottesdienste, unbelastet von der Frage nach der dogmatischen correctness. Die gemeinsame Feier sah von sperrigen Bekenntnisformeln im Glauben an die Gegenwärtigkeit des Herrn beim gemeinsamen Hören und Essen ab. In einem Abendmahlsgottesdienst ging wegen der riesigen Beteiligung das Brot aus, die Feiernden erhielten schließlich nur Wein. In der evangelischen Johanniskirche fand eine „Gottesdienstfeier“ mit Abendmahl statt. Pater Leppich verließ entsetzt einen katholisch-evangelischen Gottesdienst, den seine von ihm ins Leben gerufene „action 365“ durchführte. Die Interkommunionsgottesdienste hätten mehr Aufsehen erregt als die 131 Resolutionen, berichtete Gottfried Niemeier im Kirchlichen Jahrbuch.38 Die Resolutionen der Arbeitsgruppen waren mehr als Absichtserklärungen der Teilnehmer, die lediglich deren Selbstvergewisserung dienen sollten, sondern wurden bei der Schlusskundgebung vorgelesen. Die Teilnehmer erwarteten ein Antwort. „Ökumene – jetzt zu Hause“ war für viele die aktuelle Devise.39 Die Forderungen waren plakatiert „Interkommunion jetzt“ und „Interkommunion – warum nur heimlich?“ lauteten zwei Spruchbänder im Rosenaustadion.40 In dem von Prof. Joop Bergsma, Hildesheim, verfassten Text, der im Stadion vorgelesen wurde hieß es u.a.: „Die Arbeitsgruppe bittet mit großer Mehrheit ihrer Teilnehmer, dass es in jeder christlichen Kirche jedem Christen, der der Einladung des Herrn folgen will, möglich sein soll, an der Kommunion teilzunehmen; falls er einem andern Bekenntnis angehört, darf er als Gast teilnehmen. Die christlichen Kirchen sollen auf ein Verbot verzichten, das ihre Glieder von der Kommunion in einer anderen Kirche abhält. Die Teilnahme als Gast bei der Abendmahlsfeier erlaubt eine brüderliche Gemeinschaft, ohne dass die Kirchen und der Einzelne gezwungen sind, von ihrem Verständnis des Sakramenters etwas preiszugeben. Eine knappe Mehrheit richtet an die römisch-katholischem und die evangelischen Synoden und Kirchenleitungen die weitergehende Bitte, ihre Glieder gegenseitig zu einer offenen Kommunion zuzulassen.“41 Visser ’t Hooft, Ehrenpräsident des ÖKR, hielt die Predigt. Die Kirchen müssten endlich lernen, dass es um die gemeinsame Sache des Gottesreiches gehe und nicht um die Existenz einzelner Kirchen oder Konfessionen und auch nicht, um so viel Prestige und Macht wie möglich zu retten. Die Teilnehmer sollten nicht warten, bis die Kirchen ihre volle ökumenische Gemeinschaft gefunden haben, sondern sofort vor Ort anfangen, einander anzunehmen, wie Christus uns angenommen hat.42 Das war die biblische Losung für das Pfingsttreffen gewesen. Von den folgenden kurzen Schlussansprachen des Kardinals Döpfner und des Ratsvorsitzenden Dietzfelbinger gingen dagegen keine weiterführende Impulse für ein nächstes ökumenisches Pfingsttreffen aus, weil ihnen die kirchenamtliche Kontrolle über die Ereignisse entglitten war. Die Teilnehmer spürten die in ihren Bekenntnissen eingefangenen Kirchenführer.43 Die von Augsburg ausgehenden Mahnungen zur Geduld und die altväterlichen Warnungen vor Übereilung waren von der Angst besetzt, die künftige ökumenische Zusammenarbeit nicht mehr „im Griff“ zu haben.44 Bischof Heintze dagegen kam immer wieder auf das Augsburger Treffen als Vorbild für weitere ökumenische Kirchentage zu sprechen, zuletzt bei seinem letzten Neujahrsempfang 1981.45 Jene Warnungen wurden jahrzehntelang fortgesetzt und produzierten eine Stagnation, die erst 30 Jahre später bei den weiteren ökumenischen Kirchentagen 2003 in Berlin und 2010 in München aufgebrochen wurde. Da war das ökumenische Pfingsttreffen in Augsburg längst vergessen. Die Teilnehmer wähnten sich fälschlicherweise bei einem ersten katholisch-evangelischen Kirchentag.
Der Besuch von Kardinal Willebrands in Wolfenbüttel 1972
Es gab auch Impulse auf der Ebene der Pfarrkonvente. Einen herausragenden Höhepunkt bildete in der Landeskirche der Besuch von Johannes Kardinal Willebrands in Wolfenbüttel am 17. März 1972. Willebrands war der Präsident des Sekretariats für die Einheit der Christen. Außer ihm weilte zu gleicher Zeit der Direktor des Institutes des Lutherischen Weltbundes für ökumenische Forschung in Strassburg Prof. Wilmos Vajta, in Wolfenbüttel. Zwischen dem Weltbund und dem Einheitssekretariat hatten erste Gespräche stattgefunden, die Willebrands als „erste Ergebnisse des ökumenischen Dialogs“ bilanzierte.46 Beide hielten in der Herzog August-Bibliothek vor einem großen gemeinsamen Konvent katholischer und evangelischer Pfarrer und kirchlicher Mitarbeiter Referate, Vajta über „Die Zukunft des ökumenischen Dialogs“ und Willebrands über „Der ökumenischen Dialog heute.“ Vajta referierte vor allem über den sog. Maltabericht, der 1971 fertiggestellt, den Titel trug „Das Evangelium und die Kirche“. Der Maltabericht ergab Übereinstimungen im Verständnis des Evangeliums und teilweise auch in der Frage der Rechtfertigung, hingegen keine in der Frage des Amtes und der Interkommunion. Klaus Jürgens empfahl den Amtskonferenzen der Landeskirche, den Maltabericht durchzuarbeiten.47 Willebrands referierte über Gespräche des Vatikans auch mit der anglikanischen und den orthodoxen Kirchen. Die Suche nach der „vollen Einheit“ sei vielfach und sehr verschieden. Das Ziel aber sei immer und für alle das Gleiche, die Verwirklichung der von Christus gewollten und heiß erflehten Einheit aller, die an ihn glauben, Einheit, so wie wir mit ihm eins sind.“48 Die Absicht dieses Treffens, an dem 150 Mitarbeiter beider Kirchen teilnahmen, formulierte Bischof Janssen: nämlich „auch auf gemeindlicher Ebene die Anstrengungen um einen ständigen Dialog zu verstärken, der letztlich zur Einheit führen müsse“.49 „Der ökumenische Gedanke muss Bewegung bleiben“ hatte der SONNTAG seinen ganzseitigen Artikel überschrieben.50 Das war im engen Raum der Braunschweiger Region ein sehr starkes Signal, evangelisch-katholische Gespräche in den Kirchengemeinden aufzunehmen oder zu intensivieren. Am Abend desselben Tages feierten die Teilnehmer im Braunschweiger Dom eine ökumenische Vesper, zu der die gleichzeitig im Katharinengemeindesaal tagende Landessynode ihre Sitzung unterbrach, um an diesem Jahrhundertereignis teilzunehmen. Erstmals seit der Reformation nahm ein Kardinal aus Rom an einem Gottesdienst im Dom teil.51 Für die Landeskirche und auch für Bischof Heintze war es der strahlende Höhepunkt seiner bisherigen Bemühungen um gut nachbarschaftliche Verhältnisse zur katholischen Kirche.52 Die Landesynode beschloss am 18. März, die ökumenische Fassung des apostolischen Glaubensbekenntnisses in der Landeskirche einzuführen. An diesem Wochenende erschien ein ganzseitiges Interview eines katholischen Journalisten von der Hildesheimer und Osnabrücker Kirchenzeitung mit dem Hannoverschen Landesbischof Lohse, der eine organisatorische Vereinheitlichung nur in der Mitgliedschaft der katholischen Kirche beim Ökumenischen Rat der Kirchen sah. Die Ökumene sei „auf dem Weg zur Einheit in der Vielfalt“.53 In seinem Lagebericht vor dieser Synode würdigte Heintze den historischen Besuch und drängte dann auf eine „Ökumene vor Ort“, wie sie von den sechs Arbeitsgruppen des ökumenischen Augsburger Pfingsttreffens 1971 gefordert worden sei.54
