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[Kirche von unten]

Die Braunschweiger Landeskirche in den 70er Jahren

und ihr Bischof Gerhard Heintze

22 Rundbriefe von Landesbischof Heintze in Auswahl und Auszügen

5. Die evangelischen Kirchen in Ost und West halten an der organisatorischen Einheit fest

Rundbrief 12.4.1967

An die Pfarrer, Pfarrdiakone, Pfarrvikare und Pfarrvikarinnen der Braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche nachrichtlich an die Pfarrer im Ruhestand und die Pfarrwitwen aus dem Bereich der Landeskirche

Liebe Brüder! Liebe Schwestern!

Mit einem herzlichen Gruß möchte ich Ihnen heute vor allem den Abschnitt aus dem Rechenschaftsbericht Bischof D. Krummachers auf der Synodaltagung in Fürstenwalde zusenden, in dem er zur Frage der Einheit und Gemeinschaft in der Evangelischen Kirche in Deutschland Stellung genommen hat. Mir scheint dieses Wort nicht nur wegen seiner klaren, freimütigen Sprache in einer schwierigen und für die Kirche in der DDR zunehmend bedrohlichen Situation bemerkenswert zu sein. In ihm wird vor allem nach einer geistlichen Begründung dafür gesucht, weshalb wir trotz des wachsenden Drucks von aussen und trotz der grundsätzlich richtigen Feststellung, daß die Frage der organisatorischen Kircheneinheit nicht unbedingt und überall zum „status confessionis“ führen muß, einander in Ost und West nicht loslassen dürfen. Das ist in dieser Weise m.W. bislang nur selten geschehen. Ich würde mich freuen, wenn Sie das Wort Krummachers auch Ihren Kirchenvorständen und sonstigen Mitarbeitern bekanntmachen und auch sonst von ihm geeigneten Gebrauch machen könnten.

Die in Spandau und Fürstenwalde versammelten Synodalen haben mit folgender Erklärung einmütig auf den Bericht Bischof Krummachers geantwortet: „Die Synode dankt Bischof D. Krummacher für das eindeutige Wort zur Evangelischen Kirche in Deutschland. Sie macht es sich zu eigen. Er hat unmißverständlich ihre Einheit und Gemeinschaft bezeugt. Die Evangelische Kirche in Deutschland besteht. Dieses erkennen wir dankbar als Geschenk. Die Not ihrer Gemeinschaft ruft uns bußfertig in ihren Dienst. Wir bitten Gott, uns auch im geteilten Volk den gemeinsamen Weg gehen zu lassen, der uns im Gehorsam des Glaubens gewiesen ist.“

Über den Verlauf der Synode und vor allem auch über den dramatischen, unerwarteten Verlauf der Wahl des Ratsvorsitzenden und seines Stellvertreters haben Presse, Fernsehen und Radio ausführlich berichtet. Obwohl der schlesische Bischof Fränkel – Görlitz – sich auf der Tagung in Fürstenwalde in einer öffentlichen Erklärung schützend vor die Ehre der Bischöfe Scharf und Lilje stellte und die gegen sie in der Ostpresse erhobenen Verleumdungen zurückwies, schien es dem Ostteil der Synode geraten, als Ratsvorsitzenden eine bisher in der politischen Auseinandersetzung weniger hervorgetretene Persönlichkeit zu wählen. So kam es trotz ursprünglich anderer Pläne von dorther zum Vorschlag Dietzfelbinger, der nach dem freiwilligen Verzicht von Landesbischof Lilje zu seinen Gunsten dann auch in Spandau – wenn auch nicht ohne Bedenken – akzeptiert wurde und dann auch bei der Wahl eine überzeugende Mehrheit fand. Dem neuen Ratsvorsitzenden ist eine schwere Last auferlegt, die er für sich selber ganz gewiss nicht gesucht und gewünscht hat. Möchte aber über seiner Amtsführung die Verheissung des Psalmwortes stehen, an das er selber bei der Übernahme des neuen Amtes erinnerte: „Gelobet sei der Herr täglich. Gott legt uns eine Last auf, aber er hilft uns auch.“

