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[Kirche von unten]

Die Braunschweiger Landeskirche in den 70er Jahren

und ihr Bischof Gerhard Heintze

Kapitel 16

Der Abschied des Bischofs

Ankündigung des Abschieds / Der letzte Neujahrsempfang des Bischofs / Der Vorschlag des Wahlausschusses / Die überraschende Wahl Dr. Fischers zum Nachfolger von Dr. Bluhm / Drei Kandidaten / Der letzte Tätigkeitsbericht / Die Jugendsynode / Die gescheiterte Richtungswahl / Der letzte Lagebericht „Rückschau und Ausblick“ / Das missglückte Ende / Der Abschied von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und von der Pfarrerschaft.


Ankündigung des Abschieds

Bischof Heintze hatte schon während der ersten Sitzung der neuen Landessynode im Mai 1976 in seinem Lagebericht erklärt, dass er am Ende dieser Sitzungsperiode zum Jahresende 1981 in den Ruhestand treten werde und diese Synodalen bereits einen Nachfolger wählen würden. Am 29.6.1980 hatte die Evangelischen Zeitung gemeldet, dass der Bischofswahlausschuss bereits zusammengetreten sei.1 Damit wusste seit Sommer 1980 die kirchliche Öffentlichkeit, dass der Bischof in den Ruhestand zu gehen beabsichtige. Als der Bischof im Advent 1980 Walkenried besuchte, hieß es bereits „Abschiedsbesuch“. In seinem Pfarrrundbrief vom 9.1.1981 unterrichtete nun der Bischof die Pfarrerschaft: „Zum 1.12.1981 gedenke ich in den Ruhestand zu treten. Die Wahl meines Nachfolgers im Bischofsamt unserer Landeskirche durch die Landessynode ist für den 13. Juni vorgesehen. Seine Einführung wird voraussichtlich am 2.12.1981 stattfinden.“ 2 Es sollte von ihm aus sein letzter Pfarrrundbrief sein, mit Assoziationen zur Jahreslosung 1981 aus Hebräer 13,16 „Vergesst nicht, Gutes zu tun und mit anderen zu teilen, denn an solchen Opfern hat Gott Gefallen.“ Heintze erinnerte den Leser an das Gute, das jeder empfangen habe: Gesundheit, Frieden, Anteilnahme. Aber andere, auch Nichtchrísten, hätten oft viel mehr Gutes getan als wir selber. „Wir haben keinen Grund, auf unsere persönlichen wie kirchlichen Aktivitäten stolz zu sein.“ Es herrsche jedoch unter den Christen Unsicherheit, was denn nun „das Gute“ sei. Heintze erinnerte „an die gegenwärtige, beiderseits emotionsgeladene Auseinandersetzung in unseren eigenen Gemeinden über den Friedensdienst mit oder ohne Waffen“. Beiden Seiten redete er ins Gewissen, den Kontakt mit Andersdenkenden nicht abreißen zu lassen, nicht in voreilige Pauschalverurteilungen zu verfallen und sich einer ständigen Selbstprüfung und Selbstkritik zu unterwerfen. Das Tun des Guten schließe den Einsatz für Frieden und Versöhnung im politischen, sozialen und ökumenischen Bereich ein. Eine Kritik am katholischen Partner werde jenen nur dann erreichen können, „solange wir bereit sind, uns unsrerseits auch seiner Kritik zu stellen und wenn das Erkennen und Bekennen unserer eigenen Schuld uns wichtiger ist als die Empörung über die Schuld des anderen.“ Wie schon in den früheren Briefen ermahnte Heintze, „zugunsten der Not anderer freiwillig auf eigene Bequemlichkeit und auf die Erfüllung von Wünschen zu verzichten, die noch nicht einmal lebenswichtige Bedürfnisse, sondern nur die Steigerung des Wohlbefindens betreffen“.3 Dieser Rundbrief war einer von denen, der den Finger in die Wunde legte, aber an den Adressaten abprallte, weil die Situation in den Gemeinden, in den Familien, auch die pastorale Existenz nicht im Blick war, und die Mahnungen unverändert dieselben waren wie in den vergangenen 16 Jahren.


Der letzte Neujahrsempfang des Bischofs

Das Jahr 1981 hatte eindruckvoll begonnen. Der Bischof hatte fortgesetzt, wozu er persönlich gar keine Lust hatte: zu repräsentieren. Zum Neujahrsempfang 1981 hatte die Landeskirche in das Wolfenbütteler Schloss eingeladen. Es war der letzte Empfang, den der Bischof gab und auf dem er selber referierte, aus aktuellem Anlasse des Papstbesuches im November 1980 über den Stand der Ökumene. „Ökumene – Fortschritt und Rückschläge“ hatte die EZ den vierspaltigen Artikel genannt.4 Heintze schwärmte von der Begegnung mit dem Papst, von dessen „großer Offenheit und herzlicher Brüderlichkeit“, lobte bei einem geschichtlichen Rückblick den ökumenischen Augsburger Kirchentag 1971, dem leider keine weiteren gefolgt seien und benannte auch die Gegensätze zwischen dem hierarchischen Aufbau der katholischen Kirche und dem Priestertum aller Glaubenden auf protestantischer Seite, die Unterschiede im Verständnis vom Herrenmahl, aber Resignation sei zu überwinden. Weil der Bischof auf jede persönliche und auch gesellschaftliche Selbstdarstellung verzichtete, sondern seinen spröden Charme versprühte, gewann er auch der Kirche sonst ferner stehenden Kreise.