Die Gebetswoche für die Einheit der Christen
Ein Versuch, das Miteinander der katholischen und evangelischen Christen vor Ort zu fördern, war die Gebetswoche für die Einheit der Christen in der letzten Januarwoche. Es war in der Landeskirche nicht einfach, diesen Anlass zur alljährlichen Sitte werden zu lassen, wie sich etwa der Weltgebetstag der Frauen, und zwar zunehmend ökumenisch, eingebürgert hatte. Das hing auch von dem guten Willen der jeweiligen katholischen und evangelischen Stelleninhaber ab. In Braunschweig hatte sich ab 1966 ein Gesprächskreis evangelischer und katholischer Pfarrer gebildet, an dem regelmäßig die katholischen Pfarrer Urbainczyk, Heilig Geist, Lehndorf und Pfarrer W. Assmann, Stöckheim sowie die evangelischen Pfarrer Henje Becker, Konrad Beyer, Ulrich Hampel, Eckehard Müller, Gottfried Zimmermann, Peter Gennrich, H.P. Meyer, Barbara Berg teilnahmen. „Die Themen waren recht unterschiedlich, neben gelegentlichen Bibelarbeiten wurden Texte des Vaticanum, das Maltadokument, Texte über das Herrenmahl, das kirchliche Amt durchgearbeitet.“ Jeweils Ende Januar trafen sich zu Beginn der ökumenischen Gebetswoche seit 1968/69 Vertreter der Kirchengemeinderäte und Kirchenvorstände zum gegenseitigen Kennenlernen, beginnend mit einem Gottesdienst jeweils abwechselnd einmal in einer evangelischen und in einer katholischen Kirche. Inzwischen hatten die Gemeinden auch Ökumenebeauftragte berufen, und es wurden monatliche ökumenische Vespern in Ägidien und Katharinen gefeiert. Propst Frese und Propst Jürgens hatten einen regelmäßigen Treff von Pfarrern und Kirchenvorstehern aus allen Kirchengemeinden zu Beginn der Gebetswoche vereinbart. Zur dritten gemeinsamen Pfarrkonferenz trafen sich 61 Teilnehmer zum Gespräch über den Gottesdienst- und Sakramentsverständnis. Es referierten Prof. Petri vom Adam-Möhler-Institut und LKR Volkmar Herntrich. Während Propst Franz Frese als freundlicher, nach dem Eindruck von Propst Klaus Jürgens aber theologisch auf Abgrenzung bedachter Kirchenführer galt,55 war sein Nachfolger für die Ökumene sehr aufgeschlossen.56 Propst Wolfram Trojok war Schlesier, nach der Flucht in Hamburg aufgewachsen und 1973 Stadtdechant für die Propstei Braunschweig geworden. Mit ihm wurden diese Treffen verstärkt weitergeführt. Sie wurde mit einem ökumenischen Gottesdienst mit abwechselnden Predigern eröffnet, 1974 predigte Pfarrer Gottfried Zimmermann in der Ägidienkirche vor 500 Besuchern, und dann wurden theologische Fragen diskutiert. Am 31. Januar 1977 predigte im Dom der katholische Pfarrer Alfred Merten Es gebe ein „gutes ökumenisches Klima“, stellte Jürgens fest und wies auf einen monatlich tagenden ev./kath. Arbeitskreis hin. Propst Trojok erhielt nach seinem 25jährigen Ortsjubiläum die Auszeichnung eines Ehrenkapitulars für seine Bemühungen um die Ökumene in der Stadt. 2001 ging er 70-jährig in den Ruhestand und verstarb mit 71 Jahren.
Abkühlung – Kritik Heintzes an der Erklärung „Mysterium ecclesiae“ und der „Fall Küng“
In seinem Lagebericht im März 1974 würdigte Bischof Heintze vor der Landessynode manche bemerkenswerte Fortschritte auf regionaler und lokaler Ebene.57 Die Weltgebetstage würden selbstverständlich ökumenisch begangen und die ökumenische Gebetswoche durchgeführt. Die katholische Kirche sei offiziell Mitglied der Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in der Bundesrepublik geworden. Dann aber kritisierte Heintze die überregionale Entwicklung scharf. Die aufkeimenden ökumenischen Beziehungen hatten 1973 einen herben Rückschlag durch eine Erklärung der römischen Kongregation für Glaubensfragen vom 24. Juni „Mysterium ecclesiae“ erlitten. In dieser Erklärung wurde die römisch-katholische als die „einzige“ christliche Kirche bezeichnet und der Unfehlbarkeitsanspruch der Kirche als Ganzes wie des Lehramtes doktrinär behauptet. Sie war 1970 ausgelöst durch die Arbeit von Prof. Hans Küng über die Unfehlbarkeit des Papstes, die er durch die Unfehlbarkeit der Kirche ersetzte. Auf dieser Basis hielt er eine Verständigung in der katholischprotestantischen Kontroverse für möglich und setzte dabei eine Kirche voraus, „die an der Präsenz des Geistes, an der Verkündigung des Wortes, an der Gemeinschaft der Glaubenden, nicht aber an infalliblen Sätzen hängt.“58 Visser ’t Hooft hatte bei der Lektüre das Gefühl, eine Atombombe in der Hand zu haben. „Wenn diese Gedanken im Katholizismus aufgenommen werden, dann wird eine total neue Situation entstehen.“ Dann werde der Protestantismus keinen wichtigen Grund mehr zum Protestieren haben. Die Entwicklung lief jedoch in die entgegengesetzte Richtung. Küng wurde 1979 die Lehrbefugnis entzogen. Heintze nannte vor der Landessynode die Erklärung „Mysterium ecclesiae“ aus der Vatikanstadt unverblümt eine „bewusste, gezielte Bremsaktion“.59 Das war entsprechend seiner zurückhaltenden Diktion schon eine energische Zurückweisung. Die Erklärung hatte auch in den Reihen der katholischen Kirche Kritik und Enttäuschung hervorgerufen. Als eine Bremsaktion konnte auch die Arbeit von Heinz Schütte „Amt, Ordination und Sukzession“ Düsseldorf 1974 gelesen werden. Schütte hatte sich mit dieser Arbeit bei Ratzinger habilitiert, der damals in Münster eine Professur innehatte. Schütte hielt eine Verständigung über das Amtsverständnis nur mit konfessionalistisch gebundenen Lutheranern für möglich. Dabei erörterte er am Ende der Arbeit auch Formen der Anerkennung der Ämter, z.B. indem die katholischen und evangelischen Bischöfe unter Anrufung des Geistes und in der Intention der Buße, der Versöhnung und der Bitte an Gott, er möge jedem zuteil werden lassen, was ihm fehle, einander gegenseitig die Hände auflegen.60 Ein anderer Vorschlag ging dahin, der Papst möge unter Handausstreckung mit der entsprechenden Intention vermutlich vom Balkon seiner Gemächer einen Hoheitsakt vollziehen. Was hier krampfhaft von den Universitätstheologen zusammengedacht wurde, wurde vor Ort bei jedem ökumenischen Traugottesdienst für die feiernde Gemeinde längst zur Gewissheit: zwei Kirchen, aber ein Amt, eine Gemeinde, in der jeder jeden annimmt.
