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[Kirche von unten]

Die Braunschweiger Landeskirche in den 70er Jahren

und ihr Bischof Gerhard Heintze

Kapitel 6

Ein Charisma in der Gemeinde: eine Landeskirche mit Pastorinnen 1

Die Vorbereitung des Pastorinnengesetzes im Gemeinde- und Rechtsausschuss / Die abbröckelnde Oppositionsgruppe um Pastor Lieberg / Die Einbringung des Gesetzes in die Landessynode / Leserbriefe / Der sechste Rundbrief / Die Gegenposition von OLKR Max Wedemeyer / Die Begründung des Pastorinnengesetzes im siebenten Rundbrief / Das Umfeld der Debatte über die Gesetzesvorlage in der Landessynode / Die Debatte in der Landessynode / Die Ankündigung des Rücktritts von Max Wedemeyer / Die Ordinationspredigt des Bischofs: „Seine Treue gelten lassen“.

Predigt, Konfirmandenunterricht, Beerdigungen waren „Männersache“. Darüber war sich das Gros der Braunschweiger Pfarrerschaft einig. Das war immer so und daran musste sich nichts ändern, wenn kein besonderer Anlass dazu vorlag. Diese Meinung war weniger theologisch begründet, sondern entsprach einer emotionalen Stimmungslage. Es gab ja auch keinen Befehl Jesu: Gehet hin und machet zu Pastorinnen alle Frauen. Im übrigen war die alte Kirchenleitung derselben Ansicht. Der neue Landesbischof Gerhard Heintze dagegen war ein erklärter Befürworter der Frauenordination. Er hatte entscheidend bei ihrer Durchsetzung in der hannoverschen Landeskirche mitgewirkt und sie in seinem Aufsatz aus dem Jahre 1962 vorbereitet. So war es schon vor seiner Wahl zum Bischof im April 1965 verabredet, dass Heintze die Frauenordination auch in der Braunschweigischen Landeskirche befördern, vielleicht sogar einleiten würde. Aber Heintze ließ sich Zeit und wartete ab, bis die Synode tätig wurde. Treibende Kraft in der Synode war Propst Bosse, der Vorsitzende des Gemeindesausschusses. „Wir wollen nun die Pastorinfrage in unserer Landeskirche anfassen“, schrieb er im Mai 1966 an Bischof Heintze und den Synodenpräsidenten Buhbe.2 Im Juni 1966 beauftragte die Landessynode den Gemeindeausschuss, das Pfarrvikarinnengesetz zu überarbeiten. Das war nur ein geschönter Titel für die Vorlage nicht eines verbesserten Pfarrvikarinnengesetzes, sondern eines Pastorinnengesetzes. Es war die feste Absicht des Vorsitzenden des Gemeindeausschusses Propst Wilhelm Bosse, der Landessynode eine Gesetzesvorlage für ein Pastorinnengesetz vorzulegen. Das war inhaltlich nicht Neues. Einige Landeskirchen waren bereits vorangegangen: die von Lübeck Oldenburg, Hannover, Mecklenburg, Sachsen und vor allem die Landeskirchen, die der altpreußischen Union angehörten, also die rheinische, westfälische und brandenburgische Landeskirche. In der Braunschweigischen Landeskirche hatten sich Befürworter und Gegner eines Pastorinnengesetzes bereits 1963 zu erkennen gegeben und der damalige Landessuperintendent Heintze hatte sich deutlich geäußert.


Die Vorbereitung des Pastorinnengesetzes im Gemeinde- und Rechtsausschuss

Als Vorbild für eine gesetzliche Regelung diente zunächst das Gesetz der Oldenburgischen Landeskirche. Predigerseminardirektor Ernst Heinrich Kammerer hielt vor dem gemeinsam tagenden Gemeinde- und Rechtsausschuss am 8. September 1966 einen grundlegenden, zurückhaltend befürwortenden Vortrag und stellte in einem mehrstündigen Vortrag alle dogmengeschichtlichen, systematischen und biblischen Argumenten vor und beschäftigte sich auch mit den praktischen Vorstellungen einer Pastorin im Pfarrhaus. Zum Schluss warb er für einen verständnisvollen Umgang mit den Gegnern eines solchen Gesetzes.3 Den Aufsatz Heintzes aus der evangelischen Theologie von 1962 machte sich Kammerer nicht zu eigen. Als bekannter Gegner einer Frauenordination wurde Pfarrer Erich Warmers zu einem Gegenreferat in den Ausschuss eingeladen. Aber Warmers erklärte zur Überraschung der Ausschussmitglieder in der Sitzung am 9. November 1966, für ihn habe sich das bisherige Amtsverständnis geändert. Er betrachte es nicht mehr wie bisher institutionell sondern funktionell.4 Das entsprach dem von Heintze entwickelten Amtsverständnis. Außerdem habe er gründliche Aussprachen mit seiner Mitarbeiterin, der Pfarrvikarin Gertrud Böttger, gehabt. Er habe keine Bedenken mehr gegen die Ordination einer Frau. „Er habe nicht das erfüllt, war wir von ihm erwartet haben“, hieß es ernüchtert in der Vorstandssitzung der Kirchlichen Sammlung.5 Damit hatte sich Warmers auch aus dem Kreis der Liebergsympathisanten verabschiedet. Als neuer Gegner einer Frauenordination wurde Pfarrer Dr. Heinrich Ulbrich, Bettingerode, in den Gemeinde- und Rechtsausschuss eingeladen, der nun gleichfalls in einem gründlichen Referat in der Sitzung am

31. Januar 1967 alle bekannten Gegenargumente vorbrachte, z.B. Jesus habe zwar Jünger und Schülerinnen gehabt, aber keine Jüngerinnen, beim letzten Mahl habe keine Frau teilgenommen, der Taufbefehl gelte nicht den Frauen, das Petrusamt ergehe nicht an eine Frau, die Schöpfungsstruktur bestimme den Mann als das Haupt der Frau. Besonders originell war die Schlussfolgerung. „Aus dem Gesagten sei zu folgern, dass das Kirchenamt der Frau nur dann zugesprochen werden könnte, wenn es überhaupt keine Männer mehr gebe. Dieser Zustand dürfte allerdings kaum eintreten.“6 Das Entscheidende an dem Referat Ulbrichs waren nicht die Argumente, sondern die angedrohten Folgen im Falle einer Verabschiedung eines Pastorinnengesetzes. „Ein Kirchengesetz, das rechtlich gesehen nichtig ist und inhaltlich gesehen ein auf Mehrheitsbeschluss begründeter Willkürakt, würde die Autorität der kirchenleitenden Organe selber in Frage stellen, was sich ständig konkret auswirken wird – zunächst in dem Augenblick, in dem ein solches Gesetz von einer Anzahl von Pfarrern und Gemeindegliedern offen zurückgewiesen wird, womit auf jeden Fall zu rechnen ist.“ Das war für einen Braunschweiger Pfarrer, der seit 1962 seine erste Pfarrstelle in Bettingerode angetreten hatte, ein Ansinnen und eine Sprache jenseits der üblichen traditionellen Einordnung in den gesetzlich vorgeschriebenen Rahmen seines Amtes. Möglicherweise verpufften diese Argumente jedoch, denn nach ihm referierte die zu dieser Sitzung ebenfalls eingeladene Pfarrvikarin Grosch über die bereits gemachten Erfahrungen mit einem entsprechenden Gesetz in den anderen Landeskirchen. Es gebe immerhin 571 Frauen, die das 2. theologische Examen absolviert hätten und davon seien 205 in einem Gemeindepfarramt tätig. Zum Referat von Ulbrich befragt erklärte sie lediglich, unter diesen Voraussetzungen sollte die Kirche das Theologiestudium für Frauen verbieten. Am 23. Februar 1967 erläuterte Bischof Heintze den Ausschussmitgliedern die Hannoversche Fassung des Pastorinnengesetzes, die einige rigorose Einschränkungen enthielt, und der vereinte Ausschuss beschloss mit der großen Mehrheit von 10: 1 Stimmen und einer Enthaltung die Einführung eines Pastorinnengesetzes in der Landeskirche. Heintze sprach abschließend von den geistlichen Gaben, die einer Frau gegeben sei; eine Wahrheit würde schließlich nicht dadurch zur Irrlehre, wenn eine Frau sie ausspreche.7 Das war wieder so eine trockene Bemerkung, die manchen mehr überzeugte, als exegetische Feinheiten. OLKR Max Wedemeyer bekräftigte, er werde einem Gesetz nicht entgegenstehen, vielmehr „der künftigen Pastorin helfen und sie brüderlich lieben, auch wenn er ihr Amt nicht anerkennen könne“. Über den Fortgang der Arbeit im Gemeindeausschuss war der Vorstand der Kirchliche Sammlung gut informiert, denn OLKR Wedemeyer nahm zu gleicher Zeit als Gast auch an den Vorstandssitzungen der Kirchlichen Sammlung teil. Dort wurde im Februar ein grundsätzliches Votum verfasst mit der Bitte, das Pastorinnengesetz nicht zu verabschieden und die Minderheit in der Pfarrerschaft durch einen Synodenbeschluss nicht zu majorisieren. Es bestünde keine Notwendigkeit für ein Gesetz, da es in der Kirche Aufgaben gebe, die von Männern nicht erledigt werden könnten.8


Die abbröckelnde Oppositionsgruppe um Pastor Lieberg

Aber der Eindruck einer wuchtigen „Sammlungsbewegung“ täuschte. Der Schriftführer der Kirchlichen Sammlung, Pfarrer Walter, Harlingerode, fasste in einem Brief an Lieberg die Situation folgendermaßen zusammen: „Von Geschlossenheit der Sammlungsbewegung ist keine Spur mehr vorhanden.“9 Im Gegenteil: die Goslarer Sympathisanten bestürmten den Vorstand der Kirchlichen Sammlung, auf keinen Fall die Arbeit am Pastorinnengesetz inhaltlich mit den Braunschweiger Thesen zu verbinden. Für Lieberg hingegen ergab sich als einfache Konsequenz der Braunschweiger Thesen die konsequente Ablehnung eines Pastorinnengesetzes.10

Im Frühjahr hatte der Gemeindeausschuss die Synodalsitzung über „Bibel und Gemeinde“ im Mai vorzubereiten. Inzwischen arbeitete OLKR Kaulitz einen Entwurf für ein Pastorinnengesetz aus, der in einem kleinen Ausschuss, dem die beiden Ausschussvorsitzenden Fricke und Bosse und OLKR Brinckmeier und OLKR Kaulitz angehörten, vorlagereif bearbeitet wurde.