Vom 8.-10. Mai 1967 tagt unsere Landessynode auf dem Hessenkopf bei Goslar. Neben der Vorlage und Beratung eines ausführlichen Berichts über die Tätigkeit der verschiedenen landeskirchlichen Ämter und Dienststellen und über die Entwicklung des kirchlichen Lebens überhaupt wird das Hauptthema „Bibel und Gemeinde“ lauten. Das Hauptreferat hält der neue Lektor des Pastoralkollegs der bayrischen evangelisch-lutherischen Landeskirche und frühere bayrische Landesjugendpfarrer Peter Krusche. Vom 21.-26. Mai 1967 wird die Regionaltagung West der Generalsynode der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche Deutschlands zu ihrer ersten Tagung im neuen (4.) Tagungsabschnitt im Bereich unserer Landeskirche in Goslar zusammentreten. Sie steht unter dem Gesamtthema „Bekenntnis und Schriftauslegung in der Gemeinde“. Beide Synodaltagungen bedürfen besonders des Mitdenkens und der Fürbitte Ihrer selbst und Ihrer Gemeinden.

Auf Bitten von Frau Pfarrvikarin Annemarie M a r x weise ich gern auf eine erste norddeutsche Bibelrüstzeit für Taubblinde und Hör-Sehrestige hin, die vom 9.-16. Oktober 1967 in Klein-Süntel b. Hameln gehalten werden soll. Thema: „Jesus, was bedeutet er für dich?“ Preis: ca. 65 DM, Anmeldung und Leitung: Frau Pfarrvikarin Marx, Braunschweig, Am Hohen Felde 7. Wenn es im ganzen auch nur eine relativ kleine Zahl ist (im Bundesgebiet schätzungsweise ca. 2000), die von diesem doppelt schweren Schicksal betroffen sind, so verdienen sie doch, daß man sich mehr als bisher um sie kümmert. Es sind in letzter Zeit auch ganz neue Möglichkeiten für Kontakthilfen für Taubblinde gefunden worden. Wo Sie von solchen Menschen hören – die Angehörigen scheuen sich bis heute oft, solche Fälle ausdrücklich zu melden – machen Sie doch bitte auf die Tagung aufmerksam. Aber auch an die sonstige Arbeit an den Blinden und Gehörgeschädigten und Ertaubten, wie sie auch im Bereich unserer Landeskirche geschieht, sei in diesem Zusammenhang dankbar erinnert.

Mit herzlichen Segenswünschen für Amt, Gemeinde und Haus Ihr (gez.: Heintze)

Anlage

Bericht
von Bischof D. Friedrich Wilhelm Krummacher auf der Synodaltagung der Evangelischen Kirche in Deutschland in Fürstenwalde vom 2.4.1967
Teil II
Einheit und Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland.

Wir sind hier versammelt als Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland. Wir müssen uns daher erneut, vergegenwärtigen, warum und aus welcher geistlichen Verantwortung heraus wir an der Einheit und Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland festhalten.

1. Diese Einheit ist im Berichtsjahr auf mannigfache Weise von aussen angefochten worden. Der Entzug der Lizenz für die Berliner Ausgabe des Amtsblatts der Evangelischen Kirche in Deutschland hat die Möglichkeit gegenseitiger Information zwischen unseren Landeskirchen ernstlich erschwert. Sehr tief wurde unsere Gemeinschaft betroffen durch die Behinderung vieler leitender Brüder aus westdeutschen Gliedkirchen, die mit uns nicht mehr wie bisher zu brüderlicher Begegnung und Beratung zusammenkommen konnten. Um so mehr haben wir uns zu prüfen, warum wir dennoch an Einheit und Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland festhalten.