Die Ökumene blieb im Januar 1981 das große Thema, denn die Mitglieder der Europäischen Katholische Bischofskonferenz (CCEE) und des Präsidiums der Konferenz Europäischer Kirchen trafen sich für drei Tage in Beienrode.5 Es wurde das nächste große, im dänischen Lögstrumkloster geplante Treffen abschließend beraten. In der katholischen Marienkirche von Königslutter feierten Bischof Scheele (Würzburg) und Kardinal Hume (London) mit ihren Kollegen eine Frühmesse, Propstei und Stadt Königslutter luden zu einem Empfang, an dem u.a. der Moskauer Metropolit Alexej, der dänische Bischof Hans L. Martensen, der Bischof Patrick Rodger aus Oxford sowie das Ehepaar Heintze teilnahmen. Bischof Heintze hatte während der Tagung einen ökumenischen Gottesdienst gehalten. Hier stießen in Königslutter und Beienode Welten aufeinander.6


Der Vorschlag des Wahlausschusses

Der Bischofswahlausschuss präsentierte der Synode einstimmig Pfarrer Martin Voigt und Pfarrer Klaus Lubkoll als Kandidaten, beide Jahrgang 1928, also an Lebensjahren Anfang fünfzig, mit praktischer Gemeindeerfahrung und geübt im kirchenleitenden Amt.7 Lubkoll war Dekan im württembergischen Böblingen, Voigt seit 1973 Superintendent in Lüneburg. Schwerpunkt von Lubkoll war die Jugendarbeit, er war in Bremen Landesjugendpfarrer gewesen, danach Generalsekretär der Arbeitsgemeinschaft der evangelischen Jugend. Er war Mitglied der EKD Synode und seine Frau Vorsitzende des Pfarrfrauendienstes in der EKD. Voigts Wurzeln waren in Niedersachsen, sein Vater war Pfarrer in Celle gewesen, im Predigerseminar in Hildesheim hatte er das

2. theologische Examen absolviert, er war im Landeskirchenamt Referent für Liturgik und Ökumene gewesen, leitete als Studiendirektor das Predigerseminar in Rothenburg, war Mitglied der Generalsynode der VELKD und im Vorstand der Kommission für den Evangelischen Erwachsenenkatechismus. Anklänge an die Biografie von Heintze stellten sich ein. Beide Kandidaten verfügten über gemeindliche und übergemeindliche Erfahrungen. Beide waren verheiratet und hatten drei erwachsene Kinder. Beide Kandidaten würden das Erbe Heintzes folgerichtig und zeitgemäß weiterentwickeln. Da hatte die Landessynode eine vorzügliche Wahl, und es mochten im Juni nur noch die persönlichen Sympathiewerte entscheiden.


Die überraschende Wahl Dr. Fischers

Allerdings konnten Präsidium und Ältesten- und Nominierungsausschuss der Synode gewarnt sein, denn die Synode hatte sich wenige Monate zuvor bei der Wahl des Nachfolgers von OLKR Dr. Bluhm als unberechenbar erwiesen. Zum Nachfolger hatte der Ältesten- und Nominierungssausschuss Klaus Dahling und Eberhard Brandes aufgestellt. Dahling (Jahrgang 1936) arbeitete bereits seit 1969 im Finanzreferat des Landeskirchenamtes und Brandes war Braunschweiger Regierungsdirektor und Vorsitzender der Propsteisynode. Da die Stelle ausgeschrieben war, bewarb sich „auf gut Glück“ auch Robert Fischer aus dem Landeskirchenamt in Düsseldorf. Fischer galt als hoffnungsloser Außenseiter. Bei der Synodalwahlsitzung am 28./29 November 1980 im Gemeindesaal der Katharinenkirche lag Brandes im ersten Wahlgang mit 16 Stimmen knapp in Führung. Fischer erhielt aber genauso viel Stimmen wie Dahling (15). Im zweiten Wahlgang erhielt Fischer 19 Stimmen. Brandes hielt seinen Stimmenanteil mit 16 Stimmen, Dahling verlor eine Stimme (14 Stimmen) und schied damit für den dritten Wahlgang aus. Mit 25 Stimmen für Fischer und 21 Stimmen für Brandes wurde der Außenseiter Überraschungssieger. Es war das unkonventionelle, forsche Auftreten des mit 39 Jahren Jüngsten der drei Kandidaten, der die Mehrheit der Synodalen offenbar überzeugte. Sie wollten einen Wechsel, einen Generationswechsel, einen Milieuwechsel. Zwei Synodale hatten sich der Stimme enthalten, sechs Synodale fehlten, die das Ergebnis hätten verändern können. Der Synodenpräsident Ramser, auch die Synode und selbst Dr. Robert Fischer waren, wie Ramser in seinem Abschlußbericht feststellte, „überrascht.“8


Drei Kandidaten

Auch für die Bischofswahl hatte sich überraschend der Kreis der Kandidaten erweitert. Der Synodale Hans Peter Hartig machte von der Möglichkeit Gebrauch, auch aus dem Kreis der Synodalen einen weiteren Kandidaten vorzuschlagen. Ihm waren die beiden Kandidaten in ihren kirchenpolitischen Profil zu ähnlich. Er fand ausreichende Unterschriften für eine weitere Kandidatur, bekam zunächst Absagen, und schließlich sagte Propst Dr. Karl Hauschildt zu.9 Hauschildt war Gemeindepfarrer gewesen, Leiter des Katechetischen Amtes, Oberlandeskirchenrat im Kieler Landeskirchenamt und zuletzt Propst im Neumünster in Schleswig Holstein. Hauschildt gehörte der Bewegung „Bibel und Bekenntnis“ an und hatte 10 Thesen zur Restauration der Evangelischen Kirche in Deutschland veröffentlicht. Er war in seinem erzkonservativen Profil eine echte Alternative zu den beiden Kandidaten und zur gesamten Theologie von Bischof Heintze. Hauschildts Alter, er war 1920 geboren und 61 Jahre alt, mochte gegenüber den beiden anderen doch erheblich Jüngeren ein Nachteil sein. Galt er als Übergangskandidat?

Zunächst aber standen im März der Tätigkeitsbericht der Kirchenregierung und im Mai die übliche Themensynode vom 14.-16. Mai 1981 auf dem Programm.