In diesem Sommer 1967 versandte der Vorstand der Kirchlichen Sammlung die im vorigen Kapitel bereits beschriebene Antwort auf den Rundbrief des Bischofs vom März des vergangenen Jahres, die Lieberg vorbereitet hatte, aber man war sich über die Form der Veröffentlichung nicht schlüssig gewesen. Lieberg spürte, dass die Mehrheit des vergangenen Frühjahres erheblich abbröckelte. Schließlich erhielten alle Pfarrer der Landeskirche doch die Ausarbeitung Liebergs, die jedoch keinen neuen Gedanken enthielt, sondern dokumentierte, dass die Braunschweiger Thesen unveränderlichen bekenntnisartigen Charakter haben sollten. Sie wurden lediglich inhaltlich mit weiteren Bibelstellen und systematischen Gedanken verfestigt. Die Resonanz aus der Pfarrerschaft war für die Kirchliche Sammlung nicht ermutigend. Der Brief hatte die unausgesprochene Absicht, die Weiterarbeit am Pastorinnengesetz zu stören. Jedoch ohne Erfolg.


Die Einbringung des Gesetzes in die Landessynode

Der von dem kleinen Ausschuss ausgearbeitete Entwurf wurde von den beiden Ausschüssen in gemeinsamer Sitzung am 6. November 1967 angenommen und in der Dezembersitzung der Landessynode am 4. Dezember 1967 im Gemeindesaal der Marienkirche in Wolfenbüttel vorgelegt. In diesem Monat bröckelte die Gruppe der Kirchlichen Sammlung weiter. Der Schriftführer Pfarrer Walter, schrieb an Büscher, der inzwischen Vorsitzender der Kirchlichen Sammlung geworden war, er habe nach einem langen Gespräch mit Prof. Ratschow mit Erschütterung erkannt, dass allein das funktionale Amtsverständnis als Kriterium für die Frage der Ordination der Frau in Frage komme. Er gebe daher seinen Vorstandssitz ab.11

Mit der Einbringung des Gesetzestextes war das Gesetzgebungsverfahren eingeleitet und damit wurde nun auch die Öffentlichkeit mit dem Gesetzestext bekannt gemacht. Aber es war die Frage, ob die Pfarrerschaft noch speziell mit diesem Thema befasst werden sollte. Propst Frühling hatte während der Synodaltagung Anfang Dezember beantragt, allen Pfarrämtern je ein Exemplar des Vortrages von Kammerer und von Ulbrich zur Urteilsbildung zuzuschicken.12 Sollte mit diesem Antrag das möglicherweise vorhandene Informationsbedürfnis der Pfarrerschaft gestillt werden? Einen wesentlichen Einfluss auf die Gesetzesgebung konnte eine solche aufwändige Aktion nicht mehr haben. Frühling gehörte zu den Befürwortern der Thesen und Gegnern eines Pastorinnengesetzes. Er hatte auch im April 1965 gegen die Wahl von Heintze zum Bischof gestimmt. Einige Pfarrer seiner Propstei hatten ihm erklärt, dass sie mit einer Pastorin nicht zusammenarbeiten würden. Die Absicht des Antrags ging offenbar über eine objektive Information der Pfarrerschaft hinaus. Erfahrene Kommunalpolitiker wie Stadtdirektor Gremmels spürten die zweideutige Absicht und wandten sich strikt gegen diesen Antrag. 13 Er sah die Rolle der Synode beeinträchtigt und im übrigen müssten die Vorträge dann alle Kirchenvorstände erhalten, denn diese Frage ginge nicht nur die Herren Pfarrer etwas an. Frühlings Antrag erhielt nur acht Stimmen und fiel mit großer Mehrheit durch.14 Das war ungewollt bereits eine Probeabstimmung über das Gesetz selber. Angesichts dieser deutlichen Absichtserklärung der Landessynode war es ein Akt zwischen Trotz und Subversion, dass der stellvertretende Synodalvorsitzende Alfred Cieslar nun doch, jetzt aber in seiner Funktion als Vorsitzender des Landespredigervereins allen Pfarrern die Gesetzesvorlage, das Referat von Kammerer und von Ulbrich zusandte.15 Das war für die Pfarrer in der Advents- und Weihnachtszeit sehr viel zusätzlicher, kirchenjahresfremder Lesestoff.


Leserbriefe

Auf die Vorabmeldung von der Einbringung eines Pastorinnengesetzes am 2./3. Dezember 1967 in der Braunschweiger Zeitung unter der Überschrift „Bald Pastorinnen in Braunschweig“ meldeten sich zunächst zwei ablehnende Pfarrer. Soweit sei es noch nicht. „Unsere Kirchenleitung und Synodale sollten sich nicht dazu hergeben, ein Gesetz zu verabschieden, mit dem nicht nur ein nicht unwesentlicher Teil der Pfarrerschaft, sondern unserer Gemeinden schlechthin überfahren und unter Vergewaltigung der Gewissen zum Ungehorsam gegen Gottes Wort gezwungen werden.“16 Zwei Tage später sekundierte Pfarrer Robert Theilemann von der Petrikirche zustimmend.17 „Es sei die Situation zu beachten“, so der Mittelschullehrer H. Bender.18 Studienrat Wolfgang Bukowski erblickte „Eine Brüskierung der Frau“: „Warum sollte die Predigt, das Singen der Liturgie oder etwa das Austeilen des Abendmahlsbrotes ein männliches Privileg sein? Es läßt sich beim besten Willen kein sachlicher Grund dafür finden. Sollten die Studenten etwa Recht habe: Unter den Talaren – Muff von 1000 Jahren?19 Alfred Ludwig befand unter der Überschrift „Nicht mehr haltbar“: „Die Frau gehört hier nicht auf ein Nebengleis, sondern mit auf das Hauptgleis als gleichberechtigte Schwester,“20 und Enno Großmann meinte im Hinblick auf das wörtliche Verständnis: „Brechen nicht alle Pfarrer die Anweisungen Jesu an seine Jünger, wenn sie mit gutem Gehalt und Pensionsrecht in ihrem Pfarrhaus wohnen?“21 Eine Ausnahme bildete ein katholischer Theologe aus Wolfsburg, der im Pastorinnengesetz keinen Verstoß gegen die Bibel sah: „Wir meinen, dass Gott nicht alle seine biblischen Befehle für alle Zeiten gegeben hat, sondern manche Anweisungen nur für die Adressaten des Buches gelten.22 Reinhard Scheibe gehörte zu den wenigen Gemeindemitgliedern, der den Gegnern eines Pastorinnengesetzes recht gab. „Den Gemeinden ist gleichgültig, wie ihre Theologen in hebräisch oder griechisch abgeschnitten haben, ob sie gerade mit knapper Not diese alten Sprachen im Examen schafften. Viel wichtiger sind ‚ganze Kerle‘, die glauben, was die Bibel sagt, die das Charisma, also die innere Berufung zum Theologen mitbringen“.23 Es war Adventszeit und die allgemeine Stimmung auf Besinnung gestellt und nicht auf Streit. Insgesamt war das Interesse an einer Erörterung der Pastorinnenfrage in der Öffentlichkeit gering. Aber immerhin äußerten sich mit den Leserzuschriften die Gemeindemitglieder zur Frage der Frauenordination. Es war bisher vorwiegend in Pastorengremien und Gruppen diskutiert worden. Diese Erweiterung des Diskussionskreises erwies sich als förderlich, denn die bevorstehende Synodalsitzung war ja überwiegend aus Laien zusammengesetzt.


