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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 124 - Dezember 2008


Für die jungen Vikare ist der jüdisch-christliche Dialog kein Thema

von Kurt Dockhorn
(Download als pdf hier)

Der von Jürgen Naumann gegründete Arbeitskreis ECCLESIA ET SYNAGOGA hatte Ende August den Direktor des Predigerseminars Dieter Rammler zu Gast. Er war eingeladen worden, um den jüdisch-christlichen Dialog im Hinblick auf die Ausbildung von Vikarinnen und Vikaren in unserer Landeskirche zu reflektieren. Und er kam mit einer Fülle von Gesprächsimpulsen, in denen ein hohes und auf der Höhe der Zeit sich bewegendes Problembewusstsein zum Ausdruck kam. Klar brach Rammler mit einer 2000-jährigen Tradition der Enteignung jüdischer Texte von Seiten der christlichen Theologie, die bis weit ins letzte Jahrhundert hinein so tun konnte, als seien die Texte der hebräischen Bibel nicht aus sich zu verstehen (jüdische Verblendung), sondern erst aus dem von der Kirche zu deutenden Christusereignis (christliche Erhellung) heraus. Den Juden wird die Legitimität ihrer Lesart bescheinigt, dies allerdings unter Beharren darauf, dass die christliche Lesart nicht minder legitim ist (oder vielleicht doch etwas legitimer?).
So konnte Rammler durchaus selbstkritisch anmerken, dass das Schema Altes Testament= Gesetz - Neues Testament=Evangelium und damit verbunden eine christologische Auslegung alttestamentlicher Texte in der gegenwärtigen Auslegungspraxis keineswegs ausgestorben ist. Die Tradition der antijüdischen Hermeneutik mit seinen verheerenden Konsequenzen führte er zurück auf den Barnabasbrief, in dem die Christen als das neue Volk Gottes und als königliches Priestertum das Volk Israel beerben.
Den spezifischen Sinn des jüdisch-christlichen Dialogs erkannte der Referent in der Verschränkung von einzigartiger Nähe und fundamentaler Differenz in beiden Religionen und darin, dass wir in den postmodernen Auseinandersetzungen um die Menschenwürde Partner seien.
Wenn diese Bestimmungen zutreffen, ist das von solchem Gewicht, dass es einigermaßen befremdlich klingt, wenn Rammler für den auszubildenden Theologennachwuchs an anderer Stelle seines Referats den jüdisch-christlichen Dialog für obsolet, nämlich für abgelöst durch die Auseinandersetzung mit dem Islam und dem Buddhismus erklärte.
Ja, darf man denn den Vikarinnen und Vikaren ein solches Desinteresse einfach so durchgehen lassen? Was passiert eigentlich, wenn wir diesen - auf dem Hintergrund von 2000 Jahren antijüdischer Christentumsgeschichte schlechthin zentralen - Dialog vernachlässigen, mögen dafür aktuelle Entwicklungen auch noch so plausible Gründe liefern? Sind wir so vermessen zu meinen, die Lektionen des Judentums und seiner Tradition schon zu Ende verstanden zu haben und also beiseite legen zu können?

In der lebhaften Diskussion traten dann durchaus auch Widersprüche zum Vorgetragenen auf. Strittig blieb etwa die Frage, ob der Universalismus mit Paulus in die Welt gekommen oder durchaus schon in Israel ausgearbeitet worden ist. Das Argument für Paulus, das Judentum habe bis heute nicht die Bindung an Shabat und Beschneidung überwunden, dürfte hier zu kurz greifen.
Kontrovers ging es auch zu bei der Frage nach den Konsequenzen aus dem erklärten Grundsatz der Nichtvereinnahmung jüdischer Texte und der Abweisung ihrer christologischen Interpretation: "Alttestamentliche" Weissagungen spielen unverändert eine Riesenrolle im Weihnachtsgottesdienst, unverändert auch die Praxis, das Beten des Wochenpsalms mit der trinitarischen Formel abzuschließen. Kommt man bei solchen Beobachtungen weiter mit der Erkenntnis: es gibt diese und es gibt jene Lesart und beide haben Recht? (also konkret: es bleibt dabei, dass Jesaja 9 eine Weissagung auf Jesus Christus ist), oder bringt der Praxistest an den Tag, dass die sowohl-als-auch-Formel eine Mogelpackung ist? Ganz abgesehen davon, daß hier eine Rückfrage an den jüdischen Dialogpartner unverzichtbar wäre: Wie seht Ihr das denn? Am Ende des Abends blieb viel Stoff für weitere Arbeit, nicht nur in dem Desiderat von Dieter Rammler, daß die bis heute nicht stattfindende "Spurensuche" (Kirche von Unten berichtete) in den Gemeinden aufgenommen werde und sich bald jemand fände, der eine historische Darstellung der (icht-)Beziehungen zwischen Ecclesia und Synagoga in unserer Landeskirche ausarbeitet.




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