Der letzte Tätigkeitsbericht

Am 20. März 1981 erstattete Bischof Heintze zum letzten Mal der Synode, die im Haus der Kirche in Bad Harzburg tagte, den fälligen Tätigkeitsbericht der Kirchenregierung. Er war dieses Mal ungewöhnlich lang geraten. Der Bericht ist im KURIER Mai 1981 abgedruckt und umfasst 14 doppelspaltige Seiten, das sind geschätzte drei Stunden Redezeit.10 Eigentlich habe er noch viel mehr erwähnen müssen, entschuldigte sich der Bischof eingangs. Hatte der Bischof das Gespür für die Aufnahmefähigkeit der Synodalen überschätzt? Heintze verstand, wie er betonte, den Bericht als Kommentierung und Zusammenfassung der Referatsberichte. Er habe ihn nicht mit dem Kollegium und der Kirchenregierung abgesprochen, er war demnach das bischöfliche Leseergebnis der vorgelegten Einzelberichte. Die Anlagenberichte waren erheblich angeschwollen. Sie betrugen 1977 114 Seiten und 1981 224 Seiten. Die einzelnen Propsteien hatten zusätzlich je einen Bericht geliefert. Heintze sprach über landeskirchliche Strukturprobleme und lobte die Überschaubarkeit der Landeskirche.11 Die staatliche Gebietsreform sei nicht beispielhaft und hinsichtlich der Konföderation gebe es „eine gewisse Frustration“. Der Bischof behandelte die Personallage, das gottesdienstliche Leben, Passionsgottesdienste und Abendmahlsbeteiligung hätten zugenommen, es gebe Defizite im Religionsunterricht in den Berufsschulen, Heintze ging auf die Mission und Ökumene, Diakonie, Rechtspflege, Finanzfragen und das kirchliche Bauwesen ein. Der Blick des Bischofs ging in die Breite, nicht mehr nach vorne. Lebhaft wurde die Debatte, da der Beauftragte für Kriegsdienstverweigerung, Pfarrer Alexander Knackstedt, über die Verhandlungen zum Anerkennungsverfahren geschrieben hatte: „Willkür, Dummheit und Boshaftigkeit sind für die Verfahren charakteristisch“.12 Es war bezeichnend für die Stimmung in der Gesellschaft, dass das Bundesverfassungsgericht am 13.4.1978 förmlich die Priorität des Kriegsdienstes mit der Waffe über den Zivildienst festgestellt hatte. Die Beratungen von Kriegsdienstverweigerern hatte erheblich zugenommen. Sie betrugen 1977: 229 Beratungen, 1979: 435; 1981: 662; 1983: 713 Beratungen.13 Der KURIER berichtete von nur wenigen Wortmeldungen über das Thema, ob man eine Beerdigung von Nichtmitgliedern vornehmen dürfe. Die Synodalen waren dazu unterschiedlicher Meinung.14 Das brennende Interesse der Synodalen galt nicht mehr der Landeskirche, sondern der bevorstehenden Bischofswahl im Juni. Dazu gab es zahlreiche Gespräche im Hintergrund.


Die Jugendsynode

Erneut tagte die Synode am 14.-16. Mai 1981, diesmal im Hessenkopf, um das Thema „Junge Christen“ zu behandeln. Mit der Jugend hatte sich der Bischof in den zurückliegenden 18 Jahren viel herumgeschlagen und galt im Kollegium als einer, der für sie Partei ergriff. Als ein junger Theologe in einer Personalangelegenheit OLKR Kammerer aufsuchte und sich beide nicht einig wurden, schnaubte Kammerer „dann gehen Sie doch gleich nach nebenan (gemeint war das auf dem gleichen Flur liegende Bischofszimmer), dort kriegen Sie Ihr Recht.“ Als sich das bürgerliche Wolfenbüttel über die Untat des Theologiestudenten Düllmann wegen dessen Protestaktionen in den Kirchen aufregte, unterstellte ihm der Bischof vor allem redliche Motive. Als sich der Magnikirchenvorstand über die Kleckereien bei einem Gottesdienst der Studentengemeinde aufregte und dem Bischof Fotos vorlegte, legte er diese peinlich berührt beiseite. Es kursieren in der Landeskirche unter den Zeitgenossen noch viele solcher Geschichten, in denen sich der Bischof mit den Jüngeren solidarisierte. Manchen Synodalen mag damals das dreitägige Landesjugendtreffen im September 1980 in 30 Zelten auf dem Franzschen Feld in Braunschweig in Erinnerung gewesen sein. Das Thema lautete „Licht der Welt“. Der Landesjugendpfarrer Georg Leupold habe die Jugendarbeit aus einem einseitigen politischen Engagement herausgeführt, war zu lesen, in der Neuen Oberschule hatte stattdessen eine liturgische „Nacht des Lichtes“ Eindruck gemacht, in der Magnikirche fand ein Jugendgottesdienst statt, der Bischof hatte in der Stadthalle eröffnet, lobt in seinem Schlusswort den Einssatz der kirchlichen Jugend, bedauerte indes den verhältnismäßig geringen Besuch.15 Die Zeit der „unruhigen, politisch aufmüpfigen Jugend“ schien abgeklungen. Einleitende, ausgiebige Vorträge hielten Christian Casemir („Zur Situation der Jugendarbeit in der Landeskirche“), Dr. Andras Feige („Mitgliedschaftserfahrungen und Mitgliedschaftsmotivationen junger Erwachsener in der Kirche“), Prof. Dr. med Hans Georg Jaedicke („Ärztlich anthropologische Anmerkungen zum Jugendproblem unserer Zeit“) und Georg Leupold („Die un-heimliche Generation“). Das Thema wurde anschließend in mehreren Ausschüssen und Unterausschüssen bearbeitet und mehrere Anträge von der Synode an die Synodalausschüsse weitergeleitet. 16