Es fehlte in den kirchenleitenden Gremien, auch in der Braunschweiger Landeskirche, der Mut, auf dem von den Gemeinden geebneten Weg dem dort gegenwärtigen Christus zu folgen und voran zu schreiten. Stattdessen diagnostizierte Bischof Heintze im Rundbrief Januar 1975 wieder mal eine Verhärtung auf Seiten der katholischen Kirchenleitungen: „Erst recht haben sich auf römisch-katholischer Seite die Widerstände gegen jegliche, wenn auch noch so eingeschränkte wechselseitige Zulassung zum Heiligen Abendmahl in jüngster Zeit eher neu verhärtet. Wir müssen respektieren, dass zu geistlicher Gemeinschaft niemand gegen sein Gewissen gezwungen werden kann. Man kann immer nur zur Gemeinschaft einladen und darum bitten und sich selber dazu bereit finden. Gerade die Erfahrung der Güte Gottes, wie sie uns in Jesus Christus begegnet, sollte uns aber in solcher beharrlichen und geduldigen Bereitschaft stärken und vor Resignation bewahren.“61
Bischof Heintze zum Catholica-Beauftragten berufen – eigene Akzente auf der Generalsynode in Bückeburg 1976
In dieser Zeit der sich abkühlenden Beziehungen wurde Heintze 1976 als Nachfolger von Bischof Dietzfelbinger von der VELKD Kirchenleitung in das Amt des Catholica-Beauftragten der VELKD berufen. Es gab zwei Catholica. Beauftragte, einen von der EKD und einen von der VELKD. Die katholische Kirche konnte sich aussuchen, mit wem sie verhandeln wollte; am liebsten mit dem von der VELKD, denn die EKD war in ihren Augen reformiert-unionistisch verdorben. Heintze, der die kirchenpolitische Nähe zur EKD suchte und das Zustandekommmen der Leuenberger Konkordie kräftig unterstützt hatte, verstand sich selber nicht als lupenreiner Lutheraner. War er der geeignete Catholica-Beauftragte? Andrerseits hatte Heintze schon seit seiner Hildesheimer Zeit ein Herz für katholische Fragen und war am Abbau kontroverstheologischer Fragen interessiert und engagiert. Heintze setzte noch auf der Generalsynode in Bückeburg 1976 umgehend eigene Akzente. Landesbischof Lohse war in seinem Bericht als Leitender Bischof vor der Generalsynode in Bückeburg im Oktober 1976 ausführlich auf die ablehnende Haltung der katholischen Kirche zum Angebot einer gastweisen Öffnung der evangelischen Abendmahlsfeier für katholische Christen eingegangen.62 Die Generalsynode in Kiel hatte ein Jahr vorher eine „Handreichung“ zu dieser Frage verabschiedet, nach der eine wechselseitige Teilnahme an der eucharistischen Feier möglich sei, ohne dass dadurch ein Übertritt zur anderen Kirche erfolge. Die katholische Kirche warnte daraufhin nicht nur katholische Christen vor der Teilnahme an evangelischen Abendmahlsfeiern, sondern verbat sich auch die Teilnahme von evangelischen Christen an katholischen Abendmahlsfeiern, wie sie längst von konfessionsverschiedenen Ehepaaren praktiziert wurde. Lohse bedauerte auch die neue gottesdienstliche Leseordnung in der katholischern Kirche, die von einer Jahrhunderte alten Tradition abwich, wie sie dagegen in der evangelischen Kirche noch beibehalten worden war. „Leider haben die Entscheidungen, die in den katholischen Diözesen getroffen wurden, weithin Fakten geschaffen, die nur noch sehr schwer zu ändern sind.“63 Das war Heintze alles viel zu negativ, so richtig die Beschreibungen Lohses gewesen waren. Er eröffnete die Aussprache über den Lagebericht des Bischofs mit einem längeren Beitrag, in dem er sich als neuen Catholica-Beauftragten vorstellte und darum bat, „auf alle Zeichen zu achten, in denen auch auf katholischer Seite das Verlangen nach spürbaren Fortschritten in der ökumenischen Begegnung erkennbar ist.“64 Damit hatte Heintze den leitenden Gesichtspunkt für alle zukünftigen, von ihm verantworteten Catholica-Berichte genannt. Er nannte im Folgenden einen Aufsatz von Paul Werner Scheele in der Ökumenischen Rundschau65 und mahnte vor allem eigene Anstrengungen für einen fruchtbaren Dialog durch eine vertiefte Abendmahlpraxis an.
Der Catholica-Bericht 1977
Der Generalsynode in Bad Gandersheim im Oktober 1977 gab Heintze seinen ersten Catholicabericht und hielt sich eng an seine Devise, vor allem die Anzeichen einer Annäherung in der katholischen Kirche wahrzunehmen, und die mangelnde ökumenische Bereitschaft in der eigenen Kirche zu bedauern.66 Die Lage habe sich seit 1928, als der Vatikan in seiner Enzyklika „Mortalium animos“ eine scharfe Absage an die junge Ökumenischen Bewegung formuliert hatte, völlig verändert: Bei der Weltkirchenkonferenz in Uppsala hatten katholische Theologen mitgearbeitet, Papst Paul VI hatte an alle Kirchen der Welt eine Vergebungsbitte gerichtet, die leider von der lutherischen Kirche nicht beantwortet worden sei, Weihbischof Scheele sei ein engagierter Ökumeniker und die Schrift Ratzingers „Dogma und Verkündigung“ enthalte Passagen, die sich „aufs engste mit zentralen evangelischen Grunderkenntnissen“ berühren.67 Dann nannte Heintze jene Kommissionen, die ökumenische Arbeiten vorgelegt hatten, nämlich den Malta-Bericht von 1971 unter dem Thema „Das Evangelium und die Kirche“, und eine amerikanische Gruppe mit einer Arbeit über eine Art Anerkennung des Primates des Papstes, an die Heintze aber grundlegende Fragen stellte. Er hielt die Berufung auf Mt 16 für das Papsttum exegetisch für falsch und einseitig, weil die folgende Verurteilung Petrus als Satan ausgeblendet werde, außerdem sei die Unfehlbarkeitsfrage nicht behandelt worden. Dann beschäftigte sich Heintze ausgiebig mit der von Kardinal Ratzinger gelegentlich geäußerten Idee einer Anerkennung der Confessio Augustana.68 Heinz Schütte, inzwischen auch mit dem Einheitssekretariat in Verbindung, äußerte als katholischer Gast bei der Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes im Juni 1977 diese Absicht, in volle kirchliche Gemeinschaft als Schwesterkirchen einzutreten.“69 Die Vollversammlung des Lutherischen Weltbundes in Dar-es-Salaam begrüßte in einer Resolution diese Initiative und erklärte sich bereit mit der katholischen Kirche in einen Dialog einzutreten.70 Heintze stellte allerdings eine Serie von Fragen: Was „Anerkennung der CA“ nun praktisch bedeuten würde, Schütte hatte geäußert, man wolle auch in wechselseitige volle gottesdienstliche Gemeinschaft eintreten, aber Heintze fragte nach den theologischen Vorarbeiten und Voraussetzungen für eine solche Gemeinschaft. Die brüske Ablehnung einer auch nur gastweisen Zulassung zum Abendmahl wies in die entgegengesetzte Richtung. Abschließend begrüßte Heintze den vollständigen atmosphärischen Wandel in den Beziehungen zwischen beiden Kirchen. Er sollte sich gründlich täuschen. 35 Jahre später ist in den Grundfragen keine spürbare Veränderung erkennbar. In einem Ausblick am Ende seines Berichtes benannte Heintze viele noch bestehende Schwierigkeiten, Ermüdungserscheinungen in den Kirchengemeinden, drängte jedoch: „Wo immer wir im ökumenischen Gespräch Stillstand oder gar Rückschritte wahrzunehmen meinen, dürfen wir nicht ablassen, miteinander und füreinander um die Wiederherstellung der Einheit aller Christen zu beten“71 Heintze war in dieser Frage seit seinem ersten Vortrag 1964 noch in Hildesheim in der Illusion einer „Wiedervereinigung der Kirchen“ befangen. Eine „Einheit von Christen“ hatte es in der bisherigen Geschichte der Kirche nie gegeben. Sie war als Verheißung in Jesus Christus zwar vorgesetzt, aber nie derart Realität, dass sie „wiederhergestellt“ werden könnte. Bei einer Tagung mit katholischen Bischöfen im November 1976 wiederholte Bischof Heintze diese unhistorische und destruktive Zielvorstellung einer „Wieder“vereinigung der Kirchen.