Der sechste Rundbrief

Zum Jahresende schrieb der Bischof seinen 6. Rundbrief in diesem Jahr an die Pfarrer. 24 Das war eine beträchtliche Anzahl. Der Bischof bedauerte eingangs, dass dieser Brief die Pfarrer wohl nicht rechtzeitig erreichen werde. „Seit Wochen wollte ich Ihnen gern einmal wieder schreiben. Aber es fehlte einfach die nötige Muße dazu. Und selbst dieser, Ihnen eigentlich rechtzeitig zu Weihnachten zugedachte Gruß, wird Sie vermutlich erst unmittelbar vor dem Fest erreichen und erst danach von Ihnen gelesen werden. Sie sollen dann aber wenigstens in der nachweihnachtlichen Zeit, die hoffentlich für Sie eine ruhige und besinnliche Zeit wird, wissen, daß ich Ihrer aller in diesen Tagen besonders herzlich und fürbittend gedenke.“ Das war keine übliche Phrase des pastorale Alltags, sondern Heintze hängte einen sehr persönlichen Dank an. „Umgekehrt möchte ich all denen danken, die den Dienst der Fürbitte und des An-michdenkens beständig tun. Ich weiß, daß ich ihn gerade in dieser Zeit in meinem Amt sehr nötig habe.“ Der Bischof fühlte sich in seinem Amt bedrängt und bat um die Fürbitte seiner Pfarrerschaft, und zwar in der für ihn ungewöhnlichen „ich-Form“, des „An-mich-denkens“. Er habe ihn „in dieser Zeit sehr nötig“, das klang nach einem Hilferuf. Sein Stellvertreter Max Wedemeyer hatte der Kirchenregierung mitgeteilt, dass er das Pastorinnengesetz nicht mittragen könne. Seine künftige Rolle innerhalb des Landeskirchenamtes war ungeklärt. Die Unbelehrbarkeit der Gegner eines Pastorinnengesetzes und die Sturheit, die zahlreichen Zugeständnisse, die der Gemeindeausschuss ihnen gebaut hatte, als Brücke zu einem wachsenden Einverständnis nicht einzusehen, das ungenierte und öffentliche Gezerre in den Leserbriefen machten zu schaffen. Wie auch sonst schrieb Heintze, was ihm am Predigttext zu Weihnachten wichtig war. 1967 war die Epistel Titus 3,4-8 „dran“. Ihn bewege besonders der Hinweis auf die Güte und Menschenliebe Gottes (Luther: „Die Freundlichkeit und Leutseligkeit Gottes“) in der Erscheinung Jesu Christi. „Möchte es uns gelingen, sowohl in der noch immer einigermaßen „volkskirchlichen“ Situation am Heiligen Abend wie auch sonst in unserem Reden und Handeln wirklich überzeugende Botschafter dieser unbegreiflichen „Mitmenschlichkeit“ Gottes zu werden! Es scheint mir gerade in diesem Jahr, in dem es auch für uns selber soviel Spannungen und gegenseitiges Nichtverstehen gegeben hat, doppelt wichtig zu sein, daß diese frohe Botschaft und nicht das Richten und Verklagen, aber auch nicht eine auf der Ebene des Gesetzes bleibende Mitmenschlichkeitsforderung den Grundton dessen bildet, was wir als Diener Jesu Christi zu bezeugen haben.“ Wieder sprach Heintze die Spannungen und das Nichtverstehen in der Braunschweigischen Landeskirche an. Wie schwer ihm diese Last war, machte der Bischof zusätzlich an einem Klepperzitat deutlich. Er hatte für alle, die diese Weihnachtszeit nicht so fröhlich wie sonst verbringen mochten, Auszüge aus dem Tagebuch Jochen Kleppers, dessen 25. Todestag sich jährte, um das jeweilige Weihnachtsfest 1934 und folgende Jahre zusammengestellt. Die Eintragung für Kleppers letztes Weihnachtsfest 1941 lautete: „Vermag der Stern auch noch in unseren Herzen aufzugehen? Ist es nicht so, daß unsere Sterne untergehen, wir aber wissen, daß der Morgenstern aufgeht über unseren Untergang hinweg? … Es ist wie zu der Zeit der Christgeburt: man kann vor auswegloser innerer und äußerer Not nur noch des Wunders harren (1941).“ Der Bischof ließ tiefer als sonst in seine persönliche innere Verfassung hineinsehen. Der eigentliche Anlass dieses Weihnachtsbriefes war jedoch seine dringliche Bitte, die Gemeinschaft innerhalb der Pfarrerschaft nicht aufzugeben. Die Pfarrerschaft hatte die beiden gegensätzlichen Referate durch den Pfarrerverein zugeschickt bekommen. Heintze beruhigte sich nicht mit der zu erwartenden sicheren Mehrheit in der Landessynode, sondern in seinem Blickfeld waren die mit Getöse dissentierenden Brüder. „Eines der Hauptprobleme, das bei den kommenden Beratungen auf uns wartet, wird die Frage sein, wie in rechter Weise den Gewissensbedenken der grundsätzlich gegen die Verabschiedung des Gesetzes eingestellten Minderheit – sie findet sich vor allem außerhalb der Synode, – begegnet werden kann. Ich habe die Hoffnung, daß es möglich sein wird, so darauf Rücksicht zu nehmen, daß niemand in dieser Sache zu einem aktiven Handeln gegen sein Gewissen genötigt werden wird. Der Wortlaut der Vorlage sieht seinerseits schon einen weitgehenden Schutz in dieser Richtung vor. Vor allem hoffe ich, dass es noch gelingen kann, diejenigen, die meinen, ein dissensus in der Frage der Frauenordination müsse kirchentrennende Bedeutung haben, zu überzeugen, daß diese Konsequenz auch von ihrem eigenen Standpunkt aus nicht gezogen werden muß. Allerdings habe ich die große Bitte an diejenigen, die für ihr Nein zum Pastorinnengesetz Gewissensbedenken geltend machen, damit zu rechnen, daß auch die Verfechter des Gesetzes – es wird ja vermutlich die Mehrheit der Synode sein – sich hier nicht von subjektiver Willkür leiten lassen, sondern sich durch ihr gleichfalls an die Schrift gebundenes Gewissen zu ihrer Entscheidung ermächtigt sieht. Gewissenserkenntnis steht hier gegen Gewissenserkenntnis, und es wird darauf ankommen, daß jede Seite nicht nur die eigene Überzeugung vertritt, sondern sorgsam mit den Gewissensargumenten der anderen Seite umgeht.“


Die Gegenposition von OLKR Max Wedemeyer

Den Tiefpunkt der Auseinandersetzung erreichte die Pfarrerschaft mit dem Brief, den sie vom stellvertretenden Bischof OLKR Max Wedemeyer erhielt, den er, wie er zweimal bedeutungsvoll hervorhob, am 30. Jahrestag seiner Ordination geschrieben hatte, am 6. Januar 1968.25 Wedemeyer teilte ihnen auf 10 Seiten mit, was er eingangs bündig so zusammenfasste: „Meines Erachtens widerspricht die Ordination von Frauen zum Hirtenamt der Kirche dem Zeugnis der Heiligen Schrift und verletzt Lehre und Bekenntnis der ev.-luth. Kirche.“ Das hatte Lieberg bereits geschrieben, das hatte Büscher geschrieben, das hatte Robert Theilemann geschrieben, das hatte ausführlichst Ulbrich zu Papier gebracht. Nun also auch der stellvertretende Bischof. Wedemeyer setzte sich mit keinem Argument Heintzes auseinander, also mit seinem Aufsatz aus dem Jahre 1962, empfahl dagegen ältere Lektüre wie Peter Brunner und zitierte ausgiebig den bayrischen Bischof Dietzfelbinger. Er gab nicht zu erkennen, dass er den letzten Brief seines Bischofs gelesen hatte, den vom Ende Dezember. Er hatte nur sich selber und seine Position im Blick, die er mit Eigenlob bedachte. Er habe sich sonst „zweifellos“ in Zurückhaltung und zwar „mit Sorgfalt“ geübt und er lasse sich beim persönlichen und dienstlichen Umgang mit den Pfarrvikarinnen von niemandem „an Ritterlichkeit, Liebenswürdigkeit und Hilfsbereitschaft“ übertreffen. Das der Synode vorliegende Gesetz fand Wedemeyer bündig „genau so schlecht, wie sämtliche noch so verschiedene Pastorinnengesetze in den anderen Landeskirchen“. Die von den Befürwortern genannte Begründung überzog Wedemeyer mit einem Nazivergleich. Er folge dem oft zitierten „gesunden Volksempfinden“, „das bei diesem Gesetz sicherlich eine nicht geringe Rolle spielt“. Auch den in solcher Situation oft zu beobachtenden Wechsel der Täter- mit der Opferrolle vollzog Wedemeyer. Er mahnte die Beachtung einen in der Diskussion bisher noch gar nicht genannten Schriftgrund an, nämlich „die oft zitierte, aber kaum praktizierte Rücksicht auf die ‚Schwachen‘, die den Apostel Paulus in so bewegender Weise in seinen Entscheidungen bestimme“. Nun machte sich Wedemeyer zum Anwalt dieser „Schwachen“, obwohl der Gemeindeausschuss gerade in Rücksicht auf diese Schwachen zahlreiche, einschränkende Bestimmungen aufgenommen hatte. Die Bemerkung „kaum praktiziert“ übersah gezielt diese Bemühung, an die der Landesbischof in seinem kurz zuvor veröffentlichten Dezemberbrief erinnert hatte. Worauf zielte nun der Brief Wedemeyers? Er erklärte, dass er das vorgesehene Gesetz nicht praktizieren könne. Die naheliegendste Möglichkeit war in diesem Fall eine geänderte Geschäftsverteilung im Landeskirchenamt. Daran lag Wedemeyer jedoch nichts. Wollte sich Wedemeyer als Oberlandeskirchenrat von der Pfarrerschaft verabschieden? Dann hätte ihm ein Pfarramt in der Landeskirche immer offen gestanden. Die Idee, sich schlicht in die predigende Gemeinschaft der Brüder einzureihen, war ihm nicht gekommen. Die eigentliche Absicht verbarg sich in einem post scriptum hinter den Wünschen für das neue Jahr und nach den amtsbrüderlichen Grüßen. Wedemeyer bat die Empfänger, ihm brieflich oder auch telephonisch mitzuteilen, ob „Sie meine oben dargelegte Besorgnis teilen. Er würde keinesfalls von den Namen Gebrauch machen, sich aber über eine Nachricht „sehr freuen“. Ganz nebenbei hatte Wedemeyer den Pfarrern in seinem Brief schon vorher geschrieben, dass auch Altbischof Erdmann seine „Haltung in der anstehenden Frage uneingeschränkt billigt“. Da lag also eine erste und zwar hochrepräsentative Zustimmung vor, die Wedemeyer nicht anonym behandelte. Der Brief und die angehängte Sammelaktion von Sympathisanten war ein letzter persönlicher Versuch Wedemeyers, nun über ein Plebiszit das Gesetz zu verhindern und die Lage des Bischofs ungemütlich zu machen. Wedemeyer hatte die Tatsache, dass er im November 1964 nicht Bischofskandidat geworden war, nach wie vor als tiefe Kränkung empfunden und nicht verwinden können.26 Spielte Wedemeyer mit einer Spaltung in der Pfarrerschaft, die er mit einer Spaltung innerhalb der Kirchenbehörde vollenden würde? Dafür spricht jene unglaubwürdige Textpassage, in der Wedemeyer „völlige Übereinstimmung“ mit dem Landesbischof feststellte, „dass durch die Annahme des Gesetzes bei uns die Kirche nicht noch tiefer gespalten werde“. „Noch tiefer“ bedeutete, dass Wedemeyer sie bereits tief genug gespalten sah, obwohl sich die Kirchliche Sammlung gerade wegen der Pastorinnenfrage gespalten hatte. Eine vergleichbare Situation hatte es in der Landeskirche in den letzten Jahrhunderten nicht gegeben. Begreiflicherweise warteten vor allem die Gegner des Pastorinnengesetzes auf eine Reaktion des Landesbischof. Würde er dem aufgebauten erheblichen Druck standhalten? Es hätte nahe gelegen, dass Heintze mit der sicheren Mehrheit der Synode im Rücken, mit der Zustimmung der Mehrheit der Pröpste und mit fest an seiner Seite stehenden Mitarbeitern wie OLKR Rudolf Brinckmeier und Predigerseminardirektor Heinz Kammerer die Abstimmung in der Synode und die folgenden Schritte der Gegner des Gesetzes abwartet, die sich dann auf einem kirchenrechtlich unsicheren Boden befinden würden. Aber Heintze wartete nicht die Wirkung der strukturellen Gewalt eines Synodalbeschlusses ab, sondern praktizierte wiederum seine Devise „Kirchenleitung durch das Wort“.