Die gescheiterte Richtungswahl

Daneben bot die Synodaltagung viele Möglichkeiten zu Absprachen für die Wahl des neuen Landesbischofs. Es kam am 13. Juni 1981 in der Landessynode zu einer Richtungswahl, die der Nominierungsausschuss mit den beiden Kandidaten Lubkoll und Voigt gerade hatte vermeiden wollen. Im 1. Wahlgang erhielt Hauschildt 27 Stimmen, Lubkoll 17 und Voigt 9. Das war eine Riesenüberraschung und ein Ergebnis der Abstimmungsdisziplin der konservativen synodalen Bugenhagengruppe unter Leitung von Propst Erich Warmers. Das Ergebnis des zweiten Wahlganges lautete Hauschildt 25 Stimmen, Lubkoll 21 Stimmen und Voigt 7 Stimmen. Die notwendige Stimmenzahl, um gewählt zu werden, betrug 28 Stimmen, die Hauschildt nur sehr knapp verpasst hatte. Nun schied Superintendent Voigt aus, und die Synodalen hatten sich zwischen Hauschildt und Lubkoll zu entscheiden. Es war mathematisch zu erwarten, dass die sieben Voigtwähler nunmehr Lubkoll wählen würden, der dann die erforderlichen 30 Stimmen erhalten hätte, aber nur zwei wählten Lubkoll. Hauschildt erhielt im dritten Wahlgang erneut die meisten, nämlich 27 Stimmen und Lubkoll 23 Stimmen. Drei Synodale enthielten sich der Stimme. Im vierten Wahlgang konnte Hauschildt seine 27 Stimmen halten, verpasste aber die erforderliche Mehrheit. Lubkoll erhielt 25 Stimmen, die höchste innerhalb dieser vier Wahlgänge, ein Synodaler enthielt sich der Stimme. Die Wahl war gescheitert, kein Kandidat hatte die erforderliche Mehrheit erhalten.17 Das Wahlergebnis war eine Blamage für den Bischofswahlausschuss. Er war bei seinen beiden Kandidaten im Wort, dass einer von ihnen, Lubkoll oder Voigt, gewählt werden würde. Wer würde sich jetzt je noch aufstellen lassen wollen, wenn der Wahlausschuss dem Kandidaten nicht ein überzeugendes Wahlergebnis zusagen konnte. Spätestens mit der Aufstellung des 3. Kandidaten wäre es die naheliegende Pflicht des Wahlausschusses gewesen, für ihre Alternative zu werben und die nötigen Stimmen sicherzustellen. Aber es gibt die fatale Meinung, man müsse die Wahl dem Heiligen Geist, oder „dem Wort“ überlassen, der es für seine Kirche schon richten werde. Das ist nur eine dumme Ausrede für fehlende gesprächsintensive Basisarbeit. Offenkundig hat der Wahlausschuss die Abstimmungsverhältnisse in der Landessynode völlig falsch eingeschätzt, obwohl er durch den überraschenden Wahlausgang im November 1980, bei dem Dr. Robert Fischer gewählt worden war, gewarnt worden war.

Es war eine Blamage auch für die Braunschweiger Kirchenleitung. Dass ein Vertreter von Bibel und Bekenntnis in der Landessynode einen derart hohen Stimmenanteil erhalten hatte, deutete auf einen erwünschten Milieuwechsel hin, nicht nur in der Synode. Der große Stimmenvorsprung der reformerischen Synodalen im April 1965 war auf eine Sperrminorität zusammengeschrumpft. Immerhin war ihr zu verdanken, dass Karl Hauschildt nicht Bischof der Braunschweiger Landeskirche wurde. Es war auch ein erheblicher Machtverlust der Landessynode, denn noch so eine Pleite konnte sie sich nicht mehr erlauben. Nun musste sie wählen, wer ihnen vorgesetzt wurde. Sie hatte keine Wahl mehr und so kam es auch.


Die Suche nach einem neuen Kandidaten

Im Nachlass von Frau Renate Heintze befindet sich ein Brief von Manfred Seitz an Heintze vom 24. Juli 1981. Manfred Seitz war Professor für Praktische Theologie in Erlangen und mehrfach vom Bischof zu meditativen „Rüstzeiten“ mit Pröpsten und kirchlichen Mitarbeitern nach Braunschweig gebeten worden. Er war vorher Assistent beim bayrischen Landesbischof gewesen, hatte ein Pfarramt und einige Jahre auch ein Dekanat geleitet und war dann an die Universität gegangen. „Es ist mir nach dem Urteil von Einsichtigen,“ schreibt er, „gelungen, Theologiestudenten so in ihre künftige Arbeit einzuführen, dass sie mit einer gewissen Prägung und Liebe zum Beruf des Pfarrers die Universität verlassen.“ In dieser Zeit hatte Professor Seitz ein Angebot erhalten, Bischof der badischen Landeskirche zu werden, aber den Ruf ausgeschlagen. Nun war Heintze am 6. Juli nach Erlangen gefahren und hatte in einem langen Gespräch Seitz gebeten, für das Braunschweiger Bischofsamt zu kandidieren. Der Bischof hatte diese Absicht auch mit einigen anderen Amtsbrüdern besprochen, und eine mögliche Synodenmehrheit abgeklopft. Seitz dankte eingangs „denen, die mich benannten und allen, die mir Voraussetzungen und Gaben für das Bischofsamt zutrauen.“ Seitz erbat sich eine Bedenkzeit und sagte dann mit dem Schreiben vom 24. Juli ab, er müsse „die mir zugewachsenen Erarbeitung pastoraltheologischer und spiritueller Erfordernisse in der Praktischen Theologie aufgeben zugunsten eines Amtes, dessen Schwerpunkte im kirchenleitenden, rechtstheologischen und repräsentativen, also mehr punktuellem Handeln liegen“. Seitz fühlte sich den spannungsreichen, alltäglichen Anforderungen des Bischofsamtes nicht gewachsen. Während seiner zweijährigen Zeit als Dekan habe er wohl erfahren, dass er befristet Konflikte durchzustehen vermag, aber „die Bereitschaft, Spannungen zu tragen, Konflikte nicht zu umgehen und manchen Streit um des Evangeliums willen auch gezielt zu beginnen, reicht nicht aus.“ Das Bischofsamt in seiner Sicht benötige „ein Theologie und Rechtskundigkeit in hohem Maß vereinbarendes Charisma der Menschenführung, ein gesundes Verhältnis zur Macht, zur kirchlichen Repräsentation und einen bemerkenswerten Mut zur Unpopularität; letzten nicht ohne die Befähigung, die Sache so zu vertreten, dass sie doch gehört wird. Ich zögere, mir diese Gaben zuzutrauen“. Wie der Professor das Bischofsamt beschrieb, hatte er vielleicht die Gestalt Heintzes vor Augen. Manches erinnert an das Profil, das Gerhard Heintze dem Braunschweiger Bischofsamt gegeben hat. Heintze hatte auch beim Präsidenten des Lutherischen Kirchenamtes Dr. Günter Gaßmann in Hannover angefragt. Aber Gaßmann sagte ab und ging nach Genf in die Ökumene.