Landeskirchliche Ökumenesynode 1978
Heintze hatte auf den überregionalen Konferenzen immer wieder die Notwendigkeit der Vernetzung des ökumenischen Gedankens mit den Ortsgemeinden betont. Diese Vernetzung sollte während der Landessynode im Mai 1978 mit dem Schwerpunkt „Ökumenische Verantwortung der Ortsgemeinde und der Regionalkirche“ bearbeitet werden. Auswärtige Referenten behandelten die Aufgaben des Ökumenischen Rates und des Lutherischen Weltbundes, der Landesbischof hingegen vor allem das Verhältnis zu römisch-katholischen Kirche in der Landeskirche. Dazu hatte der Gemeindeausschuss einen Fragebogen an die Pröpste und übergemeindlichen Einrichtungen versandt. Aber die Pröpste antworteten unterschiedlich.72 Als erster berichtete Propst Jürgens aus der Propstei Braunschweig: nachbarschaftliche Kontakte pflegten St. Lukas, Magni, Martin Chemnitz, Katharinen, Pauli und Hondelage mit den katholischen Kirchengemeinden St Ägidien, St. Heinrich, St. Marien und dem Dominikanerkloster. Magni und Ägidien hatten 1976 drei ökumenischen Abend mit Texten zu christlichen Festen veranstaltet. In Martin Chemnitz gebe es vier mal im Jahr ökumenischen Gottesdienste mit Predigertausch.73
Propst Jungmann, Helmstedt, hatte eher mürrisch geantwortet. Immerhin: die Grasleber Gemeinde feierte gemeinsam den Martinstag, in Jerxheim gab es gemeinsame Bibelstunden, in den drei Schöninger Gemeinden ökumenische Bibelwochen und ökumenische Andachten am 17. Juni. Übergangen hatte Jungmann die intensiven ökumenischen Kontakte in den Gemeinden Offleben und Reinsdorf, wo sogar ökumenische Maiandachten gehalten wurden.74
Propst Blümel, Königslutter, musste gemahnt werden und antwortete pauschal „überall gute Kontakte“.75 So auch Herdieckerhoff für die Propstei Vorsfelde.
Propst Brackhahn, Salzgitter Lebenstedt, antwortete nach zweimaliger Mahnung mit einem langen persönlichen Brief.76 In der Propstei Lebenstedt würde zwei Mal im Jahr ein gemeinsamer Pfarrkonvent gehalten. Theologische Themen würden dabei nicht behandelt, in der Johannisgemeinde tauschten sich die Kirchenvorstände aus, die beiden Männerwerke kooperierten, ökumenische Kontakte bestünden in Beddingen, Hallendorf, Steterburg, Thiede, Lichtenberge, in Lebenstedt in den Gemeinden St. Johannis, Matthäus und Paulus.
Auch in Salzgitter Bad würde ein evangelisch-katholischer Pfarrkonvent gehalten, so Propst Warmers, es fände eine Gebetesstunde für die Einheit der Christen statt.77
Von einem regen ökumenischen Treiben in der Propstei Goslar berichtete Propst Kalberlah. Von 23 Kirchengemeinden meldeten lediglich fünf keine ökumenischen Kontakte. An der Marktkirche. in Frankenberg, in Alt-Wallmoden, in der Pauluskirche in Oker gab es ökumenischen Bibelwochen sowie gemeinsame Sitzungen der Kirchenvorstände. In Goslar hatte sich eine dauerhafte Tradition ökumenischer Begegnungen gebildet, die vom Pfarrer und späteren Dechanten Ewald Bürig gefördert wurden, wie auch von seinem Vorgänger Dechant Schnackenburg und vom katholischen Pfarrer Peter Herbst. Sie wurden insbesondere von Propst Hans Jürgen Kalberlah erwidert.78
Propst Daniel nannte lediglich ökumenische Kontakte in der Kirchengemeinde Schöppenstedt, auf allen Dörfern der Propstei gab es kein ökumenisches Miteinander. Das lag überwiegend u.a. daran, dass der katholische Anteil der Bevölkerung dort sehr viel niedriger war als anderswo.79
Für die Propstei Seesen berichtete Propst Frühling: In einigen Kirchen würden katholische Gottesdienste gehalten, es kämen auch katholische Kinder zum Kindergottesdienst, guter Kontakt bestehe zur Kolpingsjugend, die reli-gionspädagogische Arbeitsgemeinschaft würde auch von katholischen Lehrern besucht, ein katholischer Pfarrer sei wegen zu guter ökumenischer Kontakte zwangspensioniert worden.80
In der Propstei Wolfenbüttel gebe es eine Zusammenarbeit mit dem katholischen Bildungswerk, Bibelwochen, ökumenische Gottesdienste und Zusammenarbeit bei Fragen der 3. Welt. Eine besonders intensive ökumenische Arbeit pflege die St. Thomasgemeinde.