Die Begründung des Pastorinnengesetzes im siebenten Rundbrief

In dem Umschlag mit dem persönlichen Brief von Wedemeyer fanden die Empfänger außerdem einen Brief des Landesbischofs vor.27 Nur drei Tage später, am 9. Januar, hatte der Bischof den mit 17 Seiten längsten Pfarrrundbrief in seiner Amtszeit geschrieben und nannte noch einmal die immer wieder aufgezählten Gründe für die Annahme des Gesetzes. Er beleuchtete wieder einmal alle in Frage kommenden biblischen Stellen und dogmatischen Grundsätze und setzte sich geduldig und ohne Schärfe mit den Argumenten der Gegner auseinander. Der Gedankengang des Bischofs hatte den Vorzug, dass er sich einleuchtend vermitteln ließ: 1) es stünden in dieser Frage Gewissensentscheidung gegen Gewissensentscheidung und Schriftverständnis gegen Schriftverständnis. Das Argumentieren mit der Bibel war also keineswegs, wie gerne behauptet wurde, ein Privileg der Bestreiter des Pastorinnengesetzes. Heintze machte durch seine kundige Art des Umgangs mit der Bibel deutlich, dass er sein Verständnis fest in der Schrift verankert sah. 2) Es seien unübersehbare Gaben, Charismen in der heutigen Kirche vorhanden, darunter die Begabung der Frau zum geistlichen Amt. Diese gute Gabe Gottes dürfe die Kirche von sich aus nicht zurückweisen ohne schuldig zu werden. „Es geht um Charismen und nicht um Rechtsansprüche.“ 3) Die Hauptfrage sei, wie gehen wir in der Kirche bei grundlegenden Unterschieden miteinander um? „Ich kann die Gegner des Gesetzes nur wieder und wieder herzlich bitten, sich nicht durch eine ungerechtfertigte Aufkündigung geistlicher Gemeinschaft zu versündigen.“ Heintze setzte sich auch mit dem Argument auseinander, mit Rücksicht auf „die Schwachen“ zur Zeit auf eine gesetzliche Regelung zu verzichten. Heintze hätte auf seine Nichtzuständigkeit verweisen können, denn die zuständigen Gremien der Synode arbeiteten bereits seit Monaten an dem Gesetz und ein plötzliches negatives Votum hätte die zur Gesetzgebung seit 1965 entschlossene Synode kaum umgestimmt. Aber Heintze nahm auch dieses Argument auf und bat die Befürworter des Gesetzes abzuwägen, „wo in dieser Lage die größere Gefahr liegt: im Ärgernis, das im Fall einer Verabschiedung des Gesetzes seinen Gegnern gegeben wird – oder im Unterlassen einer neuen Ordnung und damit der Abweisung vorhandener, bzw zu erwartender Eignungen?“ Der Bischof zeigte aber auch einen Ausweg aus der scheinbar ausweglosen Konfrontation. Er zitierte ausführlich jene Stelle aus dem Römerbrief (Röm. 14, 4-8), in dem Paulus vor einer ähnlichen Situation gestanden habe, und dabei auf den gemeinsamen Herrn von Befürwortern und Gegnern verwiesen habe. Der eine halte an heidnischen kultischen Gebräuchen fest, der andere sei strikt dagegen. Dazu Paulus: „Ein jeglicher sei in seiner Meinung gewiß. Unser keiner lebt sich selber und keiner stirbt sich selber.“ Und so begann dieser zitierte Bibelabschnitt: „Wer bist du, dass du einen fremden Knecht richtest?“ Ob Max Wedemeyer den Rundbrief bis dahin gelesen hatte und diese Frage auch an sich gerichtet empfand? „Wenn es nicht gelingt, in der anstehenden Frage zu gemeinsamen Urteilen zu kommen, scheint mir der von Paulus Röm. 14, 1-10 gewiesene Weg der einzig mögliche und gangbare zu sein.“ Damit hatte der Landesbischof schon über die vertrackte Situation geistlich weiter gedacht und ein Nebeneinander in versöhnter Verschiedenheit gezeigt. Neben diesen klaren Aussagen waren es persönliche Bemerkungen am Rande, die die Lektüre dieses Rundbriefes noch heute so erfrischend und gewinnend machen. Heintze war allergisch gegen unterschwellige patriachalische Vorurteile. „Es geht nicht um männliche oder weibliche Vorrechte, sondern um dass Vorhandensein oder Nichtvorhandensein von „Charismen“, d.h. zu befähigender Gnadengaben Gottes. Weder ist der Mann kraft seiner natürlichen Männlichkeit noch die Frau kraft ihrer natürlichen Fraulichkeit geeignet, Diener des Evangeliums von Jesus Christus zu sein. Die Antwort auf die Frage „wer ist dazu tüchtig?“ (2. Kor. 2,16) kann im Blick auf die natürlichen Fähigkeiten von Mann und Frau nur lauten: niemand“. Auf das von deutlicher Angst besetzte Argument, dass nun wohl die Frau in der Kirche „herrschen“ werde, erwiderte Heintze trocken, wie es denn mit dem Herrschen der Männer in der Kirche bestellt sei und was dazu in der Bibel stünde. „Es wird auch sonst im NT auf alle Weise deutlich gemacht, dass es sich beim „Hirtenamt“ auf keinen Fall um das Herrschenwollen handeln darf. Auch der Mann, der in diesem Dienst steht, kann ihn auf keinen Fall recht ausrichten, wenn er nicht selber zugleich beständig „Hörender“ und „Empfangender“ bleibt. Und die Möglichkeit des Amtsmissbrauchs im Sinne des eigenmächtigen Versuchs, sich selber durchzusetzen und selber herrschen zu wollen, ist auch keinesfalls auf die Frauen beschränkt, sondern männliche Amtsträger sind – wie vielfältige Erfahrung lehrt – nicht weniger anfällig wie sie.“ Auch das Argument, unter den Jüngern sei keine Frau zu finden, wandte Heintze listig um. „Z.B. dürfen ja auch aus der Tatsache, dass der erste Jüngerkreis nur aus Juden bestand und offenbar keine Priester und Schriftgelehrten zu ihm gehörten, keine voreiligen Schlüsse gezogen werden.“ Die Stärke dieses pastoralen Briefes lag darin, dass er keinen überreden wollte, dass er die Gegensätze benannte und die geistliche Begründung einer gegenteiligen Beurteilung nicht bestritt. Heintze nannte eingangs und am Ende seines Briefes selber das Motiv: er wolle von seiner „Haltung Rechenschaft ablegen“. Hatte er das nötig? Heintze meinte dies nicht im Sinne von Selbstrechtfertigen, was er immer wieder kritisiert hatte, sondern die Pfarrerschaft sollte wissen, was der Bischof dachte, wenn sie für ihn tatsächlich Fürbitte tun sollten. Er unterzeichnete ohne Bischofstitel, mit „mit herzlicher Verbundenheit Ihr Heintze.“