Nach dem ursprünglichen Zeitplan, der das Ende der Amtszeit für November 1981 vorsah, hatte Heintze für den Herbst noch Reisen in die Tschechoslowakei vorgesehen und führte sie auch durch. Am 13. September nahm der Bischof am 300jährigen Jubiläum des Toleranzpaktes in Novo Mesto teil, von dem Heintze schrieb: „Es war eine sehr schöne Feier, zu der ich freundlich von der evangelischen Kirche der Böhmischen Brüder aufgenommen wurde.“18 Vom 14.-18.10. 1981 tagte in Prag das Präsidium der KEK, wohin der Bischof mit seiner Frau fuhr. Im November war das große Treffen im dänischen Kloster, von dem oben berichtet ist. Davor tagte die Generalsynode der VELKD in Wolfenbüttel, danach die Landessynode. Die Bischofssekretärin Frau Langer schickte den von Heintze verfassten Bericht für die Generalsynode an das Lutherische Kirchenamt mit der Bitte, den Text noch einmal auf mögliche Fehler zu überlesen, „da er jetzt pausenlos unterwegs ist.“19

Der vorgesehene Zeitplan einer Amtsübergabe zum 2.12.1981 war gescheitert, weil sich begreiflicherweise kein Kandidat rasch zur Verfügung stellte. Die Kirchenregierung bat Heintze, seine Amtstätigkeit bis zum 31. März 1982 zu verlängern, was er nicht ungern tat. Der Wahlausschuss einigte sich darauf, nur einen einzigen Kandidaten und zwar nicht aus der Landeskirche zu suchen. Im Spätherbst fanden erste Gespräche mit dem Professor für Kirchengeschichte Dr. Gerhard Müller aus Erlangen statt. Der KURIER hatte angekündigt, „Neuer Bischof in Sicht“, nicht „Neuer Bischof zur Wahl“.20 Das war kein synodales Prunkstück, zumal nach der Wahl am 19. Februar 1982 Prof. Gerhard Müller erklärte, er könne sein Amt nicht wie erwartet zum 1. April antreten, sondern wolle erst das noch nicht begonnene Sommersemester abwickeln. Damit war die Terminplanung zum zweiten Mal über den Haufen geworfen. Heintze hatte erwartet, dass die Kirchenregierung seine Dienstzeit erneut verlängern würde, um die Amtsübergabe selber tätigen zu können. Heintze fühlte sich rüstig genug, aber er wartete vergeblich auf einen Beschluss der Kirchenregierung zu einer zweiten Verlängerung. Er war auch nicht machtbewusst genug, um eine Sitzung der Kirchenregierung rechtzeitig einzuberufen. Der Riss ging nicht nur durch die Synode, sondern auch durch die Kirchenregierung und das Landeskirchenamt. Es war ein später schaler Triumph von Oberlandeskirchenrat Wandersleb, des Stellvertreters des Bischofs, der nun selber in der halbjährigen Vakanz als Bischof auftreten konnte. Zwischen Heintze und Wandersleb gab es seit Jahren keine theologische oder persönliche Gemeinsamkeit, wie sie noch zwischen Heintze und OLKR Brinckmeier bestanden hatte.


