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[Kirche von unten]

Die Braunschweiger Landeskirche in den 70er Jahren

und ihr Bischof Gerhard Heintze

Erinnerungen der Zeitgenossen

Erinnerung an Ermutigung

Herbert Erchinger

Ich habe Dr. Heintze schon vor seiner Zeit als Bischof kennengelernt. Als Landessuperintendent des Sprengels Hildesheim der „alleinseligmachenden Hannoverschen Landeskirche“ war er Prüfungsvorsitzender bei meinem 1.theol. Examen 1965. Er prüfte mich in der mündlichen Prüfung zu Karl Barth und Luther. Es lief wunderbar. Als allerletzte Frage zur Kirchengeschichte, wo ich bis dahin alles wusste, fragte er mich nach Louis Harms. Leider konnte ich über diesen Heide(n)missionar nicht viel erzählen und verwechselte ihn sogar mit Claus Harms aus Schleswig-Holstein. Dabei war mir doch das Hermannsburger Missionsfest mit seinen ausgestopften Negern ein fester Begriff von Kindheit an! Zu ärgerlich! Diese Verwechslung kostete mich einige Punkte. Ich bestand mein Examen trotzdem mit „gut“. Es gab ein sehr schönes Abschlussgespräch mit Dr. Heintze. Erst als ich mich nach 8 Jahren Gemeindepraxis für das Studentenpfarramt in Braunschweig interessierte, hörte ich wieder von ihm. Auf Anfrage schickte er mir postwendend und druckfrisch die Ausschreibung dieser Stelle, so dass ich mich sehr frühzeitig bewerben konnte. Das Vorstellungsgespräch bei der Kirchenregierung in WF verlief recht gespenstisch. Positiv wurde vor allem hervorgehoben, dass ich vor meinem Studium Res-Offizier der Marine gewesen sei. Ich wies sofort darauf hin, dass ich inzwischen eine recht pazifistische Einstellung hätte. Der Bischof rettete die Situation und leitete über zu der Frage, welches theologische Buch ich in letzter Zeit gelesen hätte. Ich verwies aus Klaus Müllers „ Die präparierte Zeit“, ein mir bis heute wichtiges Buch. Bischof Heintze blühte förmlich auf und erzählte, dass der Verfasser ein ihm bekannter Professor in BS sei, was mir bisher entgangen war. Es hat dann auch geklappt mit dem Studentenpfarramt und ich musste zum Landesbischof, um als neuer Pfarrer der Landeskirche die Bekenntnisschriften zu unterzeichnen. Stolz erzählte er mir, seit dem 16.Jh lägen die Unterschriften aller Pfarrer lückenlos vor.. Freundlich zeigte er mir auf dem Stadtplan, wo die Magnikirche liegt, wo die Einführung stattfinde. Bei der Einführung predigte er über mein Lieblingswort, das ich ihm genannt hatte: „Ihr wisst, dass die Mächtigen herrschen......so soll es unter Euch nicht sein“ Mt 20.Die Predigt sprach offen und ermutigend zu erwartende Konflikte an. Die müsse es geben. Gab es dann auch. Beim anschließenden geselligen Beisammensein ermahnte er mich zum Durchhalten. Mein Vorgänger sei wegen Scheidung versetzt worden. Er wolle in seiner verbleibenden Dienstzeit nicht noch einmal einen neuen Stud. Pfarrer einführen. Ich versprach durchzuhalten und hielt es auch. Wenn ich in Schwierigkeiten käme, solle ich früh genug zu ihm kommen. Nicht erst, wenn es zu spät sei. Ich versprachs. Den nächsten Kontakt hatte ich erst 3 Jahre später. Der Magni-KV versuchte, der ESG und damit auch mir als Pfarrer die Magnikirche als Gottesdienstort zu entziehen. Die politischen, gut besuchten und unkonventionellen Gottesdienste passten dem Kirchenvorstand nicht, insbesondere, wenn etwas in der Zeitung stand. Als nun anlässlich eines ESG-Ausländergottesdienstes einige Tee- und Kaffee-Flecken den Steinfußboden der Magnikirche entweiht hatten, gingen sie zum Bischof und baten ihn, uns aus der Magnikirche zu entfernen. Es gab eine lange Sitzung im LKA: Dr. Heintze und der gesamte KV, Oberrat Becker und ich allein gegen alle. Ich wies darauf hin, dass ich schließlich in Magni eingeführt worden sei, dies sei schon lange die Kirche der ESG und Studentengottesdienste müssten unkonventionell sein.Ich fühlte mich sehr allein gegen die geschlossene Phalanx des Magni-KV und seiner reaktionären Wortführer. Ich erhoffte mir kämpferische Unterstützung von meinem Bischof. Aber das war nicht seine Art. Er hörte sich freundlich alles an, doch er gab sich nicht dazu her, uns rauszuwerfen. Das könne er gar nicht, meinte er und ermahnte alle Seiten zum Frieden. Ich vergesse nie seinen peinlich berührten Gesichtsausdruck, als einer der Magni-KV ihm ein Bündel Fotos von den Kaffee-Flecken auf dem Kirchenboden unter die Nase hielt. Er legte sie unbesehen zur Seite. Wir sind dann noch bis zum Ende meiner Dienstzeit als Studentenpfarrer in der Magnikirche geblieben. (Erst nach meiner Zeit ging die ESG freiwillig nach Petri.) Dr Heintze hatte sehr viel Verständnis auch für die kritischen Anliegen der Studentengemeinde. Nur einmal machte er Vorbehalte deutlich. Die ESG trat öffentlich nach einer Nah-Ost-Reise für die Belange der Palästinenser ein und gegen den fortdauernden Landraub Israels. Hier warnte der Landesbischof. Er erzählte die Geschichte von dem arabischen Taxifahrer in Jordanien, der ihm gegenüber Hitler gepriesen habe. Dessen einziger Fehler sei gewesen, dass er nicht alle Juden umgebracht habe. Diese Warnung vor jedem Antisemitismus haben wir damals wohl beherzigt und z.B. ein enges Verhältnis zur jüdischen Gemeinde unterhalten. Aber Solidarität mit den Juden schloss für uns sachlich-besorgte Kritik an Israel nicht aus. Die Lehre der NS-Zeit muss sein, gegen jedes Unrecht aufzustehen. Ich persönlich denke gern an die Zeit mit Bischof Dr. Heintze zurück und gestehe, dass damals meine Identifikation mit dieser Landeskirche größer war als später. Die Konflikte schlugen erst durch zu Disziplinarmaßnahmen und destruktiver Konfrontation, als dieser Lotse von Bord ging. Ich habe ihm viel zu danken. Nach ihm ist es kälter geworden. Und deshalb zünden wir Feuer an.


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Impressum, http://bs.cyty.com/kirche-von-unten/archiv/Heintze/, Stand: November 2015, dk