Das Umfeld der Debatte über die Gesetzesvorlage in der Landessynode

Die Mitglieder der Landessynode trafen sich am 23. Januar morgens in der Katharinenkirche in Braunschweig zur Andacht und im Gemeindesaal zur Beratung. Es herrschte eine gewisse gereizte Stimmung, denn die Öffentlichkeit diskutierte heftig über die Störung des Weihnachtsgottesdienstes in der Berliner Kaiser Wilhelm Gedächtniskirche durch Berliner Studenten, über eine Stellungnahme von zwei Braunschweiger Pfarrern, die die Störung als erwünscht bezeichnet hatten und über einen Aufruf einiger Braunschweiger Pfarrer über die militärische Rolle der USA im Vietnamkrieg. Die Reizfigur der Berliner Gottesdienststörung, Rudi Dutschke, hatte auf Einladung des Braunschweiger Asta am 15.1.1968 im überfüllten Audimax vor 1.200 Studenten gesprochen. „Der Audimax glich einem Hexenkessel“, hieß es in der Regionalpresse.28 Kirchenpräsident Martin Niemöller hatte im November in der Uni über seine Reise nach Vietnam berichtet. Das Stadtjugendpfarramt hatte den überzeugten tschechoslowakischen Marxisten Vitezslav Gardavsky, Professor an der Militärakademie in Brünn, in den Katharinengemeindesaal am 10. Januar zu einen Vortrag über das Verhältnis von Marxismus und Religion eingeladen. Gardavsky, der an einem Abend auch bei Familie Heintze zu Gast war,29 hatte an der Prager Universität dazu Vorträge gehalten und diese in der Abhandlung „Gott ist nicht ganz tot“ veröffentlicht. Der Saal war voll.30 „Es ist zu hoffen, dass durch weitere solcher Veranstaltungen dazu beigetragen wird, dass das unter uns herrschende Vorurteil gegenüber dem Marxismus dem richtigen Zuhören weichen kann.“31 Alle drei Veranstaltungen hatten in der letzten drei Monaten stattgefunden. Viel Unruhe lag in der Luft. Alles, was sich an Frust und Wut über die Kirche angesammelt hatte, richtete sich auf diese Reizwörter „Gottesdienststörung, Vietnam, Dutschke.32 Der Synodale Pfarrer Bruno Haferburg hatte einen Antrag eingereicht, sich von den Vorgängen zu distanzieren. Das aber sollte erst am zweiten Sitzungstag verhandelt werden.


Die Debatte in der Landessynode

Vor Beginn der Debatte am ersten Sitzungstag ergriff der Bischof das Wort mit der Absicht, die auseinanderdriftenden Gruppen zusammenzuführen. Beide, Befürworter wie Gegner einer Frauenordination, seien sich einig in der Grundauffassung „Ihr sollt meine Zeugen sein“, und einig auch im Dank gegenüber den in der Kirche seit Jahrzehnten arbeitenden Frauen. Beide Gruppen beriefen sich außerdem auf ihr Gewissen. Es stünde indes Gewissen gegen Gewissen, und im übrigen gebe es noch andere wenigstens ebenso wichtige Themen für eine Synode und die Kirche.33 Der Vorsitzende des Gemeindeausschusses Bosse gab einen historischen Überblick, angefangen vom 1. theologischen Staatsexamen der Theologin Elisabeth Overbeck 1917 bis zur Einführung der Frauenordination in den Landeskirchen Lübeck, Schleswig Holstein, Hannover, Oldenburg, Thüringen, Mecklenburg, Sachsen, von der Arbeit im Gemeindeausschuss vom Juni 1966 an und ging dann noch einmal die viel behandelten Bibelstellen durch und erklärte zum vielberufenen, „das Weib schweige in der Gemeinde“ 1. Kor. 14,37, dieses Gebot gelte den Zungenrednern. Es sei im übrigen „ein schlimmes Ding, mit der Schöpfungsordnung zu argumentieren“, nämlich dass der Mann „das Haupt der Frau sei“. Jeder Herrschaftsanspruch sei unhaltbar, es gelte vielmehr das Gnadenangebot Jesu. Der Vorsitzende des Rechtsausschuss Senatspräsident a.D. Gustav Fricke lehnte die gesellschaftliche Gleichberechtigung der Frau als Motiv ab, beschäftigte sich mit den Argumenten der Bestreiter eines Pastorinnengesetzes, und ging die praktische Seite des Pastorinnengesetzes durch. Wenn eine Pastorin heirate, müsse sie die Gemeinde verlassen, allerdings ohne die Rechte der Ordination zu verlieren; keiner Gemeinde werde außerdem die Anstellung einer Pastorin aufgezwungen, auch keinem Pfarrer zugemutet, mit einer Pastorin in einem gemeinsamen Pfarramt zusammenzuarbeiten. Das waren Zugeständnisse, die vom landeskirchlichen Theologinnenkonvent akzeptiert worden waren, um nicht die Einführung der Ordination zu gefährden. In der Diskussion meldeten sich acht Synodale, sieben davon befürwortend, drei Laien, als erste eine der beiden Frauen in der Landessynode Frau Cunze, die auch Mitglied des federführenden Gemeindeausschusses war, der mit größter Gewissenhaftigkeit und Behutsamkeit gearbeitet habe.34 Von Propst Blümel, als dem Vorsitzenden der Kirchlichen Sammlung kam die oftmals einzige Gegenstimme, oft auch in den späteren Einzelabstimmungen. Es fand also keine Debatte und keine Redeschlacht mehr statt, aber die Anzahl der in der Landeskirche befindlichen Gegenstimmen wurde auf Anfrage von Warmers vom Bischof und OLKR Wedemeyer genannt. Heintze hatte die Pröpste nach der Meinung in ihren Propsteien gefragt und eine „repräsentative Minderheit“ gegen ein Pastorinnengesetz festgestellt.35 108 Pfarrer hätten auf seinen Brief zustimmend reagiert, berichtete Wedemeyer und verband sie mit der mokanten Feststellung, er möchte nicht „den schönen Konformismus dieser Versammlung stören“, aber die Mehrheit der Zustimmung sei „doch nicht so überwältigend, wie sie sich bei der Synode nachher deutlich machen werde.36 Es erboste den Stadtdirektor Gremmels, dass nur die Pfarrer befragt worden seien, die Kirchenvorstände seien zu 99 % für ein Pastorinnengesetz. Pfarrer Brackhahn berichtete, dass sich in der Propsteisynode Wolfenbüttel nicht eine einzige Gegenstimme gegen ein Gesetz erhoben habe.37 Wedemeyer äußerte sich nicht zu dem Ergebnis einer Befragung, die Pfarrer Knut Langhorst initiiert hatte. Langhorst war davon befremdet, dass Wedemeyer versuche, die Entscheidung über das Pastorinnengesetz mit der eigenen Person und dem eigenen Amt zu verschmelzen und hatte einige Pfarrer aufgefordert, an Wedemeyer auch ablehnende Stellungnahmen zu schicken.38 Darüber schwieg sich OLKR Wedemeyer aus und Warmers fragte nicht danach. Bei den Abstimmungen über die einzelnen Paragrafen wurden noch andere Ergebnisse genannt; in der Propstei Seesen seien 11 für, zwei gegen ein Gesetz, drei hatten sich enthalten, in der Propstei Gandersheim waren 12 für ein Gesetz, drei gegen,39 in der Propstei Königslutter stünde das Verhältnis halb dafür, halb dagegen. Es ging um die Frage, was mit den Pfarrern passieren solle, die in Zukunft der Amtskonferenz fernbleiben würden. Heintze konterte dieses Mal trocken ironisch. „Ich persönlich begreife nicht, was eigentlich die Amtsbrüder, die Gewissensbedenken an diesem Punkt haben, nun hindern sollte, etwa in einem Pfarrkonvent neben einer Pastorin zu sitzen.“ Er könne sich durchaus vorstellen, dass diese Brüder auch sonst einmal neben einer Frau sitzen würden. Es könnte auch sein, dass sie anderswo einer Pastorin begegneten.40 In der Hannoverschen Landeskirche hätten auch anfangs 40 Pfarrer erklärt, sie würden den Pfarrkonvent mit einer Pastorin nicht besuchen, diese Gruppe sei nach drei Jahren völlig zusammengeschmolzen. Kaulitz nahm den ironischen Tenor auf, es handle sich nicht um „ein Notstandsgesetz“, derlei Fragen würden nicht durch Ausführungsbestimmungen sondern durch die künftige seelsorgerliche Praxis entschieden. Mit 38 Stimmen gegen drei Stimmen bei einer Enthaltung wurde das Gesetz angenommen. Das war weit mehr als für eine verfassungändernde Mehrheit (von 32 Stimmen) erforderlich gewesen wäre. Vorher war eine zweite Lesung mit 20 gegen 18 Stimmen abgelehnt worden. Der Bischof ergriff nach der Abstimmung das Wort, dankte für die große Mehrheit, für die Arbeit in den Ausschüssen und benannte noch einmal, dass für ihn die entscheidende Frage gewesen sei, nämlich „wie wir mit den Gaben und Eignungen umgehen, die Gott der Herr der Kirche schenken kann“ (S. 79) „Das ist der wesentliche Grund für mich, der Umgang mit den Gaben, der Umgang mit dem, was die Bibel Charisma nennt, und nicht die Frage des Rechtes.“41