Der letzte Lagebericht „Rückschau und Ausblick“

Am 19./20. März 1982 beendete die sechste Landessynode ihre sechsjährige Sitzungsperiode. Sie hatte am 19. Februar Prof. Dr. Gerhard Müller als neuen Landesbischof gewählt. Im Mai des vorausgegangenen Jahres hatte die letzte Themensynode stattgefunden „Junge Christen und ihre Kirche“. Den Tätigkeitsbericht der Kirchenregierung mit den mehrstündigen Ausführungen des Landesbischofs hatte sie im letzten Jahr hinter sich gebracht. Es gab eigentlich nichts wesentliches mehr zu besprechen. Viele von ihnen beendeten mit dieser Sitzung ihre Mitarbeit in der Landessynode und kehrten nicht wieder zurück. Eine Ansprache vom noch amtierenden Bischof war ursprünglich gar nicht vorgesehen, denn eigentlich sollte Gerhard Heintze schon in den Ruhestand verabschiedet sein. Aber turnusmäßig stand dem Bischof in diesem Jahr ein Lagebericht zu, und diese Gelegenheit nahm Heintze wahr zu einer „Rückschau und (einem) Ausblick“, wie er das Thema nannte, das die Synodalen im Grunde nicht mehr interessierte. Heintze schilderte eingangs ausführlich die holprige Situation der Bischofswahl und bedauerte ausdrücklich die nun folgende Vakanzzeit. „Ich hätte gerne mein Amt, wie es in der Ökumene sonst allgemein die Regel ist, direkt meinem Nachfolger übergeben. Aber ich bin nun einmal an die zum 31. März 1982 terminierte Bitte der Kirchenregierung, die sich nicht verändert hat, und über die sie nicht in ein neues Gespräch mit mir eingetreten ist, gebunden. So habe ich mich inzwischen fest auf den Termin des 1. April 1982 als Termin des Eintritts in den Ruhestand eingestellt“.21 Bei der Mehrheit der inzwischen heintzedistanzierten Synodalen und Oberlandeskirchenräten hatte die Redeweise die Runde gemacht, Heintze klebe am Amt und könne sich nicht trennen. Das hörten sie auch aus den Worten des Bischofs heraus und hörten in den folgenden eineinhalb Stunden, was dem Bischof in seiner 17jährigen Amtszeit Freude gemacht habe und was er als unbefriedigend empfunden habe. Für sie war es der Abschluss einer sechsjährigen Tätigkeit in der Synode, für Heintze war es der Abschluss einer 17jährigen Bischofszeit und einer 44jährigen Dienstzeit. Auf die Lage Heintzes stellten sich die wenigsten Synodalen ein. Heintze dankte seinen Eltern, der Familie, den Mitarbeitern im Landeskirchenamt und dass er seinen Dienst in einer überschaubaren Landeskirche tun durfte und bei guter Gesundheit sei. Er erinnerte an die „jetzt endlich auch in unserer Landeskirche beginnende Aufarbeitung des Verhältnisses der Kirche zum Nationalsozialismus“, obwohl sein Stellvertreter OLKR Wandersleb wenig vorher eben jene Aufarbeitung als Bruch eines Testamentes von Bischof Erdmann gerügt hatte, wonach eine solche Arbeit erst dann aufgenommen werden sollte, wenn der letzte Zeitzeuge gestorben sei. Heintze erinnerte an seinen Konfirmations- und Ordinationsspruch, wonach der Glaubende in der Nachfolge Jesu zeitlang ein Lernender bleibe. „Das ist mir im Laufe meines Amtes immer gewisser geworden.“22 Als schwierig habe er die Koppelung von Seelsorge und Verwaltungstätigkeit empfunden, wie es die Verfassung in der Landeskirche vorsieht, für das ökumenische Engagement habe er manche Arbeit in der eigenen Landeskirche liegen lassen müssen, die Bearbeitung der Visitationsberichte habe zu lange gedauert. Er setzte sich auch mit dem Vorwurf zu geringer Entschiedenheit auseinander. „Ich habe mir die Sorgen auch angelegen sein lassen und versucht, die Verschiedenheiten der in der Landeskirche vorhandenen Gaben und Kräfte zu respektieren und niemanden voreilig zu disqualifizieren. Das hat mir allerdings, namentlich in den ersten Jahren meiner Amtszeit, mitunter den Ruf eingebracht, ich sei in meiner eigenen Haltung zu unbestimmt und lasse es an der Bereitschaft zu eigenen entschiedenen Stellungnahmen fehlen. Nun, ich hoffe, vor allem durch meine intensive Teilnahme am Predigtdienst dargetan zu haben, dass es mir zu allererst darum zu tun war und ist, ein glaubwürdiger Diener und Zeuge Jesu Christi zu sein und das Evangelium so auszurichten, dass Menschen heute es verstehen.“ 23 Heintze ließ kein riskantes Thema aus und äußerte sich am Schluss zum politischen Engagement. „Ich habe es auch in dieser Beziehung keineswegs allen Leuten recht machen können. Beim Großteil unseres Kirchenvolkes überwog wohl die Kritik, ich habe mich auf derartige Fragen zu intensiv eingelassen und es mitunter an der von ihnen gewünschten Enthaltsamkeit in politicis fehlen lassen … Ich bin allerdings der Überzeugung, dass das Friedensthema nicht illegitim von außen in unsere Gemeinden hineingetragen wird, sondern zu den Grundthemen des Evangeliums gehört“.24 Repräsentationspflichten habe er nicht an die erste Stelle gesetzt. Er sei als Bischof „ein Christ wie jeder andere“, und habe „vieles in meinem Amt versäumt und verkehrt gemacht, daher der Vergebung und Rechtfertigung bedürftig, diese aber auch immer neu empfangen. „Das ist letzten Ende der eigentliche Grund, weshalb ich gern in dem mir seinerzeit anvertrauten Amt gewesen bin, für das ich mich nicht von mir aus gemeldet und nach dem ich auch nicht verlangt hatte.“25 Es war ein aufrichtiger, persönlicher, selbstkritischer Rückblick eines grundanständigen Charakters vor den falschen Zuhörern und zur falschen Zeit. Der Bischof war noch nicht an seinem Platz, da war der obligate Beifall schon verebbt, und es wurde der nächste Tagesordnungspunkt aufgerufen. Heintze verließ bald danach das Plenum, weil er das abweisende Desinteresse spürte. Er ging zwar zum geselligen Abschlussabend in den Franziskussaal, wo ihm aber dieselbe Stimmung entgegenschlug. Immerhin versäumte es der Synodenpräsident Karl Heinz Ramser in seinem Schlusswort am Ende der Amtszeit 1976/82 nicht, dem Landesbischof für seine Arbeit zu danken. „Einen besonderen Platz nahmen die Lage- und Tätigkeitsberichte ein, die Herr Landesbischof Dr. Heintze der Synode erstattet hat. Er hat uns, der Synode, das breite Spektrum kirchlicher Arbeit auf allen Gebieten vorgetragen und uns Anregungen für rege Aussprachen gegeben. Wenn auch Herr Landesbischof heute nicht anwesend ist, weil er bereits abreisen musste, so möchte ich ihm doch an dieser Stelle den Dank der Synode sagen, auch dafür, dass er an fast allen Synodaltagungen hier, wenn auch nicht immer bis zum Ende, teilgenommen hat.“ „Beifall“ „Im Namen der Synode darf ich Herrn Landesbischof Dr. Heintze auch dafür danken, dass er sich bereiterklärt hat, über die Tätigkeit in unserer Kirche auch in kirchlichen Zusammenschlüssen tätig zu sein“. Ramser zählte nun die verschiedenen Tätigkeiten Heintzes auf. „Ich darf auch dafür danken“, fuhr er fort, „dass Herr Landesbischof ein guter Seelsorger innerhalb dieser braunschweigischen Landeskirche gewesen ist. Meine Beobachtung schöpfe ich aus der Teilnahme an den Sitzungen der Kirchenregierung, in denen ja immer zahlreiche Personalentscheidungen zu treffen waren. Herr Landesbischof hat in abwägender und ausgleichender Art immer die Partei genommen für die Pfarrer, auch wenn der betreffende Pfarrer gefehlt hatte, bzw. sich nicht richtig verhalten hatte. Er hat immer versucht, das Beste für seine Brüder zu erreichen. Wir dürfen Herrn Landesbischof an der Seite seiner Gattin einen wohlverdienten Ruhestand wünschen, nachdem er 17 Jahre lang die Bürde eines Bischofs unserer Landeskirche getragen hat und sich um diese Landeskirche verdient gemacht hat.“ „Beifall“ vermerkte das Protokoll.26 Das war eine faire Würdigung des Synodenpräsidenten ohne Schmalz und falschen Zungenschlag.


Das missglückte Ende

Es kam aber noch anders. In einem langen Gespräch mit dem EZ Redakteur Hans Otto kurz vor seiner Abfahrt, das am 4.April 1982 veröffentlicht wurde, kritisierte Heintze die Vakanzzeit. 27 Er wolle dem Eindruck entgegentreten, als ob er nicht bereit gewesen wäre, bis zum Herbst weiterzuarbeiten und das Amt seinem Nachfolger zu übergeben. Er äußerte auch die Vermutung, dass die Kirchenregierung ohne ihn Absprachen getroffen haben könnte. Die Braunschweiger Zeitung veröffentlichte am 31.3.1982 vorab aus diesem EZ Interview die Passage unter der Überschrift „Landesbischof kritisiert Vakanzzeit „Wenig stilvolles Verhalten“ der Kirchenregierung“. Umgehend verabredeten die Kirchenregierung unter dem stellvertretenden Vorsitz von OLKR Kaulitz und das Kollegium unter dem Vorsitz des Stellvertreters des Landesbischofs OLKR Wandersleb eine bedauernde Stellungnahme, die schon am nächsten Tag, dem 1. April 1982, in der Braunschweiger Zeitung erschien. Heintze habe sich nicht wegen einer Verlängerung an die dafür verantwortlichen Gremien gewandt. Eine Vakanzzeit sei in der Verfassung geregelt. Im übrigen: Bedauern. Diese kalte Abfuhr eines Landesbischofs hat noch lange in der Öffentlichkeit peinlich nachgewirkt. Der Synodale und Lebenstedter Propst Hans Martin Brackhahn veröffentlichte im KURIER eine überaus sympathische Würdigung der Bischofszeit von Heintze 28 und spielte den Skandal als „Missverständnis“ herunter. „Ich gehe davon aus, dass jeder in der Landeskirche gern gesehen hätte, wenn Sie bis zum 30. September noch im Amt geblieben wären“. Missverständnisse seien dadurch verursacht, dass in der Kirche Konflikte nicht offen ausgetragen würden. Aber der Riss zwischen dem Bischof und Synode sowie der Kirchenleitung war zu krass.


