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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 124 - Dezember 2008


Predigt zur Christnacht am 24. 12. 2007 in Sandkrug

von Gerhard Hinrichs
(Download als pdf hier)

„Es begab sich aber zu der Zeit, dass ein Gebot von dem Kaiser Augustus ausging, dass alle Welt geschätzt würde. Und diese Schätzung war die allererste und geschah zu der Zeit, da Cyrenius Landpfleger in Syrien war.“
So beginnt die Weihnachtsgeschichte des Lukas – und mir ist in der mir bekannten Literatur keine Erzählung begegnet, die es mit dieser Geschichte aufnehmen könnte. Und ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie mich bereits als Kind diese Erzählung auswendig lernen ließen, so dass ich noch heute kein Lektionar brauche, aus dem ich die Geschichte ablesen müsste. Und ebenso bin ich unserem Chorleiter Niels Erlank dankbar, dass er uns – wohl zum ersten Mal in der kurzen Geschichte der Sankruger Kreuzkirche – diese Erzählung gesungen hat. Denn wenn man einen Text als besonders schön empfindet, möchte man ihn gern singen, so, wie es Martin Luther in seinem Weihnachtslied sagt: „Der guten Mär bring ich so viel, davon ich singen und sagen will.“
Nun also: die Weihnachtsgeschichte des Lukas. Der Evangelist Lukas ist kein Historiker. Er will nicht erzählen, wie es wirklich gewesen ist. Vielmehr ist Lukas ein Prediger. Er ist, um es einmal mit einem Schlagwort aus unseren Tagen zu sagen, ein Jesus-Fan. Er ist von der Person „Jesus“ so gefangen, von seinen Taten, in denen er sich den Kranken und Verlorenen zuwendet, in denen er Kinder und Frauen in Schutz nimmt gegenüber einer allgegenwärtigen Männerherrschaft; er ist von seinem Leiden an der Welt, mit dem er das Böse überwindet, so überzeugt; er ist von seinen Worten so angetan, mit denen er zur Barmherzigkeit und zur Feindesliebe aufruft, dass er jeden in die Nachfolge von Jesus rufen möchte, den er, Lukas, als den Messias erkannt hat. Auch die Weihnachtsgeschichte des Lukas ist solche eine Predigt, mit der er zum Glauben an Jesus als den Christus aufrufen möchte.
Jesus von Nazareth – der Messias? Jesus von Nazareth – der Welt Heiland? Da stehen nun die gelehrten Zeitgenossen des Lukas auf: Jesus aus Nazareth? Was kann denn aus Nazareth Gutes kommen, da aus dem halbheidnischen Galiläa im Norden, das kaum noch zu Israel gehört? Sie kannten die alttestamentlichen Weissagungen, sie kannten ihren Propheten Micha, der ja gesagt hatte: „Und du, Bethlehem Ephrata, bist zwar die kleinste unter den Städten in Juda; doch aus dir soll mir der kommen, der über mein Volk Israel Herr sei.“ Und da willst du, Lukas, behaupten, Jesus aus Nazareth sei der Messias, den die Welt braucht, der im Anfang war, jetzt und immerdar und von Ewigkeit zu Ewigkeit? Nein, lieber Lukas, das wissen wir besser.
Jesus von Nazareth, der Sohn eines no–name-Tischlers Josef und seiner Mädchenfrau Mirjam, der soll der Messias sein? Ach, du armer Lukas, du willst uns erzählen, dass ein Kind aus solchem unbedeutenden Haus der Heiland der Welt sei? Da muss schon eine bedeutendere Familie dahinter stehen. Lukas, lies doch einmal den Propheten Jeremia, der sagt dir, wo der Messias herkommen wird: „Siehe, es kommt die Zeit, dass ich dem David“ – hörst du das, Lukas, dass ich dem König David - „einen gerechten Nachkommen erwecken will. Der soll ein König sein und wohl regieren.“ Oder frage unseretwegen auch den Propheten Jesaja, der sagt es dir auch: „Es wird ein Reis hervorgehen aus dem Stamm Isais und ein Zweig aus seiner Wurzel Frucht bringen. Auf ihm wird ruhen der Geist des Herrn!“
Ach Lukas, höre auf damit, Jesus von Nazareth uns als den verkaufen zu wollen, von dem das Heil in der Welt herkommt.
So reden die Zeitgenossen des Lukas.
Und da fängt die Predigt des Evangelisten Lukas an. Wie gesagt, er will keine Historie schreiben. Er will predigen, dass Jesus der Messias sei. Und so lässt er den Kaiser Augustus in Rom einen Zensus ausschreiben, eine Steuerschätzung im ganzen römischen Weltreich , eine Steuerschätzung übrigens, von der sonst niemand, kein Historiker, nicht einmal Seneca oder Tacitus aus der Zeit des Augustus etwas berichten, zu der ein jeder in seine Vaterstadt zurückkehren soll – eine nun wirklich unsinnige Bestimmung; denn wozu sollte solch eine Völkerwanderung wohl dienen?
Aber damit hat Lukas es geschafft, auf die Entgegnungen seiner Hörer zu reagieren: „Und jedermann ging, dass er sich schätzen ließe, ein jeglicher in seine Stadt. Da machte sich auch auf Josef aus Galiläa, aus der Stadt Nazareth, in das jüdische Land zur Stadt Davids, die da heißt Bethlehem, darum, dass er von dem Hause und Geschlechte Davids war.“
Lukas also ein Lügner? Ach nein, liebe Gemeinde, Lukas, ein Prediger, ein Jesus-Fan, der seine Zuhörer gerne zu Jesus hinführen möchte, dass auch sie seinen Worten vertrauen und ihre Taten den seinen angleichen. Denn es ist ja unwichtig, woher einer kommt und es ist unwichtig, aus was für einer Familie einer stammt. Wichtig ist, was für die Welt heilsam und was für die Menschen hilfreich ist. Und das sind die Worte und die Taten Jesu. Lukas – der Prediger.

