|
1. Die Mitverantwortung der Kirche für die deutsche Ur- Katastrophe
Wir haben keinen Gedenktag an die deutsche Katastrophe von 1945. Den 8. Mai 1945 begeht die Bevölkerung nicht als Staatstrauertag, der an die blitzartige Niederlage der Wehrmacht und das schmähliche Ende der politischen Führung erinnert. Wir könnten uns schämen, was unsere Führung, in Deutschland und Europa in 12 Jahren angerichtet hat. Aber Kollektivscham kann man nicht kommandieren und zu einem öffentlichen Trauertag umsetzen.
Deswegen steht leider, leider die unvermeidliche Erinnerung, von der man hört, sie sei das Geheimnis der Erlösung am Beginn dieses Kurzvortrages. „Das Geheimnis der Erlösung ist die Erinnerung“, schrieb der jüdische Gelehrte Baal Schem Tov.
Die militärische Katastrophe erfolgte „blitzartig“. Im März 1945 wurden 300.000 Soldaten im sog. Ruhrkessel eingeschlossen und gefangen abgeführt. Der Befehlshaber Model erschoss sich. Im Kessel von Heiligenbeil, in Ostpreußen, hatte die sowjetische Armee 16 Divisionen mit 220.000 deutschen Soldaten eingeschlossen, die darin umkamen oder in Gefangenschaft abgeführt wurden. Aus dem Kessel von Halbe, 60 km südlich von Berlin gelegen, wurden 120.000 Soldaten in Gefangenschaft abgeführt, 30.000 waren im Kampf „gefallen“, der befehlende SS Obergruppenführer Kleinheisterkamp beging Selbstmord. Als im April 1945 bereits jeder militärischer Widerstand zwecklos war, wurde die Reichshauptstadt Berlin drei Wochen lang Stadtteil um Stadtteil „verteidigt“ . Am Ende warenallein im Kampf um Berlin auf beiden Seiten 170.000 Soldaten getötet und 500.000 Soldaten verwundet.
Die Verantwortung für diesen militärischen und politischen Irrsinn trugen nicht allein Generäle und Mannschafften, sondern auch die Kirche. Die evangelische Kirche hat für diese Niederlage eine erhebliche moralische Mitverantwortung. Sie hatte den Krieg bis zum letzten Tag mit unterstützt . Die halbe aktive Pfarrerschaft war eingezogen, die Pfarrer wurden mit zahlreichen Orden ausgezeichnet, einige für „ Tapferkeit“ vor dem Feind. Sie betete bis 1945 für Sieg und Frieden. Der weithin anerkannte Bischof Theophil Wurm ermahnte noch am 22. Februar 1945 die württembergischen Dekane in Erinnerung an Luthers Worte aus dem Bauernkrieg: „In einem solchen Krieg – und damit meinte er die militärische Lage von 1945 - ist es christlich und ein Werk der Liebe, die Feinde getrost würgen, rauben und brennen und alles tun, was schädlich ist, bis man sie überwinde.“ Die ev. Kirchengeschichtsforschung übergeht bis heute diese Mitverantwortung für die totale Niederlage. Es gibt keine gründliche Monografie über die ev. Kirche im 2. Weltkrieg noch über ihre Mitverantwortung für die Niederlage.
Die moralische Mitverantwortung schlug unerwartete, tiefe Wunden, die bis heute teilweiser nicht vernarbt sind. Die evangelische Kirche verlor mit dem Potsdamer Abkommen vom Sommer 1945 protestantische Gebiete in den Kirchenprovinzen Ostpreußen, Westpreußen, Schlesien und Pommern, die nun unter sowjetische und polnische Verwaltung gestellt wurden. Sie verlor Kernzellen eines jahrhundertealten deutschen Protestantismus. Das war eine Urkatastrophe der evangelischen Pfarrhausgeschichte.
Die alliierten Truppen stießen bei ihrem Vormarsch in chaotisch geöffneten Konzentrationslagern Dachau, Buchenwald, Bergen Belsen und anderen mit ihren zahlreichen Nebenlagern auf Berge von ausgemergelten, entblößten Leichen in den Lagerstraßen und waren angeekelt und schockiert. Ein junger amerikanischer Soldat erklärte: „ Jetzt wissen wir, wofür gekämpft haben“. Zur Abschreckung wurden Bewohner der benachbarten Städte aus Weimar, München und Celle in die Lager transportiert, die angewidert die Hände hoben und erklärten: „Das haben wir nicht gewollt. Das haben wir nicht getan. Das waren die Nazis“.
Der amerikanische Reporter Georg Stefan Troller, dessen Filmaufnahmen vom Zustand des KZ Dachau um die Welt gingen, war über die Reaktion der Deutschen entsetzt: „Verdammt, keine Reue, keine Buße, kein Schuldbewusstsein, nichts“. Der Name „Deutschland“ war im Ausland für lange Zeit geächtet.
|
|