Der Abschied von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und der Pfarrerschaft

Da eine offizielle Verabschiedung nicht zustande kam, lud der Bischof der Reihe nach die weitere Mitarbeiterschaft ins Wolfenbütteler Forsthaus ein: am 2. März die Pröpste mit ihren Frauen und außer Länger waren alle 14 gekommen, am 9. März die Ruheständler Brinckmeier, Bluhm, Kammerer, sogar Wedemeyer hatte zugesagt, und die emeritierten Pröpste mit Frauen, und eine Woche später einige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aus dem Landeskirchenamt darunter Frau Schwartz, Frau Lange, Frau Göwecke, die engsten Mitarbeiterinnen, insgesamt 15 Frauen und Männer.29

Im Braunschweiger Dom hielt Heintze hielt eine Abschiedspredigt und der Pfarrerverein hatte am 15. März zu einer Abschiedsveranstaltung in den Katharinengemeindesaal eingeladen, bei dem der Bischof noch einmal über seine Lieblingsthemen Luther und die Ökumene referierte. Es hätte nahe gelegen, dass der Bischof in einem Rückblick vom Verhältnis zu seiner Braunschweiger Pfarrerschaft erzählte, aber das war ihm vermutlich zu persönlich. Er wählte das Thema „Martin Luthers Erbe als Anfrage an das heutige ökumenische Gespräch“.30 Er hatte, da das Lutherjubiläum 1983 bevorstand, bei einer kürzlichen katholischen Tagung dieses Thema bereits zweistündig behandelt, dabei aber in seiner typischen Weise derart zahlreiche selbstkritische Rückfragen an die eigene Kirche gestellt, dass sich der Vortrag auch vor einer evangelischen Zuhörerschaft verwenden ließ. Heintze nannte vier Themenbereiche als protestantische Grundorientierung die im Gespräch mit der katholischen Kirche vorgebracht werden sollten: die in der Kirche alleinige Geltung der Bibel, die Rechtfertigung des Gottlosen, die Freiheit eines Christenmenschen und das allgemeine Priestertum.

Vor dem Vortrag hatte sich die Pfarrerschaft zu einem gemeinsamen Abendmahlsgottesdienst in der Katharinenkirche versammelt. Dort hielt Propst Klaus Jürgens eine in die Tiefe gehende, seelsorgerliche Predigt, die im Folgenden vollständig wiedergegeben wird.31

Liebe Schwestern und Brüder, der heutige Pfarrertag des Braunschweigischen Pfarrervereins hat seinen besonderen Charakter dadurch, dass mit ihm der Abschied unseres Landesbischof Dr. Heintze von der Pfarrerschaft verbunden ist. Nach nicht ganz 17 Jahren im Bischofsamt unserer Kirche werden Sie, verehrter Herr Landesbischof, in den Ruhestand treten; und da dies zugleich das Ausscheiden aus dem Amt überhaupt bedeutet, wird Ihnen in diesen Tagen sicherlich oft der ganze Weg, den Sie geführt worden sind, vor Augen stehen: von der ersten Amtszeit in Hollern-Twielenfleth an über Hermannsburg, Erichsburg und Hildesheim bis hin nach Wolfenbüttel. Es war für Sie ein Weg voller Segen, wenn auch manches persönliche, bittere Leid bis zuletzt nicht gefehlt hat. Wir sind das letzte Stück dieses Weges mitgegangen. Viele, die heute hier sind – wohl gut die Hälfte der jetzt amtierenden Pfarrerschaft, – haben Sie ordiniert und Ihnen den Weg ins Pfarramt gewiesen. Vielen sind sie begegnet und zum Seelsorger geworden. Und wenn wir heute diesen Pfarrertag mit einer Abendmahlsfeier beginnen, dann besonders darum, weil die tiefe Verbundenheit, die das Abendmahl schenkt – mit dem Herrn und untereinander – zeichenhaft auch die Verbundenheit mit Ihnen ausdrücken möchte. Paulus schreibt in seinem bekannten Abendmahlskapitel – im 1. Kor. 11 – „So oft ihr von diesem Brot esset und von diesem Kelch trinket, sollt ihr des Herren Tod verkündigen, bis dass er kommt.“

„Des Herren Tod verkündigen“, liebe Schwestern und Brüder, das heißt, den Deus pro nobis zu verkündigen, anzusagen, dass Gott als der gnädige unter uns ist, uns nahe, so wie er im Sakrament mitten unter uns ist. Darum ist Abendmahl Eucharistie, Lob- und Dankfeier, dass der Herr mit seiner Kirche, dass der Herr mit uns geht; dass wir – wie das Volk Israel beim Zug durch die Wüste – täglich von seinem Manna leben dürfen. Lob und Dank, wir bringen sie auch in diesem Gottesdienst zum Ausdruck für das, was der Herr Ihnen, lieber Dr. Heintze, und was er uns auch durch Sie getan hat, dass er bei uns und unter uns war. Wie er sich im Sakrament finden lassen will, durften wir ihn finden.

