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[Kirche von unten]

Die Braunschweiger Landeskirche in den 70er Jahren

und ihr Bischof Gerhard Heintze

22 Rundbriefe von Landesbischof Heintze in Auswahl und Auszügen

13. Fürbitte für die Terroristen der Olympiade 1972

Rundbrief 11.9.1972

An Pfarrer, Pastorinnen und sonstigen Mitarbeiter der Landeskirche Wolfenbüttel,

Liebe Brüder! Liebe Schwestern!

Wenn Sie dieser Brief erreicht, liegen die tragischen Ereignisse von München schon wieder einige Tage zurück.1 Die Nachrichten von dem Überfall und dem misslungenen Versuch, wenigstens das Leben der Geiseln zu retten, werden uns alle genauso wie unser Volk im ganzen und die breite Weltöffentlichkeit bewegt und erschüttert haben. Daß diese Gewalttat ausgerechnet auf deutschem Boden geschah – wenn auch gottlob nicht durch Deutsche veranlaßt oder ausgeführt – ist noch zusätzlich schmerzlich. In Israel wie in der Weltöffentlichkeit ist ja noch immer sehr gegenwärtig und keineswegs bewältigt, was in der Zeit des Nationalsozialismus in unserem Land den Juden angetan wurde. Gerade im Zusammenhang der Olympiade wurde das neu deutlich.

Wo Sie Gelegenheit hatten, in Andachten oder Gottesdiensten des Geschehens zu gedenken, haben Sie es gewiß getan. Ich erlebte es am Tage nach dem Schreckenstag in guter Weise von Seiten zweier junger Amtsbrüder bei zwei verschiedenen Gelegenheiten. Im Gottesdienst des letzten Sonntags werden Sie gewiß auch ohne besondere Aufforderung die Betroffenen in Gedenken und Fürbitte eingeschlossen haben, nicht nur die Ermordeten und ihre Angehörigen, sondern auch diejenigen, die in ihrem Haß und ihrer Verblendung zu solchen Taten fähig waren oder auch in Zukunft noch sind.

Wahrscheinlich wird selbst dieses schreckliche Attentat binnen kurzem wieder aus dem Bewußtsein der Öffentlichkeit verschwinden und durch andere Tagesereignisse überdeckt werden. Trotzdem wäre es gut, wenn es uns selber Anlaß zu nachhaltigem, vertieften Nachdenken gäbe, was es heißt, in dieser Welt, in der es so zugeht, Diener der Versöhnung im Namen Jesu Christi zu sein. Und vielleicht besteht in der Folgezeit doch auch noch manche Gelegenheit, Menschen weiterzuhelfen, die über die bloße Empörung nicht hinausgekommen oder aber in tiefe Skepsis und Resignation hineingeraten sind.

Wichtig scheint mir zu sein, über der Empörung über diese Einzeltat nicht zu übersehen, wie anfällig unsere Welt überhaupt für rücksichtslose brutale Gewaltanwendung geworden ist bzw. im Grunde immer schon gewesen ist. In München ist nur in eklatanter Weise offenbar geworden, in welche Abgründe von Unmenschlichkeit blinde Vergeltungssucht, Haß und das Vertrauen auf Gewalt hineinführen können. Aber auch abgesehen von diesem Einzelgeschehen, das weltweites Aufsehen erregt hat, erleiden ja Tag für Tag ungezählte Menschen Unrecht und Grausamkeit, ohne daß das noch Schlagzeilen macht, wie vor allem in Vietnam oder auch in Nordirland. Man hat sich eben daran gewöhnt und sich damit abgefunden, daß man offenbar doch nichts entscheidend ändern kann. Und nicht nur „revolutionäre“ sondern auch „legitime“ Gewalt ist zu furchtbaren Taten der Unmenschlichkeit fähig. Es wäre gut, wenn das schreckliche Ereignis von München wenigstens dazu beitrüge, bei Vielen ein neues tiefes Mißtrauen gegen Gewaltmißbrauch jeder Art wachzurufen, einerlei wo und wie er geschieht.

Als Diener der Versöhnung im Namen Jesu Christi sollte uns aber auch neu deutlich sein, daß Unversöhnlichkeit keine extreme Ausnahmeerscheinung ist. Wir selber sind mit der unversöhnten, gottentfremdeten und untereinander entzweiten Welt solidarisch und verraten das fortgesetzt durch die Art und Weise, wie wir denken, handeln und reden. Namentlich ist dort, wo jemand selber Unrecht erleidet, bittere Anklage und Trachten nach Vergeltung die übliche Reaktion. Und immer wieder wird das Unrecht, das ein anderer begeht, und von dem man sich empört distanzieren kann, zum Anlaß, sich selber für gerechtfertigt zu halten und die eigene Sache mit der Sache der Gerechtigkeit gleichzusetzen. Gerade ein solches Schreckensereignis, wie es in München geschah, macht offenbar, wie fremd, ja unmöglich Jesu Gebot der Feindesliebe dem natürlichen Empfinden erscheint. Das alte Lied:. „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ liegt eben jedem viel näher.

Aber gerade in dieser heillosen Situation sollte erst recht deutlich werden, was es heißt, daß Gott dieser unversöhnlichen Welt in unbegreiflicher Geduld seine Versöhnung und seinen Frieden anbietet. Wer das als den eigentlichen und einzigen Hoffnungsgrund für uns selber wie für die Welt im ganzen erkennt, wird dadurch befähigt, gleichermaßen einer ideologischen Verklärung der Gewalt wie der aus dem Gefühl der Ohnmacht entstehenden Resignation zu widerstehen. Und darauf wird es jetzt doppelt ankommen, daß wir selber uns im Kleinen wie im Großen freihalten von Illusionismen wie von Resignation und uns als Täter der Versöhnung und des Friedens Jesu Christi erweisen, auch wo uns nur kleine, unvollkommene Schritte gelingen. Wir dürfen auch nicht aufhören, in unsere Fürbitte und unser Fürdenken solche Menschen einzuschließen, die zu derartigen Gewalttaten wie in München fähig waren und sind, und überhaupt immer wieder geduldig nach Brücken des Verstehens und Sich-Verständlich-Machens auch denen gegenüber suchen, die wir im Bann gefährlicher Utopien sehen. Mit bloßer Entrüstung ist es selbst Gewalttätern und Gewaltideologen gegenüber nicht getan...

Quelle: Landeskirchliches Archiv LBf 14 und Nachlass Landesbischof Heintze

– Acc. 102/07, Rundbriefe


Anmerkungen

1 Am 5. September 1972 waren palästinensische Terroristen in München in das Olympische Dorf eingedrungen und hatten elf israelische Sportler als Geiseln genommen. Sie wurden auf den Militärflugplatz Fürstenfeldbruck gebracht. Bei dem Versuch des Bundesgrenzschutzes, die Geiseln zu befreien, kamen alle israelischen Geiseln ums Leben sowie fünf Terroristen. Die drei verhafteten palästinensischen Terroristen wurden abgeschoben. Die Olympischen Spiele gingen nach einem Tag der Trauer am 7. September weiter.


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Impressum, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/Heintze/, Stand: November 2015, dk