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[Kirche von unten]

Die Braunschweiger Landeskirche in den 70er Jahren

und ihr Bischof Gerhard Heintze

22 Rundbriefe von Landesbischof Heintze in Auswahl und Auszügen

6. Fürbittgottesdienst nach dem Ausbruch des Nah-Ost Krieges zwischen Ägypten und Israel

Rundbrief 6.6.1967

An die Pfarrer, Pfarrdiakone, Pfarrvikare und Pfarrvikarinnen der Braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche An die Pfarrer im Ruhestand und die Pfarrwitwen aus dem Bereich der Landeskirche

Liebe Brüder! Liebe Schwestern!

Telefonisch ist Ihnen schon meine Bitte übermittelt, am Donnerstag oder sonst einem geeigneten Tag dieser Woche abends angesichts des im Nahen Orient ausgebrochenen Krieges einen besonderen Bittgottesdienst für den Frieden zu halten.1 Zu ähnlichen Gottesdiensten wird auch in den anderen Gliedkirchen der Evangelischen Kirche in Deutschland aufgerufen.2 Ich möchte diese Bitte noch einmal schriftlich wiederholen und zugleich etwas Hilfe für die Durchführung der Gottesdienste anbieten.

Die Schwachheit und Hilflosigkeit auch aller gutwilligen Friedensbemühungen tritt in diesen Tagen so krass in Erscheinung wie kaum zuvor. Es ist nicht unsere Aufgabe, uns in die politischen Entscheidungen einzumischen. Aber wir können als Christen nicht durch diese Tage gehen, als ginge uns, was dort im Nahen Osten geschieht, nichts an. Das ist uns nicht nur deshalb verwehrt, weil die Eskalation zu einem neuen Weltkrieg hier noch unheimlicher nahegerückt ist, als in Vietnam. In allen vom Krieg betroffenen Ländern werden Menschen, die unsere Brüder und Schwestern sind, getötet und verwundet, verlieren Heimat und Besitz, leben in Angst und Schrecken, und der Haß lodert in hellen Flammen. Vor allem ist gar nicht vorzustellen, was es bedeuten würde, wenn die brutal-zynische Ankündigung, Israel solle in diesem Krieg „ausgelöscht“ werden, wirklich durchgeführt würde. Es muss uns gerade als Christen in Deutschland aufs stärkste berühren, unter welch ungeheurer Bedrohung die Menschen dieses Volkes, das so Unsägliches in seiner Geschichte erlitten hat – zuletzt im Dritten Reich – damit von neuem stehen. Aber wenn uns auch zum eigenen Handeln die Hände gebunden sind, so ist es in solcher Lage doch Freiheit und Aufgabe aller Christen, im Gebet die Not der unmittelbar Betroffenen, wie unser aller, vor Gott zu bringen.

Ich schlage vor, daß der Fürbittgottesdienst nach der Ordnung eines einfachen Gebetsgottesdienstes gehalten wird und die Gemeinde viel Gelegenheit hat mitzusingen und mitzubeten. An Liedern kommen vor allem 195, 282, 294, 391 und 139 infrage. Einige geeignete Gebete finden Sie in Agende II (Die Gebetsgottesdienste) Seite 226 und 227. Auch Psalmgebete, wie etwa Ps. 85 oder Ps. 130 kommen in Frage. In einem Gottesdienst, der schon heute abend stattfand, wurde folgendes Wechselgebet gebraucht:

   Herr Gott, lieber himmlischer Vater,
in den Schrecken eines neuen Krieges kommen wir vor Dein Angesicht. Wir sind schwach und ratlos. Wir wissen nicht einmal, wie wir recht beten sollen. Aber Du bist unser Vater. Du willst hören, wenn wir in Jesu Christi Namen zu Dir rufen.

   Wir bitten Dich für alle Menschen, die kämpfen und leiden, in Israel und in den arabischen Ländern, für die Verwundeten und Sterbenden, für die Heimatlosen, für alle, die in Angst und Verzweiflung leben.
Wir rufen Dich an: Herr erbarme Dich!

   Für alle, die sich von Hass und Verblendung und Machtgier hinreissen lassen, daß Du sie erschrecken lässest vor allem, was sie anrichten und Ihnen die Augen öffnest, daß auch der Gegner ihr Bruder bleibt.
Wir rufen Dich an: Herr erbarme Dich!

   Für alle, die in den am Kampf beteiligten Völkern und in den übrigen Völkern der Welt, besonders in den Großmächten, regieren und Verantwortung tragen, daß sie Wege finden, um dem Blutvergiessen im Nahen Osten und Vietnam ein Ende zu bereiten und eine Ausweitung des Krieges zu verhindern.
Wir rufen Dich an: Herr erbarme Dich!