Die Ankündigung des Rücktritts von Max Wedemeyer

Nach der Abstimmung stellte OLKR Wedemeyer seinen Posten als Personalreferent zur Verfügung. Er habe nach seinem Schreiben vom 6. Januar 1968 mit einem Disziplinarverfahren oder gar mit einem Lehrzuchtverfahren einer „ihrer sich selbst sicheren Kirchenleitung“ gerechnet.42 Er sei nun von einer „maßgeblichen Stelle der Landeskirche mit äußerstem Nachdruck gebeten, ja gedrängt worden“, nicht später aus Krankheitsgründen, sondern noch in dieser Sitzung sein Amt zur Verfügung zu stellen. „Ich möge dieses Opfer um des Friedens willen für unsere Landeskirche bringen.“ Zwar würde damit „eine Stimme zum Schweigen gebracht, die für eine Anzahl von Pfarrern ein geistliches Bindeglied zu dieser Kirchenleitung bedeute“. Aber das sei nun bedeutungslos. „Ich habe dieses Amt sehr geliebt.“ Es folgte eine Portion Eigenlob: „Ich habe mich bemüht, es allzeit ungeachtet der eigenen theologischen Position, so brüderlich, so hilfreich, so objektiv und so unauffällig zu führen, wie es mir geschenkt worden war.“43 Der Bischof wies in seiner Antwort die gezielt verkennende Behauptung Wedemeyers einer „sich selbst sicheren Kirchenleitung“ nicht zurück; gerade davor hatte Heintze immer wieder bis zur Selbstbezichtigung gewarnt. Er stellte auch nicht die dreiste Behauptung richtig, dass nicht Wedemeyer, sondern er selbst das geistliche Bindeglied für die ganze Pfarrerschaft und gerade für die andersdenkenden Brüder sei. Und vollends unglaubwürdig war die Behauptung, dass er erst später sein Amt zur Verfügung gestellt hätte. Das Plenum der Synode war für ihn der ideale Ort für einen opferreichen Abgang. Bischof Heintze jedoch bat seinen Stellvertreter, den Entschluss zu überlegen. Aber dabei blieb es diesmal nicht. Die Pröpste Harborth und Bosse distanzierten sich in beispielloser Weise von ihrem Personalreferenten. Harborth bat die Synode, über die Erklärung nicht zu diskutieren. Die Erklärung sei nicht überraschend gekommen. „Wir haben damit gerechnet und damit habe sie inhaltlich auch nichts Neues gesagt.“44 Propst Bosse dagegen distanzierte sich regelrecht von der Erklärung Wedemeyers. Er bedaure sie, sie habe ihn bitter gemacht. „Wenn wir so miteinander umgehen und uns die Zerstörung der Landeskirche vorgeworfen wird, dann muss ich sagen, dass der Punkt erreicht ist, dass die Synode gar nicht anders kann, als sich von diesen Ausdrücken und Erklärungen nicht mehr beeindrucken zu lassen. Es geht nicht an, dass wir so miteinander verkehren und ich bitte Sie zu respektieren, dass wir uns die Freiheit genommen haben und uns nicht beeindrucken ließen.45

Nicht die Debatte, nicht das eindrucksvolle Abstimmungsergebnis hatte die Landeskirche auf die Probe gestellt, sondern die Mischung aus triefender Wehleidigkeit, grotesken Anschuldigungen, von Uneinsichtigkeit und vor allem der Unfähigkeit, die Gewissensentscheidung Andersdenkender unter dem Evangelium in einer gemeinsamen Kirche zu respektieren, wie sie der leitende Oberlandeskirchenrat Wedemeyer zeigte, war die eigentliche schmerzliche Verwundung in der Braunschweigischen Landeskirche.

Die Braunschweiger Zeitung wertete das Ergebnis als Ausdruck einer „Mündigen Gemeinde.“46 „Es geht um den Abschied von patriachalischen obrigkeitsstaatlichen Organisationsformen des Luthertums, um das Zugeständnis der Mündigkeit an alle, auch die weiblichen Kirchenglieder und um die Anerkennung der demokratischen Willensbildung in der Kirche.“ Die Demokratisierung sei nicht nur vordergründig „ein zu begrüßender gesellschaftlich-politischer Prozess, sondern eine Rückbesinnung auf die „lebendige Kirche“ als Gemeinde im weitesten Sinn.“ Es war nötig, dass die Pfarrerschaft in diesem Kommentar auch einmal eine Stimme aus dem kirchlich nicht gebundenen, öffentlichen Raum vernehmen konnte. Die Braunschweiger Presse berichtete, man habe „sehr fundiert und sehr sachbezogen, gelegentlich aber auch sehr subjektiv und mit Emphase diskutiert“.47 So rückte die Synode den Eindruck einer intoleranten, ins Bekenntnis verbiesterten Kirche zurecht, den ein Teil der Leserbriefe hervorgerufen hatte.

Pfarrer Hellmuth Lieberg bewertete die Synodalentscheidung dagegen als „Endpunkt der Geschichte der Braunschweigischen Landeskirche als einer lutherischen Kirche“. Die Kirche, die Schrift und Bekenntnis nur als Fossilie behandle, befinde sich „in einer permanenten Lüge“, größte Hochachtung dagegen für OLKR Wedemeyer.48 „Wahrscheinlich ist es vor allem die traurige kirchliche Lage, die mich innerlich so müde macht und das Scheitern aller Anstrengungen, die allgemeine kirchliche Entwicklung in eine andere Richtung zu lenken. Mit der Einführung der Frauenordination ist der Schlusspunkt gesetzt für unser hier 20 Jahre währendes Kämpfen um ein Zurückfinden der Kirche zum Grunde ihres Bekenntnisses und der Heiligen Schrift. Wir sind nur noch ganz wenige, und „Brüdern“ ist wie eine von allen Seiten eingeschlossene Festung, die so wahrscheinlich nur noch eine begrenzte Zeit gehalten werden kann.“49 Im landeskirchlichen Amtsblatt wurde alsbald das Kirchengesetz Nr. 6883 über die Rechtsstellung der Pastorin (Pastorinnengesetz)“ veröffentlicht.50


Die Ordinationspredigt des Bischofs: Seine Treue gelten lassen

Am Donnerstag dem 4. April 1968 wurden sechs Theologinnen von Bischof Heintze in der Katharinenkirche in einem Abendgottesdienst ordiniert.51 Es war kein großartiger Festgottesdienst, es gab keine pompöse festliche Kirchenmusik. Es war an einem Werktag, am Nachmittag. „Dies ist keine Siegesfeier der in dieser Frage siegreichen Mehrheit“, sagte der Bischof eingangs seiner Predigt, sondern wie bei jeder Ordination komme es darauf an, den Blick auf Auftrag und Verheißung Christi zu lenken, um dessentwillen allein das Wagnis einer Ordination unternommen werden kann.“ Aber es war nach den langwierigen, teils tiefschürfenden, teils peinlichen theologischen, vor allem aber lauten Auseinandersetzungen und Kabbeleien für den Prediger Heintze eine besondere Stunde, der in der Katharinenkirche versammelten Gemeinde von dem Verkündigungsauftrag zu predigen, zu dem die sechs Theologinnen nun berufen wurden und den Heintze selber seit seiner Ordination im Jahre 1938 ausgeübt hatte. Es floss in diese Predigt ein, wie der Prediger selber seinen Auftrag verstand. Deswegen soll in einem Gedenkbuch an Gerhard Heintze diese Predigt so weit wiedergegeben werden, wie es möglich ist. Im SONNTAG veröffentlichte der kongeniale Redakteur Richard Grunow einen ausführlichen Bericht von diesem bedeutungsvollen Gottesdienst.52

Die Ordination fand in einem Passionsgottesdienst statt. „Das erinnert uns daran, dass wir dem Herrn gehören und dienen, der sich für uns und alle Welt zum Diener gemacht und den Weg ans Kreuz gegangen ist. Wir leben miteinander von dem, was Gott in Christus dem Gekreuzigten für uns getan hat, von dem Frieden und von der Versöhnung, die nicht wir bewirken können, sondern die uns in ihm geschenkt sind. Nicht wir finden von uns aus den Weg zu ihm oder wären in der Lage, ihn anderen zu zeigen, sondern er hat in seiner unbegreiflichen Liebe und Barmherzigkeit den Weg zu uns in unsere Verlorenheit und Gottesferne gefunden. Er hat unsere Lasten und unsere Schuld zu seiner eigenen Sache gemacht. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es jemand in dem Dienst, zu dem die Ordination Ermächtigung und Auftrag gibt, auch nur einen Tag aushalten könnte, wenn er sich nicht gerade auch im Blick auf sein eigenes Versagen und Ungenügen in seinem Dienst von dem gekreuzigten und auferstanden Herrn zusagen lassen dürfte: Dir sind deine Sünden vergeben.

