Kirche von unten: Home - Archiv - Geschichte - Vorträge, Beiträge - Cyty - Glaube
 
[Kirche von unten]

Die Braunschweiger Landeskirche in den 70er Jahren

und ihr Bischof Gerhard Heintze

22 Rundbriefe von Landesbischof Heintze in Auswahl und Auszügen

8. Zeitliche Begrenzung des Bischofsamtes

Rundbrief 20.02.1969

An die Pfarrer, Pastorinnen und sonstigen Mitarbeiter der Braunschweigischen evangelisch-lutherischen Landeskirche nachrichtlich: an die Vikare und Studenten der Landeskirche sowie an die Pfarrer im Ruhestand und die Pfarrwitwen aus den Bereich der Landeskirche.

Liebe Brüder! Liebe Schwestern!

1) Am 29. Januar hat die Landessynode unserer Kirche, wie Sie wissen werden, den bisherigen Direktor unseres Braunschweiger Predigerseminars, Pastor Ernst-Heinrich Kämmerer, zum neuen Mitglied des Kollegiums des Landeskirchenamtes gewählt, nachdem Oberlandeskirchenrat Wedemeyer auf dringendes ärztliches Anraten seine Versetzung in den Ruhestand zum 1.4.1969 hatte beantragen müssen. Darüber, wer für die künftige Verteilung der Aufgaben in den Referaten des Landeskirchenamtes zuständig ist, gibt es keine gesetzliche Vorschrift. Angesichts des starken Interesses, das unter Pfarrern und sonstigen Mitarbeitern in der Synode wie auch sonst in der Landeskirche daran besteht, schien es jedoch geraten, die Frage nicht innerhalb des Landeskirchenamtes zu regeln, sondern die Kirchenregierung um ihre Entscheidung zu bitten. Sie hat für richtig gehalten, daß wie in den letzten Jahren Personalreferat und Ausbildungsreferat getrennt bleiben und nicht in einer Hand vereinigt werden. Sie hat demzufolge Oberlandeskirchenrat Brinckmeier gebeten, in Zukunft das Personalreferat (Referat I) zu übernehmen – er hat es stellvertretend jetzt schon monatelang geführt -, und Oberlandeskirchenrat Kammerer, das Amt für Gemeindedienst mit Ausbildungsreferat (Referat II) zu verwalten. Beide Herren haben dieser Aufgabenverteilung zugestimmt.

Ich möchte Sie heute um Ihr Vertrauen für das in Zukunft nun veränderte Kollegium bitten. Es ist heute nicht einfach, verantwortliches Mitglied im kirchlichen „Establishment“ zu sein. Wer in dieser Rolle ist, muß nicht nur mit vermehrter Kritik von außen her rechnen. Er hat vor allem reichlich Gelegenheit, selber zu merken, wie schwierig es ist, mit den gestellten Aufgaben fertig zu werden und wie leicht sich auch in guter Meinung getroffene Entscheidungen als unzureichend und revisionsbedürftig erweisen können. Man kann solche Ämter heute nicht führen, ohne an der vielfältigen Ratlosigkeit und Verlegenheit Anteil zu bekommen, die überhaupt unsere heutige kirchliche Situation kennzeichnen. Das von Ihnen erbetene Vertrauen bedeutet nicht, daß Sie grundsätzlich auf Kritik verzichten sollen. Wer in einem Leitungsamt steht, hat es vielmehr nötig, daß er wirklich zu hören bekommt, was andere an Einwänden und Bedenken ihm gegenüber auf dem Herzen haben. Und ohne vielseitige Initiative einer breiten Mitarbeiterschaft kann eine Kirchenleitung heute noch viel weniger als früher ihren Dienst tun. Aber es kann eine große Hilfe sein, wenn man spüren darf, daß auch die Kritik aus der Solidarität der Zugehörigkeit zu ein und demselben Herrn und aus dem Wissen um das gemeinsame Unterwegssein in seinem Dienst kommt.

Ich habe vor der Synode dem scheidenden Oberlandeskirchenrat Wedemeyer gedankt. Es bleibt bitter für ihn und für unsere Kirche, daß er so früh sein Amt aufgeben muß. Ich habe den Dank außer denen, die lange Zeit die Vertretung wahrgenommen haben, auch dem ausgesprochen, der bereit ist, neu in die Verantwortung einzutreten, und ebenso den beiden anderen, die sich zur Wahl zur Verfügung gestellt hatten. Die Einführung von Oberlandeskirchenrat Kammerer soll im Abendgottesdienst im Braunschweiger Dom am Mittwoch, 9. April, 20 Uhr, stattfinden. Es ist sein ausdrücklicher Wunsch, daß auf weitere Einführungszeremonien verzichtet wird. Aber zu diesem Gottesdienst möchte ich Sie schon heute einladen und Sie bitten, sich den Termin vorzumerken.