Für die Propstei Bad Harzburg antwortete Propst Hansmann sieben Gemeinden feierten den Weltgebetstag ökumenisch und in acht Gemeinden gebe es ökumenischen Gottesdienste; ein Gemeindebrief werde ökumenisch erstellt.81 Leider war in dem Bericht von Propst Knüppel wenig von den in der Propstei Gandersheim lange gewachsenen ökumenischen Beziehungen die Rede, die von Pfarrer Kronenberg ausgegangen waren.82
Es war ein Querschnitt vielfältiger ökumenischer Arbeit, der dem Gemeindeausschuss berichtet wurde, zusammengekommen. Ein solcher Bericht ist typisch für die 70er Jahre und nicht mehr wiederholt worden. Heintze wertete diese Berichte in seinem Referat „Ökumenische Offenheit in der Landeskirche“ aus.83 Er hob die hohe ökumenische Bedeutung des Weltgebetestages der Frauen am ersten Freitag im März hervor, der in sehr vielen Gemeinden gemeinsam mit katholischen Frauen gefeiert und auch vorbereitet werde. „Es ist ein ökumenischer Gottesdienst, der oft Jahr für Jahr abwechselnd in einer katholischen und in einer evangelischen Ortskirche gefeiert wird.“ Heintze ermunterte, dass die Pfarrer sich aus der Vorbereitungsarbeit ganz zurückziehen sollten. „Auf keinen Fall sollte hier der Ortspfarrer die Regie führen.“84 Der Bischof sprach sich gegen eine Zentralisierung des Weltgebetstages von mehreren Gemeinden in einem Gottesdienst aus. Die Ebene der Parochie sollte Regel bleiben.85 Der Bischof erwähnte weiterhin die alljährlichen, mehrtägigen Bibelwochen, die in manchen Gemeinden ebenfalls mit katholischen Auslegern durchgeführt wurden und die für katholische Gemeindemitglieder offen waren. Heintze berichtete außerdem aus seiner eigenen Thomasgemeinde in Wolfenbüttel von einem ökumenischen Arbeitskreis, der seit Jahren ein bestimmtes zeitnahes gesellschaftspolitisches Thema behandelt. Gegenseitige Einladungen zu außerordentlichen Gemeindeveranstaltungen hätten sich eingebürgert. Der Bischof ermunterte auch zum kontinuierlichen ökumenischen theologischen Gespräch auf Ortsebene etwa über die Fragen des Abendmahles und des Amtes. In einigen Gemeinden wurde sogar der Gemeindebrief gemeinsam hergestellt und auf die Veranstaltungen in beiden Gemeinden verwiesen. Auch in der Arbeit der Erwachsenbildung und in der Jugendarbeit komme es zu förderlicher Zusammenarbeit. Unter den Schwierigkeiten nannte der Bischof die Vorbereitung und Durchführung von Trauungen konfessionsverschiedener Ehepartner. Überhaupt sei „das Anormale an dem gegenwärtigen Zustand nur bedingter Kirchengemeinschaft in der Ökumene mit aller Deutlichkeit hervorzuheben“.86 Heintze begründete abschließend die ökumenischen Arbeit mit dem Willen Jesu, „der auf die Sammlung einer einmütigen Jüngerschaft“ hinziele (Joh.17, Eph 4). „Einmütige Jüngerschaft“ war etwas anderes als „Wiedervereinigung der Kirchen“, wie Heintze es noch 1964 genannt hatte, es ließ auch organisatorische Fragen beiseite, und es hielt die übliche Begründung, dass die Christen angesichts der Fragen einer großen nichtchristlichen Mehrheit der Weltbevölkerung zusammenstehen müssten, für nicht ausreichend. „Einmütige Jüngerschaft fand sich eher wieder in dem neuen Begriff der „versöhnten Verschiedenheit“, die nicht zu Trennung und Isolierung führte. Es war schade, dass diese Beschreibung „Sammlung einer einmütigen Jüngerschaft“ nicht weiter aufgenommen wurde. Der Hildesheimer Prälat Professor Frantz Wothe berichtete aus der Diözese Hildesheim. Schon die Tatsache, dass sich ein Mitglied der katholischen Kirche offiziell in diese ökumenisch angelegte Landessynode einfügte, konnte als Erweis für ein geschwisterliches Nebeneinander beider Kirchen verstanden werden. Außer einer statistischen Übersicht über die kirchliche Situation in der großen Diözese ließ Wothe die Synodalen an den innerkirchlichen Problemen des Priestermangels, der nachlassenden Jugendarbeit, der schematischen Teilnahme an der Kommunion, der zurückgehenden Beichtfrömmigkeit teilnehmen. Es komme darauf an, dass man in den Gemeinden spüre: „es wirkt eine Luft der Ökumene, man spürt überall den Wunsch und Willen zum Miteinander und man steht nicht mehr gleichgültig nebeneinander und noch weniger gegeneinander.“87 Es folgten noch Berichte über die Freikirchen, die charismatische Bewegung und die griechisch-orthodoxe Kirche. Die Synode verabschiedete einen Brief an die Arbeitsgemeinschaft christlicher Kirchen in Niedersachsen, in dem der Grundgedanke der in Christus bereits vorgegebenen Einheit beschrieben wurde. „Wir sind mit Ihnen der Auffassung, dass die Einheit der Christen in Jesus Christus vorgegeben ist. Je näher wir unserm Herrn kommen, umso näher kommen wir auch zueinander. Zugleich wissen wir, dass diese vorgegebene Einheit immer wieder gesucht und verwirklicht werden muss im Sinn einer versöhnten Vielfalt.“88 Es ist schade, dass dieser Grundgedanke, dass die Einheit nicht erst konstruiert werden müsse, sondern bereits vorgegeben sei, nicht ausführlich biblisch und systematisch behandelt worden ist, und in der Folgezeit aus der Diskussion verschwand. In einem Brief an die Propsteisynoden und Kirchengemeinden war leider nur wieder einseitig vom „Ringen um kirchliche Einheit und ihren Schwierigkeiten auf dem Wege zu ökumenischen Gemeinschaft“ die Rede. Den Höhepunkt der Tagung bildete ein ökumenischer Gottesdienst in der Frankenberger Peter und Paul Kirche am 26. Mai 1978 mit drei Predigten, von Heintze über „Christus ist unser Friede“, Heinrich Maria Janssen „Ihr seid nicht mehr Fremde“ und Pastor Nittnaus, dem Vorsitzenden der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirchen in Niedersachsen, „Christus ist der feste Baugrund“. Die Goslarer Kantorei unter Klaus Dieter Kern musizierte den Psalm 100 von Mendelsohn-Bartholdy. Der gastgebende Pfarrer Eberhard von Bülow beschrieb den Gottesdienst so: „Praktizierte, gelebte und dankbar empfundene Ökumene war in gottesdienstlichem Geschehen sichtbar geworden. Dass dies nicht eine einmalige, nur spektakulär betrachtete Ausnahme darstellen darf, dies zog sich durch alle Tage der Synodal-Tagung hindurch. Dies ist auch die Bitte der Synode an die Gemeinden unserer Landeskirche“89 Der Gemeindeausschuss der Landessynode erarbeitete eine Handreichung für die Gemeinden mit praktischen Vorschlägen für ein Wachsen zur Einheit in versöhnter Vielfalt vor Ort.90 Die Durchführung der Handreichung war auf das Interesse und einer Weiterarbeit im Pröpstekonvent angewiesen.