2. Es bedarf kaum der wiederholten Erklärung, die der Ratsvorsitzende Bischof D. Scharf und ich bereits auf den Synodaltagungen der beiden vergangenen Jahre abgegeben haben, daß wir Einheit niemals als Uniformität verstehen. Einheit der Kirche kann unter uns nur so praktiziert; werden, daß wir uns zugleich gegenseitig brüderlich die Freiheit zugestehen, daß jeder jeweils in seinem ganz anders gestalteten gesellschaftlichen, sozialen und politischen Bereich Entscheidungen, insonderheit sozial-ethische Entscheidungen, trifft, die vom Evangelium her in der jeweils verschiedenen Lage geboten sind, nur daß jeweils der Gedanke an die Brüder im anderen Bereich bei den Überlegungen und Entscheidungen mit darin sein sollte. Wir haben das mehrfach so praktiziert, daß wir freie und unabhängige Entscheidungen der Kirche für den Bereich der Deutschen Demokratischen Republik und entsprechend auch freie Entscheidungen der Kirche für den Bereich der Bundesrepublik getroffenhaben. Von „Weisungsbefugnissen“ kann dabei im Raum der Evangelischen Kirche in Deutschland überhaupt nicht die Rede sein. Die Grundordnung (Art. 30,5) und die Geschäftsordnung des Rates haben den Ratsmitgliedern in der Deutschen Demokratischen Republik die erforderliche Wahrnehmung eigener, selbständiger Verantwortung in den vergangenen sechs Jahren ermöglicht. Dabei haben wir es freilich gegenseitig als innere Stärkung empfunden, wenn die Brüder der jeweils anderen Seite nachträglich bestätigen, daß sie überzeugt seien, daß solche eigenständigen Entscheidungen rechte christliche Entscheidungen in der gegebenen situationsbedingten Lage waren.

3. Man hat uns vorgehalten, wir hielten an der Einheit und Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland im Grunde nur aus politischen oder nationalen Gründen fest. Ich möchte dem nachdrücklich widersprechen und freilich hinzufügen, daß wir auch aus Verantwortung für die Menschen und Familien unseres geteilten deutschen Volkes nicht das Recht haben, diese Gemeinschaft von uns aus freiwillig aufzugeben. Ich stelle an diesem Punkt auch noch einmal fest, daß der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland bereits am 12. Oktober 1949, also fünf Tage nach der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik von. den „beiden deutschen Regierungen“ gesprochen hat und einen Bevollmächtigten bei der Regierung der Deutschen Demokratischen Republik bestellt hat. Damit erweist sich das Reden von einer Nichtanerkennung der Deutschen Demokratischen Republik auf dem kirchlichen Gebiet ganz schlicht als eine historisch nicht zutreffende Legende.

4. Man hat uns vorgehalten, daß wir nur aus überholten geschichtlichen Gründen an dieser Gemeinschaft festhielten. Das aber ist für uns heute nicht das Entscheidende, obwohl man die geschichtliche Kontinuität der Kirche Christi auf Erden nicht so spiritualisieren sollte, als wenn es nicht auch auf die institutionelle und historisch gewachsene Gemeinschaft und auf die sichtbare Einheit der Kirche auf Erden ankäme. Es gibt eine in Jahrhunderten gewachsene reale Gemeinschaft der deutschen evangelischen Christenheit. Es gibt auch genügend Beispiele aus den Zeiten des früheren Staats- und Landeskirchentums, daß die kirchliche Gemeinschaft auch über Landes- und Staatsgrenzen hinweg, z.B. am Niederrhein oder in Pommern, durch dieselben synodalen kirchlichen Organe bezw. durch dieselbe Kirchenordnung über staatliche Trennungen hinweg festgehalten worden ist. Wer die Geschichte bedeutender Theologen aus dem 16., 17. oder 18. Jahrhundert studiert, ist immer wieder erstaunt, wie freizügig in jenen Zeiten der Kleinstaaterei Kirchenmänner dem Ruf in andere Kirchengebiete folgen konnten, etwa von Rostock nach Süddeutschland oder von Frankfurt nach Dresden oder nach Berlin. Auch in der Oekumene gibt es genug Beispiele dafür, daß man die Kirchengrenzen keineswegs als Staatsgrenzen überall gleichsetzt.