   Für alle, die mit Ernst und Geduld den Frieden suchen. Erfülle an ihnen die Verheissung, die den Friedfertigen gegeben ist. Du kannst Menschenherzen wandeln.
Wir rufen Dich an: Herr erbarme Dich!

   Für alle, die sich im Dienst der Barmherzigkeit bemühen, Leiden zu lindern und in Angst und Not geratenen Menschen zu helfen, daß ihr Dienst gelinge und viele Menschen auch in unserem Volk dazu willig werden.
Wir rufen Dich an: Herr erbarme Dich!

Wir bitten Dich für uns selber und für die ganze Welt. Laß Dein Friedenswerk nicht untergehen. Vergib uns unsere vielfältige Schuld der Glaubenslosigkeit, der Gleichgültigkeit und der Selbstsucht. Gib uns Deinen Frieden und mache uns zu Werkzeugen Deines Friedens durch Jesus Christus, Deinen lieben Sohn, unsern Herrn.

Als Lesung, evtl. auch als Text für eine kurze Ansprache, schlage ich Jes. 63,19 – 64,11 (ev. in Auswahl) vor. Angelpunkt ist hier der dringende Appell: „Aber nun, Herr, Du bist doch unser Vater“ (Vers 8). Nur von dieser Zuversicht her kann es trotz vielfältigen Versagens auch der Christenheit neu zu der Bitte kommen: „Gedenke nicht ewig der Sünde, und sieh doch an, daß wir alle Dein Volk sind“. Diese Fürbitte sollte die Israelis und die Araber einschließen. Weitere geeignete Texte finden Sie auch in den Losungen dieser Tage.

Solches Beten mag als geringfügige Angelegenheit erscheinen. Es bleibt dennoch die grösste und wichtigste Aufgabe, die uns gerade jetzt gestellt wird. Landesbischof Lilje zitiert in seinem Aufruf zu Fürbittgottesdiensten an die Pfarrer der Hannoverschen Landeskirche einen Satz aus einem Aufsatz von Reinhold Schneider „Das Gebet in der Geschichte“, in dem es heißt: „Das gesamte Kraftfeld dieser Wirkung, die Reichweite des Gebetes, lässt sich mit den Mitteln der Wissenschaft nicht erhellen, und nur das Eine ist gewiss, daß die Welt haltlos in die Nacht stürzen müsste, wenn sie nicht mehr durch diese Kraft mit der Gnade verbunden wäre“.4 Wir sollten von unserem Gebet nichts Geringeres erwarten, als es in diesen Sätzen ausgesprochen ist.

Herzlich bitte ich Sie, in den Gottesdiensten auch zu einem tatkräftigen Opfer für die unmittelbar vom Krieg Betroffenen, besonders für Hilfe für Verwundete und Hinterbliebene aufzurufen.

Möchten unsere Fürbittgottesdienste gesegnet sein. Und möchte ihnen ein anhaltendes Bitten zu Hause und in den sonstigen Gottesdiensten dieser Zeit zur Seite gehen.

Beigefügt soweit der Vorrat reicht ist die Vervielfältigung des Schlußwortes, das Professor Peter Krusche auf unserer Landessynode auf dem „Hessenkopf“ zum Abschluss der Diskussion über seinen Vortrag „Bibel und Gemeinde“ hielt. Dieses Schlußwort hat damals die Synodalen besonders angesprochen. Vielleicht findet es auch Ihr Interesse.

Seien Sie mit Ihren Gemeinden und Angehörigen herzlich Gott befohlen Ihr gez.: Heintze

Quelle: LAW LBf 12 und Acc. 102/07, Rundbriefe


Anmerkungen

1 Am 5.6.1967 führte Israel einen Präventivschlag gegen Ägypten durch. Nach dem sog. Sechstagekrieg besetzte Israel ein palästinensisches Territorium, das dreimal so groß war wie ihr eigenes bisheriges Staatsgebiet.
2 Über kirchliche Aufrufe zu diesem Anlass. Kirchliches Jahrbuch 1967 S. 125-129
3 EKG 195 „Aus tiefer Not“ = EG 299; EKG 282 „Wenn wir in höchsten Nöten sein = EG 366; EKG 294 „Befiehl du deine Wege“ = EG 361; EKG 391 „Du Friedefürst, Herr Jesu Christ“ = EG 422: EKG 139 „Verleih uns Frieden gnädiglich“ = EG 421.
4 Kirchliches Jahrbuch 1967 1967 128


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Impressum, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/Heintze/, Stand: November 2015, dk