Der Catholica–Bericht in Bad Bevensen 1978
Landesbischof Heintze erstattete der Generalsynode in Bad Bevensen am 23.10.1978 einen umfassenden Bericht als Catholica-Beauftragter.91 1978 war für die katholische Kirche ein besonderes Jahr gewesen vergleichbar mit dem Dreikaiserjahr 1888: Papst Paul VI. war am 6. August 1978 im Alter von 81 Jahren verstorben. Sein Nachfolger Johannes Paul I. starb nach nur 33-tägiger Amtszeit am 29. September im Alter von 66 Jahren. Johannes Paul II begann 58jährig am 16. Oktober 1978 sein Papstamt. Heintze würdigte vor der Generalsynode die beiden verstorbenen Päpste und widmete sich dann ausführlich der Frage des päpstlichen Primats. Dazu zitierte Heintze ausführlich aus dem amerikanischen Gutachten92 und bezog sehr kritisch Stellung und wiederholte verschärft seine Kritik vom vorhergehenden Catholica-Bericht. Das im amerikanischen Gutachten nicht behandelte Dogma von der Unfehlbarkeit sei „der eigentliche Stein des Anstoßes“.93 In einem zweiten Teil befasste sich Heintze mit der Frage der Anerkennung der Confessio Augustana durch die katholische Kirche und im einem dritten Teil bemängelte er die Zurückhaltung der evangelischen Kirche gegenüber den europäischen Organisationen, in denen die katholische Kirche längst präsent sei. Die katholische Kirche betone einseitig die christlich abendländische Tradition Europas, ebenso aber sei die antike Tradition und die der Aufklärung und der französischen Revolution zu beachten. Europa reiche bis zum Ural und höre an der Elbe nicht auf.94
Küng und Heintze
Im Dezember 1979 machte der Entzug der Lehrbefugnis für Prof. Küng an der Tübinger Universität durch den Papst landesweite Schlagzeilen. Der Vatikan konnte eine freie Debatte um die Unfehlbarkeit des kirchlichen Lehramtes, die Küng eröffnet hatte, nicht ertragen. Das wäre bei gleichzeitiger Hochachtung vor dem katholischen Standpunkt dieses Jesuiten. die Stunde einer brüderlichen Solidaritätsadresse der evangelischen Kirche gewesen. Aber die lutherische Bischofskonferenz beschloss, keine Stellungnahme abzugeben. Sie reagierte kirchenpolitisch, nicht ethisch, schon gar nicht evangeliumsgemäß. Sie wollte die Beziehungen zum Vatikan und dem Einheitssekretariat nicht „belasten“. Auch Heintze hätte „den Fall Küng“ auf sich beruhen lassen können, aber er nahm ausführlich vor der Landessynode bei seinem Lagebericht dazu Stellung.95 Aber auch Heintze scheute eine unmißverständliche Stellungnahme für den geschassten Professor, sondern drehte den „Fall“ als Frage an die eigene Kirche um. So richtig und fruchtbar eine solche Wendung sein kann, so wirkte sie in diesem Fall doch wie eine Flucht vor einem klaren Ja oder Nein. Sie wirkte „diplomatisch“, und das war eigentlich die Art des Bischofs. „Wir werden auch, was Gegenstand des Verfahrens gegen Küng war, vor allen Dingen als an uns selbst gerichtete Fragen verstehen müssen, etwa wie sich Freiheit und Bindung in unserer eigenen Kirche zu einander verhalten“.96 Diese Fragestellung war nicht neu, die war bereits im Fall von Paul Schulz aufgebrochen. Eine Art von „Unfehlbarkeit“ könne keiner für sich in Anspruch nehmen, auf Menschen angewandt sei sie „höchst missverständlich oder sogar irreführend“. Unfehlbar sei allein das Wirken des Heiligen Geistes. Auch die von Küng aufgeworfenen christologischen Fragen sollten vor allem dazu dienen, sich selbstkritisch zu fragen, wie es die evangelische Kirche mit dem „Christus allein“ in Leben und Praxis halte. Heintze verwies die Synodalen „auf manche Anzeichen für zunehmende Schwierigkeiten, für einen Stillstand oder sogar für Rückschritte“ im Dialog mit der katholischen Kirche97, beschloss jedoch seine Ausführungen mit der Bemerkung, dass nicht nur der „Fall Küng“, sondern auch sonstige Signale darauf hinweisen „dass die Wiederherstellung der Einheit der gesamten Christenheit noch keineswegs erreicht sei.“98 Es ist schwer verständlich, dass Heintze in diesem Zusammenhang dieses unhistorische, destruktive Ziel einer Einheit von Christen überhaupt erwähnt. Wirksamer wäre ein donnerndes „So nicht“ mit Verweis auf die durch das Verhalten des Vatikan gestörten evangelisch-katholischen Beziehungen gewesen.
Papstbrief in Juni 1980
Im Vorfeld des Augustana-Jubliläums war darüber spekuliert worden, ob der Papst nach Augsburg kommen würde.99 Daraus wurde nichts. Statt Besuch war für das Augustana-Jubiläum ein Brief des Papstes angekündigt worden, aber er war nicht rechtzeitig eingetroffen. Am 4. Verhandlungstag, dem 25. Juni 1980, meldete die Katholische Nachrichtenagentur den Wortlaut eines Briefes des Papstes an die Synode. Der Leitende Bischof Heintze wartete nicht ab, bis der Originaltext den Synodalpräsidenten erreicht hatte, dessen Aufgabe dann die Verlesung gewesen wäre, sondern trug ihn selber vor. Aus einer Nachrichtenagentur! Wie sich später herausstellte, entsprach der an die Synode gerichteten Text nicht genau dem Nachrichtentext. Eine deftige Panne. Der Papst nannte die Confession Augustana einen wichtigen Sturmpfeiler, der den Sturm in den Zeiten der Trennung überstanden habe. Die Kirche habe die Fülle ihrer gottgewollten Katholizität nicht verwirklicht, solange „authentische Elemente des Katholischen außerhalb ihrer sichtbaren Grenzen existieren.“ Diese Elemente hatte der Papst zuvor aufgezählt, es waren die Sätze des Apostolischen Glaubensbekenntnisses. In diesem Sinne grüße er „von Herzen alle Christen“, nicht etwa die dort versammelte Kirche.100 Der Papst äußerte sich weder zu Luther und dem bestehenden Bann, zu keinem vorgelegten Ergebnis der theologischen Fachgespräche bezüglich Abendmahl, Amt, Apostolischen Sukzession etc, sondern zählte als gemeinsames Gut den Wortlaut der apostolischen Glaubensbekenntnisses auf, einen Minimalstkonsens, und erklärte im übrigen alle denkbaren weiteren Sturmpfeiler als „authentische Elemente des Katholischen außerhalb“ der römischen Kirche. Die Augsburger Konfession wurde also nicht in ihrem eigenständischen protestantischen Profil wahrgenommen, sondern für die römische Kirche vereinnahmt, eine diplomatische Unverfrorenheit. Für die Presse war der Papstbrief die herausragende Nachricht. „Papst schickte Botschaft“101 war die erste Nachricht über das Augustana-Jubiläum überhaupt in der Evangelischen Zeitung ohne jeden kritischen Kommentar.