5. Das alles sind nun gewichtige, aber keineswegs die heute entscheidenden Gründe. Verpflichtender ist im Zeitalter der Oekumene etwas anderes: Die Kirchen der ganzen Welt streben, auch über politische, rassische, soziale und gesellschaftliche Unterschiede hinweg immer mehr zur Gemeinschaft, und zwar nicht nur zu einer spirituellen, sondern zu einer real gestalteten, sichtbaren Gemeinschaft. Es wäre ein Anachronismus, in unserem oekumenischen Zeitalter und ein Rückfall in überwundene Zeiten des Staatskirchentums, wenn wir ausgerechnet im Mutterlande der Reformation auf die uns geschenkte und durch das Schuldbekenntnis von 1945 in geistlicher Tiefe neu gewachsene Gemeinschaft von uns aus verzichten würden. Wir glauben, daß unser Festhalten an der Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland vom Evangelium her und aus oekumenischer Verantwortung geboten ist: vom Evangelium her, weil der Herr Jesus Christus selber und seine Apostel mit der missionarischen Ausbreitung des Evangeliums der Kirche zugleich einen grenzüberschreitenden Impuls mitgegeben haben, und von der Oekumene her, weil wir meinen, daß wir beispielhaft für die Weltchristenheit, auch für solche Kirchen, die in ähnlicher Lage wie wir aus politischen, rassischen, soziologischen und gesellschaftlichen Gründen in ihrem organisatorischen Gefüge bedroht werden, einen Erweis dafür zu geben haben, daß die Kraft des Glaubens stärker ist als von aussen kommende Trennungen. Wir haben einen oekumenisch gebotenen Versöhnungs- und Brückendienst gerade an der Grenze zwischen West- und Osteuropa als Evangelische Kirche in Deutschland wahrzunehmen. Wir würden als Kirche der Reformation an unserer oekumenischen Verantwortung schuldig werden, wenn wir auf die Gemeinschaft, auch auf die institutionelle und sichtbare Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland lediglich aus säkularen und tagespolitischen Gründen verzichten würden.

6. Dazu kommen nun die geistlichen Realitäten im täglichen kirchlichen Leben. Wir stehen in einer heute mehr noch als früher praktizierten Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland. Das zeigt sich an der unaufgebbaren Gemeinsamkeit theologischen Denkens. Gerade in diesen Jahren, in denen die Fragen Schrift und Verkündigung, Theologie und Gemeinde uns so leidenschaftlich bewegen, würde es ein Akt unerhörter theologischer Verarmung sein, wenn wir voneinander lassen wollten. Wir leben auch von einer verborgenen, aber tiefen Gemeinsamkeit im Amts- und Ordinationsverständnis der Pfarrer aller Landeskirchen, die durch gemeinsame Wege des theologischen Studiums geprägt sind, auch über alle sonstigen Unterschiede der Landeskirchen hinweg. Das zeigt sich auch bei den Plänen zur Reform des theologischen Studiums. Wir stehen in einer Gemeinschaft gottesdienstlichen Lebens, die, abgesehen von den geprägt reformierten Gemeinden, heute zwischen den unierten Kirchen und den Kirchen des Luthertums weit deutlicher ist als in früheren Zeiten. Dazu kommt die gewachsene Gemeinsamkeit des Evangelischen Kirchengesangbuches. Wir bemühen uns gegenwärtig um gemeinsame liturgische Texte im ganzen deutschsprachigen Raum, selbst über die Konfessionsgrenzen hinweg.

