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[Kirche von unten]

Die Braunschweiger Landeskirche in den 70er Jahren

und ihr Bischof Gerhard Heintze

Erinnerungen der Zeitgenossen

Mission – vom Unwort zum Schlüsselwort am Beispiel Tansania

Hartmut Barsnick

Als Ende des 19. Jahrhunderts deutsche Missionare am Kilimanjaro and am Njassa-See auftauchten und zu arbeiten begannen, geschah dieses im Zusammenhang mit – und größtenteils auch in Zusammenarbeit mit – der Kolonisierung von „Deutsch-Ostafrika“. Kolonisierung bedeutete: Beherrschung, Überfremdung, Entmündigung, Ausbeutung. Ende des 20. und Anfang des 21. Jahrhunderts aber feierten die Kirchen Tansanias „100 Jahre Evangelium in unserem Land“. Ja, sie feierten, denn sie wussten und wissen zu unterscheiden zwischen dem kostbaren Kern der Mission, der befreienden Botschaft von Gottes Liebe zu allen Menschen, und der befleckten Schale, in der sie daher kam, der Fremdbestimmung durch europäisches Herrenmenschentum. Pastor Ezekiel Sanga von der Süd-Zentral-Diözese der Evangelisch-Lutherischen Kirche drückte es so aus: „Die Kolonialherrschaft war hart und brutal; aber die Tatsache, dass paradoxerweise mit ihr auch das Evangelium zu uns kam, ist bleibender Segen.“ Die deutschen Kolonialbehörden hatten die Aufgabe, den Nutzen und den Einfluss des Deutschen Reiches zu mehren. Die deutschen Missionare aber hatten den Auftrag, die Botschaft von Gottes Liebe zu allen Menschen vorzuleben und weiterzugeben, und dadurch gerieten viele, die ihrem Auftrag zumindest etwas treu geblieben waren, oft in Gegensatz zu ihren im Auftrag Berlins arbeitenden Landsleuten. Waren die einen an billigen Arbeitskräften und billigen Rohstoffen interessiert, so waren die anderen – eben unter dem Einfluss und der Kraft des Evangeliums – an den Menschen als Mitgeschöpfen und Kindern Gottes interessiert. Dieser Ansatz war zwar oft überschattet von Paternalismus und kultureller Überheblichkeit, ging aber nie ganz verloren. So kam es, dass die englische Protektoratsmacht, die „Deutsch-Ostafrika“ nach dem Ersten Weltkrieg übernommen hatte, die Missionare der Leipziger, Berliner und Rheinischen Mission zwar ausgewiesen hatte, dem Wunsch und Druck der jungen Christenheit in Tanganjika aber nachgeben musste und 1927 die deutschen Missionare wieder ins Land ließ.

Wenn es also Mode geworden ist, das Wort „Mission“ für überholt, befleckt oder verstaubt zu erklären, geht dieses an den heutigen Christen im Bereich der damaligen Missionsfelder vorbei. Sie sind weit davon entfernt, die vorchristlichen Zeiten als wunderbare, unschuldige Kultur zu verklären, wie es manche Missionskritiker mit ihrem scheinprogressiven Ansatz („Lasst sie doch allein mit ihrer eigenen Religion und Lebensweise“) tun. Denn noch ist in Tansania nicht ganz überwunden, dass Albinos in Lebensgefahr sind und mit ihren Körperteilen Handel getrieben wird. Noch ist nicht ganz überwunden, dass Angst vor den bösen Geistern der Ahnen die Menschen lähmt. Noch ist nicht ganz vergessen, dass früher bei den kriegerischen Auseinandersetzungen der erste Gefangene rituell getötet wurde. Noch immer ist an Leib und Leben bedroht, wer in den Ruf gerät, ein „ Hexer“ zu sein. Mitarbeiter des Diakoniezentrums Tandala im Südwesten des Landes schrieben zum Thema „100 Jahre Evangelium“: „War man früher im Clan, in der Sippe oder im Stamm solidarisch, führte aber permanent gewaltsame Auseinandersetzungen mit „Nachbarn“, so hat die Ankunft der christlichen Botschaft bewirkt, auch im „fernen Nächsten“ ein Mitgeschöpf Gottes zu sehen. M.a.W.: Den Frieden in unserem Vielvölkerstaat verdanken wir dem Friedensfürsten Jesus Christus und denen, die sich von ihm zu uns aussenden ließen.“