An dieser Stelle folgt ein Zwischenspiel von Leevke auf der Flöte

Und jetzt kommen wir zum zweiten Teil der Weihnachtserzählung des Lukas – und das ist die Geschichte mit den Engeln und mit den Hirten. So schön dieser Abschnitt zu hören ist, wir sind uns da wohl alle einig, dass dieser Teil mit den Engeln in den Bereich der Fabel zu verweisen ist, mit Engeln, die vom Himmel kommen und die dann wieder in den Himmel zurückkehren.
Aber wir wissen es ja jetzt: Lukas ist ein Prediger. Und er will uns nicht nur erzählen, dass Jesus der Messias ist, sondern er will uns erzählen, wie denn eigentlich das Messiassein des Jesus von Nazareth aussieht.
Da hüten also die Hirten auf dem Felde bei den Hürden von Bethlehem ihre Herde, ihre Schafe, des Nachts. Und sofort denken wir, zweitausend Jahre nach dem Evangelisten Lukas lebend, an das Weihnachtsoratorium des Johann Sebastian Bach mit der Hirtenmusik, den Pastoralen und an die Schäferidyllen der Romantik des 19. Jahrhunderts. Nichts da!
Hirten sind Nomaden, Heimatlose, die ihre Zelte mal hier und mal da aufschlagen, immer wieder von den Grundbesitzern vertrieben. Hirten, das sind wie Abel immer die Zigeuner, die vom sesshaften Ackerbauer Kain erschlagen werden; Hirten, das sind die Menschen, die überleben wollen wie wir auch, die es aber nicht können, eben, weil sie nichts haben; und wenn sie sich das Überlebensnotwendige holen wollen, dann wird es ihnen nicht gegönnt. Um die Hirten ist es immer Nacht. Die Hirten unserer Tage, das sind meinetwegen die Schwarzafrikaner, die aus reiner Überlebensangst sich in Nussschalen hineinzwängen und versuchen, über das stürmische Mittelmeer nach Europa zu gelangen und die bei diesem Versuch oft genug ihr Leben einbüßen. Und wenn sie es dann bis zu den Balearen oder den kanarischen Inseln geschafft haben, werden sie von den Europäern wieder zurück transportiert, zurück in die mörderische Sahara. Die Hirten unserer Tage, das sind die Afghanen und die Kurden, die, um in den mörderischen Kämpfen in ihrer Heimat nicht umzukommen, sich in die Festung Europa flüchten, aber hier kaum geduldet werden.
Und jetzt fängt der Prediger Lukas an und sagt uns, wie das Messiastum des Jesus von Nazareth, nein, das allein und einzig gültige Messiastum überhaupt aussieht: Der Messias wendet sich nämlich nicht den Wohlhabenden zu, er ist kein Freund der Könige und Machthaber, sondern seine Herrlichkeit besteht darin, dass er sich den Heimatlosen zuwendet: „Euch, euch ist heute der Heiland geboren. Euch zu allererst. Und dann ist er auch der Heiland des ganzen armen Volkes. Und der ist ein wirklicher Herr, wer immer das tut.“ So predigt Lukas den Messias. Von einem solchen Messias ist er überzeugt. Und wo immer das geschieht, dass einer sich den Verlorenen zuwendet, da wird die Herrlichkeit Gottes offenbar, da wird Friede auf Erden und den Menschen gefällt es wohl.
Lukas, der Prediger.