2) Daß die Mitglieder des Kollegiums bei uns durch die Landessynode gewählt werden, ist schon in der noch geltenden Verfassung im Vergleich mit der Praxis anderer Kirchen ein „demokratischeres“ Verfahren. Trotzdem ist die im Zusammenhang mit der jetzigen Wahl vom „Arbeitskreis für Kirche und Gesellschaft“ erhobene Forderung nach einer grundlegenden Änderung des Wahlverfahrens in unserer Kirche – sie ist auch schon früher vertreten worden – es wert, gründlich über sie nachzudenken. In der Beratung des am 29. Januar der Synode vorgelegten Verfassungsentwurfs wird diese Frage sicher eine besondere Rolle spielen – nicht nur im Blick auf die leitenden Stellen im Landeskirchenamt. Mir ist es sehr recht, wenn auch mein eigenes Amt in die Diskussion einbezogen wird. Gerade heute spricht m.E. mancherlei dafür, das Bischofsamt nicht auf Lebenszeit, sondern für einen befristeteren Zeitraum zu verleihen. („Auf Lebenszeit“ werden ohnehin keine Ämter mehr verliehen, seit es Pensionierungsregelungen gibt). Die Verhältnisse und damit auch die jeweils gestellten Aufgaben wandeln sich heute sehr schnell. Es ist nicht gesagt, daß jemand, der in einer bestimmten Situation gewählt ist und dies Amt übernommen hat, auch in einer gewandelten Situation der Aufgabe noch gewachsen ist. Für ihn selber und für die Kirche könnte es deshalb eine Hilfe sein, wenn verfassungsmäßig die Möglichkeit einer Ablösung in bestimmten Fristen vorgesehen würde. In dieser wie in vielen anderen Fragen kirchlicher Ordnung werden wir jedenfalls lernen müssen, von dem zu leistenden Dienst her – man könnte auch sagen: von der „Funktion“ her – und nicht von einem institutionellen Prinzip her zu denken.

Allerdings müssen, wenn die Frage der Wahlen und der befristeten Ämterbesetzung in die Diskussion kommt, sorgfältig auch die bei einer befristeten Besetzung bestehenden Risiken bedacht und die Argumente, die dafür, wie diejenigen, die dagegen sprechen, sachlich gegeneinander abgewogen werden. Klar muß uns sein, daß es überhaupt keine ideale Verfassungsform gibt, die als solche das Leben der Gemeinde Jesu Christi garantieren könnte. Auch eine sogen. „Demokratisierung“ stellt keine Garantie dar und hat ebenso wie andere Verfassungsformen ihre besonderen Schwächen und Gefahren. Der Predigttext des nächsten Sonntags Invokavit (Matth.16,21-27) – die Zurückweisung des Bekenners und führenden Apostels Petrus durch Jesus, weil er zum Versucher geworden ist – ist eine heilsame Erinnerung daran, wie man auch mit besten Absichten und vortrefflichsten Amtsvoraussetzungen sich Jesus dennoch in den Weg stellen und zum Hindernis für den Fortgang seiner Sache werden kann. Es wird sich bei der Diskussion der Ämterbesetzung und überhaupt der neuen Kirchenverfassung deshalb nur darum handeln können, im Blick auf die heute und morgen wartenden Aufgaben klar und nüchtern die Schwächen der bisherigen Ordnung zu erkennen und zu prüfen, wo konkrete Veränderungen als wenigstens relativ besser erscheinen, und dann auch beherzte Schritte in dieser Richtung zu tun. Ich würde mich freuen, wenn auch Sie sich Gedanken in dieser Sache machen würden. Die Synode hat ja ihrerseits den ausdrücklichen Wunsch ausgesprochen, daß der neue Verfassungsentwurf in möglichster Breite diskutiert werden möchte. Wichtig und in vielem hilfreich für die hier wie überhaupt im Blick auf die künftige Gestalt der Kirche anzustellendenÜberlegungen scheint mir das Buch von Werner Jetter, Was wird aus der Kirche? – Kreuzverlag, Stuttgart, 1968, zu sein.