Die solches formulieren, sagen deshalb auch: Lasst uns nicht allein. Lasst euch aussenden (zu Missionaren machen), aber kommt als Schwestern und Brüder, nicht als Vormünder, kommt als Partner – auch wenn ihr uns in Sachen Ausbildung, langer Kirchengeschichte und auch Finanzen einiges voraus habt. Bei gemeinsamer und gleichberechtigter Entwicklung von Projekten der Armutsbekämpfung als hoher Priorität des kirchlichen Zeugnisses und Dienstes hat auch materielle Unterstützung nach wie vor ihren Platz in dieser Welt der extrem großen Unterschiede zwischen Arm und Reich. Lasst uns das Wort „Mission“ übersetzen als „gemeinsam unterwegs zu der Einen Welt, in der es gerechter und friedlicher zugeht – gemeinsam unterwegs entsprechend der Aussendung der Jünger Jesu, zu heilen und Schalom anzusagen (Matthäus 10, V. 8 und 12)“.

So wie in Zeiten der Apartheid die Christen und Kirchen in aller Welt dringlichst gebeten wurden, sich zugunsten der Menschenrechte einzusetzen und die Opfer der Rassendiskriminierung nicht allein zu lassen „um des Evangeliums willen“, so werden jetzt in der Zeit von HIV/AIDS, von Klimawandel und Hungerkatastrophen, von hoher Kinder- und Müttersterblichkeit, von Korruption und der Botschaft des „geilen Geizes“, die auch in Tansania ihre Anhänger findet, die Christen und Kirchen des Nordens gebeten, die neutestamentlichen Ermutigungen auch für Ostafrika gelten zu lassen: „Ein reiner und makelloser Dienst vor Gott, dem Vater, besteht darin: für Waisen und Witwen zu sorgen, wenn sie in Not sind...(Jakobus 1, 27) – ein Wort, wie es treffender die Herausforderung für die Kirchen in Tansania nicht formulieren könnte, wo im Bereich der Süd-Zentral-Diözese 30 bis 45% der Grundschüler schon Halb- oder Vollwaisen sind und kleine Dörfer von 500 Einwohnern schon 40 bis 50 Witwen zählen.

Nur ein Beispiel:
H A L L E L U J A ?
Ubiluko heißt ein kleines Dorf im Südwesten Tansanias, dessen rund 400 Einwohner weit verstreut an extrem steilen Hängen der Livingstone-Berge ein äußerst bescheidenes Dasein fristen. Einen Luxus leistet man sich jedoch: Vier Kirchengemeinden von nur je 30 bis 80 Mitgliedern – mittendrin die evangelisch-lutherische Kirche mit Pastor Sodomu Humbo an der Spitze, daneben in freundlicher Konkurrenz eine Pfingstgemeinde, eine Assembly of God und eine römisch-katholische Kapelle. Die größte Herausforderung für Humbo und die Seinen ist aber der hartnäckige Fortbestand althergebrachter „heidnischer“ Bräuche, euphemistisch auch „Naturreligion“ genannt. Nicht nur, dass in jedem September viele – vor allen ältere – Einwohner in die Wälder gehen, um Opferriten zu vollführen. Sondern auch, dass sie nicht zum wissenschaftlich ausgebildeten Arzt gehen, sondern zum Zauberer und Wunderheiler – im Zeitalter der Aids-Pandemie ein tödlicher Brauch, denn diese Männer der Väterreligion verordnen wunderliche Rezepte zur „Heilung“ von HIV und Aids: Mit einer Jungfrau schlafen und auf keinen Fall Kondome benutzen. Entsprechend liegt die Ansteckungs- und Sterberate in Ubiluko noch höher als im Rest des extrem betroffenen Bezirks Makete: 30 bis 40%.