An dieser Stelle folgt ein zweites Zwischenspiel auf der Flöte von Leevke.

Muss ich Ihnen jetzt noch viel zum dritten Teil der Weihnachtsgeschichte des Lukas sagen, die ja eine Predigt ist und keine Nacherzählung von einem Ereignis, das sich wirklich so zugetragen hat?
Da sagen die Hirten: „Lasset uns nun gehen gen Bethlehem und die Geschichte sehen, die da geschehen ist, die uns der Herr kund getan hat.“ Man muss das einmal auf lateinisch hören, was da gemeint ist: „Transeamus usque Bethlehem.“ Lasst uns hinüber – gehen, bis wir nach Bethlehem kommen. Eine Brücke bildet oft den Übergang von einem vertrauten in ein fremdes, in ein neues Land. Und dies fremde Land ist das Land, wo das Herrsein im Dienen besteht. Denn genau das predigt der Evangelist später in seinem Evangelium von Jesus, dass der gesagt habe: „Wer der Größte unter euch sein will, der sei euer aller Diener.“
Und die Hirten, Analphabeten übrigens, wie die Apostel, breiten das Wort aus, welches zu ihnen von diesem Kinde gesagt war, dass nämlich in diesem Jesus der Heilsweg für diese Welt aufgezeigt ist. Und alle, vor die es kam, wunderten sich der Rede, die ihnen die Hirten gesagt hatten.
Und Maria – das ist ihr Ruhmesblatt, nicht, dass sie immerwährende Jungfrau ist, sondern dass sie alle diese Worte behielt und in ihrem Herzen bewegte. Und solche „marianische“ Frömmigkeit wünschte ich Ihnen und mir.
Und die Hirten kehrten wieder um, priesen und lobten Gott um alles, was sie gehört und gesehen hatten, wie denn zu ihnen gesagt war. Und in diesen Gesang wollen wir einstimmen, indem wir miteinander singen:
„Ich steh an deiner Krippen hier, o Jesu, du mein Leben.“

Wir haben dann alle neun Strophen dieses Liedes gesungen:
Strophe 1 – 3 : Alle mit Orgel,
Strophe 4 : Der Singkreis
Strophe 5 : Rechte Seite
Strophe 6 : Linke Seite
Strophe 7 : nur die Frauen, ohne Orgel
Strophe 8 : nur die Männer, ohne Orgel
Strophe 9 : alle, jetzt wieder mit Orgel.

Im Gesangbuch finden wir Adventslieder an Stellen, wo wir sie nicht vermuten, wie dieses:




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