Aber der Herr will Menschen, wie wir es sind, als Mithelfer in seinem Dienst haben. Er vertraut sich selbst und seine Sache uns an trotz des großen Risikos, das für ihn damit verbunden ist. Auch wo wir es am besten meinen, hindern wir ja oft eher andere daran, den Weg zu Christus und zur Freude und Zuversicht des Glaubens zu finden als dass wir ihnen dazu helfen. Trotzdem will Christus uns in seinem Werk nicht als passive Teilhaber, sondern mit unserer persönlichen Mitverantwortung dabei haben. Das gehört mit zu dem unbegreiflichen Wunder der Barmherzigkeit und Geduld, wie er mit uns umgeht und wie es auf allen Seiten der Bibel beschrieben wird.“

Im weiteren Verlauf seiner Ansprache ging der Bischof auf die Passionszeit ein. „Es waren untaugliche Jünger um den Herrn. Sie verlassen ihn, verleugnen ihn und verraten ihn, und er feiert trotzdem sein Abendmahl mit ihnen. Er geht seinen Weg ans Kreuz weiter, auch für die, die nicht mehr mit ihm gehen wollen – für sie und nicht gegen sie. Und man kann gerade von der Passionsgeschichte her nicht sagen, dass sich Männer in seiner Nachfolge als würdiger und geeigneter, als von Natur mit besseren Führungseigenschaften ausgestattet erwiesen hätten, als die Frauen.“ Es könne kein Zweifel daran sein, dass das neutestamentliche Gesamtbild von dem, was Frauen in der Nachfolge Christi an Diensten und Verantwortungen übernehmen können, viel reichhaltiger sei, als es von den wenigen Bibelstellen her erschiene, die als Argumente von den Gegnern des Pastorinnengesetzes ins Feld geführt würden. Die Mithilfe bei der Verkündigung und Ausbreitung des Evangeliums wäre in reichem Maße in der Urchristenheit von den Frauen getragen worden. „Vor allem kann Gott in seiner Gemeinde immer wieder auch neue Gaben und Möglichkeiten des Dienstes erwecken. Er ist es ja, der seine Gemeinde im Wandel der Zeiten ihre Geschichte durchlaufen lässt. Und was im Laufe dieser Geschichte an Formen des Dienstes möglich und notwendig ist, das ist nicht einfach alles schon im Bericht von der ersten Generation von Christen abzulesen, sondern das muss jeweils neu gefunden werden. So sollte es für uns heute einfach ein Grund zur Freude sein, wenn es heute – im Grunde ja schon seit Jahrzehnten – Frauen gibt, die unter Beweis stellen, dass sie den gleichen theologischen Ausbildungsgang wie ihre männlichen Partner durchlaufen können und nach menschlichem Urteil auch in der Lage sind, an der selbständigen Verantwortung des Pfarramtes teilzunehmen. In andere Kirchen haben sich ja viele Frauen darin schon bewährt.

Was andere von uns halten, im Guten wie im Bösen, darf nicht letzter Maßstab werden, auch nicht, was wir von ihnen oder von uns selber halten. Sie sind nicht unsere Richter, und wir nicht die ihren. Wir stehen miteinander unter dem Urteil ein und desselben Herrn, der uns zu seinem Eigentum gemacht und in seinen Dienst genommen hat. Er wartet darauf, dass wir in seinem Dienst, im Gebrauch der Gaben, die er gegeben hat, treu erfunden werden. Treu sein heißt nicht vollkommen werden. Es heißt auch nicht, dass wir alle Möglichkeiten und Aufgaben des Dienstes ausschöpfen und erfüllen könnten. Wir werden immer wieder unsere Grenzen und unser Versagen zu spüren bekommen. Und er, der Herr selber, bleibt mit seinen Gaben immer größer, wunderbarer und auch geheimnisvoller, als wir es erfassen und anderen weitergeben können. Aber er wartet darauf, dass wir seine Treue gelten lassen, uns von ihr her orientieren, uns zu ihm halten und zu ihm zurückkehren, gerade auch, wo wir schwach und schuldig werden. Und darum wartet er zugleich darauf, dass wir es lernen, vorbehaltlos für alle Menschen da zu sein, denen wir in dem von ihm uns aufgetragenen Dienst begegnen.“ In der Nachfeier dankte Frau Pastorin Gassmann, aber der schwere Weg sei noch nicht zu Ende, da es noch immer viele Gegner der ordinierten Frau in der Landeskirche gebe. Es war, so Richard Grunow, eine große Stunde innerhalb der Geschichte der Landeskirche. Die Predigt des Bischofs war eine Ordinationsansprache. Sie hatte nicht die ebenfalls zu diesem Anlass versammelte Gemeinde im Blick, nur die sechs Frauen, die ordiniert wurden. Heintze begann wie schon bei seiner ersten Predigt im Dom von der Grundvoraussetzung seines theologischen Denkens, nämlich dass Gott Frieden und Versöhnung geschaffen habe. Davon leben „wir miteinander“. Die ganze Ansprache durchzog unausgesprochen dieses „miteinander“. „Miteinander“ war die Verlorenheit und Gottesferne, in der Gott seine Kirche, seinen Bischof und die Theologinnen auf dem Weg zu ihnen vorfand. „Miteinander“ war das Versagen und Ungenügen im Dienst und der Zuspruch der täglichen Sündenvergebung. Er könne sich nicht vorstellen, dass ein Pfarrer auch nur einen Tag in seinem Dienst aushalten könne ohne diesen Zuspruch. Der Bischof forderte nicht ein Sündenbekenntnis, sondern machte das Versagen im Dienst tragbar von der Versöhnung und Vergebung, die von Gott ausgeht. Miteinander war auch die Teilhabe an der vollen persönlichen Mitverantwortung am Werk Christus. Bloß keine passiven Teilhaber im Weinberg. Damit umschrieb Heintze, dass es vom Evangelium her keine Abstriche an Auftrag und Dienst gebe. „Miteinander“ war auch die Unabhängigkeit vom Urteil anderer. Was andere von uns halten, im Guten und im Bösen, dürfe nicht letzter Maßstab sein. „Von uns“ sagte der Bischof, und die Gemeinde verstand, dass die Frauen und er bösartigen Urteilen ausgesetzt gewesen war. Wir stehen miteinander unter dem Urteil ein und desselben Herrn. Miteinander! Heintze machte den Frauen den Dienst leicht, als er davon sprach, sie brauchten nicht vollkommen zu sein und auch nicht alle Gaben und Möglichkeiten ausschöpfen, aber „treu erfunden“. Treue verstand Heintze ebenfalls nicht als drückenden, preußischen Appell („Üb immer Treu und Redlichkeit“), sondern als Anrede, die Treue Gottes gelten zu lassen. Diese unverbrauchte Redewendung ermöglicht wieder einen Blick in die persönliche Frömmigkeit des Bischofs. Das mochte ihn schon am Anfang des Tages mit der Liedzeile, dass Gottes Treue all Morgen frisch und neu sei, selber ermutigt und schon zu Tagesbeginn erleichtert haben. Gottes Treue gelten lassen, war ein Zuspruch weit über diesen Tag hinaus. Das Lob auf den Herrn, der mit seinen Gaben immer größer, wunderbarer und geheimnisvoller sei, stand am Ende der Ansprache.

Von diesen sechs Theologinnen ging nur eine, Pastorin Gertrud Böttger, in ein Gemeindepfarramt. Sie war vom Kirchenvorstand der St. Lorenzgemeinde in Schöningen nach einer Gemeindebefragung einstimmig gewählt worden und wurde im März 1970 als erste Gemeindepfarrerin von OLKR Brinckmeier eingeführt. Trotzdem war ihr Stand nicht einfach, weil der zuständige Propst Wilhelm Hobom, Helmstedt, die Frauenordination strikt abgelehnt hatte.53 Außerdem weigerte sich der Vorsitzende der Kirchlichen Sammlung, Wolfgang Büscher, Pfarrer in der Helmstedter Marienberg Gemeinde, an der Amtskonferenz teilzunehmen und äußerte sich später ständig abfällig über die anwesende Pastorin. („Wenn es keine Frauen auf der Kanzel gebe, hätten heute alle Pfarrer eine Anstellung“). An einen Gewissensschutz für die angegriffenen Pastorinnen dachte keiner.

30 Jahre später gab es in der Landeskirche 73 ordinierte Pfarrerinnen, davon 55 in einem Dienstverhältnis, 29 Theologiestudentinnen und 12 Vikarinnen. 1995 wählte die Propsteisynode Gandersheim Elfriede Knotte als erste Pröpstin in der Landeskirche, 1999 wurde Bernhild Merz Pröpstin der Propstei Schöppenstedt, 2001 Pia Dittmann Saxel Pröpstin der Propstei Vechelde und am 1. April 1999 trat Brigitte Müller ihr Amt als Oberlandeskirchenrätin an. Diese historisch gesehen rasche Entwicklung gab den Befürwortern der Frauenordination von 1968 recht und befreite die Landeskirche von einem späteren, quälenden Prozess. Diese Entwicklung entzog sich damals allerdings vollständig der Vorstellungskraft der Braunschweiger Pfarrerschaft von 1968. In der Gruppe der Kirchlichen Sammlung beharrten einige auch weiterhin auf der theologisch begründeten Ablehnung der Zulassung von Frauen zum Geistlichen Amt.