All dieses ist aber auf die Dauer nur möglich, wenn man beieinander bleibt und einander nicht losläßt. Das gilt selbst von den uns bis in Herz und Gewissen bedrängenden Fragen der Gemeinschaft am Tisch des Herrn. Wenn wir einander loslassen würden, und nicht mehr aufeinander zugingen, um miteinander, trotz bestehender Lehrunterschiede, um den rechten Weg der Wahrheit zu ringen, dann bedeutete das eine ungeheure geistliche Verarmung und Selbstisolierung. Eine Kirche kann nicht freiwillig beschliessen, den Weg geistlicher Verarmung zu gehen, solange ihr Gott eine gemeinsame Schulderkenntnis, aber auch gemeinsame geistliche Gaben geschenkt hat.

7. Darum ist es heute nicht mehr eine pragmatische Frage, die man so oder so lösen kann, sondern eine Frage des Glaubensgehorsams, ob wir an der Einheit und Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland festhalten oder nicht. Wenn wir uns trennen würden, so täten wir das ja lediglich aus säkularen Gründen und aus keinem einzigen tragenden geistlichen oder kirchlichen Grunde. Wir würden damit auf beiden Seiten die Freiheit und Glaubwürdigkeit kirchlichen Handelns und Sprechens gefährden. Wir würden uns dann in beiden Teilen Deutschlands stärker an die Umwelt der gesellschaftspolitischen Systeme, in denen wir leben, als an das Evangelium und an die Alleinherrschaft des Einen Herrn binden. Die Gefahr der Perversion des Evangeliums durch falsche Assimilierung an die gesellschaftliche Umwelt würde keineswegs nur in der Deutschen Demokratischen Republik, sondern auch in der Bundesrepublik Deutschland bedrohlich sein, während wir uns jetzt gegenseitig den Dienst tun können, uns immer wieder in der Mitte des Evangeliums in gehorsamer Bindung an den Einen Herrn zu begegnen. Wir können darum, trotz aller Behinderung, nicht auf das Gespräch mit den Brüdern verzichten. Ich wiederhole deshalb, was ich im Auftrag aller Bischöfe in der Deutschen Demokratischen Republik vor der erstem Tagung der 3. Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland am 13.2.1961 erklärt habe: „Es gilt über innerkirchliche und politische Unterscheidungen hinweg die kirchliche Gemeinschaft in der Bindung an den Einen Herrn gerade jetzt zu bewahren und zu bewähren.“

8. Dabei bedarf es kaum des besonderen Hinweises, daß die Kirche in freier, eigener Verantwortung, gebunden an ihren alleinigen Auftrag, ihre kirchlichen Ordnungen und Gesetze den jeweils gegebenen Möglichkeiten entsprechend sinngemäss umgestalten kann. Der Rat hat daher auf Grund der praktischen Erfahrungen der letzten Jahre anstelle der sogenannten Betheler Gesetze dieser Synode ein Kirchengesetz vorgelegt, durch das die Arbeit der Synode und der Kirchenkonferenz beweglicher gestaltet werden kann. Für die Arbeit des Rates selber besteht, wie bereits bemerkt, diese Beweglichkeit eigener Verantwortung bereits seit Jahren und bedarf keiner neuen gesetzlichen Regelung. Solche internen kirchlichen Maßnahmen zur rechten Erfüllung des kirchlichen Auftrags spalten nicht, sondern stärken zugleich die Einheit und Gemeinschaft der Evangelischen Kirche in Deutschland, die uns, ich sage das noch einmal aus tiefer Überzeugung, aus Glaubensgehorsam festzuhalten geboten ist. So haben wir es gemeinsam am 8. März 1963 in den „Zehn Artikeln über Freiheit und Dienst der Kirche“ am Ende des IX. Artikels gesagt: „Die Kirche verfällt dem Ungehorsam, wenn sie ihre Ordnungen und ihr Recht durch menschliche Willkür auflöst, ihre eigenen Ordnungen nicht einhält oder die Gestalt ihrer Ordnung an ausserkirchliche Bindungen preisgibt.“