3) Wir haben allen Anlass, in diesen Wochen im Blick auf das künftige Schicksal Berlins wie auf die künftige Gestaltung der Beziehungen zwischen den beiden Teilen Deutschlands besorgt und beunruhigt zu sein.1 Die Frage des rechten westlichen Verhaltens und insbesondere der Reaktion auf die von der anderen Seite angekündigten Repressalien scheint mir sehr viel schwieriger und risikoreicher zu sein als in den früheren Berlin-Krisen. So wenig die Repressalien einen Rechtsgrund haben, so ist m.E. auch auf westlicher Seite keineswegs sicher, was hier wirklich dem Frieden und der Versöhnung dient, und wie es um das Verhältnis von grundsätzlichem Recht und faktischer Rechtsausübung steht. Niemand darf sich wünschen, dass durch die neu sich abzeichnende Krise die Lösung der noch un gleich bedrängenderen Weltkonflikte, vorab des Friedens-Problems in Vietnam und im Nahen Osten und die Frage der besseren Gerechtigkeit für die Völker der wirtschaftlich unterentwickelten „Dritten Welt“ noch zusätzlich erschwert und weiter hinausgeschoben wird. Alle verantwortlichen Politiker im Westen und im Osten haben in dieser Situation besonders unser Gedenken und unsere Fürbitte nötig. Gott möge sie vor Vermessenheit, Blindheit und falschem Prestigedenken bewahren!

4) Allen, die in den letzten Wochen und Monaten mitgeholfen haben, die Ergebnisse, Anregungen und Herausforderungen der Weltkirchenkonferenz von Uppsala in unserer Landeskirche bekannt zu machen und praktische Konsequenzen daraus zu ziehen, möchte ich herzlich danken. Allerdings ist nach meinem Eindruck hier längst noch nicht genug geschehen. Ich glaube, daß es sich nicht nur lohnt, hier weiter bemüht zu bleiben, sondern daß hier nach wie vor so viel zum Bedenken wie zum praktischen Engagement uns aufgegeben ist, daß wir dem gar nicht ausweichen dürfen. Soweit mein Terminkalender es zuläßt und rechtzeitige Absprachen getroffen werden können, bin ich selber als Delegierter von Uppsala wie bisher gern bereit, zu Berichten und zu Aussprachen über die Uppsala-Thematik in Gemeinden oder übergemeindliche Arbeitskreise zu kommen. Im engen Zusammenhang mit der Uppsala-Thematik steht auch der 14. Deutsche Evangelische Kirchentag, der vom 16.-20. Juli 1969 in Stuttgart unter dem Leitthema „Hunger nach Gerechtigkeit“ gehalten werden soll. Ich würde mich freuen, wenn auch aus unserer Landeskirche viele diesen Kirchentag besuchen und noch mehr mit seiner Thematik beschäftigen würden. Merken Sie sich bitte schon jetzt den Termin vor.

... 5) der Text des ökumenische Apostolicum / 6) Bitte, den Bruderdienst zu unterstützen;

7) Darf ich daran erinnern, daß am 7. März der diesjährige Weltgebetstag der Frauen stattfindet. Die Evangelische Frauenhilfe hat sich in ihrem Rundschreiben vom 20. Januar schon an alle Pfarrämter und alle Leiterinnen der Evangelischen Frauenhilfen und Mütterkreise in unserer Landeskirche gewandt. Ich möchte die ergangene Einladung meinerseits dringend unterstreichen und Sie bitten mitzuhelfen, daß auch in diesem Jahr der Weltgebetstag in unseren Gemeinden Beachtung findet und viele sich beteiligen. In diesem Jahr hat eine afrikanische Frauengruppe die Ordnung des Gottesdienstes gestaltet, der unter dem Leitgedanken „Laßt uns eins werden mit Christus“ stehen soll.

...

Wir treten in dieser Woche wieder in die Passionszeit ein. Angesichts der vielfältigen offenbaren und verborgenen Leiden in der Welt haben wir es besonders nötig, miteinander unter das Kreuz Christi zu treten, von dem allein Licht auf die ungezählten Kreuze der Welt fallen kann. Lassen Sie sich deshalb auch die Passionsgottesdienste angelegen sein. Auch wo nur zahlenmäßig kleine Gemeinden sich dazu einfinden, kann von der gemeinsamen Besinnung, Anbetung und Fürbitte doch auch auf uns selber und hoffentlich auch auf andere ein Segen davon ausgehen.

In herzlicher Verbundenheit grüßt Sie und die Ihrigen Ihr Heintze

Quelle: Landeskirchliches Archiv LBf 8 und Acc. 102/07,


Anmerkung

Am 5. März 1969 sollte ein neuer Bundespräsident gewählt werden. Wahlort war nicht Bonn sondern Westberlin. Das wurde von der Sowjetunion und der DDR als Provokation empfunden, und die DDR verbot am 8. Februar 1969 den Delegierten die Durchreise durch die DDR. Als Kandidaten standen sich Außenminister Gerhard Schröder und Gustav Heinemann gegenüber. Erst im dritten Wahlgang wurde Gustav Heinemann mit den Stimmen der SPD/FDP gewählt. Gerhard Schröder (CDU) hätte der Stimmen der NPD bedurft.


[Zurück] [Glaube]
Impressum, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/Heintze/, Stand: November 2015, dk