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[Kirche von unten]

Die Braunschweiger Landeskirche in den 70er Jahren

und ihr Bischof Gerhard Heintze

22 Rundbriefe von Landesbischof Heintze in Auswahl und Auszügen

20. Bittgottesdienst für den Frieden und Papstbesuch

Rundbrief 30.10.1980

an die Pfarrer der Landeskirche

Liebe Schwestern und Brüder!

Am 15. Oktober wurde Ihnen vom Landeskirchenamt eine Ordnung für einen Bittgottesdienst für den gefährdeten Weltfrieden zugesandt, der für den diesjährigen drittletzten Sonntag n.Trin., 9. November 1980, allen Gemeinden der EKD und des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR empfohlen ist. Die Ordnung wurde von Beauftragten des Bundes der Evangelischen Kirchen in der DDR und der EKD gemeinsam erarbeitet und von beiden leitenden Gremien genehmigt. Ich wollte Sie herzlich bitten, sich das gemeinsame Anliegen zu eigen zu machen und auch in Ihren Gemeinden den Gottesdienst am 9.11. als Bittgottesdienst für den Frieden zu gestalten. Ob Sie alle einzelnen Stücke der vorgeschlagenen Ordnung übernehmen können, werden Sie zu prüfen haben. Wichtig ist freilich, dass die grundlegende Gemeinsamkeit im Anliegen der Fürbitte, die durch diesen Gottesdienst zum Ausdruck kommen soll, den Gemeinden bewusst gemacht wird. Ich gebe deshalb auch noch einmal den Aufruf zum Gebet für den Frieden wieder, den Präsidium und Beratender Ausschuss der Konferenz Europäischer Kirchen im Frühjahr dieses Jahres an alle ihre Mitgliedskirchen haben hinausgehen lassen:

„In einer Situation starker Spannungen in der Welt wenden wir uns als Mitglieder der leitenden Gremien der Konferenz Europäischer Kirchen an die Christen in Europa. Viele, die sich redlich um den Frieden gemüht haben, sind entmutigt und ratlos. Jetzt kommt es darauf an, neue Klarheit zu gewinnen über das, was getan werden muss.

Christen suchen diese Klarheit im Gebet. Darum wenden wir uns an Gott, vor den wir alles bringen dürfen, was uns ängstigt und was wir nicht durchschauen. Er hat sich für den Menschen entschieden und nicht gegen ihn, für sein Leben und nicht für seine Vernichtung. In der Auferweckung Jesu Christi hat er sich stärker erwiesen als alle Mächte, die im Dienste des Todes stehen. Er hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft und der Liebe und der Besonnenheit (2.Tim. 1,7).

Darum bitten wir die Christen in Europa: betet in aller Zuversicht und Treue für die Bewahrung der Menschheit vor neuem Unrecht und Leid! Betet zu Hause und in der Gemeinde zu Gott

- daß er uns zu Boten des Friedens und Hütern des Lebens mache,

- daß er uns in der Hoffnung erhalte und uns stärke, der Resignation entgegen zu wirken,

- daß er alle, die die schwere Last politischer und militärischer Verantwortung tragen, wieder zusammenbringt und ihnen hilft, ihr Mißtrauen voreinander abzubauen und neue Schritte des Vertrauens zu wagen -daß er alle, die über wirtschaftliche Reichtümer verfügen, bereit macht zu ehrlichem und gerechtem Teilen und sie so wirkliche Sicherheit gewinnen läßt -daß er denen wehrt, die die Situation anheizen, Haß säen und Herzen verhetzen

- daß er alles segne, was Menschen dazu getan haben und weiter tun werden, um Spannungen abzubauen, Konflikte friedlich zu lösen und die Gemeinschaft über Grenzen hinweg festzuhalten.