Anmerkungen zu Kapitel 6

1 Kristina Kühnbaum-Schmidt: Der lange Weg zur Frauenordination in der Braunschweigischen Landeskirche, in: Mit Phantasie und Tatkraft. 30 Jahre Frauenordination in der Ev. luth. Landeskirche Braunschweig (Hg) Ulrike Block v. Schwartz, Braunschweig 1998
2 LAW LBf 414 Bosse an Heintze und Buhbe am 23.5.1966. Bosse erinnerte daran, das sein „Ausschuss für Gemeindedienst“ schon am 18.6.1964 diese Frage aufgeworfen hatte.
3 Die Ausschussmitglieder erhielten von Kammerer einen „Prospekt zu einer Besinnung über die Pastorinnenfrage“, der Stichworte für sein Referat enthielt in: LAW LBf 414. Darin schlug Kammerer vor, das Wort „Pastorin“ zu vermeiden und stattdessen das Wort „Domina“ zu verwenden. Er empfahl auch eine Unterscheidung zwischen Einsegnung und Ordination, wo zu Heintze handschriftlich an den Rand vermerkte „von der Sache her nicht haltbar“. In seiner schriftlichen Ausarbeitung des Referat unter dem Titel „Vorüberlegungen zu einer Änderung des Pfarrvikarinnengesetzes“ verzichtete Kammer auf diese Vorschläge.
4 LAW Syn 338 Protokoll der Ausschusssitzung vom 9.11.1966 5 LAW PA Harlingerode Nr. 31 6 LAW Syn 338 Protokoll der Ausschusssitzung vom 31.1.1967 7 LAW Syn 338 Protokoll der Ausschusssitzung vom 23.2.1967 8 LAW LBf 415 Erklärung der Kirchlichen Sammlung 8.2.1967
9 LAW PA Harlingerode 31 Walter an Lieberg am 20.2.1967
10 LAW PA Harlingerode 31 Blümel an Walter am 22.2.1967, Warmers werde in Goslar von mehreren Seiten bedrängt, die Frage der Frauenordination an unserer Arbeit auszuschalten“.
11 LAW PA Harlingerode Schreiben P. Walter an P. Büscher am 5.12.1967
12 LAW Syn 217 Verhandlungen der Landessynode 4. und 5. Dezember 1967
13 ebd. 48 Gremmels Ablehnung des Vorschlag von Propst Frühling
14 ebd. 50
15 LAW LBf 415 Anschreiben des Pfarrervereins „Sehr geehrter Herr Amtsbruder“ Braunschweig im Advent 1967
16 BZ 6.12.1967, Pfarrer Bernhard Hierse von der Johanniskirche „Tiefer Riss in der Landeskirche“.
17 BZ 8.12.1967 „Eine Frage des Gehorsams“, auch noch Wolfgang Büscher „Was Jesus sagt, muss seine Gültigkeit behalten“ BZ 18.12.1967
18 BZ 14.12.1967 Bender „Die Situation beachten“
19 BZ 14.12.1967 Wolfgang Bukowski „Eine Brüskierung der Frau“
20 BZ 16.12.1967 Alfred Ludewig „Nicht mehr haltbar“
21 BZ 22.12.; „Ein gesetzliches Denken“
22 BZ 14.12. 1967 Jeno Pollner „Kein Verstoß gegen die Bibel“
23 „Personalnot in der Kirche“ 13.12.1967
24 LAW LBf 12 Rundbrief Dezember 1967
25 LAW LBf 8 Schreiben Wedemeyers vom 6.1.1968
26 Heintze schreibt in seinen Unvollständigen Lebenserinnerungen 39: „Später merkte ich, dass wahrscheinlich der damalige Personalreferent im braunschweigischen Landeskirchenamt, OLKR Wedemeyer, gern selber Landesbischof geworden wäre. Ursprünglich ziemlich liberal gab er sich während seiner weiteren Amtszeit im Landeskirchenamt betont konservativ und nahm auch grundsätzlich gegen die Freigabe der Frauenordination Stellung. Aber ich muss zugeben, dass er sich mir gegenüber als Personalreferent der Landeskirche immer betont fair verhalten hat.“
27 LAW LBf 8 Pfarrerrundbrief vom 9.1.1968
28 Braunschweiger Presse 18. 1. 1968 „Der Audimax glich einem Hexenkessel“.
29 LAW acc9/82 LBf 87 Schreiben Heintze an den Journalisten Kindermann 12.2.1968. Heintze berichtet darin von einer weiteren Veranstaltung mit Gardavsky in Wolfenbüttel über „Die Wandlungen des Begriffs von Christentum und Atheismus im Marxismus“.
30 BP 12.1.1968 „Christen und Marxisten sind Suchende“. Das Vortragsthema lautete: „Wandlungen des Begriffs von Christentum und Atheismus in der Welt des Marxismus“
31 SONNTAG 28.1.1968 8 „Ändern sich die Christen oder die Marxisten?“ Das Landesjugendpfarramt hatte zuvor eine Studienfahrt nach Prag unternommen, und Eberhard Fincke hatte unter der Überschrift „Wir sind Anfänger“ einen Reisebericht im SONNTAG 21.1.1968 veröffentlicht und von der Begegnung mit Christen in der Tschechoslowakei u.a. geschrieben: „Die eigene Ohnmacht verschafft ihnen jene Lebendigkeit, die uns an ihnen so beeindruckt hat“.
32 Zur Frage des Pastorinnengesetzes waren zwischen dem 3. und 16. 1.1968 in der Braunschweiger Zeitung ca. 50 Leserbriefe veröffentlicht worden.
33 LAW Syn 218 Verhandlungen der Landessynode 23.1.1968
34 ebd. 27
35 ebd. 39; LAW LBf 415 Heintze am 29.12.1967 an die Pröpste mit der Bitte, Zustimmung und Ablehnung im Pfarrkonvent und in den Kirchenvorständen zu erkunden und umgehend zu berichten. Das Ergebnis der Antworten der Pröpste war folgendes: Bad Harzburg (16.1.68): 11 Ja; 2 Nein; 4 für Aufschub: Blankenburg (8.1.68): In der Pfarrerschaft werde keiner prinzipielle Opposition leisten. Bei Kirchenvorständen und der Propsteisynode herrsche „ein gewisses Unbehagen“. Braunschweig (2.1.1968) Propst Stange nennt keine Zahl, Lieberg, Hierse und Theilemann seien prinzipiell gegen ein Gesetz. „Man versteht in der Stadtbevölkerung nicht, dass die Kirche nichts Wichtigeres zu tun hat.“ Goslar (4.1.1968): 10 Ja; 5 Nein, 1 Enthaltung. Königslutter (10.1.1968): 5 Ja,. 5 Nein, 1 mit Vorbehalt. Lehre (10.1.1968) „Über die Hälfe dagegen.“ Salzgitter Bad (17.1.1968): 2 Ja; 8 Nein. Salzgitter-Lebenstedt (30.12.1967): von 28 Amtsbrüdern 15 vorbehaltlos Ja, 9 mit Vorbehalten, 3 gleichgültig. Harborth: „Ich selbst werde dem Gesetz trotz mancher Vorbehalte und mit Unbehagen zustimmen. Ich wünsche unserer Landeskirche und uns allen, dass Gott grösseres Unheil abwenden möchte.“ Schöppenstedt (18.1.1968): „Keine grundsätzliche Opposition aber Vorbehalte; für einen späteren Zeitpunkt“. Seesen (18.1.1968) 12 Ja, 3 Nein, 1 unentschieden. Vorsfelde (12.1.1968) 16 Ja, 5 Nein, Vorschlag: vertagen. Vechelde (5.1.1968): nicht festzustellen. Wolfenbüttel (2.1.1968): keine Opposition.
36 ebd. 40
37 ebd. 44
38 Langhorst am 19.1.1968 an 50 Pfarrer der Landeskirche beim Vf.
39 Anm 31 64
40 ebd. 64
41 ebd. 80
42 ebd. 70
43 ebd
44 ebd. 81
45 ebd. 82
46 BZ 24.1.1968 „Mündige Gemeinde“
47 BP 24.1.1968 „Gehört die Frau auf die Kanzel?“
48 Brüderngemeindebrief 4.2.1968 beim Vf
49 Gotthard Hoerschelmann: Lebensbild von Pastor Dr. Hellmut Lieberg in: De Fundamentis Ecclesiae Braunschweig 1973 37 Einige Gegner einer Frauenordination verließen die Landeskirche u.a. der Schriftführer der Kirchlichen Sammlung Joachim Walter, Harlingerode ging nach Bonn, das Vorstandsmitglied Dr. Ulbrich nach Stadthagen, Pfr. Rüß nach Hamburg Das Ehepaar Lieberg verunglückte im Februar 1972 auf einer Autofahrt, an deren Folgen beide bald darauf verstarben, Anna Lieberg am 3.2.1972 im Alter von 42 Jahren und Hellmut Lieberg am 5.2.1972 im Alter von 46 Jahren. Die Inschrift der Grabplatte beginnt in lateinischer Sprache: „Hier erwarten die Auferstehung der Toten und das Leben der zukünftigen Welt..“
50 Landeskirchliches Amtsblatt 4. März 1968, 23 – 25.
51 Es waren Mechthild Brauer, Gertrud Böttger, Doris Gassmann, Annemarie Marx, Gudrun Hahn, Ingeborg-Charlotte Neubeck.
52 SONNTAG 21.4.1968 8 „Sechs Pastorinnen ordiniert“
53 Gertrud Böttger „und es hat sich doch gelohnt“ in: Mit Phantasie und Tatkraft 116 – 120


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Impressum, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/Heintze/, Stand: November 2015, dk