Papstbesuch im November 1980
Rasch wurden die Eindrücke vom Augustana-Jubiläum von der Nachricht überboten, dass der Papst im November eine Pilgerreise durch die Diözesen der Bundesrepublik plante, bei der es auch zu einer Begegnung mit der evangelischen Kirche kommen werde. Dazu schrieb Bischof Heintze seine Einschätzung der Braunschweiger Pfarrerschaft und spielte die Verstörungen herunter, die eine Veröffentlichung von Prof. Remigius Bäumer „Eine kleine Kirchengeschichte“ und darin insbesondere der Abschnitt über die Reformation ausgelöste hatte.102 Es werde wichtig sein, dass in dieser Begegnung evangelische Grundanliegen klar zum Ausdruck kommen und auch offen und freimütig dargelegt wird, was aus evangelischer Sicht an der Entwicklung des Verhältnisses zur röm.-katholischen Kirche gerade in jüngster Zeit als unbefriedigend und besorgniserregend erscheine. Es dürfe „kein Zweifel daran aufkommen, dass wir trotz mancher Enttäuschungen und Rückschläge verpflichtet bleiben, auf alle Weise die Weiterentwicklung ökumenischer Gemeinsamkeit voranzutreiben und uns um keinen Preis der Resignation zu überlassen.“103 Nach der inhaltlich kümmerlichen Botschaft des Papstes zum Augustana-Jubiläum war von dem Besuch des Papstes im November 1980 nicht viel zu erwarten. Bischof Heintze gehörte als Mitglied der Arbeitsgemeinschaft Christlicher Kirche zu eine der Delegationen, die den Papst persönlich begrüßten. Das Foto zeigt ein ernstes Gesicht von Heintze und einen freundlichen Johannes Paul II. Das wars. Die Reden, die Bischof Lohse als Ratvorsitzender und der Papst austauschten, waren Protokollhülsen.104 Und wie immer, wenn Gespräche substantiell ergebnislos verlaufen, wurde zur Kaschierung eine Kommission gegründet. So auch hier. „Ökumenische Vernebelungstaktik“ meinte Hans Küng.105 Da keine Ergebnisse zu melden waren, blieben der Regionalpresse nur Selbstverständlichkeiten, wie „Gespräch des Rates der EKD mit dem Papst: Kirchenspaltung überwinden“106 oder „Kirchen wollen den Bruch überwinden“ als Aufmacher und „Kommission soll den Dialog fortsetzen“107 . Der Berliner Bischof Martin Kruse sah den Erfolg des Treffens fast allein „im Atmosphärischen“.108 Joachim Lell fasste das Ergebnis des Papstbesuches folgendermaßen zusammen: „Eine wirkliche Begegnung mit dem Protestantismus „im Lande der Reformation“ habe nicht stattgefunden“.109 „Zu einem echten Dialog kam es nirgendwo“, so die Frankfurter Rundschau.110 An Aufforderungen zu Antworten auf substantielle Fragen hatte es nicht gefehlt. Prominente Theologen hatten den Papst zu einem Wort zur Abrüstung aufgefordert und ihr Unverständnis geäußert, „dass trotz des uns verbindenden Glaubens an die neutestamentliche Botschaft geschichtlich bedingte Streitfragen weiter tradiert werden“.111 „Und noch eins hat die Pilgerreise gezeigt: Die katholische Kirche ist nach wie vor weit davon entfernt, sich kritisch mit sich selber auseinander zu setzen.“112 Heintze jedoch, vielleicht genervt von der überwiegend ernüchternden Bilanz des Besuches, veröffentlichte in den Lutherischen Monatsheften eine ganz überwiegend positive Bilanz. 113 Heintze war angetan von der körperlichen Frische und dem freundlichen Auftreten des Papstes, der mehrfachen Erwähnung Luthers und der Augustana in der Ansprache des Papstes und dass jener „die Mitschuld seiner eigenen Kirche an der in der Reformation eingetretenen Glaubensspaltung betont“ habe. Beim organisatorischen Aufwand fand Heintze den Verzicht auf jedes triumphalistische Gehabe auffällig. Die Entschuldigung von Bischof Moser für die unzumutbare kirchengeschichtliche Darstellung Bäumers in einem Brief an den württembergischen Landesbischof von Keler sei „bewegend“.114 Heintze erwähnte zwar einige bleibenden Differenzen, wiegelte jedoch umgehend ab, es sei gar nicht zu erwarten gewesen, dass der Papst konkret auf die angesprochenen Streitpunkte eingehen werde, wiederholte seine Einwände gegen das an Petrus orientierte Verständnis von Kirchenleitung in der katholischen Kirche, warnte abschließend vor Resignation und bekräftigte seine Devise: „Auch bei noch so großen Enttäuschungen darf die erste Frage zwischen den Gliedern getrennter Kirchen immer nur lauten: „Was verbindet uns dennoch miteinander? Was können wir trotzdem schon jetzt gemeinsam bekennen und tun? Erst danach kann nach dem gefragt werden, was noch unbewältigt zwischen uns steht.“115 Heintze muss den gegenläufigen Trend in der allgemeinen Stimmung gespürt haben und machte den Papstbesuch zum Thema des Empfangs der Landeskirche im Januar 1981 im Wolfenbütteler Schloss. Das war kein Thema, das für die Landeskirche typisch war, aber die Themenwahl war Ausdruck des niedersächsischen Trotzes, der Heintze eigen war. Es war üblich, beim Empfang auswärtige Referenten ein aktuelles Thema behandeln zu lassen, wie z.B. Prof. Wenzel Lohff über die Grundwerte beim Empfang 1979. Diesmal wollte Heintze das Thema nicht aus der Hand geben, und referierte selber über „die Kirche nach dem Papstbesuch“. Das war nun kein Publikum, vor dem man die kontroverstheologischen Lehrdifferenzen ausbreiten konnte, es ging dem Bischof um eine ökumenefreundliche Stimmung.116 Nach der Planung war es der letzte Empfang unter seiner Leitung. Auch Bischof Janssen aus Hildesheim war gekommen. Die letzte Chance, den Papstbesuch nüchterner und differenzierter darzustellen, hatte Heintze als Catholica-Beauftragter vor der Generalsynode der VELD in Wolfenbüttel 1981. Aber auch in seinem letzten Lagebericht zog Heintze eine uneingeschränkt positive Bilanz. Die Mitglieder der evangelischen Kirche, die den Papst erlebt hatten, seien „aufs stärkste bewegt und beeindruckt“. „Die herzliche, aufrichtige Brüderlichkeit, in der der Papst uns Evangelischen gegenübertrat, und sein eindeutig bekundetes intensives Verlangen nach einem Wachsen der ökumenischen Gemeinschaft haben viele vor seinem Besuch bestehenden Bedenken zerstreut“.117 Solche gewiss aufrichtig gemeinten, schöngefärbten Urteile erschwerten einen Fortgang des Dialoges und produzierten Wiederholungen derlei unfruchtbarer Begegnungen.
Mariologie
Der bereits erwähnte Arbeitskreis der Catholica-Beauftragten der VELKD hatte unter dem Vorsitz von Bischof Heintze „Evangelische Fragen und Gesichtspunkte“ zur Mariologie erarbeitet und am 25. März 1982 veröffentlicht.118 Bei den Verfassern wurde auch Klaus Jürgens genannt. Darin wurde der neutestamentliche und dogmengeschichtliche Bestand des Marienbildes unter dem Gesichtspunkt dargestellt, wo Gemeinsamkeiten und die Trennlinie zwischen katholischer und evangelischer Marienfrömmigkeit verlaufen. Der Arbeitskreis kam der katholischen Anschauung ziemlich weit entgegen. Maria gehöre „für uns in das Offenbarungsgeschehen als angemessene menschliche Antwort auf das Wort Gottes“. Im neutestamentlichen Befund seien Ansätze dazu gegeben, Maria als Typus der Kirche zu verstehen. Die jungfräuliche Geburt Jesu bedeute, „dass Maria ganz für Gottes Wirken empfänglich gewesen sei.“119 Als gemeinsames christliches Erbe aus der Alten Kirche nannte der Arbeitskreis die Anschauung von Maria als Jungfrau und Gottesmutter. Selbst gegen eine „immerwährende Jungfräulichkeit Maria“ sei nichts einzuwenden, wenn damit gesagt sein solle, „dass Maria ihr Leben lang für Gott empfänglich blieb“ und die Würde eines ehelosen Lebens angezeigt werden solle.120 Sollte in der Gottesmutterschaft Marias auf die „bergenden, fürsorgenden, nährenden und ‚zärtlichen’ Aspekte Gottes hingewiesen werden“, wie sie sich auch im Alten Testament finden? fragte der Arbeitskreis eher bejahend. Er warnte indes vor der Gefahr einer Vergöttlichung der Mutter Jesu und damit einer Vergöttlichung der Kirche. Die folgende Entwicklung der Lehre von Maria bis in die Neuzeit habe eine verwirrende Vielfalt von Aussagen über Maria hervorgerufen bis hin zur „Mittlerin aller Gnaden und der Miterlöserin“. Dazu zitierte der Ausschuss Philipp Melanchthon, dass Maria an die Stelle von Jesus getreten sei. „Nimmt sie selbst die Seelen im Tode auf, besiegt sie den Tod, macht sie lebendig? Was tut Christus, wenn das die selige Maria tut? Wenn sie auch der höchsten Ehren Würdigste ist, will sie doch nicht Christus gleichgestellt werden, sondern sie will vielmehr, dass wir ihre beispielhaften Taten vor Augen haben.“121 Der Ausschuss referierte schließlich ohne eigene Stellungnahme die letzten Dogmen von der Unbefleckten Empfängnis Marias (1854) und ihrer leiblichen Aufnahme in den Himmel (1950), sowie ihre Mitwirkung am Heil und entsprechend dem Hirtenwort der deutschen Bischöfe vom 1979 „das marianische Fundament der Kirche“. Dieses Dokument blieb ohne jede Wirkung in den Braunschweiger Kirchengemeinden, es wurde nicht weitergereicht und zur Durcharbeitung empfohlen. Dabei gab es hier und da auch jährlich wiederkehrende ökumenische Maiandachten mit Flursegen und wechselseitigen Predigten. In der Offleber katholischen Kirche wurde z.B. zu diesem Anlass eine Bildbetrachtung der Stalingrader Madonna der Predigt des evangelischen Ortspfarrers zu Grunde gelegt. Auch Pfarrer Gerhard Hinrichs an der Stephanikirche in Helmstedt pflegte ein protestantisches Marienbild. Gerade in der katholischen Marienfrömmigkeit stieß jedoch der evangelische Partner an Verständigungsgrenzen gegenüber der Inbrunst einer Anbetung, die anders als es behauptet wurde, eben nicht zu Christus führte, sondern bei der hilfreichen Gottesmutter verblieb. Bischof Heintze gab mit seiner Emeritierung das Amt des Catholica-Beauftragten nicht ab und erstattete der Generalsynode der VELKD in Bückeburg am 28.10.1982 seinen letzten turnusmäßigen Bericht.122 Darin ging er ausführlich auf das Maria-Dokument ein und fasste das Ergebnis folgendermaßen zusammen: „Maria ist für den Glauben illustrativ, nicht normativ. Maria kann christliche Existenz beleuchten, nicht begründen.“123 Unter dieser Voraussetzung könne die Mutter Jesu eine Hilfe auch für den Glauben evangelischer Christen sein, unterstreiche sie doch die seelische Wärme, die Menschlichkeit und die Praktikabilität der frohen Botschaft. In seinem Dank hob Präsident Blendinger die große Nüchternheit hervor, die den Bericht Heintzes ganz besonders ausgezeichnet habe.124 Er meinte dies im Sinne von Ernüchterung in den Beziehungen zwischen beiden Kirchen.