Pastor Humbo hat jedoch seine Verantwortung erkannt. Der tansanische Präsident verkündet zwar auf großen Postern„Tanzania bila Ukimwi inawezekana- Tansania ohne Aids ist möglich“, aber das WIE verrät er nicht. Also lädt Humbo den 80 km entfernt wohnenden deutschen Missionar und Ruhestandspfarrer ein: zu Predigt, Taufen, Konfirmation, aber am Sonnabend davor auch zu einem Gemeindeseminar, das – frei nach Paulus und Luther – über die „Freiheit eines Christenmenschen“ informieren soll, Freiheit von Ahnenangst und Hexenglauben, Freiheit von bösen Geistern und ebenso bösen Sexualpraktiken, hin zur freimachenden Gnade des Gottes des Lebens und der Liebe. Angesichts der Sterbensnöte im Dorf soll dieses kombiniert werden mit freundlicher, aber tabuloser Aufklärung zum Thema Gesundheit, HIV/Aids, Schutz und Verhaltensänderung. Aber Humbo sitzt zwischen Baum und Borke, denn nicht nur die Anhänger magischer Vorstellung sträuben sich gegen Aufklärung; da sind auch die vielen „Halleluja-People“, fundamentalistisch-evangelikale Christen, für die Aids eine Strafe Gottes für sündhaftes Lotterleben ist und der Gebrauch von Kondomen verwerfliches Teufelszeug. Und zu Beginn des Seminars flüstert er dem Gastreferenten zu, dass viele Halleluja-People unter den Anwesenden in der gut gefüllten Kirche sind, aber auch zwei „Priester“ der Naturreligion. Wird das gut gehen?

Nun, es ging mehr als gut. Alle Konfirmanden dieses Jahrgangs und des letzten Jahres waren anwesend, dazu viele Mitglieder der evangelischen Frauengruppe. Sie hatten den Mut, Fragen zu stellen, auch zu Partnerschaft, Sexualverhalten, Umgang mit Kranken, und sie akzeptierten, dass der Gebrauch von Kondomen eine von mehreren Möglichkeiten ist, sich und andere zu schützen. Das Gemeindelied am Ende wurde noch kräftiger und inbrünstiger gesungen und mit rhythmischer Körpersprache unterstrichen als das Eingangslied. Pastor Humbo fielen viele Steine vom Herzen: „Die Halleluja-People waren gar nicht empört, sondern einsichtig und dankbar. Sie sagten hinterher, dass sie jetzt verstanden haben: Sie m ü s s e n nicht Kondome benutzen, aber sie d ü r f e n.“

Ein Anfang ist gemacht. Nun steht zu hoffen, dass auch in Ubiluko die Ansteckungs- und Sterberate zurück gehen werden. Die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde weiß um ihre Verantwortung. HALLELUJA! Solche Zusammenarbeit, bei der es um Wert und Würde eines jeden Menschen auch im obskursten Bergdorf Ostafrikas geht, solche Anwaltschaft für das Leben, das nach biblischer Verheißung auch in diesem Teil der Welt 70 bis 80 Jahre währen dürfte, solche jesuanische Solidarität mit den Ärmsten der Armen – das wird hier hemmungslos „Mission“ genannt, und dafür werden nach wie vor Partnerschaft, Besuche, Beratung und gemeinsame Dienste erhofft und erbeten. Jesus schickte seine Jünger in die Dörfer. Warum sollte das nicht auch für die afrikanischen Bergdörfer gelten? Dort will man sie aufnehmen und anhören. Dort geht ihr Friedenswunsch immer wieder in Erfüllung (Matthäus 10, 13-14) – für missionsmüde Europäer ein echtes Schlüsselerlebnis.


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Impressum, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/Heintze/, Stand: November 2015, dk