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[Kirche von Unten]

Alternatives aus der/ für die
Braunschweiger Landeskirche

Kirche von Unten Nr. 124 - Dezember 2008


Ein 68er Skandal in der Bischofsstadt Wolfenbüttel

ein Erinnerung von Dietrich Kuessner
(Download als pdf hier)

Auch die Bischofsstadt Wolfenbüttel hat ihren 68er-Skandal gehabt. Der 25-jährige Hamburger Theologiestudent Dieter Düllmann aus Gr. Dahlum und eine Gruppe Jugendlicher hatten sich am Volkstrauertag 1968 im Kirchenraum der Trinitatiskirche in Wolfenbüttel verteilt und machten während des Glaubensbekenntnisses Lärm, stürmten die Kanzel, verteilten Flugblätter „auf braunem Papier“ und protestierten gegen die kriegsverherrlichenden Sprüche von Ferdinand v. Freiligrath, die auf den riesigen Gedenktafeln für die Gefallenen des 1. Weltkrieges an beiden Stirnwänden der Seitenschiffe in der Trinitiatiskirche aufgeschrieben waren. Die im Gottesdienst anwesenden ehemaligen Soldaten „hatten schnell gemerkt, was los war und die in der Gemeinde verteilten Schreier bald gepackt und auf die Straße geworfen. Einige von ihnen stürmten zur Kanzel und hatten auch Stöcke dabei“ erinnerte sich 35 Jahre später der damalige Propst Karl-Heinz Oelker. Vor der Kirche diskutierten die Demonstranten mit Gemeindemitgliedern über das Thema „Alle Soldaten sind Mörder“. Der Kirchenvorstand von Trinitatis verfasste eine verständige Erklärung zum Vorgehen Düllmanns.
Aber am Sonnabend vor dem nächsten Sonntag, dem Totensonntag, hatte sich Düllmann in die Marienkirche einschließen lassen, die dortigen Kriegergedenktafeln mit Parolen wie „Dulde nicht den Wahn in deiner Mitte“, „Liebe den Angehörigen eines andern Volkes, er steht dir gleich“, „Verherrliche nicht das Verbrechen als Heldentat“ versehen und in eine Tafel eine Axt geschlagen, dazu den Bibelspruch Mt. 3,10 mit Kreide an die Wand gemalt: „Die Axt ist schon an die Wurzel gelegt“. Er wurde um Mitternacht vom Diakon Rautenberg überrascht.
Der Kirchenvorstand von Marien erstattete nun Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch und Sachbeschädigung und die Staatsanwaltschaft erstattet von sich aus Anzeige wegen Erregung öffentlichen Ärgernisses. Der Theologiestudent wurde verurteilt.
Die Wolfenbüttler Zeitung berichtete an drei Tagen, sprach von „fanatischer Besessenheit“, gab aber auch ausführlich die Erklärung von Landesbischof Heintze wieder, die mir beispielhaft erscheint.
Er „bedauerte diese gewalttätigen Aktionen aufs tiefste und sah in ihnen ein Zeichen betrüblicher Verwirrung und Verblendung“. Wer selber willkürlich Gewalt anwende, wäre kein überzeugender Prophet der Gewaltlosigkeit. Dann aber fügte Heintze folgende Passage an: „Es wäre „dringend zu wünschen, dass die berechtigter Empörung über D’s Protestaktion nicht verhindert, vor allem über die ungeheuerlichen Schicksals- und Schuldzusammenhänge der Weltkriege und ihre noch immer nachwirkenden Folgen zu erschrecken. Die Erklärung des Kirchenvorstandes von Trinitatis hat deutlich gemacht, dass die in der Tat höchst anfechtbare Überschrift der in der dortigen Kirche befindlichen Gedenktafeln für uns heute nur noch die Bedeutung haben kann, uns mit Scham dessen zu erinnern, was in unserem Volk vor noch nicht allzu langer Zeit an romantischer Kriegsverherrlichung möglich war und uns vor jedem neuen Aufleben eines solchen Geistes zu hüten.
Die Frage nach dem Sinn und nach möglichen Missdeutungen von Kriegergedenkstätten in Kirchenräumen kann und muß heute überall neu gestellt und überdacht werden. Über der Entrüstung über die unverantwortlichen Aktionen D’s sollten wir auch nicht vergessen, wie unvergleichlich schrecklicher das ist, was heute noch an Unmenschlichkeit in kriegerischen Konflikten und sonstigen brutalen Machtaktionen fortgesetzt neu geschieht oder sich drohend vorbereitet. Vor allem sollte das, was in Wolfenbüttel geschehen ist, in ein neues vertieftes Nachdenken darüber hineinführen, was heute die Verantwortung für den Frieden von uns allen verlangt...“.
Heintze verurteilte die Form des Vorgehens, aber wertete es als kräftigen Anstoß zum Nachdenken auf. Er wollte beiden Seiten gerecht werden und beiden Seiten ins Gewissen reden.
Die ärgerniserregenden Sprüche wurden auf Vorschlag von Oberlandeskirchenrat F. W. Wandersleb später vom Kirchenvorstand „mit Blenden“ unsichtbar gemacht, die Namen der Gefallenen aber belassen. „Die Angehörigen der alten Wolfenbütteler Soldatenverbände erschienen seither nicht mehr im Gottesdienst der Garnisonkirche“, erinnerte sich Propst Oelker.
Im kommenden ist wieder eine gründliche Renovierung der Trinitatiskirche fällig, mal sehen wie!




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