Wo stehen wir heute?
Heute sehen wir mit Erstaunen auf die heftigen Bewegungen und Hoffnungen der 70er Jahre zurück und stellen fest, dass die Begegnungen in den leitenden Gremien in der Braunschweiger Landeskirche, auch in der Stadt Braunschweig fast selbstverständliche, routinierte Tradition geworden sind, aber sie wirken theologisch leblos und die Kirchengemeinden wenig inspirierend. Bei der gegenwärtig theologischen Windstille fällt das Desinteresse an einer weiteren Klärung theologischer Differenzen schon nicht mehr auf. War es je anders? Ja, in den 70er Jahren war es anders. An ihnen wird der mächtige Rückschritt in der Zeit des theologisch weit überschätzten Papst Benedikt XVI deutlich, dessen bayrisches Frömmigkeitsprofil immer mehr hervortrat. Die Redeweise Heintzes hat Schule gemacht. Immer wenn betont wird, man solle auf die Gemeinsamkeiten achten, wird im Grunde ausgesagt, dass man in den ökumenischen Bemühungen nicht weiter gekommen ist. Die groteske lapidare Feststellung, dass man doch die Bibel und das Credo gemeinsam habe, lese und bete, verschleiert die Tatsache, dass die Interpretation der Bibel grundverschieden sein kann und das Credo gegensätzlich ausgelegt wird. Die Aufforderungen Oberkirchenrat Mauders, dass die katholische Kirche bei ihren ökumenischen Beziehungen endlich einmal ihr eigenes Feld bestellen müsste, nämlich das Abendmahl mit Brot und Wein, also stiftungsgemäß in beiderlei Gestalt feiern, den Opfergedanken in den Hintergrund und die Messe grundsätzlich nur mit einer Gemeinde begehen sollte, wurden nicht mehr aufgenommen und auch evangelischerseits nicht daran erinnert. Außerdem müsste dringlich die staatskirchenrechtliche Gestalt, also die sog. römische Frage, erörtert werden. Es ist ein Anachronismus, dass sich die katholische Kirche immer noch als Staatskirche mit einem eigenen Territorium samt Post und eigenem Staatspräsidenten versteht. Wo stehen wir heute?
Anmerkungen zu Kapitel 12
1 Klaus Jürgens: Das Verhältnis von Evangelisch zu Katholisch in: Friedrich Weber (Hg.) Von der Taufe der Sachsen zur Kirche in Niedersachsen S. 617-623 / Thomas Scharf-Wrede Das Bistum Hildesheim im 20. Jahrhundert Girold 2001.
2 PA Marktkirche Goslar A 6-5 Schreiben Erdmann an die Pröpste 8.5.1950.
3 Ende Oktober 2007 fand in Hildesheim ein Kolloquium mit 21 Referaten zur Wirksamkeit des Hildesheimer Bischofs Heinrich Maria Janssen statt. Janssen war von 1957 bis 1982 Bischof der Hildesheimer Diözese gewesen. Ein Referat beschäftigte sich auch mit der „Ökumene. Aufbruch zum Miteinander. Bischof Heinrich Maria Janssen und die Ökumene.“ Mit keiner Silbe wurde dort die ungewöhnliche, brüderliche Nachbarschaft zwischen Bischof Janssen und Bischof Heintze erwähnt. [Thomas Scharf-Wrede (Hrsg) Heinrich Maria Janssen Bischof von Hildesheim 1957 bis 1982 Quellen und Studien zur Geschichte und Kunst im Bistum Hildesheim 2 Regensburg 2008]. Das ist ein auffälliges Manko, das mehr dem gegenwärtigen Desinteresse entspricht als der historischen Realität.
4 Scharf-Wrede Das Bistum Hildesheim im 20. Jahrhundert Girold 2001 S. 32.
5 BZ 9. 1.1971; SONNTAG 17.1.1971.
6 Hildesheimer Anzeiger 30.9.1972; auch Neue Hildesheimer Presse 2.10.1972.
7 Hildesheimer Anzeiger 30.9.72.
8 Schreiben Janssen an Heintze im Nachlass Renate Heintze, Hildesheimer Dom Dezember 1972.
9 LAW LBf 7 Heintze an Janssen am 19.6.1975; EZ 6. Juli 1975.
10 LAW acc 102/07 Heintze Predigt über Röm. 8,14-17 im ökumenischen Festgottesdienst am 25. Juni 1975 in der Klosterkirche Riddagshausen.
11 Anzahl der Katholiken in der Landeskirche 1968
Evangelische | Katholiken | andere Christen | Dissidenten | |
---|---|---|---|---|
Landeskirche | 649 369 | 138 905 | 21 085 | 48 821 |
P-Braunschweig | 171 737 | 34 994 | 6 891 | 33 865 |
SZ Lebenstedt | 50 611 | 18 993 | 3 894 | 122 |
SZ Bad | 29 922 | 12 792 | 2 345 | 18 |
Goslar | 59 071 | 12 532 | 1 254 | 1 863 |
Helmstedt | 55 007 | 11 092 | 1 051 | 2 293 |
Bad Harzburg | 43 542 | 9 384 | 780 | 1 193 |
Wolfenbüttel | 45 072 | 8 303 | 1 294 | 3 099 |
Seesen | 41 316 | 5 939 | 910 | 1 888 |
Lehre | 27 082 | 5 759 | 641 | 1 340 |
Vechelde | 25 001 | 4 696 | 385 | 1 147 |
Vorsfelde | 22 142 | 3 624 | 375 | 294 |
Bad Gandersh | 25 736 | 3 356 | 421 | 427 |
Königslutter | 18 621 | 3 055 | 289 | 533 |
Schöppenstedt | 16 535 | 2 224 | 268 | 372 |