Beten ersetzt nicht das Tun. Es ist selbst eine Tat, die durch nichts zu ersetzen ist. Es steht unter der Verheißung des Herrn: ‚Wenn zwei unter euch eins werden auf Erden, worum auch immer sie bitten wollen, dann soll es ihnen widerfahren von meinem Vater im Himmel‘ (Mat. 18,19).“

Von Bedeutung ist auch, dass die Kollekte des 9.11. in unserer Landeskirche als Pflichtkollekte für Partnerschaftliche Hilfe zugunsten der Kirchengemeinden in der DDR ausgeschrieben ist. Ich bitte Sie darum, auf die Zweckbestimmung dieser Kollekte besonders hinzuweisen. Noch ein paar Worte zum bevorstehenden Besuch des Papstes in der Bundesrepublik. Aus Presseveröffentlichungen wissen Sie, daß die in Aussicht genommene Begegnung des Papstes mit Vertretern der nicht römisch-katholischen Kirchen, besonders mit den Vertretern der Evangelischen Kirche in Deutschland, durch manche unerfreulichen Vorkommnisse belastet ist.1 Sicher wird es wichtig sein, daß in dieser Begegnung evangelische Grundanliegen klar zum Ausdruck kommen und auch offen und freimütig dargelegt wird, was aus evangelischer Sicht an der Entwicklung des Verhältnisses zur röm.-katholischen Kirche gerade in jüngster Zeit als unbefriedigend und besorgniserregend erscheint. Soweit mir bekannt ist, besteht auch bei den für die Programmgestaltung des Papstbesuches verantwortlichen katholischen Stellen die ehrliche Absicht, diesem Wunsch zu entsprechen. Mir scheint es aber vor allem darauf anzukommen, daß es den evangelischen Vertretern bei den Gesprächen mit dem Papst gelingt, glaubhaft zu machen, daß es uns nicht um die Wahrung unseres kirchlichen Prestiges, sondern zuerst und zuletzt um den lebendigen Zeugendienst für Jesus Christus und das Kommen Seines Reiches zu tun ist. Von daher darf kein Zweifel daran aufkommen, daß wir trotz mancher Enttäuschungen und Rückschläge verpflichtet bleiben, auf alle Weise die Weiterentwicklung ökumenischer Gemeinsamkeit voranzutreiben und uns um keinen Preis der Resignation zu überlassen. Die ökumenische Verpflichtung betrifft allerdings nicht nur unser Verhältnis zur römisch-katholischen Kirche, sondern genau so auch zu allen anderen Kirchen, ohne Rücksicht auf ihre zahlenmäßige Größe. „Groß“ und „klein“ sind im Evangelium von Jesus Christus ohnehin nur sehr relative Begriffe.

Beachtung verdient auch, daß der Besuch des Papstes und das Gespräch der nicht röm.-katholischen Kirchenvertreter mit ihm in der Woche stattfindet, in der die evangelische Christenheit in Deutschland den Buß- und Bettag begeht. Das sollte uns daran erinnern, daß wir mit Buße und Umkehr immer zuerst bei uns selber anzufangen haben. Nur von solcher Bereitschaft her kann es gelingen, andere auf ihre Fehler und Versäumnisse in christlicher Brüderlichkeit anzureden.

Herzlich bitte ich Sie vor allem um Ihre Fürbitte für den bevorstehenden Papstbesuch, namentlich für alle, die die evangelische Seite zu vertreten haben, daß ihnen Weisheit und gute Worte zu rechter Zeit gegeben werden. Möchte der Papstbesuch und die Begegnung mit ihm die Fortentwicklung der ökumenischen Gemeinschaft nicht hindern, sondern im Gegenteil fördern und alle Beteiligten gewiß machen, daß „die Sach und Ehr, Herr Jesu Christ, nicht unser, sondern dein ja ist“. Ich habe die Zuversicht, dass das auch das eigentliche Anliegen des Papstes selber und vieler katholischer Brüder und Schwestern ist.

Mit herzlichen Grüßen Ihr Heintze

Quelle: Acc. 102/07, Rundbriefe


Anmerkungen

1 Vor dem Papstbesuch war eine kirchengeschichtliche Kurzdarstellung von Prof. Remigius Bäumer mit einem überholten und entstellenden Lutherbild erschienen.


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Impressum, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/Heintze/, Stand: November 2015, dk