„Des Herrn Tod verkündigen“, liebe Schwestern und Brüder, das heißt dann zum zweiten aber auch, zu wissen und zu bekennen: er trug unsere Sünden, unsere Schuld nahm er auf sich. Und das heißt: dass wir an diesem Morgen auch um Vergebung zu bitten haben. Dabei weiß ich, lieber Bruder Heintze, dass Sie der letzte wären, der nicht von sich sagen würde: wir sind der Vergebung bedürftig. Und ich denke daran, wie Sie uns immer wieder, bei vielen Gelegenheiten, unermüdlich gemahnt haben: wir dürfen unser eigenes Versagen und unsere Schuld, – selbst beim besten Wollen – nicht vergessen. Und auch daran werden wir denken: machen wir es uns als Pfarrer nicht auch gegenseitig unnötig schwer? Haben wir es unserem Bischof nicht oft auch schwer gemacht? War nicht manchmal das Kritisieren und Schimpfen eher da als das Händefalten zur Fürbitte? „Des Herrn Tod verkündigen“ wir kommen in der Solidarität der Sünder zu diesem Mahl. Aber dann ist es eben doch wieder so: wir begegnen dem Deus pro nobis. Von seiner Gnade dürfen wir leben.

Aber so, – und das ist das Dritte – dass die Begnadigten am Tisch des Herrn Brüder werden, die das Band der Liebe ihres Herrn vereint. Paulus spricht ja gerade im Zusammenhang mit unserm Wort vom „unwürdig Essen und Trinken“, davon, dass man schuldig werden kann am Leibe des Herrn, und dieses unwürdig Essen ist das lieblose Essen, das den Bruder übersieht und vergisst.

Für mich gehört es zum Hervorstechendsten unseres Bischofs, dass er um die Gemeinschaft der Brüder bemüht war, in unserer Landeskirche; wo er auch die Extremsten unter uns versuchte, zusammenzuhalten, und wo er in Geduld mit Menschen umging, wo mancher meinte, die Grenzen der Geduld seien längst überschritten; und außerhalb unserer Kirche: im Brückenschlag zu farbigen Brüdern und nicht zuletzt im Gespräch mit den Mitchristen in den anderen Konfessionen, besonders in der katholischen Kirche. Ich will hier keine laudatio halten. Es geht um die Verkündigung des Todes des Herrn; aber dazu gehört auch dieser Hinweis: der Herr wird nur dort glaubhaft verkündet, wo Menschen zu Brüdern werden. „Lass sie eins sein“, betete Jesus, „damit die Welt erkenne, dass du mich gesandt hast.“ Ein Letztes: Christi Tod im Sakrament verkündigen, heißt von der Hoffnung sprechen, dass mit seinem Kommen auch dies Wahrheit werden soll, was er im Lukasevangelium beim Abendmahl sagt: „dass ich’s neu trinken werde mit euch in meines Vaters Reich.“ Geht es auch heute um das Abschiednehmen, – für Christen wird jedes Abschiednehmen überholt von der Gewissheit: es gibt ein letztes Wiedersehen, ein Heimkommen und Bleiben von dem der 23. Psalm, den wir in der alten Braunschweiger Liturgie bei jedem Abendmahl beteten, sagt: „Ich werde bleiben im Hause des Herrn immerdar.“ Amen.


Anmerkungen zum Kapitel 16

1 EZ 29.6.1980 „Bischofswahl am 13. Juni“.
2 LAW acc 102/07 Rundbrief 9.1.1981; EZ 1.2.1981 7 „Keine Patentlösungen für den Friedensdienst.“
3 LAW acc 102/07 Rundbrief 9.1.1981.
4 EZ 25.1.1981 7 „Ökumene – Fortschritte und Rückschritt“.
5 Als Tagungsort waren ursprünglich das Marienstift und das Predigerseminar in Braunschweig vorgesehen, was sich jedoch nicht organisieren ließ.
6 EZ 8.2.1981.
7 Alle weiteren Angaben nach KURIER 1/81 Mai 1981 S. 38-40; EZ 8.3.1981 „Wer wird Nachfolger von Bischof Heintze?“
8 Schlusswort des Präsidenten an die Landessynode KURIER 1/82 S. 38; der Reporter der EZ berichtete, Dr. Fischer habe die kürzeste Rede vor der Landessynode gehalten. Sie habe aus dem Satz bestanden: „Ich bin sprachlos.“ EZ 7.12.1980 „Ich bin sprachlos.“
9 EZ 5.4.1981 „Der dritte Kandidat“; BZ 14.4.1981 „Jetzt drei Kandidaten“.
10 KURIER 1/1981Mai 1981 4 – 20.
11 EZ 29.3.1981 7 „Eigenständigkeit – ohne sich abzukapseln“.
12 Anlagen zum Tätigkeitsbericht März 1981 148 ; siehe auch Anm 11.
13 Geschichte und Entwicklung der Zentralen Beratungsstelle für KDV und ZDL der Ev.-luth. Landeskirche in Braunschweig im Ev. Stadtjugenddienst Braunschweig Chronik 1945 – 2008 5 – 6 zusammengestellt von D. Schumacher im Archiv des Stadtjugenddienstes.
14 Anm 10 20 – 21 „Aussprache über den Lage- und Tätigkeitsbericht“.
15 EZ 5.10.1980 „Träume vom Licht“.
16 Die Tagung ist ausführlich dokumentiert in KURIER Juni 1981 1 – 33.
17 EZ 21.6.1981 1 „Bischofswahl erfolglos“.
18 LAW LBf 302 Heintze am 21.9.1981.
19 LAH Lutherisches Kirchenamt 2130 Generalsynode 1981 Allgemeines und Vorbereitung. Schreiben vom 5.10.1981 Lange an Präsident Gassmann.
20 EZ 6.12.1981 1 „Erleichterung: Neuer Bischof in Sicht.“ 7 „Neuer Bischof in Sicht – Internationaler renommierter Kirchenhistoriker einziger Kandidat bei der Wahlsynode“. KURIER 3/81 Dezember 1981
21 KURIER Mai 1982 S. 8.
22 ebd. 9.
23 ebd. 11.
24 ebd. 12.
25 ebd. 13.
26 KURIER Mai 1982 39.
27 EZ 4.4.1982 „Abschiedsinterview mit Dr. Heintze“.
28 KURIER 1/82 S. 1 „Abschied von Landesbischof Dr. Heintze“.
29 Teilnehmerlisten mit Zusagen und Absagen im Nachlass Renate Heintze.
30 Das Maschinenmanuskript beim Verfasser.
31 Kirche von Unten Heft 27/28 November / Dezember 1987.


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Impressum, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/Heintze/, Stand: November 2015, dk