Damit haben wir sachlich dasselbe ausgesprochene, was bereits in der Theologischen Erklärung von Barmen so gesagt wurde: „Wir verwerfen die falsche Lehre, als dürfe die Kirche die Gestalt ihrer Botschaft und ihrer Ordnung ihrem Belieben oder dem Wechsel der jeweils herrschenden weltanschaulichen und politischen Überzeugungen überlassen.“

9. Das alles ist nun in diesen letzten Wochen ungewöhnlich aktuell geworden. Von maßgebender politischer Seite ist öffentlich mehrmals erklärt worden, die institutionelle Gemeinschaft einer Evangelischen Kirche in Deutschland bestehe bereits nicht mehr. Zur Begründung hat man angeführt, daß aus politisch-moralischen Gründen die Kirchen und die Christen in der Deutschen Demokratischen Republik nicht mehr in einem Atemzuge mit den Kirchen und den Christen in der Bundesrepublik Deutschland genannt werden können.

Darauf erwidern wir: Wenn Christen, die Glieder am Leib des Einen Herrn sind und als Glieder einer Kirche zusammen gehören, nicht mehr zusammen in einem Atemzug genannt werden dürfen, dann geht es damit nicht mehr um eine institutionelle Frage, sondern um die Gemeinschaft im Glauben an den Einen Herrn. Der Eine Herr hat den politisch verdächtigen Zöllner Matthäus gemeinsam mit dem nationalistischen Simon Zelotes „in einem Atemzug“ als seine Jünger ausgesandt. Der Eine Herr hat die beiden verlorenen Söhne, den moralisch heruntergekommenen und den moralisch einwandfreien, „in einem Atemzug“ eingeladen, am Tisch des Vaters gemeinsam Platz zu nehmen. Der Eine Herr hat für den Verbrecher am Kreuz und für den römischen Hauptmann „in einem Atemzug“ gebetet.

Im Namen dieses Einen Herrn haben verachtete Sklaven und reiche Kaufleute, Juden und Griechen in Einer Gemeinde in Rom, Thessalonich und anderswo in jedem Atemzug zusammengelebt. „In einem Atemzug“ sind vor 30 Jahren sogenannte arische und nicht arische Christen in unseren Gemeinden beisammen geblieben, als man forderte, aus säkularen Gründen die institutionelle Gemeinschaft zu zerreißen. Im Glaubensgehorsam gegen den Einen Herrn halten wir in der Oekumene die Gemeinschaft mit Christen anderer Rasse, Hautfarbe und politisch-gesellschaftlicher Herkunft mit jedem Atemzug fest. In der Gemeinschaft dieses Einen Herrn kann man eben die Guten und die Bösen nicht voneinander trennen, auch nicht aus politischen oder moralischen Gründen, weil sie beide in jedem Atemzug allein von der Gnade ihres Herrn leben.

Wahrhaftig, meine Brüder und Schwestern, jetzt geht es in der Evangelischen Kirche in Deutschland um mehr als um Fragen der kirchlichen Institution oder der Gesetzgebung. Es geht um die alleinige Bindung einer freien Kirche an den Einen Herrn, der in jedem Atemzug auch der Herr unserer Brüder ist, mögen sie politisch oder gesellschaftlich anders leben und denken als wir. Das Wesen der Kirche und die Botschaft von der Rechtfertigung allein aus Gnaden sind in unerhört aktueller Zuspitzung miteinander im Innersten verzahnt. Gott gebe, daß wir nun erst recht diese unaufgebbare Gemeinschaft der evangelischen Christenheit in Deutschland im Zeugnis und im Dienst vor der Welt aus Glaubensgehorsam Tag für Tag tiefer verwirklichen. Darum lassen Sie uns immer wieder beten: veni creator spiritus.

Quelle: Landeskirchliches Archiv LBf 12 und Acc. 102/07, Rundbriefe


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Impressum, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/Heintze/, Stand: November 2015, dk